Protocol of the Session on May 12, 2000

Bevor ich das Wort dem Abgeordneten Lars Harms gebe, darf ich noch einmal darauf hinweisen, dass das Präsidium dankbar wäre, wenn in Zukunft Änderungen der Rednerreihenfolge nur abgestimmt zwischen allen Fraktionen an das Präsidium herangetragen würden.

Herr Abgeordneter Harms!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Etwas hat die Green-Card-Debatte sicherlich gebracht: Inzwischen sind sich alle darin einig, dass die Einwanderung nach Deutschland eine Tatsache ist. Die meisten deutschen Politiker haben jahrelang das Wort „Einwanderungsgesetz“ gescheut wie der Teufel das Weihwasser. Das scheint, Gott sei Dank, vorbei zu sein.

Der SSW hat daher auch im Prinzip begrüßt, dass SPD und Grüne uns einen Antrag zu einem Einwanderungsgesetz vorgelegt haben. Allerdings sind wir der Meinung gewesen, dass dieser Antrag erweitert werden sollte; denn es macht wenig Sinn, die Kriterien für die Einwanderung künftig nur auf arbeitsmarktpolitische Gesichtspunkte zu begrenzen.

(Beifall der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW] und bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Damit würden wir uns nur selbst betrügen. Deshalb möchte ich auch positiv hervorheben, dass SPD, F.D.P. und Grüne sich unserem Änderungsantrag letztendlich angeschlossen haben und dass wir so einen gemeinsamen Antrag zustande gebracht haben.

(Beifall der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW] und bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Die Gründe für die Einwanderung sind vielschichtig und wir haben auch humanitäre Verpflichtungen, denen wir nachkommen müssen. Das dürfen wir niemals vergessen.

Zur arbeitsmarktpolitischen Bedeutung der Einwanderung ist in letzter Zeit viel gesagt worden. Das muss ich nicht wiederholen. Dieses Thema wird sicherlich noch öfter angesprochen werden. Bei der Diskussion um das neue Einwanderungsgesetz gibt es nach Meinung des SSW allerdings mehr zu beachten als die rein zahlenmäßige Entwicklung des Arbeitsmarktes. Will man sich mit der Einwanderung auseinander setzen, so muss man sich des Themas als Ganzes widmen. Einige zentrale Punkte haben wir in unserem Änderungsantrag deswegen auch aufgeführt.

Entscheidend für ein gutes Einwanderungsgesetz ist unserer Meinung nach, dass dieses das Zuwanderverfahren vereinfacht. Sowohl für die Betroffenen als auch für die bearbeitenden Stellen ist es wichtig, die Verfahren schnell und nach nachvollziehbaren Kriterien durchzuführen. Dies spart Zeit und Geld und sorgt für die Rechtssicherheit der Antragsteller.

Deutschland braucht auch deshalb Einwanderung, weil die Geburtenraten in absehbarer Zeit weiter sinken werden. Frau Fröhlich ging darüber hinaus auf den negativen Einwanderungssaldo ein. Das sind alles Gründe, die uns in Bezug auf unsere Rentenversicherung eigentlich mit Sorge erfüllen sollten. Deswegen müssen wir uns bei diesem Thema auch immer darüber Gedanken machen, wie wir unsere zukünftige Alterssicherung finanzieren wollen. Auch das muss dann ein Thema bei der Beratung dieser Gesetzesnovelle sein.

Wenn man die Einwanderung betrachtet, so muss man auch immer den einzelnen Menschen betrachten. Die Familie gehört zum Menschen. Deshalb haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes gerade die Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung gestellt. Daher gehören für den SSW auch Regelungen für den Familiennachzug in ein Einwanderungsgesetz.

(Beifall bei der F.D.P. und der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Wenn wir es ernst meinen mit der Einwanderung und mit der schnellen Integration der Einwanderer, dann ist es dringend notwendig, den Einwanderern den Zugang zu integrierenden Maßnahmen so gut wie möglich zu erschließen.

(Beifall der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Diese Zugangsmöglichkeiten zu Integrationsmaßnahmen und zu Sprachkursen müssen dann auch im Gesetz festgeschrieben werden, damit die Leute einen Anspruch darauf haben.

Was aber auf keinen Fall sein darf, ist, dass das Recht auf Asyl und die allgemeine Zuwanderung in irgendeiner Weise miteinander verquickt werden. Deshalb können wir dem CDU-Änderungsantrag auch in keinster Weise zustimmen. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, aber auch wirklich nichts.

(Beifall der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW] und Karl-Martin Hentschel [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Im Gegenteil, beides muss getrennt voneinander betrachtet werden. Das Recht auf Asyl darf weder kon

(Lars Harms)

tingentiert werden noch dürfen die Menschen im Asylverfahren bei irgendwelchen Quoten gegengerechnet werden.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Asylrecht ist ein Individualrecht, das auch weiterhin jedem verfolgten Menschen offen stehen muss.

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [F.D.P.])

Ich freue mich, dass wir eine parteiübergreifende Einigung bei SSW, SPD, F.D.P. und den Grünen erzielen konnten, und sehe einer konstruktiven Diskussion zu diesem Thema ebenfalls mit Freude entgegen.

(Beifall bei SSW, F.D.P., BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Ich erteile das Wort jetzt dem Abgeordneten KlausPeter Puls.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Wadephul und Herr Kubicki, um gleich den von Ihnen wieder hervorgehobenen angeblichen Gegensätzen zwischen Berlin und Kiel etwas entgegenzusetzen, zitiere ich gern etwas aus der „Welt“ vom 11. Mai:

„Nach dem Abschluss der Green-CardRegelung könnte es zwischen Bundesregierung und Opposition zu einer grundsätzlichen Einigung über ein Zuwanderungsgesetz kommen. Nach Informationen der „Welt“ gibt es sowohl in der SPD-Fraktion als auch in der CDU/CSU Bestrebungen, das Thema Zuwanderung umfassend zu lösen.“

(Martin Kayenburg [CDU]: So ist es!)

„Der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck hat hierzu eine Expertengruppe gebildet, die unter Leitung des SPD-Rechtsexperten und Fraktionsvizes Ludwig Stiegler möglichst bis zum Jahresende eine Diskussionsgrundlage für ein Einwanderungsgesetz erstellen soll. In Kreisen der SPD-Fraktion hieß es dazu, dass man zunächst die Frage der fehlenden ITKräfte hätte lösen müssen, weil in diesem Bereich auch wegen Anfragen aus der Industrie dringender Handlungsbedarf bestanden hätte.“

(Martin Kayenburg [CDU]: Das ist eben der Trugschluss!)

„Es bestehe aber Einigkeit darüber, so ein Mitglied der Fraktion, dass wir das Thema Einwanderung jetzt grundsätzlich anpacken müssen. Von Fall zu Fall zu treffende Entscheidungen seien auf die Dauer für den Standort nicht hilfreich.“

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Zurufe von der CDU)

Das ist die Lage in Berlin und der gemeinsame Antrag dieses Parlaments - mit Ausnahme der Fraktion der CDU - geht in die gleiche Richtung. Dazu ist von allen Vorrednerinnen und Vorrednern inhaltlich viel gesagt worden, das ich teilen kann. Ich möchten den Antrag mit drei grundsätzlichen Thesen untermauern:

Erstens. Deutschland ist ein Einwanderungsland. Das wird in Wahlprogrammen häufig bestritten oder hineingeschrieben. Die einen sagen, wir seien ein Einwanderungsland, die anderen sagen Nein. Ob das in irgendeinem Programm steht, ist völlig unerheblich, denn es ändert nichts an den Fakten.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Die Weltbevölkerung ist auf rund 6 Milliarden Menschen angewachsen und die Völkerwanderung wird sich sicherlich noch verstärken. Wenn wir - meistens ja im ökonomischen Zusammenhang - über Globalisierung reden, dann sollten wir es auch einmal in diesem Zusammenhang tun. Auch hier müssen wir globale Verantwortung übernehmen.

Zweitens. Die Bundespolitik muss handeln, denn Asylund Ausländerrecht sind - ebenso wie das Einwanderungsrecht - in erster Linie Bundesrecht. Daher ist der Antrag auch an die Bundesebene gerichtet. Das lange fällige Zuwanderungsgesetz gibt es leider noch nicht, obwohl immer wieder Anläufe unternommen wurden. Auch sind wir in Deutschland von einer wirksamen Integration - die ebenfalls durch ein solches Gesetz geregelt werden sollte - noch ziemlich weit entfernt. Wir haben in unserem Antrag auch Ansätze geliefert, die gesetzlichen Grundlagen dafür zu schaffen.

Herr Kubicki sprach es an: Es gilt immer wieder aufzuklären, das Bewusstsein der Menschen in unserem Lande zu verändern und in den Köpfen der Menschen die Voraussetzungen für Integration zu schaffen. Es geht darum, immer wieder und an jedem Ort zu betonen, dass die Menschen ausländischer Herkunft mit ihrer Arbeitskraft, ihren Steuerzahlungen und ihren

(Klaus-Peter Puls)

Beiträgen zum sozialen Sicherungssystem wesentlich zu unserem Wohlstand beitragen und dass sie unsere Gesellschaft wirtschaftlich, sozial und kulturell bereichern. Das müssen wir immer wieder in die Köpfe und in die Herzen der Menschen hineintragen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, F.D.P. und SSW)

Drittens. Alle demokratischen Parteien sind nach Artikel 21 des Grundgesetzes gefordert, denn dort steht: Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ich schließe daraus, dass sie ihr nicht hinterherlaufen sollen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Alle demokratischen Parteien sollten sich davor hüten, ausländerpolitisch in einen Wettstreit um Stammtischmehrheiten einzutreten.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Wahlkampf auf dem Rücken und zulasten ausländischer Menschen wird die „Ausländer-rausMentalität“, die ja nach wie vor mitten in der Gesellschaft vorhanden ist, noch verstärken und die Chancen rechtsradikaler Gruppierungen erhöhen.

Bei einem Blick nach Nordrhein-Westfalen lässt die beschämende „Kinder-statt-Inder“-Kampagne für mich den „Rüttgers“-Club ungenießbar erscheinen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich freue mich, dass wir hier im Kieler Landtag so eine breite parlamentarische Mehrheit für ein Einwanderungsgesetz gefunden haben. Es wäre schön gewesen, wenn wir auch die CDU mit ins Boot bekommen hätten. Im Zusammenhang mit Einwanderung ist oft von Booten die Rede. In diesem Fall wäre ein ganz volles Boot schön gewesen. Schade, dass es nicht dazu gekommen ist.