Protocol of the Session on February 22, 2001

(Beifall bei der F.D.P. und vereinzelt bei der SPD)

Es müssen abseits ausgetrampelter drogenpolitischer Pfade folgende Fragen gestellt werden: Wie lässt sich der Teufelskreis der bisherigen Drogenpolitik durchbrechen? Welche Definition soll künftig bei harten und weichen Drogen gelten und wie soll dabei zwischen den legalen und illegalen Drogen unterschieden werden? Schließlich: Warum werden die von illegalen Drogen abhängigen Menschen immer noch kriminalisiert, statt therapiert?

(Beifall bei der F.D.P. und vereinzelt bei der SPD)

Genau aus diesem Grund halte ich es für nötig, dass den Ländern die Möglichkeit eingeräumt wird, neue Denkansätze auch eigenständig zu verfolgen. Schließlich herrschen in Schleswig-Holstein - ich sage, Gott sei Dank - andere Voraussetzungen als etwa in Berlin.

Fest steht dabei - hören Sie gut zu, Frau Tengler! -, dass eine Vogel-Strauss-Politik, wie sie von Teilen der Union immer noch betrieben wird, ganz bestimmt kein neuer drogenpolitischer Ansatz ist.

(Beifall bei F.D.P., SSW und vereinzelt bei der SPD)

Es ist allerdings erstaunlich, wenn die Landesregierung extra dazu aufgefordert werden muss, eine einheitliche Praxis im Umgang mit dem Betäubungsmittelkonsum in Justizvollzugsanstalten durchzusetzen. Immerhin gibt es für den Vollzug bereits seit 1993 eine einheitliche Richtlinie. Hier liegt ganz offensichtlich ein Versäumnis der Landesregierung vor. Selbstverständlich kann und darf eine solche Richtlinie den jeweiligen Anstaltsarzt nicht aus seiner Therapieverantwortung entlassen. Gleichwohl muss aber gewährleistet sein, dass landeseinheitlich gewollte Maßnahmen nicht am Therapieprivileg des Arztes scheitern.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und SSW so- wie Beifall der Abgeordneten Christel Asch- moneit-Lücke [F.D.P.] und Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

(Dr. Heiner Garg)

Die Unabhängigkeit der Anstaltsärzte ist ein hohes Gut. Doch es ist ebenso notwendig, ihnen die gewollte drogenpolitische Zielrichtung deutlich zu machen!

(Beifall der Abgeordneten Silke Hinrichsen [SSW])

Unter normalen Voraussetzungen steht der Therapiefreiheit des Arztes immer das Recht auf die freie Arztwahl gegenüber. Diese Freiheit ist dem jeweiligen Häftling aber gerade nicht gegeben. Der Insasse einer JVA hat im Zweifelsfall gerade nicht die Möglichkeit zu alternativen Therapien.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich erinnere an das Vorhaben, in Schleswig-Holstein die Ausgabe von Einwegspritzen in Justizvollzugsanstalten einzuführen. Dieses Modell ist an dem praktischen Widerstand der Bediensteten in den Justizvollzugsanstalten gescheitert und aufgrund der Haushaltslage seit 1998 bis auf weiteres aufgeschoben worden.

Wenn drogenpolitische Ziele nur halbherzig verfolgt werden, darf man sich nicht wundern, dass diese bei den kleinsten Widerständen scheitern, ja scheitern müssen. Natürlich bedarf es für solche Projekte aber nicht nur des politischen Willens, auch die Betroffenen - ob Insassen, Anstaltspersonal oder Ärzte - müssen davon überzeugt werden. Das Argument der JVABediensteten ist doch gut nachvollziehbar, wenn sie in den Justizvollzugsanstalten quasi hinter jedem Krümel Rauschgift her sein müssen, auf der anderen Seite aber Spritzen ausgeben sollen.

Hier muss umgedacht werden. Modellprojekte können ein solches Umdenken fördern.

(Beifall der Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [F.D.P.] und Anke Spoorendonk [SSW])

Ich finde es bedauerlich, wenn bereits erarbeitete Projekte in der Schublade verstauben, nur weil die Landesregierung sie nicht weiter verfolgt hat. So existiert etwa seit 1998 ein mit der externen Drogen- und AIDS-Hilfen erarbeitetes Modellprojekt für die Justizvollzugsanstalten und wird aus angeblich finanziellen Gründen nicht weiter umgesetzt.

Neben großartigen Ankündigungen ist da relativ wenig gewesen. Deshalb glaube ich, dass der gemeinsame Antrag eine hervorragende Grundlage für neue Wege bietet, die man in der Drogenpolitik einschlagen kann. Vielleicht, Frau Tengler, könnte sich ja ein Teil der CDU diesem Antrag auch anschließen.

(Beifall bei F.D.P. und SSW sowie vereinzelt bei der SPD)

Ich erteile Frau Abgeordneter Birk das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Nachdem mehrere Bundesländer, auch CDUregierte Bundesländer, Frau Tengler, und insbesondere unsere Nachbarstaaten, die Niederlande und die Schweiz, beginnen, sich sehr differenziert und besonnen an der realen Gefährlichkeit rauschauslösender Stoffe sowie an der Hilfsbedürftigkeit der Drogenabhängigen zu orientieren, ist es an der Zeit, auch in Schleswig-Holstein neu zu analysieren. Ich danke deshalb dem SSW dafür, dass er hierzu den Anstoß gegeben hat und damit ein Anliegen aufgreift, das auch den Grünen immer besonders am Herzen gelegen ist.

Wir haben bei der Anhörung sicherlich eine gute Gelegenheit - alle Fraktionen, aber insbesondere auch für die CDU, die besonders viele Fragen aufgestellt hat -, uns neu zu positionieren und hoffentlich zu einer gemeinsamen Aktion zu kommen.

110.000 Menschen sterben jährlich in Deutschland an den Folgen des Rauchens, also an Nikotinvergiftung.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Ulf von Hielmcrone [SPD])

Dies gilt nicht als Skandal, ebenso wie die Zahl der 42.000 Menschen, die aufgrund von Alkoholabhängigkeit jährlich zu Tode kommen, obwohl Betrunkene am Steuer sogar andere gefährden.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Der Besitz einer kleinen Menge Haschisch hingegen führt unabhängig davon, ob ein Konsum nachgewiesen wird, zum Verlust des Führerscheins.

Die Zahl der Todesfälle aufgrund des Konsums illegaler Drogen wird für das Jahr 2000 mit 1.812 benannt. Auch wenn diese Zahl nicht so hoch ist: Jeder Mensch, der an Drogen stirbt, legalen wie illegalen, ist ein Toter zu viel.

Es gibt bundesweit Schätzungen, nach denen 1,5 Millionen Menschen medikamentenabhängig sind, und außerdem wissen wir natürlich auch von der großen Anzahl insbesondere von Frauen und Mädchen, die an Essstörungen leiden, 5 % der Frauen zwischen 14 und 35 Jahren sollen es sein. Die Tendenz ist sehr steigend.

Dies lehrt uns Mehrerlei: Erstens. Die Mehrheit der Bevölkerung kann mit legalisierten rauschauslösenden Stoffen einigermaßen gut umgehen.

Zweitens. Legalität und Rezeptpflichtigkeit einer Droge schützt nicht vor übermäßigem Gebrauch; die Ge

(Angelika Birk)

sellschaft arrangiert sich aber bedauerlicherweise damit.

Drittens. Abhängigkeit von legalen Drogen hat aber wenigstens keine zusätzliche Kriminalisierung zur Folge. Aber die Beschaffungskriminalität gilt es bei den „illegalisierten“ Drogen zu durchbrechen; das heißt, wir brauchen hier eine neue Grundlage.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Es geht nicht an, dass wir Kranke kriminalisieren, und zwar einerseits Suchtabhängige kriminalisieren, aber auch diejenigen kriminalisieren, die diese Drogen, die heute noch illegal sind, nachweislich auch nach Anforderung ihrer Ärzte dringend als Medikamente gebrauchen können. Schließlich müssen wir uns klarmachen: Wo ein Grund für ein Suchtverhalten ist, braucht es keine Drogen, um süchtig zu werden.

Trotzdem denken bei Sucht eben viele an illegale Drogen und haben Angst vor Crack und Ecstasy, vor Haschisch und Heroin gleichermaßen. Hier brauchen wir eine neue wissenschaftliche Bewertung, um tatsächlich die reale Gefährdung realistisch einschätzen zu können, und wir brauchen neue gesetzliche Grundlagen und - um diese vorzubereiten - Modellversuche.

Schleswig-Holstein hat sich mit dem „peer to perr“Programm an den Schulen unter Jugendlichen in der Suchtprophylaxe einen guten Namen gemacht. Das Methadonprogramm der Gesundheitsministerin wurde zu Recht als pionierhaft in Erinnerung gerufen und jetzt auch im Bereich der Alkoholabhängigkeit gehen Sie, Frau Moser, neue Wege gemeinsam mit unseren Nachbarstaaten rund um die Ostsee. HORIZONT wird zu Recht bundesweit als neues Dokumentationssystem anerkannt.

Ich möchte aber in die Zukunft blickend hier auf unser Nachbarland Hamburg verweisen, das neue Wege geht, von denen wir lernen können. Justizsenatorin Peschel-Gutzeit hat 20 Behandlungsplätze für Suchtakupunktur in der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel eingerichtet. In der Schweiz arbeitet man schon länger mit gutem Erfolg an diesem Projekt. Ich denke, gerade dieser neue Ansatz kann auch Fachleute hiesiger Justizvollzugsanstalten überzeugen, die sich - wie zu Recht von der F.D.P. kritisiert - offensichtlich bisher nicht mit voller Überzeugung hinter die drogenpolitischen Grundlinien der Landesregierung gestellt haben. In Hamburg werden außerdem 230 Drogenabhängige, die schwerstabhängig von Heroin sind, an dem bundesweiten Modellversuch teilnehmen, unter ärztlicher Aufsicht, Heroin zu sich zu nehmen. Die Schweiz hat inzwischen zehn Jahre Erfahrung mit einer solchen Behandlung.

Schließlich müssen wir auch prüfen, ob wir nicht in Schleswig-Holstein wie in anderen Bundesländern auch in CDU-regierten Bundesländern! -, beispielsweise in Hessen und im Saarland, Gesundheitsräume brauchen. Wir sollten auf jeden Fall die rechtlichen Voraussetzungen hierzu landesweit schaffen. Dann müssen wir unsere Fachleute fragen, ob das der richtige Weg für ein Flächenland wie Schleswig-Holstein ist. Immerhin wurde aufgrund der Gesundheitsräume in Hamburg die Zahl der an illegalen Drogen Verstorbenen in den letzten Jahren um ein Drittel gesenkt.

Niedrigschwellige Hilfe, rechtliche Voraussetzungen hierzu, Überzeugungsarbeit in vielen breiten gesellschaftlichen Kreisen - das sind die Aufgaben, die vor uns stehen. Ganz wichtig: Das beste Suchtausstiegsprogramm nützt nichts, wenn die Zeit zwischen Entzug und Therapieeinstieg zu lange dauert und danach der Einstieg in die Erwerbsarbeit nicht gegeben ist.

(Glocke des Präsidenten)

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich komme zum Schluss.

Gerade bei diesen Übergängen ist noch viel zu tun. Auch hier sind wir gespannt auf die Anregungen bei der Anhörung von den Fachleuten, die wir uns - ich denke, da sind wir uns einig - aus einem breiten Berufsspektrum und gegebenenfalls auch durchaus aus dem Ausland einladen sollten. Ich hoffe, dass wir in wenigen Monaten hier zu einem neuen gemeinsamen Konzept kommen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Zu einem Kurzbeitrag erteile ich Herrn Abgeordneten Kalinka das Wort.

Ich möchte es ganz kurz machen. Aber eines ist mir wichtig zu sagen: Man kann über alles zu diesem Thema sprechen - ganz sicherlich -, aber zu dieser Diskussion muss auch gehören, dass wir über neue Wege nachdenken, wie wir dazu beitragen können, dass es überhaupt keinen Drogenkonsum gibt. Wir müssen über neue Wege nachdenken, was wir tun können, damit wir nicht erst versuchen, zu einer Vereinheitlichung der Spitzenwerte in den Gefängnissen

(Werner Kalinka)

zu kommen, sondern wie zunächst einmal dafür gesorgt werden kann, dass man dort zu einem Abbau des Drogenkonsums kommt. Ich meine, das muss dieser Punkt mit beinhalten.