Protocol of the Session on June 7, 2000

- Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Wir halten es deswegen für kontraproduktiv, wenn in diesem Diskussionsprozess bereits jetzt wieder Tabubereiche aufgebaut werden. Wenn Herr Kollege Hentschel von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erklärt, dass der Kindertagesstättenbereich ein absoluter Tabubereich sei, werden die Dinge nach meiner Meinung von vornherein belastet. Ich kann mir vorstellen, dass dann auch die Gleichstellungspolitik ein Tabubereich sein soll. Ich könnte Ihnen noch ein Dutzend anderer Tabubereiche aufzählen. So werden wir keine vernünftige Verantwortungs- und Aufgabenverlagerung vom Land auf die Kommunen durchführen können.

(Beifall bei CDU und F.D.P. - Zuruf des Ab- geordneten Holger Astrup [SPD] - Glocke des Präsidenten)

Vertrauen Sie doch etwas mehr dem Verantwortungsbewusstsein der Kommunalpolitiker. Landtagsabgeordnete sind nicht klüger als Gemeindevertreter und Kreistagsabgeordnete.

(Beifall bei CDU und F.D.P.)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Heinold.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Brauchen wir landesweit festgesetzte Standards oder brauchen wir sie nicht? Diese Diskussion führen wir immer wieder miteinander. Während die F.D.P.-Fraktion möglichst alle Standards aufheben will, sagen wir als Grüne sehr bewusst, gerade im ökologischen und sozialen Bereich gibt es Standards, die wir landesweit aufrechterhalten wollen.

Aber die F.D.P.-Fraktion übertrifft sich aus meiner Sicht mit ihrem Antrag heute selbst. Vom Schulgesetz bis zum Hochschulgesetz, von der Preisgestaltung für den öffentlichen Personennahverkehr bis zur Schadstoffbelastung bei Abwasserbeseitigungsanlagen sollen diese landesweit festgelegten Standards von jetzt an fallen.

Aber so ganz geheuer ist der F.D.P. ihr eigener Antrag wohl auch nicht. Denn sie möchte, dass das Innenministerium im Benehmen mit der jeweils fachlich zuständigen obersten Landesbehörde nach Eingang der erforderlichen Antragsunterlagen jede einzelne Befreiung prüft und genehmigt. Da wird dann entschieden, ob Kleinkummerfeld auch ohne Feuerlöscher auskommt, ob die Schulklassengröße in Bordesholm 35 Kinder betragen darf oder ob die Organisation des Rettungsdienstes in Nordfriesland eine Gefahr für Leib und Leben ist. Denn das ist ja sozusagen Ihr Maßstab.

Eine Vereinheitlichung von Standards führt auch dazu, dass es keine Einzelfallprüfung geben muss. Herr Schlie sprach von einer zentralistischen Staatsverwaltung.

(Klaus Schlie [CDU]: Ja, natürlich!)

Ich weise an dieser Stelle darauf hin, dass zu dieser zentralistischen Staatsverwaltung - wie Sie sie bezeichnet haben - die Grünen - wenn überhaupt - 1 % beigetragen haben. Das, was wir in den letzten vier Jahren mit unseren Stimmen an neuen Standards aufgelegt haben, müssen Sie mir benennen. Das meiste sind Gesetze, die sich über Jahrzehnte mit den Stimmen von CDU, F.D.P. und SPD ergeben haben. Stattdessen soll es jetzt wieder zu Einzelentscheidungen

(Monika Heinold)

kommen. So verstehe ich zumindest Ihren Antrag. Schade, Herr Kubicki, dass Sie dies nicht weiter ausgeführt haben. Wir hätten dann ein Stück mehr in der Sache reden können.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Das können Sie nachlesen, Frau Heinold, wenn Sie lesen kön- nen!)

Natürlich kann und muss man sich immer wieder die Frage stellen - das haben wir oft genug betont -, welche Gesetze, Vorschriften und Richtlinien noch sinnvoll und zeitgemäß sind und welche Aufgaben die Kommunen in Eigenverantwortung selbst regeln können.

Mit dieser Fragestellung werden sich der Sonderausschuss und die Enquetekommission beschäftigen. In diese Richtung geht auch dieser Antrag, hoffe ich auf jeden Fall.

Der Antrag der F.D.P.-Fraktion nennt 15 Landesgesetze, er benennt aber nur wenige Dinge konkret. Was soll das Land in Zukunft im Schulgesetz oder gar im Hochschulgesetz nicht mehr regeln? Da hätte ich gern ein Beispiel. Ist es die Qualifikation der Lehrerinnen und Lehrer oder der Professoren? Ist es die Klassengröße in den Schulen? Welcher Paragraph des Gesetzes über den öffentlichen Personennahverkehr soll fallen? Beispielhaft sprechen Sie beim ÖPNV die Vorgaben für die Preisgestaltung an. Aber das entsprechende Gesetz sieht diese Preisgestaltung gar nicht vor, sondern fordert nur einen regionalen Nahverkehrsplan, welcher in Kreisen und kreisfreien Städten Aussagen zur Tarifstruktur macht. Ich hätte von Ihnen dazu natürlich gern eine Differenzierung gehört. Ich gehe nicht davon aus, dass Sie die Nahverkehrspläne grundsätzlich abschaffen wollen. Sonst sagen Sie dies. Also: Bitte etwas Butter bei die Fische, damit ich mich mit den Vorschlägen auseinandersetzen kann.

Die F.D.P.-Fraktion nennt eindeutig das Kindertagesstättengesetz. Das wurde ja hier auch schon einmal benannt. Ich sage an dieser Stelle sehr deutlich: Die Diskussion über die Standards im Kindertagesstättengesetz wird von Ihnen immer nur so betrieben, dass Sie sagen: Standards auflösen, weil das zu Einsparungen führt. Diese Diskussion mache ich nicht mit. Auch die Kindertagesstätten haben einen Bildungsauftrag. Gerade die F.D.P., die sich als neue Bildungspartei profilieren möchte, sollte dies zur Kenntnis nehmen.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dieser Bildungsauftrag ist nicht mehr gewährleistet, wenn wir größere Gruppengrößen zulassen als die, die wir jetzt haben.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [F.D.P.])

Natürlich kann man darüber reden, ob es Vorgaben für die räumliche Ausstattung von Standesämtern geben muss. Dass es diese Vorgaben für die Standesämter überhaupt gibt, fällt wahrscheinlich nur „Mehrfachtätern“ wie Außenminister Fischer oder Bundeskanzler Schröder auf. Sie wundern sich spätestens beim vierten Mal, dass sie sich im Standesamt immer gleich wie zu Hause fühlen.

(Heiterkeit der Abgeordneten Anke Spooren- donk [SSW])

Aber schon beim Brandschutz habe ich Bedenken. Und beim Hochschulgesetz weiß ich gar nicht, was Sie meinen. Mehr als nur Bedenken hat meine Fraktion bei der Forderung, Höchstwerte für Schadstoffbelastungen freizugeben. Woran soll sich der Innenminister bei der jeweiligen Einzelfallprüfung der Schadstoffe orientieren? Doch wohl auch an der wissenschaftlichen Einstufung hinsichtlich der Gefahr für Leib und Leben -, ein Maßstab, der auch jetzt die Höchstwerte festlegt. Sie wollen wieder zur Einzelfallprüfung kommen. Wir sollten darüber diskutieren, ob das tatsächlich eine Vereinfachung ist und für die Menschen mehr Sicherheit darstellt. Schon aus diesem Grund kann ich - da unterscheide ich mich von Herrn Puls - diesen Gesetzentwurf nicht freiweg begrüßen.

(Glocke des Präsidenten)

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Ich sage sehr deutlich, wir werden uns mit Ihrer Argumentation und mit Ihren konkreten Vorschlägen beschäftigen.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Sie werden selbst welche machen müssen!)

Dass wir bereit sind, auch im Bereich von Standards Veränderungen herbeizuführen oder Dinge an die Kommunen zurückzugeben, haben wir nun gerade beim Kindertagesstättengesetz bewiesen. Es ist Ihnen vielleicht nicht aufgefallen, aber bei der Änderung im letzten Jahr haben wir die baulichen Standards herausgenommen. Aussagen über das dadurch entstan

(Monika Heinold)

dene Einsparpotential werden uns die Kommunen mit Sicherheit relativ bald mitteilen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ich erteile Frau Abgeordneter Spoorendonk das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf muss natürlich vor dem Hintergrund eines drohenden Eingriffs des Landes in die Finanzen der kommunalen Gebietskörperschaften gesehen werden. In den Redebeiträgen sind bereits alle darauf eingegangen. Dabei hat die F.D.P. die Möglichkeit genutzt, einen entsprechenden Gesetzentwurf der SPD/PDS-Regierung in MecklenburgVorpommern fast wortgleich in Schleswig-Holstein einzubringen.

(Zurufe des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [F.D.P.])

Der Gedanke ist sicherlich: Wenn Rot-Rot ein solches Gesetz beschließen kann, kann Rot-Grün doch nicht Nein sagen. Die öffentliche Diskussion läuft ja schon etwas länger in dieselbe Richtung. Den Kommunen soll als Gegenleistung für Eingriffe in die kommunalen Finanzen sozusagen ein geldwerter Vorteil verschafft werden, indem man ihnen in einigen Bereichen die Möglichkeit gibt, vom Land vorgegebene Standards künftig selbst zu bestimmen.

(Klaus Schlie [CDU]: Wer will das?)

Schon mit dieser Diskussion hat der SSW große Probleme gehabt - Kollege Schlie, Sie wissen das -, da wir die Auffassung vertreten, dass die so genannte Schicksalsgemeinschaft zwischen Land und Kommunen nicht durch einseitige Eingriffe des Landes in die kommunalen Finanzen infrage gestellt werden darf.

Allerdings hat die F.D.P. mit diesem Gesetzentwurf nun wirklich den Vogel abgeschossen. Darum sage ich ganz deutlich: Der SSW hat große Bedenken gegen ein solches allgemeines Standardöffnungsgesetz, wobei ich ehrlicherweise einräumen muss, dass diese Initiative ganz schön vigeliensch gemacht ist. Denn als Nebeneffekt bietet sie sozusagen auch eine schöne Steilvorlage zu dem „kleinen“ Oppositionsführer, der mit diesem Gesetzentwurf, den er vor sich hertragen kann, zu Recht behaupten kann, die F.D.P. sei nicht nur die Modernisiererin mit supergroßem M, sondern auch d i e Freundin der Kommunen. - Gut gemacht!

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: In Dänemark ist das doch Standard, oder nicht?)

- Ich komme noch darauf zu sprechen. Ich habe aber nicht so viel Redezeit.

Wir befürchten, dass ein solches Gesetz zu einem pauschalen Absenken der Standard in den Kommunen führen würde. Dabei geht es nicht darum - das möchte ich noch einmal deutlich machen -, dass wir kein Vertrauen in das Verantwortungsbewusstsein der kommunalen Selbstverwaltung haben.

(Martin Kayenburg [CDU] und Klaus Schlie [CDU]: Aber natürlich! - Martin Kayenburg [CDU]: Wie ist das denn in Dänemark?)

- Darauf komme ich noch zurück. Ich muss Ihnen in diesem Zusammenhang Nachhilfeunterricht erteilen, habe aber nicht so viel Redezeit zur Verfügung.

(Klaus Schlie [CDU]: Trotzdem besteht ein Befremden darüber!)

Es ist ein großes Problem, wenn man eine Öffnung von Standards in den kommunalen Gebietskörperschaften vor dem Hintergrund massive finanzieller Einschnitte diskutiert.

(Klaus Schlie [CDU]: Wir wollen keine ma- chen!)

Der SSW vertritt daher die Auffassung, dass das Kriterium der Qualität in der Debatte um die Standardabsenkung wirklich entscheidend mit berücksichtigt werden muss. Dass es bei dem Standardöffnungsgesetz nicht um Qualität geht, sondern einfach nur darum, Geld zu sparen, zeigen die Bestimmungen des § 2 Abs. 2 und 3 des Gesetzentwurfes. Zum einen wird in Absatz 2 vorgeschrieben, dass Anträge auf Befreiung von Standards nur „bei Gefahr für Leib und Leben“ abzulehnen seien. Da fragt man sich natürlich, wie das genau definiert ist.

(Beifall von Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Hinzu kommt die Bestimmung in § 2 Abs. 3, der zufolge das Land bei Ablehnung aus anderen als in Absatz 2 genannten Gründen die aus der Beibehaltung des Standards entstehenden Mehrkosten an die Kommunen zu erstatten hat.

(Beifall des Abgeordneten Klaus Schlie [CDU])