Zu den Einsatzbranchen zählten die Landwirtschaft mit 57.000 Beschäftigten, die Industrie, insbesondere
die Rüstungsindustrie, mit etwa 43.000 Beschäftigten, im Sektor Bauwirtschaft/Dienstleistung/Handwerk arbeiteten 11.600, der öffentliche Dienst mit Reichsbahn auf kommunaler und provinzieller Ebene war mit immerhin fast 12.800 - also etwa ein Zehntel der deportierten Ausländer - vertreten. Insgesamt waren während der NS-Zeit in Schleswig-Holstein etwa 225.000 Ausländer zwangsweise beschäftigt.
Im Bereich der Lohn- und Abgabenregelung für ausländische Arbeitskräfte schuf der NS-Staat eine Rangordnung. So genannte Westarbeiter wie Belgier, Franzosen, Italiener, Holländer und Dänen erhielten grundsätzlich den gleichen Lohn wie ihre deutschen Kollegen. Polen sollten nur etwa 50 bis höchstens 85 % des deutschen Lohnes erhalten, hatten aber eine zusätzliche Sozialausgleichsabgabe von 15 % ihres Lohnes zu entrichten. So genannte Ostarbeiter, also Deportierte aus den besetzten Teilen der Sowjetunion, erhielten lediglich 10 bis 20 % des Lohnes ihrer deutschen Kollegen. Aber auch von diesem geringen Betrag entzog man fast alles als Steuer beziehungsweise Unterbringungskosten.
Im Übrigen hatten alle Beschäftigten zwar Beiträge für die Renten-, Kranken-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung zu entrichten, jedoch zum Teil keinen Anspruch auf Leistungen beispielsweise im Bereich der Krankenversorgung, und natürlich gab es keine Ansprüche auf Arbeitslosengeld. Mit ihrer Arbeit, aber auch mit ihren nicht unerheblichen Steuerleistungen und Sonderabgaben finanzierten die ausländischen Arbeitskräfte den Krieg auf deutscher Seite mit.
Die Arbeiter aus Polen und dem besetzten Teil der Sowjetunion wurden gekennzeichnet. Die so genannten Ostarbeiter mussten ein blaues Rechteck mit der weißen Beschriftung „Ost“ als Abzeichen tragen. Die Polen mussten einen Aufnäher mit dem Buchstaben P auf der Kleidung tragen. Kontakte mit der deutschen Bevölkerung sollten auf ein Minimum beschränkt werden. Wer wegen Krankheit nicht mehr zur Arbeit fähig war, wurde in die Heimat zurückgebracht.
Das Gutachten schildert auch die Lebensbedingungen, unter denen die Ausländer in Schleswig-Holstein arbeiteten. Sie waren gegenüber den Behörden nahezu rechtlos. In den Städten reichte die Nahrung vielfach nicht aus, um die Arbeitskräfte gesund und arbeitsfähig zu erhalten. In der Industrie tätige Polen und Ostarbeiter lebten abgeschottet von der deutschen Bevölkerung.
Ich habe mich darüber gefreut, dass das Gutachten des Instituts für Zeit- und Regionalgeschichte ein sehr differenziertes Bild gezeichnet hat, gerade auch, weil es Unterschiede gab. Die Situation auf dem Lande hat teilweise anders ausgesehen. Das muss klar festgestellt
werden. Denn trotz aller entgegenstehenden Bestimmungen ergaben sich gerade in landwirtschaftlichen Betrieben zahlreiche persönliche Kontakte zwischen Fremdarbeitern und deutschen Hofangehörigen. Auf vielen Höfen erfuhren die Ausländer eine anständige und menschliche Behandlung, wobei man jedoch nicht vergessen darf, dass sie nicht freiwillig gekommen waren. In einzelnen Fällen entstanden Freundschaften, die bis heute andauern oder wieder aufgenommen wurden. Gegen das Verbot, mit Kriegsgefangenen und Fremdarbeitern an einem Tisch zu essen, wurde offenbar vielfach verstoßen.
Die Ernährungssituation war für die in landwirtschaftlichen Betrieben eingesetzten ausländischen Arbeitskräfte erheblich besser. Teilweise erhielten sie entgegen den behördlichen Vorschriften die gleichen Nahrungsmittel wie die deutschen Landarbeiter. Andererseits gibt es auch Belege - auch das wird in dem Gutachten ausgeführt - für Misshandlungen von Ausländern, die in landwirtschaftlichen Betrieben eingesetzt waren.
Wenn das Gesetz die Meisten in die Kategorie drei einstuft, dann hat das seinen Hintergrund eben auch in dieser unterschiedlichen Situation, die in SchleswigHolstein, aber auch in anderen Teiles des Deutschen Reiches zwischen Stadt und Land herrschte.
Für das unermessliche Elend, das der Nationalsozialismus über die Völker Europas gebracht hat, hat sich die Bundesrepublik Deutschland nach Kriegsende mit erheblichen finanziellen Mitteln um Entschädigung bemüht - soweit man Leid durch finanzielle Mittel überhaupt entschädigen kann. In den letzten 50 Jahren wurden etwa 140 Milliarden DM gezahlt, weitere 20 Milliarden DM an Entschädigungsleistungen sind unabhängig von dem so genannten Stiftungsgesetz noch fällig.
Mit überwältigender Mehrheit nahm der Deutsche Bundestag am 6. Juli vergangenen Jahres das so genannte Stiftungsgesetz zur Entschädigung der NSZwangsarbeiter an. Darin stellt der Bundestag fest, dass die Errichtung des Zukunftsfonds innerhalb der Stiftung eine besondere Chance biete, der Verantwortung von Staat, Gesellschaft und Privatwirtschaft gerecht zu werden. Danach sollen zur Entschädigung der auf eine Zahl von 1,2 Millionen geschätzten ehemaligen Zwangsarbeiter der deutsche Staat und die Wirtschaft jeweils 5 Milliarden DM bereitstellen. Zwangsarbeiter, die in Konzentrationslagern eingesperrt waren, sollen mit jeweils 15.000 DM entschädigt werden, für andere Zwangsarbeiter sind 5.000 DM vorgesehen, soweit sie unter Bedingungen untergebracht waren, die ebenfalls als menschenunwürdig anzusehen sind.
Allerdings können Entschädigungen in dieser Höhe nur gewährt werden, wenn sich auch die Wirtschaft in dem vorgesehenen Maß an der Bereitstellung von Mitteln für die Stiftung beteiligt. Dies ist jedoch bisher nicht in dem Umfang der Fall, wie es wünschenswert wäre. Firmen, die - wie die Lübecker Dräger-Werke verhältnismäßig früh mit der Aufarbeitung eines dunklen Kapitels ihrer Firmengeschichte begonnen und die sich zu ihrer historischen und moralischen Verantwortung bekannt haben, bilden leider die Ausnahme, verdienen es aber, besonders gewürdigt zu werden.
Es wäre daher mehr als wünschenswert, wenn sich mehr Unternehmen - auch aus Schleswig-Holstein - an der Stiftungsinitiative zur Entschädigung der Zwangsarbeiter beteiligen würden.
Ich finde es darüber hinaus bemerkenswert, dass die Landwirtschaftliche Rentenbank 10 Millionen DM in den Stiftungsfonds eingezahlt hat. Im Übrigen gibt es Einzahlungszusagen aus der Wirtschaft in nicht unbeträchtlichem Umfang. Wir haben keinen Grund, daran zu zweifeln, dass diese Zusagen auch eingehalten werden. Dennoch: Es gibt Zeitdruck. Es ist erforderlich, dass die Finanzierungszusagen möglichst schnell auch erfüllt werden; denn die Anspruchsberechtigten sind in einem hohen Lebensalter. Das Kapitel der deutschen Geschichte, das wir jetzt aufarbeiten, liegt mehr als 55 Jahre zurück und der Kreis der Anspruchsberechtigten wird ständig kleiner.
Im Übrigen sieht das Stiftungsgesetz vor, dass die Leistungsberechtigten der Kategorien 1 und 2 vorrangig entschädigt werden, also Inhaftierte von Konzentrationslagern und Ghettos beziehungsweise Deportierte, die haftähnlichen Bedingungen oder vergleichbaren, besonders schlechten Lebensbedingungen unterworfen waren. Das halte ich auch für angemessen.
Leistungsberechtigte der Kategorie 3 - über die reden wir hier ja in erster Linie - werden also eine Entschädigung, die nicht nur symbolisch ist, nur dann erhalten können, wenn die Finanzierungszusagen der Wirtschaft eingehalten werden und die Finanzierung des Stiftungsfonds in dem im Gesetz vorgesehenen Umfang auch erfolgt.
Nach dem vom Deutschen Bundestag mit großer Mehrheit angenommenen Stiftungsgesetz soll ein Teil des Stiftungsfonds in näherer Zukunft dazu dienen, die Erinnerung an den Holocaust und das Gedenken der Opfer wach zu halten und so einer Wiederholung solcher Entwicklungen entgegen zu wirken. Mit seinen Erträgen sollen nicht zuletzt auch Projekte der Jugendbegegnung und der internationalen Zusammenarbeit zur Sicherheit von Frieden und Menschenrechten
gefördert werden. Auch die Interessen der Erben und Hinterbliebenen von Opfern nationalsozialistischer Unrechtsmaßnahmen sollen berücksichtigt werden. Alle diese Aufgaben können nur wahrgenommen werden, wenn die erforderlichen Mittel in den Entschädigungsfonds eingezahlt werden.
Ich hoffe daher, dass der Appell des Landtags Früchte trägt und dass er nicht heute vergebens beschlossen wird. Wir stimmen dem Antrag von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorgestern fand vor einem Gericht in New York eine Anhörung statt im Verfahren über die letzte bisher anhängige Sammelklage ehemaliger Zwangsarbeiter, diesmal gegen deutsche Banken. Die Beklagten und die Vertreter der Regierung der Vereinigten Staaten haben die Abweisung der Klage beantragt. Das Gericht hat noch keine Entscheidung gefällt. Wenn man der „Süddeutschen Zeitung“ von heute glauben darf, dann hat die Bundesrichterin ihre Entscheidung, die Klage nicht sofort abzuweisen, unter anderem damit begründet, dass sie Zweifel daran hege, dass die deutsche Wirtschaft den zugesagten Betrag in den Entschädigungsfonds wirklich einbringen könne.
Mit einer Abweisung der Klage würde der Weg frei für die Anerkennung des Rechtsfriedens durch den Deutschen Bundestag, qua Gesetz Voraussetzung dafür, dass die Auszahlungen aus dem Entschädigungsfonds beginnen können. Die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ könnte dann endlich mit den Auszahlungen an die überlebenden Opfer beginnen. Leider müssen wir immer noch darauf warten.
Zwangsarbeit war ein wesentlicher Teil des Unrechts der Nazidiktatur. Sie fand aber lange Zeit in der Öffentlichkeit eine nur vergleichsweise geringe Beachtung. Herr Kollege Weber, alle die, die nicht freiwillig hier waren, waren per definitionem zwangsweise hier. Die Gräuel des Holocausts haben viele andere Facetten der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft in den Hintergrund gedrängt. In Deutschland wurden während des Zweiten Weltkrieges bis zu 8 Millionen Zwangsarbeiter „beschäftigt“. Das ist eine höfliche Umschreibung für die gewaltsame Verschleppung in die Sklaverei. Von Kindern bis zu Frauen und Männern im Greisenalter wurde niemand verschont. Herr
Kollege Geißler, ich weigere mich, in diesem Zusammenhang von Beschäftigungsverhältnissen zu reden mit einer Lohndifferenzierung, so als sei dies im Rahmen von Tarifvereinbarungen zwischen gleichen Partnern geschehen.
Diese Menschen wurden unter unsäglichen Bedingungen in allen Bereichen der deutschen Wirtschaft eingesetzt; ich bin natürlich froh, dass es dabei auch Menschlichkeit gegeben hat, aber sie wurden zwangsweise aus ihren Familien herausgerissen, deportiert, verschleppt und zum überwiegenden Teil versklavt. Vielerorts wurden sie in Schleswig-Holstein auch bei der öffentlichen Hand eingesetzt, und, Herr Kollege Weber, die Tatsache, dass bei uns in SchleswigHolstein im landwirtschaftlichen Bereich mehr Menschen eingesetzt wurden als vergleichsweise anderswo, bedeutet auch eine besondere Verpflichtung unseres Landes. Darauf komme ich noch zurück.
Die Schicksale der Opfer müssen uns eine ewige Warnung vor den Folgen totalitärer staatlicher Macht sein und diese Schicksale begründen unser geschichtliches Vermächtnis: Totalitarismus muss bekämpft und verhindert werden, wo immer er sich zeigt.
Der Bundeskanzler hat diese Gedanken in seiner Rede vor dem Bundestag am 14. April 2000 treffend formuliert - ich zitiere wörtlich -:
„Wir können und dürfen uns nicht auf das verbale Bekenntnis beschränken, solche Barbarei nicht wieder geschehen zu lassen. Wir müssen etwas dafür tun.“
Ich denke, die vorliegende Entschließung beschränkt sich auf das verbale Bekenntnis und trägt nichts zum Tun bei. Die ständige Wiederholung des Anerkenntnisses der geschichtlichen Verantwortung Deutschlands und der Bitten um Vergebung stärkt deren Wirkung nicht.
Die Sterberate der überlebenden Zwangsarbeiter ist so hoch, dass sich ihre Zahl derzeit alle drei Jahre halbiert, und diese Entwicklung wird sich beschleunigen. Je länger wir diskutieren, desto burlesker wird die Veranstaltung, weil wir möglicherweise zu dem Zeitpunkt, zu dem die Auszahlungen möglich werden, überhaupt niemanden mehr haben, der als Empfänger in Betracht kommt.
Für die Überlebenden kommt es auf ein zügiges tatkräftiges Engagement an. Diese Resolution des Landtages ist wohl kaum tatkräftig zu nennen.
Ein Beispiel: Die Antragsteller möchten, dass der Landtag „mit Sorge“ zur Kenntnis nimmt - ich zitiere -, „dass nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge ein großer Teil besonders derjenigen Zwangsarbeiter, die in der schleswig-holsteinischen Landwirtschaft eingesetzt wurden, durch das Entschädigungsverfahren entweder gar keine Leistung“ erhält oder nur eine so geringe, dass sie nur als Almosen bezeichnet werden kann. Der alleinige Ausdruck der Sorge wird den Betroffenen nicht helfen, Herr Kollege Weber! Vielleicht wäre es angesichts dieser Sorge sinnvoller gewesen, wir hätten uns alle dazu durchgerungen zu fragen, ob wir nicht weitere Mittel in unseren Haushalt einstellen müssen, um dieser Sorge auch tatkräftig etwas beizufügen.
Vielleicht wäre es sinnvoller gewesen, Kollege Weber, zusätzliches Geld in die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ einzubringen, als dieses Geld für ein geschichtliches Gutachten aufzuwenden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, „mit Sorge“ setzen wir auch kein Zeichen für das angemessene Engagement der Unternehmen. Von den zugesagten 5 Milliarden DM der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft fehlen noch knapp 1,4 Milliarden DM. Angesichts der Beträge, die in so manche Werbekampagne fließen oder in Sponsoring von Sportveranstaltungen und anderes, finde ich dies beschämend.
Allerdings wird die Aufforderung an die Unternehmen, sich ihrer historischen Verantwortung zu stellen, keine zusätzliche Mark in die Stiftung bringen. Wenn die bisherigen Aufforderungen nicht ausgereicht haben, wird auch die unsrige wenig bewirken.
Etwas tun, das könnte zum Beispiel bedeuten, die Firmen medienwirksam besonders herauszustellen, die schon Beiträge geleistet haben, wenn diese Firmen es denn wollen. Es kann ja auch so etwas geben wie einen Mainstream hin zur Beteiligung an der geschichtlichen Aufarbeitung, unabhängig von der Frage, ob man selbst in der Verantwortung steht, als Teil der Kampagne, ein neues Bild des neuen Deutschlands nach außen zu transportieren.
Ich glaube, dass hierdurch ein öffentlich wirksamer Anreiz für weitere Unternehmen erzeugt werden kann,
sich zu beteiligen. Wahrscheinlich kaum wahrgenommen werden hingegen auffordernde Satzteile im komplizierten Wortgeflecht des vorliegenden Antrags.