Protocol of the Session on September 26, 2001

Das Wort für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag hat jetzt deren Vorsitzende, Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Bemerkung kann ich mir bei dem vorliegenden Antrag nicht verkneifen: Ich finde es schon ein bisschen putzig, dass sich die CDU gerade jetzt dazu durchgerungen hat, eine Forderung des Richterverbandes zu unterstützen, die es bereits seit 1978 gibt. Die zeitliche Nähe zur erstmaligen Wahl eines grünen Bundesrichters legt die Vermutung nahe, dass dieses einschneidende Ereignis mehr Einruck hinterlassen hat als die Kompetenz der gesammelten Richterschaft seit 23 Jahren. Das stelle ich einfach einmal in den Raum.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Richterverband fordert seit 1978 unter anderem eine öffentliche Ausschreibung aller Richterstellen auch auf Bundesebene. Dieser Forderung können wir das sage ich deutlich - viel Positives abgewinnen. Es ist besser, aus einer Vielzahl von Bewerberinnen und Bewerbern zu wählen und Vorschläge zu unterbreiten. Zurzeit werden Richterinnen und Richter der obersten Gerichtshöfe des Bundes durch die zuständigen Minister und den Richterwahlausschuss des Bundestages berufen. Das Gremium besteht aus den Landesjustizministern und Mitgliedern, die paritätisch von den Bundestagsfraktionen vorgeschlagen und nach d’Hondt gewählt werden. Diese Regelung besteht bereits seit 1950 und wurde 1968 zuletzt geändert. Keine Partei sah bisher die Veranlassung, dieses Gesetz zu ändern.

Durch die Diskussion um die letzte Neubesetzung eines Bundesrichterstuhls entstand aber offenbar für CDU und FDP ein dringendes Handlungsbedürfnis. Ob dies damit zusammenhängt, dass ein Grüner die rote Robe anlegen soll, ist letztlich gleichgültig. Entscheidend ist, dass für Außenstehende abermals der fatale Eindruck entstand, dass allein das Parteibuch bestimmt, wer in den Bundesgerichten Recht spricht, dass die Richterinnen und Richter aufgrund nicht sachgemäßer Überlegungen gewählt werden. Es dient kaum dem Ansehen der Richterschaft, dass die Öffent

lichkeit zu dem Schluss kommen muss, dass es hier weniger um Qualifikation und richterliche Unabhängigkeit als vielmehr um das Abstecken der Claims der Parteien geht. Das bisherige Pakete-Schnüren nach dem Motto: „Wählst du meinen, wähle ich deinen“, dient keinem und muss beendet werden. Hierzu könnte der vorgelegte Vorschlag, die Bundesrichterstellen öffentlich auszuschreiben, den Weg ebnen.

Auch die zweite Forderung des Antrages ist gut. Es wäre eine Verbesserung, wenn die Auswahl der Richter nicht nur durch Politiker, sondern anhand fachlicher Kriterien auch durch juristische Fachleute erfolgen könnte. Deshalb können wir uns mit dem Gedanken anfreunden, dass Richterinnen und Richter und Vertreterinnen und Vertreter der Anwaltschaft ebenfalls Mitglieder des Ausschusses werden sollen. Da die weiteren Modalitäten - Zahl der Mitglieder, Zusammensetzung und Auswahl - nicht weiter ausgeführt werden, halten wir aber eine Ausschussüberweisung für angemessen und unabdingbar.

Der Änderungsantrag der FDP ist aus unserer Sicht etwas problematischer. Die fachlichen und persönlichen Voraussetzungen für eine ausgeschriebene Stelle müssen grundsätzlich erfüllt werden. Welches weitere Anforderungsprofil hier gefordert ist, ist aber unklar. Die Prüfung der Voraussetzungen für die Stellenbesetzung erfolgt schon heute; hierzu ist nämlich der Bundesminister verpflichtet.

Auch Punkt 4 des Änderungsantrages können wir nicht ohne weiteres nachvollziehen. Warum soll der Präsidialrat nur angehört werden, wenn er zuvor eine negative Stellungnahme abgegeben hat? Warum soll er erst nach der Wahl gehört werden? - Auch darauf fehlen noch Antworten.

Wir lassen uns aber im Ausschuss gern von der Vernunft dieser Vorschläge überzeugen, die uns im Moment noch nicht richtig einleuchten.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 erteile ich jetzt Herrn Abgeordneten Thorsten Geißler.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Beitrag der Kollegin Fröhlich hat deutlich gemacht, dass die Grünen doch in noch mehr Feldern der Politik einen zentralen Sinnungswandel vollführt haben, als bisher zu vermuten war, und dass sie dabei ein abenteuerliches und atemberaubendes Tempo zu

(Thorsten Geißler)

rücklegen; allerdings weist dieses Tempo in die Vergangenheit.

(Klaus Schlie [CDU]: 19. Jahrhundert!)

Wenn eine Fraktion hier - andere Fraktionen haben das unterstützt - mehr Transparenz in ein Verfahren bringen will, sind die Bedenkenträger ausgerechnet in den Reihen der Grünen zu finden, die früher alles unter den Augen der Öffentlichkeit machen wollten. Das ist doch geradezu grotesk!

(Beifall bei CDU und FDP)

Wenn wir nachvollziehbare, überprüfbare Anforderungskriterien wollen mit dem Ziel, mehr Gerechtigkeit statt Willkür walten zu lassen, bezeichnen Sie das als „formalistischen Unsinn“, Frau Kollegin Fröhlich. Ich werde den Verdacht nicht los, dass die Frau Kollegin Fröhlich bei der Vorbereitung ihrer Rede einige Staatsrechtslehrbücher aus dem 19. Jahrhundert zurate gezogen hat.

(Beifall bei CDU und FDP)

Frau Fröhlich, ich kann Ihnen dazu nur sagen: Auch ich nehme die aus historischem Interesse gern einmal zur Hand, aber ich mache sie nicht zum Maßstab meiner politischen Aussagen und das sollten Sie auch nicht tun.

(Beifall bei CDU und FDP)

Wenn Sie hier von demokratischer Legitimation sprechen, würde ich Sie bitten, die einschlägigen Vorschriften des Bundes etwas genauer zu betrachten und sie einmal damit zu vergleichen, was wir im Lande praktizieren. Natürlich müssen die richterlichen Mitglieder und auch die anwaltschaftlichen Mitglieder eines künftigen Bundesrichterwahlausschusses demokratisch legitimiert sein. Es bedarf keiner Verfassungsänderung, wenn eine solche Wahl durch den Bundestag durchgeführt wird, wie wir das auch hier im Lande handhaben, Frau Kollegin Fröhlich: Alle Mitglieder des Richterwahlausschusses werden vom Landtag gewählt. Ich hoffe, dass Ihre Äußerungen nicht so zu verstehen waren, dass Sie dem Richterwahlausschuss unseres Bundeslandes die demokratische Legitimation absprechen wollten. Das wäre nämlich fatal für das Ansehen dieses Ausschusses. Ich hoffe, dass Sie das nicht bezweckt haben, Frau Kollegin.

Meine Damen und Herren, die SPD hat Ausschussüberweisung beantragt. Wir werden uns dem nicht verschließen. Ich habe nach dieser Debatte den Optimismus, dass es gelingen kann, mit SPD, FDP und SSW einen Konsens zu finden. Die Haltung der Grünen ist leider so rückwärts gerichtet, dass man das eigentlich kaum noch als stockkonservativ bezeichnen kann - das müsste man eigentlich noch schärfer cha

rakterisieren -, sodass ich einen Konsens da gegenwärtig für nicht möglich halte.

(Heiterkeit und Beifall bei CDU und FDP)

Für die Landesregierung hat Frau Ministerin Lütkes das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter, ich bedanke mich für Ihre Einführung in grüne Rechtsgeschichte, doch sollten Sie sich auf den Boden der Verfassung zurückbegeben. Die Landesregierung und wir sind bereits dort. Artikel 95 Abs. 2 Grundgesetz gilt. Dadurch ist durch gesetzliche Vorgaben die Zusammensetzung des Bundesrichterwahlausschusses vorgegeben. Es ist richtig, dass die Mitglieder nicht notwendigerweise Mitglieder des Bundestages sein müssen, aber es besteht überhaupt kein Anlass, an dem geltenden Richterwahlgesetz für die Bundesgerichte zu zweifeln. Anlass zu Zweifeln besteht jedoch in der Frage, warum diese Debatte gerade jetzt aufgenommen wurde. Ich danke für die klaren Worte, die eben gefallen sind. Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich dagegen verwahren, dass nicht nur hier, sondern im Verlauf der gesamten Debatte der Eindruck erweckt wird, dass ich bei der Wahrnehmung meiner Mitgliedschaft im Bundesrichterwahlausschuss nicht auf dem Boden der Verfassung und in Bindung an meinen Amtseid gehandelt habe. Ich weise diese Unterstellung zurück.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD - Zuruf des Abgeordneten Thorsten Geißler [CDU])

Ich weise darauf hin, dass das Verfahren zur Wahl von Bundesrichtern seit Jahren in der Bundesrepublik praktiziert wird. Ich weise darauf hin, dass es ein ganz demokratisches Verfahren ist und jedes Mitglied des Bundesrichterwahlausschusses verpflichtet ist, die Unterlagen zur Kenntnis zu nehmen, zu lesen und zu bewerten und seine eigene Wahlentscheidung im Wahlgang zu treffen. Wenn Sie meinen, zum Beispiel aufgrund Ihrer Erfahrungen mit Diskussionen mit BLändern, dass Justizminister möglicherweise an Vorentscheidungen gebunden sind, die nicht demokratisch legitimiert sind, dann bitte ich Sie, das mit den Wählern zu diskutieren.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Wir haben eine ganz klare Entscheidung des Verfassungsgebers, nämlich dass die Selbstergänzung der

(Ministerin Anne Lütkes)

Richterschaft nicht das Postulat für die Zusammensetzung ist.

(Zuruf des Abgeordneten Thorsten Geißler [CDU])

- Doch, wenn Sie genau hinsehen, dann wollen Sie genau das durchsetzen. Es gibt die Grundentscheidung, ein politisches Berufungssystem für die Bundesgerichte in der Verfassung und im dazugehörigen Wahlgesetz festzuschreiben. Daran haben wir uns zu halten. Auch Sie schlagen keine Änderung der Verfassung vor, um eine Veränderung der Zusammensetzung zu erreichen.

Frau Fröhlich hat durchaus Recht: Es gibt eine hohe Legitimation aller Ausschussmitglieder und es gibt die Bindung dieser Ausschussmitglieder an Recht und Gesetz. Daran gibt es nichts zu zweifeln. Wenn Sie fordern, dass der Präsidialrat der Bundesgerichte stärker eingezogen werden muss, dann weise ich darauf hin, dass das Präsidialamt nach geltenden Vorschriften einbezogen ist. Der Präsidialrat ist auch nicht gehindert, seine Entscheidungen schlüssig vorzutragen und schlüssig zu begründen. Wenn er meint, ein Richter oder ein Kandidat sei nicht geeignet, dann liegt es an ihm, dies so darzulegen, dass der Wahlausschuss sich dazu verhalten kann. In diesem Zusammenhang halte ich es für unerträglich, dass Bewertungen und Personendiskussionen - von wem auch immer - in die Presse gezogen worden sind,

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

weil man einen Kandidaten diffamiert. Herr Geißler, das Hauptverfahren ist nicht entschieden.

(Thorsten Geißler [CDU]: Das habe ich auch gar nicht gesagt!)

Die Behauptung, jemand sei nicht geeignet, weil er zufällig ein grünes Parteibuch haben könnte, muss man zurückweisen. Ich weise das persönlich zurück.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Die Debatte geht nicht um die politische Einordnung eines Kandidaten, sondern um die Definition des Geeignetseins. Sie wissen, dass der Grundkonflikt - und der ist nicht nur bei den Bundesgerichten gegeben darum geht, ob eine Erprobungsphase notwendig ist. Früher sprachen wir salopp vom dritten Staatsexamen. Die Frage ist, wo die Fähigkeit des Umgangs mit der Berufungsinstanz anzusiedeln ist. Das ist der fachliche Streit. Diesem fachlichen Streit kann man sich selbstverständlich stellen. Es bedeutet aber nicht, das gesamte System infrage zu stellen.

Ich bin gern bereit, dies näher zu diskutieren. Mit Blick auf die Uhr erlauben sie mir noch einen weiteren Hinweis: Ich habe angeboten zu prüfen, inwieweit der Innen- und Rechtsausschuss an den Vorschlägen für die Besetzung von Bundesrichterstellen zu beteiligen ist. Ich halte eine solche förmliche Beteiligung nicht für geboten und auch nicht für rechtens. Herr Abgeordneter, eine fortlaufende Präventivkontrolle des exekutiven Handelns sehen weder unsere Verfassung noch unser System vor. Das ist systemwidrig, denn es verletzt das System der Gewaltenteilung. Nichtsdestotrotz wissen Sie sehr genau, dass in SchleswigHolstein eine Beteiligung - auch bei der Vorbereitung der Wahlvorschläge - erfolgt. Beteiligt sind die Verbände und der Hauptrichterrat. Selbstverständlich sind auch die Dienstvorgesetzten beteiligt. Wenn wir ihn hätten, wäre auch der Oberlandesgerichtspräsident beteiligt. Hier wurde eine klare und von uns anerkannte freiwillige Beteiligungsform gewählt. Daran will ich mich auch gern halten. Eine förmliche Beteiligung halte ich - ich wiederhole das - für nicht rechtens. Das können wir auch nicht machen.

Um es deutlich zu machen, wiederhole ich auch dies: Ich bin gern bereit, im Einzelfall die Debatte im Ausschuss zu führen. Die Rechtslage ist aber eindeutig. Als Justizministerin bin ich verantwortlich für den Vorschlag. Ich habe ihn zu verantworten. Ich darf Ihnen hier im hohen Haus versichern: Ich glaube, dass ich dieser Verantwortung gerecht werdend gehandelt habe. Solange es mir das Amt gestattet, werde ich es auch weiter tun.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Zu einem weiteren Kurzbeitrag hat Herr Abgeordneter Geißler das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Justizministerin, ich habe gar nicht den Vorwurf erhoben, dass Sie hier gegen Grundsätze der Verfassung verstoßen hätten.

(Holger Astrup [SPD]: Gute Feststellung!)

Es hat allein Frau Kollegin Fröhlich mit der Verfassung argumentiert, wenn auch in eine andere Richtung. Ich weiß nicht, wann Ihnen gegenüber der Vorwurf gemacht wurde, Sie hätten gegen die Verfassung verstoßen. Hier in dieser Debatte war es jedenfalls nicht. Das müssen Sie mit einem anderen Ereignis in Zusammenhang gebracht haben.

(Thorsten Geißler)