Protocol of the Session on November 17, 2000

Jetzt komme ich zu den Leitsätzen.

Erster Leitsatz: Die Aufgaben müssen überprüft werden und insbesondere Mehrfachangebote müssen abgebaut werden. Das ist so selbstverständlich wie das Amen in der Kirche, findet aber nicht statt. Drei Akteure machen Ernährungsberatung, auch die Verbraucherzentrale zu 15 %. Das muss nicht sein.

Zweiter Leitsatz: Wir brauchen eine flächendeckende Beratung. Das heißt aber nicht, dass wir 18 oder wie in der Planung - 15 Stellen im kleinen SchleswigHolstein brauchen. Im fünfmal so großen Bayern gibt es 16. Da stimmt irgendetwas nicht. Da müssen wir ran.

Dritter Leitsatz: Neue Medien nutzen! Das ist okay und mit der europäischen Verbraucherzentrale eingeführt. Aber das muss es nicht kostenlos geben. Telefon, Fax, Internet können sehr wohl etwas kosten. Hier aber auch einmal ein Lob: Es gibt einen gemeinsamen Faxabruf der Verbraucherzentrale mit MecklenburgVorpommern. Diese Wege müssen wir weiter gehen.

Vierter Leitsatz: Die Einnahmen sind zu verbessern. Das weiß jeder. Man kann Sparen und die Einnahmen verbessern. Der Eigenmittelanteil liegt im Haushalt der Verbraucherzentrale bei 13 %. Das lässt sich steigern. Man hat Nutzen, wenn man zur Verbraucherzentrale geht. Ich bin auch bereit, darüber zu diskutieren, wieweit wir die absolute Unschuld, das heißt keine Werbung, keine Kooperation mit der Wirtschaft, wieweit wir dies weiter schwarz-weiß diskutieren müssen oder ob es Wege gibt, auch hier Gelder, Mittel und Angebote zu akquirieren.

(Ministerin Ingrid Franzen)

Fünfter Leitsatz: Die Effizienz ist zu überprüfen. Was meine ich damit, was meinen wir eigentlich immer damit, wenn wir von Effizienz sprechen? Wir meinen nicht die Anzahl der Leute, die die Nase in die Tür stecken und Material mitnehmen. Das ist wie beim Tourismusverband. Da ging es auch nicht darum, wie viel Material wir verschickt haben und ob wir das Porto dafür hatten, sondern es geht darum, wie viele Gäste kommen. Die Verbraucherzentrale hat null Ahnung, wie viel Leute erfolgreich oder auch nicht erfolgreich ihre Beratung nutzen. Aber das will ich wissen, so etwas kann man herauskriegen und dafür muss man sich erst einmal diese Frage stellen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Sechster Leitsatz - das soll der letzte sein; nicht, weil mir nicht mehr eingefallen sind, sondern deswegen, weil man in fünf Minuten nicht mehr bringen kann -: Wir müssen ein bisschen weg von der aufsuchenden, wartenden Beratung hin zur hingehenden Beratung. Holen wir doch den Verbraucher dort ab, wo er steht! Dann ist die Trefferquote viel sicherer.

Abschlussbemerkung! Ich habe eine große Bereitschaft und große Lust zur konzeptionellen Zusammenarbeit. Ich will den Landtag über den Fachausschuss inhaltlich gern beteiligen. Verbraucherberatung ist und bleibt eine öffentliche Aufgabe in der modernen Gesellschaft. Mein Ziel wird sein - ich hoffe, das gemeinsame Ziel wird sein -, ein zukunftsfähiges, effizientes, finanzierbares Konzept auf der Grundlage der Leitsätze gemeinsam mit der Verbraucherzentrale und mit allen anderen Beratungsmöglichkeiten, die wir in Schleswig-Holstein haben, zu erarbeiten.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich danke der Frau Ministerin für ihren Bericht. Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich darauf hinweisen, dass natürlich auch der von mir nicht erwähnte Antrag der CDU, der heute Morgen vorgelegt worden ist, Drucksache 15/539, zur Aussprache steht. Damit erteile ich das Wort Herrn Abgeordneten Dr. Graf Kerssenbrock.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin Franzen, wenn man Ihre Politik sieht und Ihre Worte hört, dann passt das nicht zusammen. Verbraucherpolitik ist nicht das fünfte Rad und sozusagen die letzte Kolonne der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, sondern sie ist eine originäre staatliche

Aufgabe auch im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft. Die Grenzen des Wettbewerbsrechts werden gelockert, die Werbung wird schrankenloser, neue Kommunikationstechniken strömen auf die Menschen ein und da fahren Sie die Mittel der Verbraucherberatung systematisch zurück und zerstören im Grunde die Verbraucherberatung. Das ist leider der Punkt. Und dann reden Sie davon, dass es eine besondere, neue Herausforderung und eine große politische Aufgabe sei. Das ist zwar richtig, aber dann können Sie Ihre Politik der Mittelverwendung so nicht fortsetzen.

(Beifall bei der CDU)

Wenn der Staat die Verbraucherberatung schon nicht selbst wahrnimmt, obwohl man sie durchaus als staatliche Aufgabe begreifen könnte - wie in SchleswigHolstein -,

(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist ja unglaublich! Sie glauben doch nicht, dass der Staat eine Verbraucher- beratung machen soll!)

dann darf dieses Outsourcing nicht zur völligen Aufgabe der Verbraucherberatung führen. Genau dies ist gegenwärtig der Fall.

- Frau Kollegin, ich kann Sie akustisch leider nicht verstehen; ich würde gern darauf eingehen.

Dann müssen Sie auch deutlich sagen, dass Sie die Arbeit der Verbraucherzentrale so nicht mehr wollen, und das müssen Sie dann auch vertreten. Aber Sie können nicht herkommen und sagen: Das ist ein besonderer Schwerpunkt für uns, aber Mittel kriegt ihr überhaupt nicht mehr.

(Beifall bei CDU und F.D.P.)

Wenn Sie über die Ernährungsberatung reden - wir haben uns gestern in der Agrarausschusssitzung, an der Sie leider nicht teilgenommen haben, Frau Ministerin, darüber aufklären lassen, dass das, was an Ernährungsberatung von der Landwirtschaftskammer geleistet wird, und das, was an Ernährungsberatung von der Verbraucherzentrale geleistet wird, zwei völlig unterschiedliche Paar Schuhe sind -, wenn Sie das zusammenstreichen wollen, kürzen Sie echte Verbraucherberatung. Das führt dazu, dass selbstverständlich die Verbraucher, die früher in den Genuss der Beratung gekommen wären, unaufgeklärter bleiben.

Sie spielen auch mit falschen Karten, wenn Sie behaupten, dass die Verbraucherzentrale endlich ein Konzept auf den Tisch legen müsste. Ihre Leute sitzen mit im Vorstand der Verbraucherzentrale und wissen sehr genau, dass an diesem Konzept seit Jahren trotz geringer werdender Mittel ständig gearbeitet wird und man sich ständig bemüht, bei geringer werdenden

(Dr. Trutz Graf Kerssenbrock)

Mitteln konzeptionell noch à jour zu bleiben. Aber die Umweltberatung ist inzwischen vollständig eingestellt worden, davon ist nichts mehr übrig geblieben; das haben Sie zu verantworten.

Frau Ministerin, entweder sind Sie in Ihrem Ministerium eine nicht wahrgenommene Instanz, an der die Politik Ihres Hauses vorbeiläuft, oder aber Sie handeln ganz anders als so, wie Sie es hier von sich geben.

(Zuruf der Abgeordneten Ursula Kähler [SPD])

Meine Damen und Herren, Verbraucherberatung tut in völlig anderer Weise Not. Wenn wir verhindern wollen, dass etwa im IT-Bereich die Kluft dieser Gesellschaft zwischen Wissenden und Unwissenden immer größer wird - und das müssen wir verhindern; das ist die gesellschaftspolitische Herausforderung, vor der wir stehen -, wenn wir verhindern wollen, dass eine neue Klassengesellschaft von Wissenden und Unwissenden entsteht, dann hat die Verbraucheraufklärung zur Gewährleistung und zur Ermöglichung der Marktteilnahme eine überragende Rolle und Sie sind gegenwärtig dabei, diese überragende Rolle systematisch zu zerstören. Dabei machen wir nicht mit.

(Lebhafter Beifall bei CDU und F.D.P.)

Ich erteile das Wort der Frau Abgeordneten Kruse.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kerssenbrock, Ihr Beitrag in allen Ehren, aber Sie haben offensichtlich weder der Ministerin zugehört noch den Bericht gelesen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein ist die Leitstelle zur Förderung der Verbraucherarbeit im Bundesland Schleswig-Holstein. Diesen Satz schreibt sich die Verbraucherzentrale selbst in das 1998 vorgelegte Argumentationspapier. Die inhaltlichen Schwerpunkte der Aufklärungs- und Beratungsarbeit sind uns bekannt und die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger liegt vor allem in der gewährleisteten Unabhängigkeit. Obwohl uns dies alles bekannt ist, können wir doch nicht die Augen vor der Tatsache verschließen, die vor allem in der Organisationsstruktur liegt, wie Frau Franzen das vorhin angesprochen hat. Die notwendigen Straffungen und Veränderungen, die wir auch an anderer Stelle immer wieder einfordern, können und müssen auch der Verbraucherberatung zugemutet werden.

Dafür möchte ich gern ein paar Beispiele geben - es ist vorhin schon angesprochen worden -: In den 15 Kreisen in Schleswig-Holstein gibt es 18 Beratungsstandorte. Daneben gibt es überschneidend an mehreren Standorten ebenfalls Beratungsstellen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung und der Landwirtschaftskammer. Oftmals beraten diese zu gleichen oder ähnlichen Themen und Inhalten. Es muss darüber nachgedacht werden, beispielsweise die verschiedenen Beratungsstellen in einem Beratungszentrum zusammenzufassen und die Themen so zu verteilen, dass sie nicht mehr parallel beraten werden.

(Beifall der Abgeordneten Holger Astrup [SPD] und Ursula Kähler [SPD])

Diese Arbeit funktioniert auf anderen Themenfeldern im Bereich Technologie - hervorragend. Neue Aufgabenverteilungen und vor allen Dingen neue Strukturen und Finanzierungen werden auf allen Ebenen diskutiert und müssen vor allem wegen der Finanzlage auch hier diskutiert werden. Diese Kooperationsmodelle sind bereits vor einem Jahr im Landtag ausführlich besprochen worden. Aus der Umsetzung ist dagegen nicht viel geworden. Zum Thema Umsetzung verweise ich auf die Internetpräsentation. Gerade auf diesem Feld ist viel zu tun, weil insbesondere jüngere Verbraucher nicht mehr persönlich Beratungsstellen aufsuchen. So gibt die Verbraucherzentrale auf ihrer Homepage selbst bekannt: „Aktuelles ist das Salz in der Suppe unserer Arbeit. Schauen Sie doch mal in unseren Pressedienst hinein!“

Wenn man dieser Aufforderung folgt, stellt man leider fest, dass diese Suppe äußerst salzarm ist. Das macht für den Bereich der Ernährungswirtschaft sicherlich Sinn. Den informationssuchenden Bürger verärgert die spärliche Betreuung des so genannten Pressedienstes mit seinen veralteten Artikeln zu Recht. Ob die angebotenen Broschüren über BSE und andere wichtige Dinge auch veraltet oder auf dem aktuellen Stand des Wissens sind, kann man daraus nicht ersehen. Nirgendwo wird ein Erscheinungsdatum angegeben.

Im krassen Gegensatz dazu steht das vorbildliche Website-Projekt des europäischen Verbraucherzentrums. Bei der mit EU-Mitteln geförderten Kieler Präsentation hat die schleswig-holsteinische Verbraucherzentrale selbst gezeigt, wie es geht.

(Glocke des Präsidenten)

Frau Abgeordnete, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Graf Kerssenbrock?

(Unruhe)

Umso mehr verwundern die Defizite der eigenen zentralen Präsentation. Denn gerade in der so vielfältigen Medienarbeit, der sich unsere Bürgerinnen und Bürger heute bedienen können, ist die Darstellung wichtiger denn je, gerade auch wegen des Wettbewerbs, der sich hier stellt. Die Informationen, die geliefert werden, werden auch von vielen anderen bedient. Ich verweise auf die Informationen von Ökotest, Stiftung Warentest, Krankenkassen, Eltern für unbelastete Nahrung, ARD-Ratgeber Gesundheit, Internet-Angebote der anderen und fast alle 163 Volkshochschulen des Landes zum Beispiel im Fachbereich Gesundheit und Ernährung. Dazu gibt es Familienbildungsstätten und alle möglichen Printmedien. Insofern ist es nicht nur sinnvoll, sondern vielmehr unumgänglich, über die Strukturen nachzudenken.

(Beifall der Abgeordneten Ursula Kähler [SPD] und Silke Hinrichsen [SSW])

Wenn die Verbraucherzentrale in ihrem Schreiben vom September 2000 zu den jetzigen Sparvorschlägen folgenschwere Beschlüsse wie die Schließung der Beratungsstellen in Neumünster, Bad Segeberg und Schleswig ankündigt, dann ist dies nicht ein neuer Beschluss, sondern die konsequente Umsetzung der bereits im Juni angekündigten Optimierung der Standorte.

(Friedrich-Carl Wodarz [SPD]: Sehr richtig!)

Nun zu dem, was im Antrag steht! Wenn wir uns wirklich von den Verbraucherberatungsstellen darüber belehren lassen müssen, ob es sinnvoll ist, dass Sechsjährige in ihrem Schulranzen ein Handy benötigen, frage ich mich, ob dort auch pädagogisch unterrichtet werden soll.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW - Glocke des Präsidenten)

Frau Abgeordnete, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich komme zum Ende. - Die Optimierung der Standorte war sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung, aber er kann nicht der letzte sein. Die Verbraucherzentrale kann sich nicht auf die Zeit verlassen, die da kommt; denn die Zukunft ist die Ausrede all jener, die in der Gegenwart nichts tun wollen.

Wir wollen daher alles tun, dass es effizienter wird, und wir werden sicherlich konsequent in die richtige Richtung beraten.