Protocol of the Session on November 16, 2000

(Beifall bei der CDU)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich der Frau Abgeordneten Angelika Birk.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Wir haben eine wichtige Frage vor uns, nämlich die Frage, welches Leitbild die Arbeitsverträge der Zukunft führt: nur Vollzeit, aber dafür befristet, womöglich immer wieder in Kettenverträgen verlängert und mit unbefristeten Überstunden? Diesen Eindruck habe ich gewonnen, als ich mir den Antrag der F.D.P.Fraktion durchgelesen haben.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Frau Birk, man sieht, dass Sie keine Ahnung haben!)

Es geht aber darum, das, was im Augenblick von den Arbeitsgerichten in vielen Einzelurteilen arbeitsrechtlich ausgehandelt worden ist, endlich in ein insgesamt kohärentes Recht zu gießen. Das verlangt von uns die EU. Da gibt es die entsprechende Richtlinie, der die Bundesregierung und die Landesregierung folgen müssen.

(Martin Kayenburg [CDU]: Sie sollten über das reden, wovon Sie etwas verstehen!)

Das macht Sinn, denn wir kommen damit endlich in vielen Fragen, die die Arbeitsgerichte sonst mühsam beschäftigen würden, zu Rechtssicherheit.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Das ist doch völliger Quatsch!)

Das will auch das Bündnis für Arbeit, das deutlich darauf hingewiesen hat, dass die Bundesregierung im Gegensatz zu den Nachbarländern - beispielsweise auch im Gegensatz zu den zitierten Niederlanden - in Sachen Arbeitszeit weit hinter den Bedürfnissen der Arbeitsmarktpartner zurück ist.

Sehen wir das doch einmal rational. In SchleswigHolstein haben die zunehmende Anzahl von Teilzeitarbeitsplätzen und die Möglichkeiten, die im öffentlichen Dienst, aber auch in Großbetrieben geschaffen wurden, dafür gesorgt, dass der Anteil von Frauen am Arbeitsmarkt in den letzten 12 Jahren stetig nach oben gegangen ist - das ist auch ein Beitrag zum Gender Mainstreaming -, dass sich gleichzeitig aber der Anteil von Männern an Teilzeitarbeit auch in SchleswigHolstein von der noch immer sehr kleinen Marge von 1 % bis 2 % nach oben bewegt und irgendwann wirklich die 10 %-Hürde locker überschreiten wird. Das ist ja immer eine Schallgrenze.

Wir haben im Bereich der Jobrotation - neulich hat es übrigens die interessante Fachtagung mit der Arbeitsministerin gegeben - das Beispiel Dänemark vor uns. Auch hier geht es um Befristung von Arbeitsverträgen, häufig aber auch um Teilzeitarbeit. Der Wiedereinstieg von Arbeitslosen in den Beruf, insbesondere von Frauen, die wegen Familientätigkeit unterbrochen

(Angelika Birk)

haben, wird durch solche flexiblen Instrumente ermöglicht.

Damit das aber nicht das Einfallstor für Sozialdumping wird, damit diese Menschen nicht Arbeitskräfte zweiter Klasse sind, ist es wichtig, dass wir sowohl den Arbeitsanspruch auf Teilzeitarbeit rechtlich regeln als auch das Thema Befristung deutlich definieren: Wann darf befristet werden? Mit welchem Argument darf befristet werden? Bei solch einer Befristung muss auch der Anspruch auf Weiterbildung bestehen

(Martin Kayenburg [CDU]: Da haben wir ei- ne gesetzliche Regelung! Ist Ihnen das noch nicht aufgefallen?)

und der Betriebsrat muss Mitverantwortung übernehmen können. Wir haben eine gute Praxis, die jetzt an einigen Stellen verbessert wird. Ich finde es richtig und gut, dass dieses Gesetz möglichst bald - nämlich schon Anfang nächsten Jahres - in Kraft treten wird.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Wolf- gang Baasch [SPD])

Nun unterstellen Sie den Untergang des Abendlandes und verweisen auf die vielen kleinen Betriebe. Erstens. Das Gesetz gilt nur für Betriebe mit mehr als 15 Beschäftigten. Auch das ist etwas, was wir im Bereich des Elternurlaubs ebenso als Marge genommen haben. Wir wissen aber gleichzeitig, gerade in Kleinbetrieben kann damit - wenn es alle Beteiligten wollen - sehr flexibel umgegangen werden.

(Dr. Johann Wadephul [CDU]: Aber dann freiwillig!)

Gerade der Wettbewerb zur Chancengleichheit, der noch im letzten Jahr unter meiner Federführung durchgeführt wurde, zeigte, dass vor allem die kleinen und mittelständischen Betriebe hinsichtlich familiengerechter Arbeitszeiten vorbildlich waren. Sonst hätten wir sie doch gar nicht prämieren können.

(Zuruf des Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU])

Herr Kayenburg, nun sagen Sie, wir bräuchten das nicht mehr, weil es einige - zum Glück nicht wenige Betriebe gibt, die gut sind. Sie wissen, dass Gesetze nicht für diejenigen geschaffen werden, die gutwillig sind. Gesetze werden für diejenigen geschaffen, die offensichtlich eine solche juristische Leitlinie brauchen, um ihr Verhalten zu normieren.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Deshalb können wir dieses gute Beispiel auf der gesetzlichen Grundlage besser Schule machen lassen. Ich

hoffe jedenfalls, dass Rationalität in die Debatte einkehrt und dass wir die Beispiele unter dem Motto „Mann teilt Zeit“ demnächst zur Regel haben. Meine Nachfolgerin ist unseren guten Ansätzen aus dem vergangenen Jahr gefolgt. Wir brauchen weiter gute rechtliche Rahmenbedingungen. Wenn wir hier lange und einvernehmlich über Gender Mainstreaming gesprochen haben, dann sollten wir auf dem Arbeitsmarkt auch Taten folgen lassen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Frau Abgeordnete Silke Hinrichsen hat für den SSW das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Teilzeitarbeit gibt Arbeitnehmern Spielraum in Bezug auf ihre Lebenszeit und ermöglicht mehr Zeit für die Familie. Sie eröffnet dem Arbeitgeber Flexibilität und ist arbeitsmarktpolitisch wirksam. Deshalb ist es - unabhängig von der Einschätzung der Detailregelungen erst einmal begrüßenswert, dass sich jetzt eine Bundesregierung dazu durchgerungen hat, diesen Bereich zu stärken. Wir brauchen endlich vernünftige Bedingungen für Menschen, die Teilzeitarbeit wollen. Die Teilzeitarbeit wird von der F.D.P. und Teilen der Union kritisiert, weil ein Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit angeblich die Arbeitgeber über Gebühr belaste. Wir können die massive Kritik aber nicht nachvollziehen, denn den Arbeitgebern wird noch reichlich Spielraum gegeben, um Arbeitnehmern aus betrieblichen Gründen die Teilzeitarbeit zu versagen und um freie Arbeitsplätze nicht als Teilzeitarbeitsplätze auszuschreiben.

(Martin Kayenburg [CDU]: Nur aus dringen- den Gründen!)

Sicherlich erwächst den Arbeitgebern daraus eine gewisse Belastung, weil sie im Zweifelsfall den Beweis dafür erbringen müssen. Das halten wir aber für zumutbar, denn läge die Beweislast bei den Arbeitnehmern, ließe sich eine solche Regelung nie durchsetzen.

(Zuruf des Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU])

Herr Ritzek, das Horrorszenario, das Sie aus dem neuen Gesetz heraus aufgezeichnet haben, erinnert

(Silke Hinrichsen)

mich ein wenig an Diskussionen, die abends bei einem Bier stattfinden.

(Beifall beim SSW und der Abgeordneten Holger Astrup [SPD] und Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Der zweite Teil des Gesetzentwurfs befasst sich mit befristeten Arbeitsverträgen. Hintergrund der Änderung ist das Problem, dass Arbeitgeber die für sie vorteilhafte Möglichkeit befristeter Arbeitsverträge ausgenutzt und Arbeitnehmer jeweils nur für einige Monate eingestellt haben. Wenn kein Kettenarbeitsvertrag mehr bestand, haben sie diese Arbeitnehmer wieder eingestellt. Diese Arbeitgeber haben immer wieder auf diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zurückgegriffen, sodass wir der Meinung sind, es wäre sinnvoll, die neue Regelung - so wie es jetzt beabsichtigt ist - durchzuführen.

Dieser Umgang mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern muss unterbunden werden. Deshalb ist es begrüßenswert, dass die Rechte der Arbeitnehmer in den befristeten Beschäftigungsverhältnissen gestärkt werden.

Wir sehen aber auch die Probleme, die von der F.D.P. angesprochen worden sind. Es geht darum, dass Arbeitgeber konjunkturell oder saisonal begrenzt Arbeitskräfte brauchen, die sie aber auf Dauer nicht finanzieren können. Diese Möglichkeit wird den Arbeitgebern auch zukünftig belassen. Sie können - mit sachlicher Begründung - zum Beispiel weiterhin vorübergehend zusätzliche Arbeitskräfte befristet einstellen. Sie können es sogar bis zu zwei Jahre lang ohne sachlichen Grund tun. Es fällt schwer zu sehen, dass hier keine Flexibilität vorhanden sein soll.

Ich gebe ihnen insoweit Recht, als der Gesetzentwurf der Bundesregierung erneut nur an den Symptomen des deutschen Arbeitsrechts kuriert, statt strukturelle Probleme zu beseitigen.

(Beifall bei SSW und F.D.P.)

Sollte mit Riesters Reform dem Bedürfnis der Unternehmen an Flexibilität bei Einstellungen und Kündigungen nicht Genüge getan werden, dann muss eine grundsätzlichere Lösung gefunden werden. Wie so etwas funktionieren kann, lässt sich bei einigen unserer Ostseekooperationspartner lernen. Frau Birk, in Skandinavien hat man schon zu Anfang des letzten Jahrhunderts zwischen Arbeitgebern und Arbeiterbewegungen einen Kompromiss gefunden. In Skandinavien gibt es diese flexible Handhabung. Sie ist ausdrücklich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ausgehandelt worden. Die Arbeitgeber erhielten vorteilhafte Regelungen beim Kündigungsschutz, die Arbeitnehmer bekamen großzügige Sozialleistungen. Die Ar

beitgeber können so schnell auf veränderten Personalbedarf reagieren. Die Arbeitnehmer sind bei Kündigungen gut abgesichert. Das hat auch die Jobrotation in Dänemark im wahrsten Sinne des Wortes befördert.

(Beifall bei SSW, CDU und F.D.P.)

Gerade am Beispiel Dänemark finde ich es schwierig, nur einen Teilaspekt der Jobrotation zu betrachten. Dass in Dänemark so viele Menschen Arbeit bekommen haben, ist gerade diesem System zu verdanken. Es belebt den Arbeitsmarkt. Eine Explosion der Sozialausgaben gibt es nicht, weil die schnellere Kündigungsmöglichkeit auch dazu geführt hat, dass Arbeitgeber schneller wieder einstellen. Eine solche Lösung macht für alle Sinn, weil sowohl die Interessen der Arbeitgeber als auch die Interessen der Arbeitnehmer berücksichtigt werden. Die Initiative der F.D.P. tut es leider nicht. Hier werden die Interessen der Arbeitgeber denen der Arbeitnehmer eindeutig übergeordnet. Daher können wir dem vorliegenden Antrag nicht zustimmen.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Das hätte uns auch gewundert!)

Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Moser das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge war überfällig, und zwar nicht nur wegen des drohenden Fristablaufs von Bestimmungen des Beschäftigungsförderungsgesetzes, sondern weil eine weitere Flexibilisierung der Arbeitsmarktordnung eindeutig geboten ist. Eine Flexibilisierung ist allerdings für Arbeitgeber und Arbeitnehmer geboten. Ich bin Frau Hinrichsen sehr dankbar, dass sie dies in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen gestellt hat.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [F.D.P.])

Die Tatsache, dass wir in der Bundesrepublik 6 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben, die teilzeitbeschäftigt sind, zeigt, dass wir über kein neues Instrument reden. Im Übrigen haben wir 2 Millionen befristete Arbeitsverhältnisse. Die Teilzeitquote steigt in Deutschland jedoch zu langsam. Sie lag 1995 bei 18 %. 1999 lag sie bei knapp 20 %. Zum Vergleich: In den Niederlanden liegt sie bei rund

(Ministerin Heide Moser)

40 %. Dazu hat offenbar beigetragen, dass es in den Niederlanden einen Anspruch auf Teilzeitarbeit gibt. Herr Kayenburg, auch dort hat es seitens der Unternehmen Kassandrarufe gegeben, wie Sie sie eben ausgesprochen haben. Herr Ritzek, ich weiß nicht, ob es in den Niederlanden Abgeordnete gegeben hat, die eine so schlechte Meinung von den dort ansässigen Unternehmern hatten, wie Sie das eben zum Besten gegeben haben.