Protocol of the Session on March 21, 2001

(Martin Kayenburg [CDU]: Das ist doch le- gitim!)

Es würde zu weit führen, auf die Aussagen des Antrages im Einzelnen einzugehen. Ich finde es aber schon interessant, dass gleich im ersten Satz auf die TIMSStudie verwiesen wird und dass sie als Argument dafür genutzt wird, dass - ich zitiere - „die Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur auf 12 Jahre als eine Chance zu neuen inhaltlichen Weichenstellungen für das Gymnasium begriffen werden“ muss.

Aus der Sicht des SSW - ich sagte das bereits bei einem anderen Tagesordnungspunkt - lädt die TIMSStudie zu ganz anderen Schlussfolgerungen ein. Sie führt unter anderem aus, dass gute Leistungen vor dem Hintergrund ganz unterschiedlicher schulischer Strukturen in Europa betrachtet werden müssen.

(Beifall bei SSW und SPD)

Die CDU will mit ihrem Antrag die Grundlagenbildung des Gymnasiums stärken. Ich zitiere: „Die frühe fachliche Spezialisierung durch die reformierte Oberstufe seit den 70er-Jahren hat sich nicht bewährt...“

Die CDU will eine Straffung der Lerninhalte, einen breiteren Pflichtfächerkanon und ein weiteres Abiturprüfungsfach - all dies mit einem Abitur nach zwölf Jahren. Der Antrag gibt aber keine Auskunft darüber, was denn wegfallen soll.

„Insgesamt“ soll der Schleswig-Holsteinische Landtag - so heißt es in dem Antrag weiter - „bei der Definition der Lern- und Bildungsinhalte“ - jetzt kommt es - „ein Ende der Beliebigkeit“ beschließen. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen!

(Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist eine Frechheit!)

Was heißt das nun? - Anders gesagt: Zu Hause versuchte ich verzweifelt, mir so ein Gymnasium vorzustellen, das mit vielen verschiedenen Fächern, mit vielen Bindungen und Lehrplänen und mit festen Lerninhalten diesen Anforderungen gerecht wird. All dies hatten wir schon einmal. Es gab einmal Lehrpläne, die genau festlegten, was unterrichtet werden sollte, welche Themen, welche Werke und welche Reihenfolge bei den Unterrichtsinhalten eingehalten werden sollten. Verglichen mit dänischen Lehrplänen sind die Lehrpläne der Gymnasien auch heute noch eher mit Zwangsjacken zu vergleichen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

An meinem alten Arbeitsplatz wurde dies immer wieder hitzig diskutiert.

Was auch diskutiert wurde, war das Kurssystem nicht wegen der frühen Spezialisierung, sondern weil durch das Kurssystem das soziale Lernen in der Oberstufe überhaupt nicht mehr stattfand. Das Kurssystem hat zu einer Individualisierung des Lernens geführt. Anscheinend denkt die CDU nicht daran, an dem Kurssystem zu rütteln.

Der SSW lehnt ein Abitur nach zwölf Jahren weiterhin ab. Das sagte ich schon im Verlauf der letzten Debatte zu diesem Thema. Wir bleiben dabei: Wenn das das Einzige ist, was reformiert werden soll, dann ist das nichts. Die Ableistung des Gymnasiums in acht Jahren ist Schülerinnen und Schülern bereits heute nicht grundsätzlich verwehrt. Auch das habe ich bereits letztes Jahr gesagt. Die Oberstufenverordnung sieht für die schnellen Lerner sowohl das Springen von dem zweiten Halbjahr der zehnten Klasse zu dem zweiten Halbjahr der elften Klasse als auch das direkte Springen nach Beendigung des zehnten Schuljahres zum zwölften Schuljahr vor. Auch vorher ist das Überspringen einer Klassenstufe möglich, zum Beispiel von Klassenstufe fünf nach Klassenstufe sieben.

Inhaltlich können wir kein Vorhaben unterstützen, das keine echte Reform des Gymnasiums zur Folge hat. Wenn wir die Schulzeit verkürzen und ansonsten alles beim Alten bleiben soll, dann ist das ganz einfach zu wenig.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Daher wird auch die vom Ministerium initiierte probeweise Einführung eines „achtjährigen Gymnasiums“ von uns mit großer Skepsis betrachtet. Der SSW ist der Auffassung, dass wir eine grundlegende Reform des Bildungssystems brauchen. Auch das sagte ich bereits hundertmal. Beispielsweise sollten wir uns überlegen, ob es langfristig wirklich sinnvoll und zukunftsfähig ist, weiterhin fünf verschiedene Schularten aufrechtzuerhalten.

(Beifall beim SSW sowie der Abgeordneten Konrad Nabel [SPD] und Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir brauchen flexiblere Lösungen als die heutigen, damit das Schulsystem schneller auf Veränderungen reagieren kann. Auch das kann man sehen, wenn man einen Blick über den Tellerrand wagt. Unser Stichwort ist beispielsweise Multimedia. Das erreichen wir nicht, indem wir alte Strukturen zementieren und dies dann als Reform verkaufen.

(Anke Spoorendonk)

Wir wollen uns gern an einer Debatte über die Zukunft des Gymnasiums beteiligen und freuen uns auf die Ausschussberatungen.

Schon heute ist das Gymnasium mehr als nur eine Vorbereitung auf das Studium. Europäische Vergleiche - zum Beispiel hinsichtlich der Zulassungskriterien für eine ganze Reihe von Ausbildungsgängen - machen dies auch deutlich. Wer heute Bankkaufmann oder Bankkauffrau werden will, muss das Abitur vorlegen.

(Glocke des Präsidenten)

Wer Krankenschwester werden will, braucht das Abitur als Grundlage. Wenn man also sagt, es fehlen Studierende an den Hochschulen, dann ist das nicht in erster Linie ein Problem der Gymnasien. Es ist in erster Linie ein Problem der Hochschulen, die sich nicht bewegt haben. Es ist ein Problem der schlechten Rahmenbedingungen für Studierende in dieser Gesellschaft.

(Beifall der Abgeordneten Lars Harms [SSW] und Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Für die Landesregierung erteile ich der Frau Bildungsministerin Erdsiek-Rave das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Präambel dieses Antrags - also der Lyrik - möchte ich mich nicht weiter auseinander setzen. Dazu reicht heute auch die Zeit nicht. Ich will in aller Kürze etwas zu den konkreten Forderungen dieses Antrags sagen.

Herr de Jager, diese Forderungen sind - so scheint es mir - nicht nur mit heißer Nadel gestrickt, sie sind auch widersprüchlich und zum Teil geradezu rückschrittlich. Das muss man einfach feststellen. Ansonsten beobachten wir so etwas wie eine Sozialdemokratisierung Ihrer Bildungspolitik. In diesem Bereich haben Sie aber noch nicht so richtig nachgezogen.

(Zurufe von der CDU - Konrad Nabel [SPD]: Das kommt auch noch!)

- Das ist so, geben Sie es ruhig zu! Sie reden einmal wieder einer generellen Verkürzung der Schulzeit das Wort und fordern zwölf Jahre bis zum Abitur. Dabei können Sie bisher - mit Ausnahme des Saarlands und Sachsen - auf kein anderes Bundesland verweisen. Auch wenn Sie es nicht gern hören: Im Saarland bedeutet dies, dass das freie Wahlrecht der Eltern praktisch ausgehebelt wird. Dort gilt die bindende Schulartempfehlung. Dies hätte hier zur Folge, dass

der Bestand der Gymnasien in Schleswig-Holstein infrage gestellt wäre. Wir bräuchten dann vielleicht weniger Gymnasiallehrer; das wäre eine positive Folge.

Die negativste Folge ist eine, die Sie - so glaube ich überhaupt nicht bedacht haben: Wir können nicht gleichzeitig den Rückgang der Zahl der Studierenden oder der Studierwilligkeit in Deutschland beklagen, uns auf der einen Seite anhören, dass die Wirtschaft sagt, wir bräuchten mehr und qualifiziertere Abschlüsse - auch mehr Abiturienten -, und gleichzeitig durch einen Systemwechsel ein Weniger an qualifizierten Abschlüssen produzieren. Das passt nicht zusammen und es geht auch nicht. Das, was Sie hier wollen, ist kontraproduktiv.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Im Übrigen würde es auch bei der Zahl der Stunden, die dabei zusammenkommen, wenn Sie bei der vorgeschriebenen Zahl der Unterrichtsstunden bis zum Abitur blieben, bedeuten, dass man mindestens Samstagswenn nicht Ganztagsunterricht bräuchte. Ich weiß nicht, ob das an unseren Gymnasien so umzusetzen wäre. Unser Modellversuch richtet sich an eine Schülergruppe, die wir als schnelle Lerner bezeichnen. Deshalb können wir die Summe der Stunden ein wenig reduzieren.

Ich bin mir übrigens sicher, dass das Interesse an einer Beteiligung im nächsten Jahr weitaus größer sein wird als in diesem Jahr. Eltern und Schulen sind vorsichtig. Ich habe mir aber von meiner Kollegin Schavan in Baden-Württemberg sagen lassen, dass es dort zu Beginn genauso war. Das Interesse hat von Jahr zu Jahr zugenommen. Baden-Württemberg hat exakt 10 % seiner Gymnasien in einem solchen Modellversuch, wie wir ihn auch vorhaben.

Mit 10 Schulen wären wir eigentlich gut davor gewesen. Ich bin sicher, dass dies als Angebot für schnelle Lerner von den Schulen erkannt und auch umgesetzt wird, wenn wir erst einmal eingestiegen sind. Ich gebe in dieser Frage jedenfalls nicht so schnell auf. Warum soll bei uns nicht gehen, was in anderen Bundesländern geht?

Ich komme zu einigen Bemerkungen über die Qualität des Abiturs in Schleswig-Holstein. Auch da sind Sie wirklich ein bisschen auf dem Holzweg. Schon heute steht bei uns das Abitur auf breiterer Grundlage als in den anderen Bundesländern. Im elften und zwölften Jahrgang ist die Belegung von zwei naturwissenschaftlichen Fächern vorgeschrieben. Mit einer weiteren Fremdsprache oder einem weiteren naturwissenschaftlichen Fach - Sie sagen ja nicht, welches Fach

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

durchgehend bis zum Abitur würde sich der Pflichtbereich um drei oder zwei Stunden erhöhen oder aber die Einführung ginge zwangsläufig zulasten der gesellschaftswissenschaftlichen Fächer wie Geschichte, Erdkunde, Wirtschaft und Politik. Ich glaube nicht, dass wir das gemeinsam wollen können.

(Beifall der Abgeordneten Jürgen Weber [SPD] und Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Unsere durchgehenden Belegverpflichtungen für Deutsch und Mathematik, eine Fremdsprache, eine Naturwissenschaft und Geschichte würden - gerade in diesen Bereichen - einen Unterrichtsabbau nicht zulassen. Die Frage der zusätzlichen Lernleistungen, die Sie einfordern, ist schon gegeben und kann im nächsten Schuljahr als zusätzliches Element in das Abitur eingebracht werden. Ein fünftes Abiturprüfungsfach halte ich für wenig sinnvoll. Sie erliegen immer wieder dem Irrtum, dass eine zusätzliche Prüfung bereits einen echten Lernzuwachs bringt. Das ist einfach nicht der Fall. Lernzuwächse werden allein dadurch sichergestellt, dass man durchgehende Beleg- und Einbringeverpflichtungen hat. Das ist das Wichtige. Diese werden von der Oberstufenverordnung, die wir im Moment haben, in hohem Maße gewährleistet.

Nun eine Bemerkung zur Beliebigkeit! Frau Spoorendonk, danke, dass Sie dies schon angesprochen haben. Das ist ein herabsetzender Begriff. Ich frage Sie, womit das begründet werden soll. Es gibt keine Beliebigkeit. Wir haben in unseren Lehrplänen einen deutlich am Curriculum orientierten Kernbestand von Unterrichtsinhalten, der - zum Leidwesen vieler Lehrer sehr genaue Vorgaben macht. Die Wissensstandards sind durch die einheitlichen Prüfungsanforderungen, die es auch gibt - das weiß jeder Fachmann - vorgegeben. Ich frage Sie: Wo bitte liegt da die Beliebigkeit? Diesen Beleg müssen Sie bringen. Ansonsten weise ich diese Kritik am gymnasialen Unterricht, die damit verbunden ist, zurück.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Eine zu frühe Spezialisierung auf universitäre Leistungsfächer findet in den Leistungskursen nicht statt. Allerdings sind sie das Übungsfeld für wissenschaftspropädeutisches Arbeiten. Genau das ist auch gewollt. Dies soll die Studierfähigkeit stärken.

Wir geben Ende dieses Monats unsere neuen Oberstufenlehrpläne in die Anhörung. Ich lade Sie ein, sich an der Diskussion darüber zu beteiligen. Ich glaube, Sie werden sehen, dass in den Oberstufenlehrplänen die Anforderungen an Studierfähigkeit deutlich gestie

gen sind. Insofern gibt es keinen Grund, hier Beliebigkeit zu unterstellen.

Ich fasse zusammen: Kürzer, besser, schneller und mehr! - Ich frage mich, wie dies alles auf einmal gehen soll. Besser kann man immer werden. Kürzer und mehr - das wird, glaube ich, zusammen nicht gehen. Sie müssen sich schon für einen deutlichen und klaren Weg entscheiden. Wir können darüber im Ausschuss gern noch ein bisschen diskutieren. Unsere Auffassungen gehen meines Erachtens aber doch ziemlich auseinander und das ist manchmal auch gut so.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir treten in die Abstimmung ein.

Es ist Ausschussüberweisung beantragt. Wer den Antrag der Fraktion der CDU „Kürzer und besser: Weiterentwicklung des Gymnasiums“, Drucksache 15/813, an den zuständigen Bildungsausschuss überweisen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Damit ist es einstimmig so beschlossen. Damit ist der Tagesordnungspunkt 21 erledigt.

Bevor wir in die Mittagspause eintreten, möchte ich noch darauf hinweisen, dass sich der Sonderausschuss „Fortschreibung des kommunales Verfassungsrechts“ jetzt sofort im Raum 138 zu seiner konstituierenden Sitzung trifft.

Ich wünsche allen einen guten Appetit und ein fröhliches Wiedererscheinen um 15 Uhr.