Protocol of the Session on December 15, 2000

um sozusagen der Anziehungskraft des „Clubs 88“ etwas entgegenzusetzen. Das ist für mich ein nachhaltiges schlagendes Beispiel dafür, wie wichtig es ist, die Arbeit von Schule und Jugendhilfeeinrichtungen besser miteinander zu verzahnen.

(Beifall bei F.D.P., BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteilte ich jetzt der Frau Abgeordneten Angelika Birk.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin sehr froh darüber, dass wir hier über einen gemeinsamen Antrag reden. Immerhin handelt es sich um einen Gegenstand, der in den Koalitionsverhandlungen viele Stunden Zeit in Anspruch genommen hat. Umso mehr freue ich mich, dass die grüne Leitidee von Schule auf diese Weise in einen umfassenden Entwurf eines Antrages der SPD-Fraktion Eingang gefunden hat - ich kann jeden Satz, den Frau Herdejürgen hier gefunden hat, unterstreichen

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

(Angelika Birk)

und dass auch die Opposition zu Ergänzungen inspiriert wurde.

(Dr. Heiner Garg [F.D.P.]: Wir folgen der grünen Leitidee!)

Wir haben ja darüber hinaus - das möchte ich in Erinnerung rufen - an den letzten beiden Tagen die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen im Haushalt 2001 geschaffen. Durch die Änderung des Jugendförderungsgesetzes - das heißt durch das Freischaufeln von Mitteln genau für diesen Auftrag - und den neuen Schwerpunkt im Kommunalen Investitionsfonds für die Sanierung von Schulgebäuden sind gute Grundlagen geschaffen worden, tatsächlich rasch einen Schritt weiterzukommen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Erweiterung von Schulen zum Stadtteil- und Dorfzentrum sollte jetzt nichts mehr im Wege stehen.

Ich habe mich in der Vorbereitung auf diese Rede auf ein paar etwas banale Sätze konzentriert, weil ich nicht wusste, wie schnell wir hier zu einer Einigung kommen würden. Ich möchte diese Sätze trotzdem in den Raum stellen, weil sie nach meiner Meinung schlaglichtartig das Problem deutlich machen, zu dem wir eine positive Vision - beziehungsweise, weil wir die Vielfalt in unserem Lande schätzen, auch mehrere positive Visionen - entwickeln müssen.

Schule funktioniert weder als Lehranstalt noch als Lernfabrik. Sie sollte deshalb auch nicht so aussehen. Jugendzentren müssen mehr bieten als eine Bude zum Rumhängen. Man sollte dort nicht einsam sein, es sollte dort nicht nur einfach etwas passiv angeboten werden, sondern es sollte für alle Spaß machen, dort hinzugehen - für Mädchen und Jungen, für arme und reiche Jugendliche.

Kinder gehören nicht dem Werbefernsehen. Trotzdem wissen wir, dass das Fernsehen zunehmend die einzige pädagogische Daueranstalt für Kinder ist. Das Jugendamt darf nicht warten, bis mal jemand vorbeikommt, sondern es hat die Aufgabe, aktiv auf die Leute zuzugehen. Türkische Kinder sind nicht dümmer als deutsche. Warum finden wir sie aber überproportional häufig an Hauptschulen und insbesondere an Förderschulen? Und: Mütter sind nicht an allem schuld!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Manche pädagogische Auseinandersetzung vor Ort hat aber leider diesen bitteren Beigeschmack. Es gibt allerdings längst die Initiativen von Eltern, die sagen: Wir möchten für unsere pädagogischen Fragen an unserer Schule einen Ort des Austauschs haben. Erziehungsberatungsstellen irgendwo weitab sind nicht das, was wir brauchen; wir brauchen Elternschulen

im Zusammenhang mit der pädagogischen Auseinandersetzung mit den Schulproblemen.

Es gibt längst die Initiative in Form von Lerninseln, in denen sich Erzieher, Sozialpädagogen, Lehrerinnen und Lehrer zusammengetan haben, um jenen Kindern und Jugendlichen, die eigentlich gar nicht mehr zur Schule kommen wollen, wieder einen neuen Ansatz zu geben.

Wir haben die Partizipation von Kindern und Jugendlichen am Konfliktmanagement, an der Gestaltung ihrer Schule; wir haben inzwischen Polizisten und Lehrerinnen und Lehrer, die gemeinsam Unterricht gestalten, und Künstlerinnen und Künstler, die Projektwochen an Schulen veranstalten, von denen die Kinder noch drei Jahre später sprechen.

Alles dies - von der betreuten Grundschule bis zur Kooperation mit den Handwerkskammern - gehört eigentlich, wenn wir das Schulgesetz, unser KJHG und das Jugendförderungsgesetz des Landes lesen, zur Schule dazu, aber auch zur Jugendarbeit - sei es die der freien Träger, sei es die der öffentlichen Jugendhilfe. Trotzdem ist das Selbstverständnis vieler Menschen immer noch: Dies ist die Ausnahme; dies ist das, was mit viel Einzelengagement und Ehrenamt zustande kommen darf, was aber, wenn es mit den Mitteln knapp wird, am ehesten wieder auf der Kippe steht.

Wir sollten uns hinsichtlich des Geldes keine Illusionen machen. Wir haben einfach nicht mehr Geld. Wir haben Landesmittel für den Unterricht, wir haben Landesmittel zur Bezuschussung der Jugendhilfe vor Ort und wir haben Jugendhilfemittel vor Ort. Alle diese Titel sind in den letzten Jahren dank sehr heftiger Umverteilungsmaßnahmen sowohl des Landes als auch der Kommunen drastisch gestiegen. Das ist gut so, denn obwohl es immer weniger Kinder und Jugendliche gibt, sind es eben nicht einfach mehr die Familien und sind es erst recht nicht die Mütter allein, die in unserer modernen Zeit die gesamte Erziehungsleistung erbringen können. Wir brauchen gute öffentliche Orte und nicht nur Hilfs- und Auffangkonstruktionen für die Erziehung, für die Begegnung zwischen Kindern und Jugendlichen und Kindern und Erwachsenen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Genau deswegen müssen wir sehr sorgsam darauf achten, dass das Schwarzer-Peter-Spiel aufhört: Wer zahlt jetzt: Kommune oder Land, die Jugendhilfe, also die kommunale Abteilung Jugendamt, oder der Schulträger - sprich: die entsprechenden Organisationen der Schulräte -? Wer zahlt: Jugendministerium oder Bildungsministerium oder vielleicht die Gesundheitsministerin, weil es um ein Schulfrühstück zur Ergänzung der Ernährung der Kinder geht, die heute ja oft

(Angelika Birk)

hungrig in die Schule kommen? Wer zahlt: Der Innenminister oder vielleicht weil es sich um ein Kunstprojekt handelt, die Kunstabteilung des Bildungsministeriums?

Die Antworten auf diese Frage sollten wir nicht dem Zufall überlassen, sondern wir sollten unsere Fantasie bündeln. Dieser Auftrag geht jedenfalls einstimmig von diesem Hause - vom Parlament - an die Regierung, die vielen guten Ideen, die es in allen Ministerien wie auch in vielen kommunalen Ämtern, in vielen freien Verbänden gibt, zu bündeln und einen Handlungsleitfaden zu entwickeln, der die Vielfalt nicht einschränkt, sondern die Finanzierung und das Regelwerk auf gute, klare und transparente Füße stellt.

Wir stellen uns ganz pragmatisch vor, dass diejenigen, die konkrete Kooperationsverträge zwischen Jugendamt und Schule haben, auch von den Lösungen, die wir in einer Vision vor uns sehen, finanziell profitieren sollen. Wie das genau abgewickelt wird - das muss jetzt die Stimme der Regierung sein, die mit den Kommunen, aber auch mit Arbeitsämtern und Kammern sowie allen zu Beteiligenden ein gutes Konzept auszuhandeln hat, das dann auch einen breiten Konsens findet.

Gerade für diesen nicht einfachen Verhandlungsprozess mit der kommunalen Ebene - ich erinnere an gewisse Auseinandersetzungen um 100 Millionen DM in den letzten Monaten - ist es wichtig, dass der Landtag mit einer Stimme spricht und der Regierung einen umfassenden, aber zugleich auch pragmatischen Handlungsauftrag gibt.

Sie haben Recht, Herr de Jager, auch wir Grünen haben immer darauf hingewiesen: Guckt doch einmal nach Dänemark. Dort ist die Finanzierung von Schule ganz anders verankert und dort gelten ganz andere Regeln, gilt nämlich die Verantwortung der Kommunen.

Wir machen uns aber keine Illusionen. Wenn wir jetzt nur sagen, wir müssten die Grundlagen neu erforschen, dann haben wir dadurch erstens nicht mehr Geld und zweitens könnte es sehr viel länger als bis zum September dauern, bis uns eine Antwort vorliegt. Insofern begrüße ich auch Ihren Mut zum Pragmatismus, zu ersten Schritten. Gleichwohl gebe ich Ihnen Recht, wenn Sie sagen, dass wir diese Frage im Blick behalten sollten, wenn wir programmatisch weiterkommen wollen. Wir sollten also keine Lösungen umsetzen, die zukünftiger Weisheit entgegenstehen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Insofern bin ich an dieser Stelle sehr dankbar dafür, dass wir uns hier einigen konnten. Ich wünsche der Regierung eine glückliche Hand bei der Umsetzung

und erwarte, dass wir im Mai einen ersten mündlichen Zwischenbericht im Fachausschuss erhalten. Wichtig ist aber auch, dass wir dann im September das Konzept, das uns vorgelegt werden wird, genauso einmütig begleiten, damit es in den nächsten Schuljahren rasch zu spürbaren Änderungen kommt.

Sie alle sind ja auch in Ihren Kommunen vor Ort tätig und kennen den einen oder anderen. Ihrer Hilfe ist es mit zu verdanken, wenn beispielsweise bei der Schulbausanierung nicht nur an das Energiesparen gedacht wird - das ist uns ebenfalls sehr wichtig -, sondern auch daran, wie die Schule für die hier skizzierten Aufgaben zukünftig besser funktionieren kann. Sie alle sind vor Ort sicherlich auch hilfreich, wenn Sie mit Bürgermeistern und Landräten darum streiten, dass diese Ausgabe nicht Luxus ist, sondern zur Daseinsvorsorge gehört und dass alle von der ganzheitlicheren Betrachtungsweise nur profitieren können: die Kinder und Jugendlichen, die sich nicht zwischen Institutionen hin- und hergerissen fühlen, die nicht miteinander reden, die Kämmerer, die wissen, dass das Geld vor Ort gut und effizient - da ganzheitlich - eingesetzt wird, und schließlich die Eltern, die mit gutem Gewissen ihre Kinder den öffentlichen Institutionen im guten Sinne des Wortes überlassen dürfen, wenn sie selber berufstätig sind oder auch in der einen oder anderen Erziehungsfrage nicht mehr weiter wissen.

Ich freue mich auf die Debatte im September.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Das Wort hat jetzt für den SSW Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk.

(Abgeordnete Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] stellt eine Christstern- pflanze auf den Stenografentisch)

- Das war jetzt der parlamentseigene Blumendienst; vielen Dank!

(Heiterkeit)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Wochen und Monaten haben wir im Zusammenhang mit einer Reihe von sozialen Problemen festgestellt, dass nur durch eine Verzahnung von Schule und Jugendhilfe die effektive Bearbeitung bestimmter Probleme möglich ist, seien es nun der Rechtsextremismus, das verhältnismäßig geringere Problem des Schuleschwänzens oder Probleme der Migrantenkinder. Nur wenn Pädagogen und Sozial

(Anke Spoorendonk)

pädagogen gemeinsam vorgehen, lassen sich bestimmte Probleme der Kinder und Jugendlichen Erfolg versprechend angehen.

Bisher war die Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe vor allem indiziert, wenn es um die Lösung konkreter Probleme bei konkreten Jugendlichen ging. Die Kooperation von Schule und Jugendhilfe ist mit anderen Worten lange einzelfallbezogen gewesen. Noch 1996 hat die damalige Bildungsministerin Empfehlungen für die Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe herausgegeben, die ausschließlich auf ein gemeinsames Vorgehen im Umgang mit konkreten Personen Bezug nimmt. Um vorbeugende Kooperationsprojekte, die nicht von vornherein auf bestimmte Individuen abzielen, ging es damals noch nicht.

Nun ist es aber weder sinnvoll noch besonders erfolgversprechend, wenn die Lehrer und Sozialpädagogen erst eingreifen, wenn massive Probleme bei den Kindern und Jugendlichen bereits vorhanden sind. Daher ist in den letzten Jahren die Einsicht gewachsen, dass man gemeinsam sehr früh tätig werden muss.

Wie der Antrag ganz richtig feststellt, lässt sich durch eine solche Zusammenarbeit viel besser und ganzheitlicher präventiv arbeiten. Dabei sollen Schule und Jugendhilfe einander nicht ersetzen, aber mit Vorteil ergänzen. Damit lassen sich Aufgaben bewältigen, die beide jede für sich nicht erledigen können.

In den letzten Jahren sind in Schleswig-Holstein eine ganze Reihe solcher Projekte eingerichtet worden, in denen die Zusammenarbeit mit der Jugendhilfe bereits gelebt wird. In Flensburg zum Beispiel hat man in sozialen Brennpunkten diese Zusammenarbeit suchen müssen, um die Probleme der Schülerinnen und Schüler anzugehen. Dabei hat sich gezeigt, dass man gleichzeitig anstreben kann, die Probleme von Gruppen zu bearbeiten beziehungsweise zu vermeiden, und gleichzeitig auch die einzelfallbezogene Hilfe verbessern kann. Die Lehrerinnen und Lehrer erkennen früh die Probleme und können Betreuung und Hilfe auch außerhalb der Schulzeit veranlassen. Die Rückmeldung aus diesen Projekten ist positiv.

Wir können deshalb nur begrüßen, wenn jetzt vorgeschlagen wird, diese Projekte zu evaluieren, Qualitätskriterien zu entwickeln und die Kooperation von Schule und Jugendhilfe auf ein rechtlich, finanziell und organisatorisch solides Fundament zu stellen.

(Beifall bei SSW und SPD)

Auch die Idee eines Handlungsleitfadens ist gut. So können die bisherigen Erfahrungen aufgegriffen werden und eine wertvolle Basis für neue und bestehende Projekte bilden. Es versteht sich von selbst, dass die Initiierung und Umsetzung solcher Projekte wesentlich

erleichtert wird, wenn man nicht selbst den Stein der Weisen finden muss. Wir freuen uns also darüber, dass es zu einem interfraktionellen Antrag gekommen ist. Dadurch wird deutlich gemacht, dass wir nur gemeinsam weiterkommen können.