Protocol of the Session on February 22, 2001

Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:

Errichtung eines zentralen Wirtschaftsarchivs in Schleswig-Holstein

Antrag der Abgeordneten des SSW Drucksache 15/723

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Frau Abgeordnete Spoorendonk hat das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Landesarchivgesetz aus dem Jahre 1992 bekam Schleswig-Holstein ein vorbildliches Archivge

(Anke Spoorendonk)

setz. Nach Expertenmeinung war es das beste Archivgesetz in der Bundesrepublik, so jedenfalls sagte man bei seiner Verabschiedung.

(Beifall des Abgeordneten Jürgen Weber [SPD])

Wer sich die alten Reden ansieht, spürt die euphorische Stimmung, die damals parteiübergreifend zum Ausdruck kam.

Mit dem Landesarchivgesetz wird die Sicherung und Nutzung öffentlichen Archivguts in SchleswigHolstein geregelt, denn in § 1 heißt es:

„Öffentliche Archive dienen der Forschung und Bildung, der Verwaltung und Rechtssicherung und ermöglichen die Auseinandersetzung mit Geschichte, Kultur und Politik. Sie schützen das öffentliche Archivgut gegen Vernichtung und Zersplitterung und sind der Öffentlichkeit für die Nutzung zugänglich. Sie bilden das öffentliche Gedächtnis eines Landes.“

Das öffentliche Gedächtnis eines Landes umfasst jedoch nicht nur Unterlagen über staatliche Aktivitäten; auch wirtschaftliches Handeln gilt es zu dokumentieren. Genauso lange wie es das Landesarchivgesetz gibt, wird daher auch eine Debatte darüber geführt, dass es wünschenswert wäre, für Schleswig-Holstein ein zentrales Wirtschaftsarchiv einzurichten. Dennoch ist seit 1992, als dies das Thema des schleswigholsteinischen Archivtags war, wenig passiert.

Aus den Berichten von damals geht hervor, dass man sich nicht nur seitens der Archivare, sondern auch seitens der Kommunen und der IHK dafür aussprach. In den letzten Jahren hat das historische Interesse der Öffentlichkeit stetig zugenommen und wendet sich insbesondere auch wirtschafts- und sozialhistorischen Vorgängen zu. Wirtschaftliches Handeln und wirtschaftspolitische Entscheidungen sind immer auch aus geschichtlichen Gegebenheiten zu erklären. Das sagen wir in der Begründung unseres Antrags. Standortfragen, unternehmerisches Handeln, Branchenstruktur und Absatzmöglichkeiten sind geschichtlich bedingt und daher auch von öffentlichem Interesse. Zwar sammeln die großen Landesmuseen und die zahlreichen Heimatmuseen in Schleswig-Holstein sowie einige Spezialmuseen gewerbliche und industrielle Gebrauchsgegenstände, sie kümmern sich aber wenig um die schriftliche und bildliche Überlieferung der Unternehmen in unserem Land. Das ist auch nicht ihre primäre Aufgabe.

Auch das staatliche Archivwesen beschäftigt sich kaum damit. So besteht die Gefahr, dass wichtiges Material zur Geschichte der Wirtschaft in unserem

Land verloren geht. Hier sollte unbedingt Abhilfe geschaffen werden. Es ist daher notwendig, eine zentrale Sammelstelle für dieses - für die Geschichte der Wirtschaft in Schleswig-Holstein - wichtige Material zu errichten.

Auch die Wirtschaft sollte ein Interesse daran haben, dass beispielsweise die verschiedenen unternehmerischen Entscheidungen historisch betrachtet nachvollzogen werden können. Letztlich kann man die Wirtschaft aber nicht dazu zwingen, ein Wirtschaftsarchiv zu errichten. Mit unserem Antrag wollen wir erreichen, dass die Landesregierung die Initiative ergreift, um zu prüfen, ob und wie die schleswigholsteinische Wirtschaft in Kooperation mit den Industrie- und Handelskammern, den Handwerkskammern, den Arbeitgeberverbänden, dem DGB und dem Landesarchiv ein zentrales Wirtschaftsarchiv für Schleswig-Holstein errichten kann.

Es geht also darum auszuloten, ob die Wirtschaft und die Partner der Wirtschaft nicht dazu zu bewegen sind, im eigenen Interesse ein solches zentrales Archiv zu errichten. Das ist die Intention unseres Prüfauftrags, der aus unserer Sicht im Bildungsausschuss abgearbeitet werden sollte. Unsere Initiative soll aber den Kommunen und den Unternehmen nichts wegnehmen. Auch das möchte ich deutlich machen. Es wäre aber wünschenswert, wenn das Wirtschaftsarchiv in Zusammenarbeit mit dem Landesarchiv organisiert werden könnte, weil dort auch ansonsten verstärkt Archivberatung - zum Beispiel für die Kommunen gemacht werden soll.

Schon vor längerer Zeit hat man in anderen Bundesländern den Wert solcher Institutionen erkannt. So gibt es beispielsweise das Rheinische Wirtschaftsarchiv in Köln, das Westfälische Wirtschaftsarchiv in Dortmund und das Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg in Stuttgart.

(Zuruf des Abgeordneten Lothar Hay [SPD])

In Schleswig-Holstein gibt es einen Arbeitskreis für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, der genau wie wir der Meinung ist, dass es an der Zeit sei, in diesem Bereich des Archivwesens tätig zu werden. Ich spare mir ein Zitat zum Thema Identität und Geschichte. Dennoch meine ich sehr wohl, dass dies ein zentraler Punkt ist. Wie heißt es noch in der Einleitung des Landesarchivgesetzes? - „Öffentliche Archive bilden das öffentliche Gedächtnis eines Landes.“

Zum Schluss noch ein Argument, das aus meiner Sicht ganz wichtig und aktuell ist: Nicht zuletzt zeigt auch die Diskussion um die Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter, wie wichtig ein Vorstoß in Sa

(Anke Spoorendonk)

chen Wirtschaftsarchiv ist. So sind zum Beispiel Lohnunterlagen -

(Glocke der Präsidentin)

Frau Abgeordnete, bitte kommen Sie zum Schluss.

Ja, ich komme zum Schluss.

So sind zum Beispiel Lohnunterlagen von Betrieben als Quellenmaterial sehr wichtig. Aber Tatsache ist, dass in den 60er- und 70er-Jahren sehr viele Archive von Unternehmen verloren gegangen sind und nicht mehr existieren. In Schleswig-Holstein gibt es also Nachholbedarf und ich bitte um Unterstützung für unseren Antrag.

Ich sagte vorhin schon, ich bitte darum, dass der Antrag an den Bildungsausschuss überwiesen wird, weil ich meine, dass er das richtige Forum für die weitere Arbeit ist.

(Beifall der Abgeordneten Silke Hinrichsen [SSW])

Das Wort hat jetzt Herr Abgeordneter Weber.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einem ist dem SSW ohne Frage zuzustimmen: Ein zentrales Wirtschaftsarchiv für Schleswig-Holstein wäre in der Tat wünschenswert. Seit langem beklagen Forscher die schwierige und spärliche Materiallage für wissenschaftliche Arbeiten mit wirtschaftshistorischem Hintergrund. Außerdem - kein unwichtiger Gesichtspunkt - drohen regelmäßig wichtige Überlieferungen verloren zu gehen, weil sich in den Firmen und Unternehmen niemand um die fachliche Archivierung kümmern kann und Unterlagen dann häufig der Vernichtung anheim fallen müssen. Das ist gerade unter historischem Gesichtspunkt deshalb schwierig, weil wir wissen, dass wir in den Jahren 1941 bis 1945 durch den Zweiten Weltkrieg in Schleswig-Holstein eine Masse von wichtigen Überlieferungen verloren haben.

Eine wissenschaftliche Auffangstelle für Archivalien der Wirtschaft müsste idealerweise neben der Sammlung, Erschließung und gegebenenfalls Restaurierung archivwürdigen Materials wissenschaftliche Untersuchungen anregen und möglichst wirtschaftswissenschaftliche Forschung initiieren. Auf jeden Fall müsste sie aber Öffentlichkeitsarbeit leisten, um für die Abgabe von Beständen zu werben und den Nutzen für

alle Seiten zu verdeutlichen. Die Defizite sind bekannt und müssen hier nicht wiederholt werden. Wir wissen, dass Wirtschafts- und Sozialgeschichte lange Zeit in unserem Land ein Schattendasein gefristet hat. Der von der Kollegin Spoorendonk schon erwähnte Arbeitskreis für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Schleswig-Holsteinischen Geschichtsgesellschaft hat da seit den 80er-Jahren Verdienstvolles geleistet. Das soll hier auch einmal gelobt werden.

(Beifall beim SSW)

Es gibt eine 20-jährige Debatte über die Frage eines Wirtschaftsarchivs. Ich will jetzt gar nicht alle die Punkte auflisten, die bisher dazu angeführt haben, dass wir nicht so richtig vorangekommen sind. Ich glaube, man muss sich ein paar Prinzipien noch einmal deutlich vor Augen halten, die wir als Rahmenbedingungen zur Kenntnis nehmen müssen. Jedes Archiv kann Archivgut aus der privaten Wirtschaft nur auf freiwilliger Basis erhalten. Es bedarf deshalb der Einsicht über Nutzen und Verantwortung bei den Unternehmen, ihre Unterlagen auch tatsächlich zur Verfügung zu stellen. Da ist noch einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten. Es bedarf meines Erachtens deshalb vornehmlich und in erster Linie des Engagements der Verbände, vor allem der Kammern.

Ich darf darauf hinweisen - Frau Spoorendonk hat das vorhin erwähnt -, die zentralen Wirtschaftsarchive, die wir bisher haben - einige sind schon fast 100 Jahre alt -, sind nicht nur alle in den klassischen Industrieregionen entstanden - Köln, Dortmund, Stuttgart, München -, sondern sie sind durch die Bank weg auch Gründungen, die von den Industrie- und Handelskammern ausgegangen sind. Ich denke, das wird auch in Schleswig-Holstein nicht anders funktionieren können.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Lothar Hay [SPD])

Ich will darauf hinweisen, dass wir natürlich in einigen unserer Archive ganz ordentliche Überlieferungen haben, weil dort die jeweiligen regionalen Kammern auch schon Material abliefern. Das gilt für die Archive in Flensburg und in Lübeck. Eine zentrale Erfassung für das Land Schleswig-Holstein kann aber nur zustande kommen, wenn alle Partner im Geschäft, die hier angesprochen sind, das wirklich wollen und - das darf man der Ehrlichkeit halber auch sagen - alle bereit sind, dafür ein paar Mark und fünfzig in die Hand zu nehmen, denn zum Nulltarif wird auch ein solches zentrales Wirtschaftsarchiv nicht zu haben sein.

(Beifall der Abgeordneten Lothar Hay [SPD] und Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

(Jürgen Weber)

Ich möchte noch einmal deutlich unterstreichen: Ein zentrales Wirtschaftsarchiv, das im Wesentlichen auch Archivalien aus der Privatwirtschaft aufbewahren und zur Verfügung stellen soll, wird nach demselben Prinzip geführt werden müssen wie jedes andere Archiv, das privates Material aufnimmt. Das Prinzip heißt: So viel Freiheit vom Staat wie möglich und gleichzeitig so viel fachliche Hilfestellung vom staatlichen Archivwesen wie nötig. Ohne dieses Prinzip glaube ich nicht, dass wir zu einem vernünftigen Ergebnis kommen können. Eines der zentralen Stichworte heißt natürlich Vertrauen. Diejenigen, die Archivmaterial aus privaten Beständen abgeben, müssen das Vertrauen haben, das dort, wo es aufbewahrt wird, vernünftig mit ihm umgegangen wird. Deshalb kann es nur unter Kooperation mit den Kammern, Verbänden, Unternehmensverbänden, privatwirtschaftlichen Einrichtungen und staatlichen Archiveinrichtungen gehen. Anders kann das meines Erachtens nicht funktionieren.

Frau Kollegin Spoorendonk, wir sollten unbedingt eine Beratung im Ausschuss durchführen und dort über die Frage nachdenken, was wir und die Landesregierung tun können, um das Stück Überzeugungsarbeit, dass ein Wirtschaftsarchiv und wirtschaftswissenschaftliche und historische Forschung auch für die Wirtschaft im Land einen großen Nutzen hat, zu leisten. Das muss kommuniziert und verbreitet werden; dafür braucht man Überzeugungsarbeit. Dabei wollen wir gern überlegen, was das Land Schleswig-Holstein dazu beitragen kann.

Ich glaube, man wird auch deutlich sagen müssen damit komme ich zum Schluss -, dass es das berechtigte Interesse unserer Gesellschaft gibt, mehr über soziale und ökonomische Entwicklungen in unserer Region zu wissen. Dieser nachvollziehbare Wunsch beinhaltet auch, dass die ökonomisch prägende Privatwirtschaft im Land natürlich kein geschichts- und gesichtsloser Teil unserer Historie sein darf. In diesem Sinne wollen wir gern mit viel Realitätssinn, was die Realisierungschance angeht, im Ausschuss weiter beraten. Ich denke, wir sollten den Antrag nicht nur an den Bildungs-, sondern auch an den Wirtschaftsausschuss überweisen. Dort können wir die Dinge im Detail weiter vertiefen.

(Vereinzelter Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW - Anke Spoo- rendonk [SSW]: Das stimmt!)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Eichelberg das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Um es gleich vorweg zu sagen: Die CDULandtagsfraktion wird der Prüfung des Vorhabens der Errichtung eines zentralen Wirtschaftsarchivs zustimmen. Ich glaube, das ist wichtig.

Herr Weber, Sie haben schon sehr ausführlich dargestellt, was man alles machen könnte. Aber erst einmal lasst uns prüfen, wie weit das überhaupt geht. Wir gestehen, wir fänden es ganz gut, so etwas zu haben „nice to have“, wie man neudeutsch so gern sagt -, aber die Folgen daraus, die wollen wir genau gewichtet sehen, bevor wir darüber entscheiden. Denn die Einrichtung verursacht naturgemäß enorme Belastungen, wenn so etwas nicht historisch gewachsen ist, wie man zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen und BadenWürttemberg festgestellt hat.

Wir können uns das Vorhaben nur auf der Basis der Freiwilligkeit der Wirtschaft und der einzelnen Betriebe vorstellen. Ebenso muss das Selbstbestimmungsrecht der Wirtschaft beachtet werden und - was heutzutage ganz wichtig ist - es muss geklärt werden: Was kostet das und wie sind die datenschutzrechtlichen Fragen zu sehen? Das spielt eine ganz erhebliche Rolle, denn alle Unterlagen einer Firma beinhalten natürlich auch immer etwas Spezifisches, der Firma Eigenes, bis hin zu Firmengeheimnissen. Wenn man etwas detailliert haben will, muss man so etwas ausschöpfen können.

(Jürgen Weber [SPD]: Das gilt für staatliche Akten genauso!)

Liebe Frau Spoorendonk, wenn Sie das Ansinnen haben, dass man zum Beispiel später einmal nachprüfen kann, wie die Strukturen der Arbeitnehmer gewesen sind, dass man untersucht, wie viel Fremdarbeiter oder Ausländer angestellt waren und ähnliche Dinge, dann müssen derart umfangreiche Statistiken erfasst werden, dass ich große Zweifel habe, ob das kostengünstig überhaupt machbar ist und auf der Basis der Freiwilligkeit geht. Aber lassen Sie uns das prüfen, dann können wir nachher darüber diskutieren.

Ganz wichtig ist, dass das in das Landesarchiv eingebunden wird, damit man die entsprechende Infrastruktur hat. Das halten wir für richtig und so sollte es dann auch sein.