Wenn man sich die Aufgaben der PISA-Studie - die findet man im Netz, in Büchern und auch in Zeitungen - einmal anschaut, dann stellt man fest, dass es dabei auch eine ganze Reihe von Kreativitätsaufgaben gibt. Es stellt sich die Frage, warum gerade diese Aufgaben zum ganz überwiegenden Teil von den deutschen Schülern nicht gelöst werden konnten. Die Antwort ist, dass dort Dinge abgefordert wurden, die in den deutschen Lehrplänen überhaupt nicht vorkommen und deshalb von den deutschen Schülern auch gar nicht bewältigt werden können. Deswegen will ich eines deutlich sagen: Meines Erachtens ist es sehr viel ertragreicher, über Unterrichtsformen, Fächerkanon und Lehrerqualifizierung zu reden, als sich andauernd und ausschließlich über Fragen zur Schulzeitdauer und zu den Schularten den Kopf zu zerbrechen.
Kommen wir zum Thema der uns bevorstehenden Regionalisierung. Dazu wird es sicherlich eine interessante Debatte geben. Es ist zu erwarten - da habe ich gar keine Zweifel -, dass sich die versammelten deutschen Provinzfürsten und Besserwisser darüber streiten werden, wessen Ergebnisse etwas weniger schlecht sind als die miserable Gesamtlage.
Ich freue mich, dass offenbar einige schon etwas über Dinge wissen, die noch gar nicht vorliegen. Das ist ein hohes Maß an Antizipation; das will ich Ihnen zugestehen. Aber warten wir doch einmal ab, was dabei herauskommt, wenn die Dinge endgültig auf dem Tisch liegen.
Lassen Sie mich ein paar Beispiele herausgreifen. Im Moment liest man viel zum Thema „Mehr Leistung!“. Leistung lässt sich nun in vielerlei Hinsicht definieren und man muss schon deutlich sagen, was man damit meint. Leider haben wir nicht die Zeit, das en détail zu machen, aber ich möchte einmal etwas exemplarisch aufzeigen: Wer glaubt, dass das Thema Ziffernnoten in den Klassen 1 und 2 etwas mit Leistung zu tun hat, der muss nur in den PISA-Bericht hineinschauen. Alle Länder, die auf Ziffernnoten in den Klassen 1 und 2 und zum Teil auch darüber hinaus verzichten, liegen in dieser Untersuchung vor Deutschland.
Ich will daraus heute noch keinen endgültigen Schluss ableiten, aber jedenfalls kann man den Schluss, dass mit einer Ziffernnote in den Klassen 1 und 2 etwas gewonnen ist, aus PISA nun wahrlich nicht ziehen.
(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und FDP - Martin Kayenburg [CDU]: Aber dann sind wir relativ noch schlechter! Das müssen Sie sich auch klar machen!)
Entweder ist man also bereit, einen solchen Bericht seriös auszuwerten - dann kann man sich über die Ergebnisse streiten -, oder man lässt es. Aber man kann nicht Dinge an den Haaren herbeiziehen, die gar nicht in dem Bericht stehen. Insoweit kann man sich nicht auf PISA berufen.
Es gibt eine Reihe von Anregungen und Erkenntnissen aus anderen Bildungssystemen, über die man ohne Frage nachdenken muss. In einem ausgeprägten Bildungssystem wie dem deutschen kann man aber nicht einfach Modelle aus anderen Staaten einführen und einfach etwas übernehmen; das wäre illusorisch. Dies gilt auch dann, wenn diese anderen Modelle offensichtlich bessere Ergebnisse zeigen. Wir müssen uns die anderen Länder schon anschauen und analysieren, welche Hinweise für uns nützlich sein können. Meines Erachtens ist die Erkenntnis aber nicht von der Hand zu weisen, dass wir unsere Mittel mehr und stärker als bisher im Grundschulbereich konzentrieren müssen.
Ich will nicht die Frage diskutieren, ob und in welcher Form wir Kinder mit zehn Jahren in verschiedene
Schulformen selektieren müssen. Das ist eine alte und lange Debatte. Dennoch sage ich so viel: Man kann nicht die PISA-Studie auswerten wollen und gleichzeitig Tabus formulieren, über die nicht geredet werden darf.
Nehmen wir als nächstes Beispiel das Thema der früheren Einschulung der Schüler. 1997/1998 - das ist noch gar nicht so lange her; ich habe das noch gut in Erinnerung - gab es die große Schulgesetznovelle in Schleswig-Holstein. Die damalige Bildungsministerin, Frau Böhrk, hat es gewagt, einen Gesetzentwurf vorzulegen, in dem die Einschulungsmöglichkeit drei Monate vorverlegt werden sollte. Ein Aufschrei der Empörung ging durch das Land - gespeist durch die Opposition, die geradezu den Eindruck erwecken wollte, als würde der Kindermord von Betlehem vorbereitet werden, um einmal ein vorweihnachtliches Beispiel zu nehmen.
(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Lothar Hay [SPD]: Untergang des Abendlandes hieß es in der Opposition!)
Es ist ja gut, dass die Einsicht gewachsen ist, dass die Dinge etwas anders liegen. Ich habe das Beispiel aber auch genannt, um ein Stück Fähigkeit zur Selbstkritik zu belegen. Wir sind damals zurückgewichen und haben gesagt, dass uns bei dem Schulgesetz andere Dinge so wichtig seien, dass wir diesen Kampf, der auch öffentlich schwer darstellbar war, nicht zu Ende führen wollten. Das war ein Fehler. Wir haben uns zu sehr ins Bockshorn jagen lassen. Das zeigt: Ohne Mut kommt man in der Politik manchmal ein bisschen spät zu guten Ergebnissen. Wir haben damals Sachen zementiert, die wir - das wissen wir heute - nicht hätten zementieren dürfen.
Lassen Sie mich einen Schlusssatz formulieren. Ich glaube, dass niemand ungeschoren an der PISA-Studie vorbeikommt: nicht wir Politiker, nicht die Lehrer, nicht die Eltern und auch nicht unsere ganze Gesellschaft. Diese Einsicht ist nicht neu. Es kommt jetzt darauf an, zu handeln - und zwar nicht in den nächsten drei, vier oder fünf Jahren, sondern im nächsten Jahr. Dann brauchen wir erste Konsequenzen aus der PISA
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es sehr nett, dass die Ministerpräsidentin bei diesem „Chefsache“-Thema genau in dem Moment in den Plenarsaal kam, in dem mein Redebeitrag angekündigt wurde.
(Heiterkeit und Beifall bei der FDP - Karl- Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Zeichen dafür, dass ein Ko- alitionswechsel bevorsteht?)
Als in der letzten Woche die PISA-Studie veröffentlicht wurde, gab es tageweise eine so heftige Debatte über Schule und Bildung wie noch nie zuvor in diesem Land. Diese Diskussion liefert eine gute, aber auch eine schlechte Botschaft. Die gute Botschaft lautet: Vielleicht können wir jetzt dadurch, dass das Thema Bildung in die Schlagzeilen gekommen ist, die Situation nutzen, um die Qualität der Bildung zu verbessern und die dazu notwendigen Maßnahmen einzuleiten. Dazu gehört aber auch, diese zu finanzieren.
Die schlechte Botschaft lautet: Im Geschnatter der Kommentare haben auch die Verkünder von Patentrezepten, die Windmacher und die Rauchverkäufer wieder Hochkonjunktur.
Wenn diese mit ihren Botschaften Erfolg haben, dann gibt es bei der nächsten Studie mit Sicherheit noch schlechtere Ergebnisse als bei dieser.
Die Riege der Patentrezeptverkünder stammt interessanterweise aus allen politischen Lagern. Zu ihnen gehören Konservative wie Frau Schavan, die meint, das Heil im Zentralabitur oder in anderen zentralen Prüfungen zu finden.
Dabei wissen wir doch, dass die Art und Weise der Durchführung eines Prüfungsverfahrens überhaupt gar keine Aussage über die Qualität der Bildung zulässt. Das ist evident.
Genauso unsinnig ist es aber, wenn von der anderen Seite des politischen Spektrums jetzt wieder eine neue Gesamtschuldebatte hervorgezaubert wird.
Wir wissen doch, dass Länder mit sehr differenzierten Bildungssystemen wie die Schweiz oder auch England mit den vielen privaten Eliteschulen deutlich bessere Ergebnisse vorweisen können als etwa Deutschland. Übrigens hat auch schon die TIMSS-Studie gezeigt, dass die Gegenüberstellung von Gesamtschule und differenziertem Schulsystem überhaupt keine Signifikanz hat. Die Debatte über die Schulformen darf also nicht neu aufgewärmt werden. Vielmehr müssen wir in unserem Schulsystem eine bessere und wirksamere Förderung sowohl für lernschwache als auch für hoch begabte Kinder erreichen.
Ich finde es sehr positiv, dass Sie, Frau Erdsiek-Rave, den Akzent auf diesen zentralen Ansatz gelegt haben. Das sind Punkte, die wir als FDP-Fraktion in den letzten Jahren hier im Landesparlament in einer Vielzahl von Initiativen immer wieder angesprochen haben. Neben vielem anderen liegt an dieser Stelle der Schlüssel dafür, dass wir in Zukunft bessere Ergebnisse in der Qualität der Bildung in Deutschland erreichen können.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns kurz einen Blick in das Nachbarland Finnland werfen. Finnland hat bei PISA exzellent abgeschnitten. Dort gibt es für Schüler mit Lernschwierigkeiten einen Anspruch auf gezielte Nachhilfe. Gleichzeitig werden besondere Begabungen gezielt gefördert. Das geht bis hin zu Internaten für hoch Begabte wie etwa die PäivöläSchule. Für die Aufnahme in eine Schule macht man es in Finnland zur Bedingung, dass die Schüler die Landessprache beherrschen. Die Bildungsausgaben in Finnland liegen um ein Drittel über dem europäischen Durchschnitt. Schließlich gibt es in Finnland - wie Reinhard Kahl in der „ZEIT“ festgestellt hat - eine Tradition, die „die Wertschätzung fürs Lernen, für die Lernenden und für die Lehrer hochhält“. Zusammengenommen, so denke ich, sind diese Faktoren von erheblicher Bedeutung für die guten Ergebnisse, die Finnland bei der PISA-Studie vorweisen kann.
möchte. Manche Politiker, aber auch Wirtschaftsvertreter und Wissenschaftler meinen, Bildung sei quasi eine Dienstleistung, die wie ein Konsumartikel produziert werden könne, wenn man denn bloß die richtigen Produktions- und Marketingmethoden einsetzen würde.