Protocol of the Session on January 26, 2005

In einer Zeit, in der Herr Kauder bei seiner Antrittsrede als Generalsekretär der CDU bemerkt, dass die Umsetzung einer EU-Richtlinie, nämlich das Antidiskriminierungsgesetz, etwas mit DDR-Sozialismus oder gar mit dem Naziregime zu tun habe, in der ein - -

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Hat er gar nicht!)

- Er hat solche Vergleiche angestellt.

(Zurufe von CDU und FDP)

- Ich sage ja nicht, Herr Kubicki, er habe es so gesagt. Ich sage nicht, dass der Kollege Greve von völkischer Überfremdung geredet hat. Ich sage nur: Solche Äußerungen bringen uns in die Nähe solcher Gedanken, und das vor dem Hintergrund, dass wir im Moment beobachten können, dass rechtsgerichtete Kräfte eine gewisse Aufmerksamkeit und einen gewissen Aufschwung in der Bundesrepublik erfahren. Dies sehen wir zum Beispiel auch bei der Kandidatur der NPD hier in Schleswig-Holstein. Daher sollten wir es vermeiden, in unseren Beiträgen auch nur den Ansatz von solchen Interpretationsmöglichkeiten oder Anknüpfungspunkten zu liefern.

(Beifall des Abgeordneten Günter Neuge- bauer [SPD] - Zuruf von der CDU)

- Sie fragen: Was denn? Ich habe es gerade ausgeführt, Frau Kollegin. Es war von „geburtenfreudigen Türkinnen“ die Rede. Das löst bei mir Gedanken wie „völkische Überfremdung“ aus. Ich denke, das ist keine absurde Assoziation.

(Zuruf der Abgeordneten Frauke Tengler [CDU])

Schleswig-Holstein, meine Damen und Herren, ist weltoffen und tolerant und soll es bleiben. Das ist auch Teil einer zukunftsgerichteten europäischen Politik.

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Für den SSW im Landtag erteile ich seiner Sprecherin, der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gern zum Thema zurückkommen, zu dem vorliegenden Europabericht nämlich.

Natürlich kann man, wenn es um EU-Politik geht, zu allem Möglichen reden. Der Kollege Greve hat es vorhin gemacht. Ich denke aber, wichtig ist das, was aus dem Europabericht hervorgeht. Viele Menschen assoziieren Europa mit einer bürgerfernen und undurchschaubaren Bürokratie. Dabei bestimmen EUProgramme, Richtlinien und Vorschriften unser politisches Leben in steigendem Umfang. Der Vorwurf der bürgerfernen Bürokratie wie auch die Befürchtung, dass die EU-Eingriffe eher zu einer Verschlechterung der Lebensbedingungen in Deutschland führen, deuten darauf hin, dass noch viele Abstände - konkrete und gefühlte - in der Europapolitik überwunden werden müssen.

Der SSW tritt dafür ein, sich in die Europapolitik einzumischen, sich zu Wort zu melden und so die Maßstäbe mitzugestalten.

Ein gutes Beispiel führt der Bericht der Ministerpräsidentin an: Das Grünbuch zur maritimen Politik. Schleswig-Holstein als das Land zwischen zwei Meeren braucht eine verlässliche und koordinierte maritime Politik. Wasser macht bekanntlich nicht an Grenzen Halt. Schiffssicherheit, aber auch das fast explosionsartige Anwachsen der Containerschifffahrt stellen Herausforderungen an die politischen Entscheider, die kein Land allein bewältigen kann. Daher ist es vorbildlich, dass Schleswig-Holstein in diesen Fragen auf der europäischen Ebene auf verbindliche Entscheidungen dringt.

Inzwischen hat die neue EU-Kommission der maritimen Politik einen hohen Stellenwert eingeräumt. Hier müssen wir dranbleiben. Hieran müssen wir weiterarbeiten.

Wer vor den Konsequenzen der Entscheidungen in Brüssel und Straßburg die Augen verschließt, muss mit unkalkulierbaren Kosten rechnen.

Ich möchte ein weiteres Beispiel nennen. Die Kommunen in Schleswig-Holstein sind bis eine Anzahl von Ausnahmen nicht in der Lage, Anträge für europäische Programme auszuformulieren. Die kleinen Kommunen haben einfach nicht die nötigen Ressourcen für die Antragsgestaltung. Ich bin davon überzeugt, dass wir mehr Fördergelder nach SchleswigHolstein holen könnten. Voraussetzung wäre, dass wir europafähige Kommunen haben.

(Beifall beim SSW)

Da müssen wir schleunigst Anschluss finden.

Die vor kurzem durchgeführte Anhörung im Europaauschuss zu genau diesem Thema hat uns noch einmal vor Augen geführt, dass es noch viel zu tun gibt. Dennoch muss ich auch an dieser Stelle darauf hinweisen, dass größere Kommunen die zukünftigen Herausforderungen, die aus Brüssel auf uns zukommen werden, besser bewältigen können. Mit größeren Kommunen meine ich nicht größere Verwaltungen, sondern ich meine damit, dass sich Verwaltung und politische Kommune auf gleicher Augenhöhe befinden. Nur so wird man europäische Politik mitgestalten können.

Bei einem Besuch des Hanse-Office 2003 konnte sich die SSW-Landtagsgruppe davon überzeugen, welche Potenziale dieses Büro für unser Land erschließt. Dennoch müssen wir uns mit der Frage befassen, wie die Brüsseler Seite der Landespolitik zukünftig zu gestalten ist. Wir müssen unsere Stärken weiter stärken, das heißt, auch das Hanse-Office, das vor Ort über hervorragende Kontakte verfügt. Hinzu kommt, dass das Office keine Einbahnstraße darstellt. Es sendet in schöner Regelmäßigkeit Warnsignale in den Norden, wenn sich EU-Initiativen gegen die Interessen Schleswig-Holsteins zu entwickeln drohen. Das Frühwarnsystem scheint weitgehend zu funktionieren. Das ist gut so. In diese Arbeit möchte ich auch die von der Kollegin Rodust angesprochene Arbeit des Ausschusses der Regionen einbeziehen.

Aus Sicht des SSW wird es aber nicht zuletzt darauf ankommen zu begreifen, dass auch wir uns mit der Bildung einer Syddansk Region neu aufstellen müssen - zumal vorhersehbar ist, dass das Land künftig mehr noch als bisher Ansprechpartner sein wird. Mit anderen Worten: Nach dem 20. Februar muss die Landesregierung in die Puschen kommen, um klarzumachen, welche strategischen Interessen in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit künftig Priorität haben sollen.

Der SSW hat schon mehrfach hervorgehoben, dass dies nur durch die Gestaltung eines gemeinsamen deutsch-dänischen Leitbildes geschehen kann. Die aktuelle Situation in Flensburg mit dem Verlust von bis zu 700 Arbeitsplätzen bei Danfoss belegt, wie wichtig so ein gemeinsames Leitbild für die Grenzregion ist.

In diesem Zusammenhang passt auch, dass Schleswig-Holstein insgesamt und nicht nur die Regionen, die konkret an der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit beteiligt sind, ein deutliches Interesse daran hat, dass die klassischen INTERREG-Programme erhalten bleiben. Einige von Ihnen wissen, dass sich

(Anke Spoorendonk)

die K.E.R.N.-Region, die deutsch-dänische Grenzregion, die Region Südostholstein und die Region Lübeck in einem Brief genau zu diesem Punkt geäußert haben. Das muss aus unserer Sicht weiterhin Vorrang haben.

Im Bericht wird auch die Ostseekooperation angesprochen. Auch sie stellt Schleswig-Holstein vor neue Herausforderungen. Aus unserer Sicht muss es darauf ankommen zu sagen, in welche Richtung wir weitergehen wollen und welche Ressourcen wir weiter zur Verfügung stellen wollen auf der Verwaltungsebene, im politischen Raum, damit wir diesen Zielen gerecht werden.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort zu einem Kurzbeitrag erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Dr. Gabriele Kötschau.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hatten heute Morgen eine sehr nachdenkliche Debatte über die Partnerschaftsverträge zur Entwicklungszusammenarbeit mit benachteiligten Regionen. Im ganzen Haus ist deutlich geworden, dass sich das Engagement Schleswig-Holsteins nicht auf den so schrecklich betroffenen südostasiatischen Raum beschränken sollte. Das bedeutet, dass es keine Abwendung von den ärmsten Ländern geben wird, von den von Hunger, von AIDS und von Bürgerkriegen betroffenen Regionen in Afrika.

Unser Blick sollte aber auch nicht über Europa hinwegschauen. Deshalb möchte ich mir eine Anregung erlauben und Ihre Aufmerksamkeit auf ein Land von der Größe Frankreichs mitten in Europa richten, das noch immer in einem sehr schwierigen Transformationsprozess steckt und das in einer als demokratisch anerkannten Wahl den Oppositionspolitiker Juschtschenko zum Präsidenten gewählt hat, der gerade in sein Amt eingesetzt wurde. Ich spreche von der Ukraine, einem Land mit knapp 50 Millionen Einwohnern, das seit Mai letzten Jahres EU-Außengrenze ist.

Die Ukraine benötigt nach der bewundernswert friedlichen und erfolgreichen Revolution der Menschen im Land nicht nur unsere Solidarität, sondern auch konkrete partnerschaftliche Zusammenarbeit. Das betrifft den Aufbau und die Festigung von Rechtsstaat und Demokratie, von kommunaler Selbstverwaltung, von Justiz, der Entwicklung des Steuer- und Finanzsystems bis hin die Bereiche Gesundheit, Energie und

Landwirtschaft, Bereiche, in denen SchleswigHolstein unbestritten große Stärken aufweist.

Ich erlaube mir daher die Anregung, dass SchleswigHolstein an die Delegationsreise des Landtages vor einigen Jahren anknüpft, die unter anderem nach Lemberg, Lviv, geführt hat. Dorthin bestehen Kontakte in diese Region. Meine Gespräche am Rande der Wahlbeobachtung in der Ukraine mit ukrainischen Diplomaten und Politikern und Unternehmern haben gezeigt, dass der Wunsch der Ukraine sehr stark ist, nicht nur wirtschaftliches Engagement in die Ukraine zu holen, sondern auch die Bundesländer zu bitten, ihrerseits mit Regionen innerhalb dieses Landes Partnerschaften aufzubauen. Es gibt ein breites Spektrum Beteiligter aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Hochschulen, Schulen, Vereinen, Verbänden, die von Schleswig-Holstein zum Aufbauprozess in diesem Land aus beitragen könnten. Das ist absolut überschaubar.

Durch Gespräche mit der Stadt Lviv, zu der es diese Kontakte bereits gibt, und eventuell der Region mit dem Ziel, die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit zu besprechen, könnte Schleswig-Holstein sehr frühzeitig einen Beitrag leisten zur Stabilisierung dieses Landes, die bitter nötig ist, gleichzeitig aber auch für unser Land und für unsere Wirtschaft Türen öffnen und neue Märkte erschließen. Das wäre vielleicht eine schöne Aufgabe für die nächste Wahlperiode, aber auch eine Aufgabe, die bereits jetzt angepackt werden könnte.

(Beifall)

Zu einem Kurzbeitrag erteile ich Herrn Abgeordneten Hermann Benker das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weil Herr Greve für die CDU gesprochen hat, muss man auch erwidern. Er hat eingangs eine Frage zum europäischen Forschungsnetz gestellt. Hier besteht volle Übereinstimmung. Wir haben die gleiche Forderung. Du sagtest einleitend gleich, hier werde es keinen Dissens geben. Selbstverständlich.

Bereits als zweiter Punkt ist von dir gesagt worden, in dem Bericht gebe es keine Kritik. Dazu kann ich nur sagen: Selbstverständlich finden alle Konsultationen, die in dem Bericht erwähnt sind, immer eine kritische Haltung der Landesregierung. Sie werden nicht immer hier vor dem Parlament ausgetragen, fließen aber immer ein. Das haben wir gerade im Bereich Dienstleistung erfahren. Wir werden das am Freitag beim

(Hermann Benker)

Thema REACH sehen. Die Kritik fließt also im Rahmen des Konsultationsverfahrens ein.

Hier sind Initiativen eingefordert worden. Die Ministerpräsidentin und Frau Rodust haben gerade eine genannt. „Zukunft Meer“ ist von uns geboren, von der EU übernommen worden und wird jetzt von der EU weiterverfolgt. Das ist eine Initiative.

Dann aber - das gibt mir Anlass, darüber nachzudenken und darauf hinzuweisen - gehst du zu einem verräterischen Vokabular über. Ich will hier nur drei Bereiche nennen, bei denen man nachdenklich werden muss.

Erstens. Du sprichst von der „Überdehnung Europas“. Was steckt dahinter? Du willst damit signalisieren, es handele sich um einen Closedshop, hier komme niemand mehr rein, richtest deinen Zeigefinger aber ausschließlich auf die Türkei. Dabei hat gerade der sehr frühe Antrag der Türkei auf Aufnahme in die EU und die Bevorzugung Griechenlands - dieses Land ist bei der Aufnahme vorgezogen worden - zu Dissonanzen zwischen Griechenland und der Türkei geführt.

Wie gehen wir mit der Ukraine um? Frau Kötschau hat gerade darauf hingewiesen. Wir können hier nicht mit solchen Begriffen operieren und von der Überdehnung Europas sprechen. So hattest du das leider genannt.

Zweitens. Du sagtest, wir sollten Triebkräfte von Religion und Kultur nicht unterschätzen. Nein. Wir sollen sie aber auch nicht überschätzen. Wir sollen das auch nicht übertreiben und sie immer im Wort führen, als wollten wir andere Bereiche überhaupt nicht berücksichtigen.

Wenn du von Oberschichten und Unterschichten sprichst, musst du berücksichtigen, dass auch in anderen Staaten eine Verbürgerlichung erfolgt, sodass von Oberschichten und Unterschichten in diesem Zusammenhang überhaupt nicht mehr gesprochen werden kann.

Ein letzter Punkt: In Kurzform gebracht hast du gesagt: Integration - wenn man das wirklich will - bedeutet weniger Zuwanderung. So hast du das ausgeführt. Das kann ich absolut nicht nachvollziehen, schon allein aus pragmatischen Gründen. Wenn du einmal die demografische Entwicklung anschaust, kannst du erkennen, dass wir in Zukunft Zuwanderung in einem Umfang brauchen werden, den wir uns im Augenblick überhaupt noch gar nicht vorstellen können. Wenn du Integration willst, musst du gerade für Besonderheiten offen sein. Du musst nicht alles

akzeptieren, aber du musst es wenigstens tolerieren. Nein sagen allein genügt nicht.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW sowie des Abgeordneten Joa- chim Behm [FDP])