Protocol of the Session on January 26, 2001

sich zu beteiligen. Wahrscheinlich kaum wahrgenommen werden hingegen auffordernde Satzteile im komplizierten Wortgeflecht des vorliegenden Antrags.

Alles in allem wirkt der vorliegende Antrag auf mich persönlich eher als ein Versuch, das eigene Gewissen zu beruhigen. Ähnliches kennen wir aus der Diskussion um den Rechtsextremismus. Manch eine oder einer könnte mir entgegenhalten, der Landtag solle mit dieser Resolution den Startpunkt für ein tatkräftiges Engagement setzen. Das klingt in meinen Ohren wie Hohn. Seit 1999 leitete der F.D.P.-Ehrenvorsitzende Otto Graf Lambsdorff für die Bundesregierung die Verhandlungen über die Regelungen der Entschädigung von Zwangsarbeitern überaus erfolgreich. Und ich erinnere daran - dafür besonderen Dank, Anke -, dass zu dem Zeitpunkt der laufenden Verhandlungen der SSW auf einen eigenen Antrag in dieser Frage verzichtet hat, um nicht störend oder hindernd zu wirken.

Im Juli 2000 wurde im Bundestag das Gesetz über die Gründung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ beschlossen. Zeitgleich verkündete der Bundestag eine Resolution der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, F.D.P. und PDS. Der Inhalt deckt sich im Wesentlichen mit der uns vorliegenden Entschließung.

Fast zwei Jahre nach Verhandlungsbeginn und mehr als ein halbes Jahr nach dem Gesetzesbeschluss und der Resolution des Bundestages soll nun auch der Schleswig-Holsteinische Landtag auf den Plan treten. Viel zu spät, wenn überhaupt nötig, sage ich. Wir sollten nicht als Nachzügler im Geleitzug der verbalen Bekenntnisse auftreten. Das wird weder unserer geschichtlichen Verantwortung noch den Opfern gerecht. Ein Bekenntnis zum Erkenntnisgewinn von Rot und Grün durch das Gutachten des IZRG reicht meiner Fraktion nicht aus.

Wir werden diesem Antrag dennoch zustimmen, weil wir nicht wollen, dass in dieser sehr wichtigen geschichtlichen Frage ein Dissens im Landtag entsteht. Aber ich habe bereits früher gesagt, Herr Kollege Hay, welch große Bedenken ich damit habe, mich auf Resolutionscharaktere gerade in dieser Frage zu beschränken.

(Beifall bei F.D.P., SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Birk.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Mit der heutigen Beratung über den Entschließungsantrag von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beschäftigt sich der SchleswigHolsteinische Landtag erstmals in seiner Geschichte mit dem Thema der Zwangsarbeiter in unserem Lande in der Zeit des Nationalsozialismus. Dies teilte mir der Wissenschaftliche Dienst mit, der bis 1946 zurückrecherchiert und dabei festgestellt hat, dass lediglich in den Jahren 1986 und 1987 in einzelnen Redebeiträgen zu anderen Themen auch die Zwangsarbeit erwähnt wurde.

Es wäre doch eigentlich zu erwarten gewesen, dass in den ersten Jahren nach Kriegsende, in denen die Bilder der zur Arbeit nach Deutschland Verschleppten noch präsenter waren, in diesem hohen Hause über die Verantwortung für ihr unsägliches Leid gesprochen worden wäre.

Aber sonderlich überrascht war ich nicht. Der Einsatz von Sklavenarbeiterinnen und -arbeitern zur Aufrechterhaltung der deutschen Wirtschaft während eines verbrecherischen Krieges ist nach 1945 ebenso verdrängt worden wie die Existenz vieler anderer Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft; ich nenne außer den Juden die Sinti und Roma, die Homosexuellen, die Deserteure und die Opfer der Wehrmachtswillkür in den besetzten Gebieten.

Die Justiz leistete diesem kollektiven Gedächtnisverlust einer ganzen Gesellschaft Schützenhilfe: Der Bundesgerichtshof vertrat die Ansicht, dass auch Ansprüche gegen deutsche Unternehmen, die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter beschäftigt hatten, zum Bereich der Reparationsforderungen gehörten, deshalb nur zwischenstaatlich geltend gemacht werden könnten und ohnehin dem 1953 mit den Westalliierten vereinbarten Schuldenmoratorium unterlägen.

Der Kalte Krieg diente jahrzehntelang als wohlfeile Begründung dafür, keine Verhandlungen mit den Heimatländern der Arbeitssklaven aus dem Osten über eine Entschädigung führen zu müssen.

Es bedurfte der Initiative der Politikerinnen und Politiker der 68er-Generation,

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Quatsch!)

für die aus dem Schwur, dass Auschwitz nie wieder möglich sein dürfe, auch folgte, dass sich die demokratische Bundesrepublik ihrer Vergangenheit stellen und rückhaltlos Verantwortung für sie übernehmen muss,

(Beifall des Abgeordneten Rainder Steen- block [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

(Angelika Birk)

um das Thema der Entschädigung der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Es ist daher kein Zufall, dass die von der rot-grünen Bundesregierung gemeinsam mit der Wirtschaft 55 Jahre nach Kriegsende ins Leben gerufene Stiftung den Namen „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ trägt.

10 Milliarden DM wollen die Bundesregierung und die Wirtschaft für die Entschädigung für ehemalige NSZwangsarbeiterinnen und -Zwangsarbeiter aufbringen. Rechtsanwalt Klaus Fischer, aus dessen Aufsatz „Die Folgen des Stiftungsgesetzes: Zur Entschädigung der in Schleswig-Holstein eingesetzten Zwangsarbeiter“ ich eben bereits zitiert habe, sieht diesen Betrag als eine Größenordnung an, „die noch vor wenigen Jahren als unerreichbar hoch gegolten hat. Selbst die weitreichendsten, noch zu Oppositionszeiten von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN entworfenen Stiftungsmodelle“ - so schreibt er - „hatten Gesamtaufwendungen unter 1 Milliarde in Ansatz gebracht“.

Und trotz dieser gewaltigen heutigen Summe: Die Entschädigungszahlungen für die einzelnen Betroffenen werden nicht einmal annähernd in einem Verhältnis zu dem Leiden stehen, das sie in Deutschland erlebt haben. Wer in einem Konzentrationslager oder einem Ghetto zur Arbeit gezwungen wurde, wird höchstens 15.000 DM erhalten. Wer nach Deutschland in ein besetztes Gebiet deportiert und dort in anderer Form inhaftiert wurde oder unter besonders schweren Bedingungen arbeiten musste, kann mit maximal 5.000 DM rechnen.

15.000 DM für jahrelang härteste Arbeit in einem Lager unter entsetzlichen Umständen - eigentlich ist ein solcher Beitrag ein Hohn, bestenfalls eine Geste, mit der wir Deutsche unsere Bitte um Verzeihung verbinden, ihr ein wenig mehr Glaubwürdigkeit verleihen können.

Aber wie ist es mit dieser Glaubwürdigkeit bestellt? Während die Bundesregierung ihren Anteil von 5 Milliarden DM aufgebracht hat, fehlen vom Anteil der Wirtschaft, wie gestern bekannt wurde - das wurde hier schon zitiert -, immer noch 1,5 Milliarden DM. Nach den gestern von der Stiftungsinitiative der Deutschen Wirtschaft veröffentlichen Zahlen sind bisher nur 2,26 % der Firmen in Deutschland dem Stiftungsfonds beigetreten, in Schleswig-Holstein sind es von 7.100 angeschriebenen Unternehmen 173, das sind 2,44 %. Und dies sind durchaus nicht immer diejenigen Firmen, die im Nationalsozialismus von der Zwangsarbeit wirtschaftlich profitiert haben; vielfach sind es kleine und mittlere Betriebe, die erst lange nach Kriegsende gegründet wurden.

Vielleicht war es tatsächlich ein Fehler in der Struktur des Fonds, dass das Kapital von der ganzen deutschen Wirtschaft gemeinsam aufzubringen ist. Wenn wir gewusst hätten, was das für Folgen hat, dass sich nämlich große Firmen um ihre Verantwortung immer noch drücken können, hätte man hier vielleicht eine differenzierte Struktur vorgeschlagen. Es tut einem wirklich Leid, über so etwas nachdenken zu müssen.

Wir wissen durch das von der Landesregierung in Auftrag gegebene Gutachten des Instituts für Zeit- und Regionalgeschichte, dass gerade in Schleswig-Holstein überproportional viele Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter eingesetzt worden sind - auf jedem zweiten Hof, vielleicht praktisch fast jedem Hof. Über die Hälfte der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter haben auf Höfen und in Privathaushalten gearbeitet.

Daher ist es für mich als Abgeordnete des SchleswigHolsteinischen Landtages besonders bitter, dass die bis zu 57.000 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft und in Privathaushalten, die nach der Kategorisierung des Gesetzes unter nicht ganz so grauenhaften Umständen gelebt haben wie die Arbeiter in den Lagern, wahrscheinlich eher auf eine geringe Entschädigung hoffen können. Das hängt - wie ausgeführt - mit der Ausgestaltung des Stiftungsgesetzes zusammen. Umso erfreulicher ist es, dass es in diesem Lande eine Initiative gibt, der sich namhafte Persönlichkeiten angeschlossen haben, die zusätzlich zu dem Fonds um Gelder wirbt - mit Erfolg.

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal in aller Deutlichkeit sagen - hier kann ich Ihre Kritik nicht verstehen, Herr Kubicki -: Wir sehen unseren Antrag als Verpflichtung und er enthält einige konkrete Hinweise, die genau in dem Sinne gemeint sind, wie Sie gerade ausgeführt haben, dass wir uns nämlich mit diesem Antrag nicht nur vielen Appellen anschließen, sondern jetzt eine letzte Anstrengung unternehmen müssen, um durch geeignete Maßnahmen tatsächlich die Initiative zu ergreifen und Unternehmen in Schleswig-Holstein dafür zu gewinnen, dass sie sich ihrer historischen Verantwortung stellen.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [F.D.P.])

- Herr Kubicki, unser Antrag lag früh genug vor, sodass es nicht unmöglich gewesen wäre, als Fraktion konkrete Anregungen oder Verbesserungen einzubringen.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Sie wollten ja ausdrücklich nichts Gemeinsames!)

Es befremdet mich etwas, dass Sie in dieser Form über unseren Antrag gesprochen haben.

(Angelika Birk)

Die Ministerpräsidentin hat bereits mehrfach die Wirtschaft unseres Landes zu einer größeren Beteiligung aufgefordert. Das vorliegende Gutachten ist keineswegs ein beliebiges Schriftstück der Historiker und Historikerinnen. Ich möchte ausdrücklich den Professoren Danker und Bohn sowie ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die sehr differenzierte Aufarbeitung danken.

(Beifall)

Ich halte es für wichtig, dass die anschauliche Zusammenfassung, die die Landeszentrale für politische Bildung in dieser Broschüre in lebendiger Form zusammengestellt hat, einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, um damit das Interesse vieler zu wecken, sich mit dem ausführlichen und differenzierten Gutachten zu beschäftigen.

Frau Erdsiek-Rave, Sie haben schon in der Vergangenheit mit beispielhafter Öffentlichkeitsarbeit deutlich gemacht, wie es gelingen kann, jeder Schülerin und jedem Schüler die nationalsozialistische Zeit vor Augen zu führen. Man sollte darüber nachdenken, diese Broschüre den jungen Leuten unseres Landes in großer Auflage zur Verfügung zu stellen.

Für uns ist die Auseinandersetzung mit der Geschichte eine ständige Mahnung, jederzeit für Freiheit, Demokratie und Achtung der Menschenwürde einzustehen. Wir alle sollten uns als Mitglieder des Landtages daran messen, wie wir mit dem Antrag praktisch umgehen. Ich greife gern jede Anregung hierzu auf, damit wir gemeinsam öffentlich Zeichen setzen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Spoorendonk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist angemessen, dass sich der Landtag einen Tag vor dem 27. Januar, dem Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus, mit dem Schicksal der Zwangsarbeiter in Schleswig-Holstein befasst. Es ist angemessen, dies zu tun, weil Schülerinnen und Schüler, die Landesschülervertretungen aller Schularten beschlossen haben, diesen Tag zu einem Aktionstag gegen Rassismus und rechte Gewalt zu machen. Was sie für morgen auf die Beine gestellt haben, ist wirklich beeindruckend.

(Beifall im ganzen Haus)

Unser Beitrag als Parlament könnte sein, das gesellschaftliche Bewusstsein dafür zu stärken, dass Geschichte unteilbar ist. Wir müssen uns mit ihr als Ganzes befassen, was aber voraussetzt, dass wir sie kennen.

Eine Auseinandersetzung mit der Geschichte - wie hier mit der Geschichte der Zwangsarbeiter in SchleswigHolstein von 1939 bis 1945 - heißt aus unserer Sicht aber nicht, dass dies in erster Linie unter dem Gesichtspunkt „Schuld und Sühne“ zu geschehen hat. Aus Erfahrung weiß ich, dass man damit bei jungen Menschen nicht weiterkommt, und um den Dialog mit Jugendlichen geht es doch, zum Beispiel am morgigen Tag.

In seinem Roman „1984“ gibt der englische Schriftsteller George Orwell eine ganz andere Antwort auf die Frage, warum wir uns mit unserer Geschichte beschäftigen müssen. Ich weiß, dass ich das Zitat schon einmal gebracht habe, ich wiederhole es trotzdem. Er sagt:

„Wer die Vergangenheit beherrscht, beherrscht die Zukunft. Wer die Gegenwart beherrscht, beherrscht die Vergangenheit.“

Mir geht es in diesem Zusammenhang nicht um eine Diskussion des Orwell-Zitates - das könnte auch ganz interessant sein -, es geht mir vielmehr darum anzudeuten, dass die Auseinandersetzung mit der Geschichte etwas damit zu tun haben sollte, wie wir uns in der Gesellschaft von morgen zurechtfinden wollen.

Aus der Studie des IZRG geht somit hervor:

„Großen Teilen der älteren schleswigholsteinischen Bevölkerung ist auf die Frage nach den Zwangsarbeitern während des Zweiten Weltkriegs lediglich die unruhige Zeit unmittelbar nach Kriegsende in Erinnerung. In diesem Zusammenhang leben insbesondere die Legenden von plündernden Polen- und Russenbanden als Ausdruck der deutlich überzogen wahrgenommenen Kriminalität der Displaced Persons bis heute weiter.“

Mit anderen Worten: Wenn wir heute mit ähnlichen rassistischen Aussagen konfrontiert werden, wissen wir nun, woher Bilder dieser Art stammen. Wer die Geschichte kennt, lässt sich nicht manipulieren. Darum geht es. Das begreifen auch die Jugendlichen von heute, auch diejenigen, die für den morgigen Aktionstag verantwortlich sind.

Seit mehr als zwei Jahren gibt es in der Bundesrepublik eine öffentliche Diskussion über die Entschädigung der Zwangsarbeiter der Nazizeit. Die Bundesregierung hat durch ihre Entschädigungsinitiative ei

(Anke Spoorendonk)

nen maßgeblichen Anteil daran, dass dieses Thema so lange Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg doch noch aufgegriffen wurde. Das war längst überfällig. Der eigentliche Skandal besteht darin, dass sich vorher keiner der berechtigten Forderungen der Betroffenen angenommen hat.