Protocol of the Session on May 30, 2001

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Deshalb: Zuwanderung aus humanitären und aus ökonomischen Gründen liegt im Interesse aller in der Bundesrepublik Deutschland Lebenden.

Auf diese Einsicht in den Köpfen und Herzen der Menschen in Schleswig-Holstein hinzuwirken, ist auch Aufgabe der Politik. Auch darauf hat Herr Schlie dankenswerterweise hingewiesen. Artikel 21 unseres Grundgesetzes besagt nun einmal, dass die Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken, ihr aber nicht hinterherlaufen sollen.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wahlkampf auf dem Rücken und zulasten ausländischer Mitmenschen wird die „Ausländer-raus!“Mentalität, die nach wie vor mitten in der Gesellschaft vorhanden ist, noch verstärken und die Chancen rechtsradikaler Gruppierungen erhöhen. In diesem Zusammenhang scheint es mir daher eher angebracht zu sein, die Parole auszurufen: Ausländer raus aus dem Wahlkampf!

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Mit der heutigen Debatte sind wir auf einem guten Weg.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich erteile das Wort Herrn Abgeordneten Hildebrand.

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Wir begrüßen den Antrag der CDU zur Integration von Ausländerinnen und Ausländern in SchleswigHolstein ausdrücklich, zeigt er doch, dass mittlerweile auch die Union durch diesen Antrag unter Beweis stellt, dass sie das gleichberechtigte Zusammenleben dieser Mitmenschen, unserer Landsleute ausdrücklich will. Herr Schlie, auch wenn wir von der FDP viele der im Antrag genannten Punkte nach wie vor schlichtweg für selbstverständlich halten, so ist es

(Günther Hildebrand)

doch besser, sich offen zu diesen Punkten zu bekennen, als irgendwie einen Zweifel an der Einstellung bestehen zu lassen. Wir alle wollen die Integration der zu uns gekommenen Menschen. Denkt man zum Beispiel aber an den Wahlkampf der Union in Hessen, so konnte man in der Vergangenheit nicht gerade von einer Politik der Integration von Zuwanderern bei der Union sprechen.

(Beifall bei FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW - Zuruf der Abgeordne- ten Brita Schmitz-Hübsch [CDU])

Aber selbstverständlich muss auch der Union das Recht auf Meinungsbildung und einen Meinungsbildungsprozess zugestanden werden.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist richtig, dass das Erlernen der deutschen Sprache für Mitbewohner ausländischer Herkunft einen entscheidenden Faktor gesellschaftlicher Teilhabe darstellt. Wir haben daher schon immer gefordert, dass Zuwanderer von bestehenden Angeboten an Sprachkursen stärkeren Gebrauch machen sollten. Es ist auch im Interesse der bei uns lebenden ausländischen Einwohnerinnen und Einwohner, dass sie, um bestehende Barrieren abzubauen, die deutsche Sprache hinreichend beherrschen. Die Sprache ist und bleibt das Verbindungsglied zwischen der ursprünglichen, der ansässigen und der zugewanderten Bevölkerung.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Meine Damen und Herren, ich verzeichne eine unproduktive Unruhe. Das ist nicht nötig.

Nur durch das Angebot von Sprachkursen und seine Annahme wird ein harmonisches Miteinander ohne Aufgabe der kulturellen Identität gewährleistet. Wir begrüßen auch die Aussage der CDU, den Sprachlernprozess so früh wie möglich beginnen zu lassen.

Konsequenterweise unterstützen wir auch den zweiten Punkt des Unionspapiers zum Bereich Schule und Bildung vom Ansatz her. Den Kindern von Zuwanderern, die noch über erhebliche Defizite im sprachlichen Bereich verfügen, muss in der Schule besonders geholfen werden, damit sie nicht den Anschluss verlieren und sich später im Unterricht besser behaupten können. Die hier angesprochenen Maßnahmen der Union bezüglich der Ganztagsangebote, der Hausaufgabenhilfe, Vorbereitungs- und Förderklassen sowie einer

gesonderten Lehrerzuweisung sind gangbare Wege, um sprachliche Nachteile frühzeitig auszugleichen.

Der dritte Punkt, bei dem es um die Einführung des islamischen Religionsunterrichts geht, wirft aber Fragen auf, die unter anderem im Bildungsausschuss einer eingehenden Erörterung bedürfen. Der Ansatz der CDU, auch islamischen Religionsunterricht an Schulen in deutscher Sprache zuzulassen, ist dabei durchaus verständlich. Welche Personen sollen die Schülerinnen und Schüler aber unterrichten, bis Lehrkräfte für dieses Fach ausgebildet sind? Was ist mit den anderen Glaubensgemeinschaften? Soll nicht auch für diese ein eigener Religionsunterricht erteilt werden? Außerdem stellt sich die Frage, wie die gesamten Projekte im Bildungssektor genau finanziert werden sollen. Die Tagesaktualität hat uns ja aufgezeigt, dass es in dem Bereich offensichtlich einige Defizite gibt.

(Beifall bei der FDP)

Hier kann uns die Ministerin vielleicht einmal mitteilen, wie sie diese Maßnahmen zu finanzieren gedenkt.

Das sind alles Probleme, deren Lösung uns noch lange beschäftigen wird. Bei den anderen Punkten, die sich mit der Landes- und kommunalen Verwaltung, der Sicherheit und Polizei sowie den Vereinen, der Kultur und der Religion befassen, gibt es auch von unserer Seite Zustimmung zu den Zielsetzungen. Aber gerade im Bereich der Polizei stellen wir fest, dass die dort bestehende Problematik nichts mit den Problemen der Integration zu tun hat, sieht man einmal von der verstärkten Einbindung von Polizistinnen und Polizisten ausländischer Herkunft ab. Der verbesserte Schutz von allen Bewohnerinnen und Bewohnern SchleswigHolsteins ist eine originäre Aufgabe des Landes und da spielt die Herkunft der Bewohnerinnen und Bewohner überhaupt keine Rolle. Die Sicherheit der Menschen darf hierbei nicht von der allgemeinen Kassenlage abhängig sein. Die Landesregierung muss endlich dafür sorgen, dass die bereits heute notwendigen zusätzlichen Stellen im Bereich der Polizei endlich besetzt werden.

(Beifall bei der FDP)

Auch für die Ausweisung und Abschiebung benötigen wir keine neuen Regelungen. Das ist eine Frage des Gesetzesvollzuges.

Ähnliches gilt für den letzten Punkt bezüglich der Einbindung von Zuwanderern in Vereine und die Ausübung des Glaubens. Neuregelungen sind nicht notwendig. Wir müssen sowohl als Politikerinnen und Politiker als auch als Bürgerin und Bürgerinnen über den gesellschaftlichen Prozess des Miteinander und Füreinander dafür sorgen, dass eine gleichberechtigte Mitwirkung aller Einwohnerinnen und Einwohner

(Günther Hildebrand)

selbstverständlich erfolgt. Regelungen könnten gerade dort eher zu einer Spaltung beitragen. Auch die freie Ausübung der Religion in eigenen Gotteshäusern und Begegnungsstätten ist eine Selbstverständlichkeit, für die es keiner neuen Regelung bedarf.

Wir setzen uns aber über den Antrag der Union hinaus für ein kommunales Wahlrecht aller Ausländerinnen und Ausländer ein,

(Beifall bei FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

die sich fünf Jahre und länger in Deutschland rechtmäßig aufhalten - nicht nur, wie schon geregelt, für Mitbürgerinnen und Mitbürgern aus EU-Ländern, sondern auch für Mitbürgerinnen und Mitbürger aus weiteren Ländern.

Die nächste außerordentlich interessante Frage ist, ob und wie in der Zukunft die Zuwanderung nach Deutschland geregelt werden soll. Es geht nämlich nicht allein darum, wie wir die in Deutschland zugewanderten Einwohnerinnen und Einwohner in Zukunft besser integrieren müssen, sondern auch darum, wie wir die weitere Zuwanderung ausgestalten, die dann erneut Integration nach sich zieht. Dabei ist das Befassen mit diesem Thema keine Wahlkampfdrohung, wie es in der Presse der vergangenen Tage immer wieder dargestellt wurde, sondern eine Notwendigkeit vor dem Hintergrund, dass die Bundesrepublik Deutschland de facto ein Einwanderungsland ist.

(Beifall bei FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wir brauchen daher eine gesetzliche Regelung zur Steuerung der Zuwanderung. Die Zuwanderungskommission der Bundesregierung unter Vorsitz von Frau Süssmuth schlägt laut Presseberichten jährlich eine Zahl von 20.000 qualifizierten Zuwanderern vor; weitere 20.000 sollen bei nachweisbarem Fachkräftemangel vorübergehend ins Land kommen können. Vergleicht man diese Zahlen mit denen des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung und denen der OECD, so wird man feststellen, dass diese Zahlen zu niedrig gegriffen sind,

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Konrad Nabel [SPD] und Anke Spoorendonk [SSW])

wenn der heutige soziale Standard gehalten werden soll. Außerdem haben uns die Kriege auf dem Balkan gelehrt, dass wir einen asylunabhängigen Aufenthaltsstatus mit einem befristeten Bleiberecht benötigen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: So ist es!)

Die Modalitäten der Abschiebehaft und der Umgang mit umgeleiteten minderjährigen Flüchtlingen müssen verbessert werden.

(Beifall bei FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Dies alles sind Bereiche, in denen wir in der Zukunft durch Regelungen Verbesserungen erreichen müssen. Die Integration ist nur ein Teil des Ganzen.

(Beifall bei FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW sowie der Abgeordneten Caroline Schwarz [CDU])

Ich erteile das Wort der Frau Abgeordneten Fröhlich.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor allem liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU! Willkommen im 21. Jahrhundert!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wäre unseren jahrelangen Bemühungen und Forderungen für eine aktive Integrationspolitik in Deutschland auch nur halb so viel wohlwollendes Gehör geschenkt worden wie jetzt der Wandlung vom Saulus zum Paulus bei den Konservativen, wären wir ein gutes Stück weiter in der Zukunftssicherung unserer Gesellschaft und der Weiterentwicklung unseres demokratischen und weltoffenen Rechtsstaats.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Friedrich-Carl Wodarz [SPD] - Zuruf des Abgeordneten Klaus Schlie [CDU])

Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden nicht so schnell vergessen, wie noch zu Beginn der 90er-Jahre Volker Rühe als Generalsekretär Ihrer Partei eine unselige und ausgrenzende Kampagne mittels Musteranträgen für Ihre Gemeindevertreterinnen und -vertreter anzettelte. Wir werden nicht so schnell vergessen, wie Sie die Bemühungen für Ausländerwahlrechte und ein integratives Staatsbürgerschaftsrecht ausgrenzend im Wahlkampf instrumentalisierten. Wir werden nicht so schnell vergessen, dass Sie die Härtefallkommission und den Flüchtlingsbeauftragten in unserem Bundesland für ideologisches Spielzeug erklärten. Ich könnte weiter aufzuzählen, wie oft, wie bedenkenlos und wie populistisch die CDU zum Thema Ausländerinnen und Ausländer eher die Stammtische bediente als das zu tun, was Sie heute in Ihrem Antrag fordern, nämlich für Integration zu sorgen.

(Irene Fröhlich)

Für uns Grüne ist dieses eines der vornehmsten Themen in unserer demokratischen Gesellschaft überhaupt; denn unser Grundgesetz verpflichtet uns auf den Gedanken der gleichen Rechte für alle in Deutschland lebenden Menschen. Da müssen wir uns in Schleswig-Holstein denn auch zum Glück nicht verstecken. Unsere Innenminister waren regelmäßig diejenigen, die auch bundesweit keine Debatte scheuten und oft einsame Rufer in der Wüste waren,