Protocol of the Session on January 26, 2005

(Ulrike Rodust)

Auch wir, die SPD-Fraktion, sagen vielen Dank für den Bericht. Jeder Punkt darin hätte es verdient, intensiv behandelt zu werden. Dies ist in der Kürze der Zeit, die mir zur Verfügung steht, nicht möglich. Deshalb werde ich mich auf einige wenige Punkte beschränken. Ich will einen Grundsatz voranstellen: Wir als Landesparlament haben nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Pflicht, uns immer wieder in Europa einzumischen, wie zum Beispiel bei der Europäischen Verfassung. Für die Bürger wird diese nach der Ratifizierung mehr Klarheit und Rechtssicherheit bringen.

Es wird dabei unter anderem drei wichtige Änderungen geben: Die Grundrechte-Charta erlangt Rechtsverbindlichkeit. Grundwerte wie Freiheit, Demokratie, Rechtsstaat, Achtung der Menschenwürde und Schutz der Minderheiten sind dann dauerhaft Grundlage von Staat und Gesellschaft. Es wird zu einer klaren Zuordnung zwischen den verschiedenen politischen Ebenen führen und das Recht auf kommunale Selbstverwaltung wird in der Verfassung verankert sein.

Die Regionen und Kommunen erhalten über den Ausschuss der Regionen die Möglichkeit, vor dem EuGH zu klagen, wenn das Subsidiaritätsprinzip verletzt wird.

Meine Damen und Herren, Europapolitik hat für das Land Schleswig-Holstein also nicht nur aufgrund seiner geographischen Lage einen hohen Stellenwert, sondern wir müssen ein vitales Interesse daran haben, die umfassende Europäisierung in Wirtschaft und Gesellschaft aktiv zu begleiten und mitzugestalten.

Seit dem 1. Mai 2004 ist die größte Erweiterung der Europäischen Union in ihrer Geschichte vollzogen. Sie bietet einen einheitlichen Wirtschafts- und Rechtsraum für 460 Millionen Menschen. Mit dem größten Binnenmarkt der Welt hat die europäische Wirtschaft beste Chancen, ihre Stellung im globalen Wettbewerb zu festigen und auszubauen.

Unsere relative Nähe zu den Märkten der neuen Mitgliedstaaten bringt unser Land in eine gute Ausgangsposition, um auch in Zukunft vom Wachstum in diesen Ländern zu profitieren. Dies wollen wir zusammen mit der Wirtschaft weiterentwickeln.

Ein wichtiges Instrument in der Europapolitik sind die Strukturfonds. In der laufenden Förderperiode haben wir allein hier in Schleswig Holstein 660 Millionen € erhalten. Dieses Geld hat uns bei der Weiterentwicklung unseres Landes maßgeblich geholfen. Wir müssen weiter dafür kämpfen, dass wir auch für die Förderperiode 2006 bis 2013 entspre

chend bedacht werden. Sie finden alles dazu in den strategischen Schwerpunkten des Berichtes.

Ein solcher Schwerpunkt der Landesregierung ist die Initiative „Zukunft Meer“. Die europäische Kommission und der Ausschuss der Regionen haben dies aufgegriffen und interessieren sich brennend für die Vorschläge aus unserem Land.

Damit hat die Ministerpräsidentin einen Volltreffer gelandet. Gratulation!

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Am vergangenen Freitag habe ich den Auftrag erhalten, für den Ausschuss der Regionen eine entsprechende Initiativstellungnahme zu erarbeiten. Für Ihre Unterstützung wäre ich sehr dankbar. Ein Drittel der 460 Millionen Menschen der Europäischen Union lebt an oder nahe der Küstenlinie, Tendenz steigend. 90 % des Welthandels werden über Schiffsverkehr abgewickelt. Im Schiffbau sind allein 110.000 Personen direkt beschäftigt, in den verwandten Industrien und Dienstleistungen sind es 2,5 Millionen. Zig Millionen aus aller Welt verbringen Jahr für Jahr an den europäischen Küsten ihren Urlaub. Wer immer noch nicht von der Wichtigkeit dieses Themas überzeugt ist: 70 % des Sauerstoffs, den wir zum Atmen brauchen, wird von maritimer Flora produziert. Wer, wenn nicht wir Schleswig-Holsteiner zwischen zwei Meeren, hat so viel Kompetenz, dieses Thema federführend zu bearbeiten?

Zum Schluss möchte ich noch auf ein wichtiges europäisches Zukunftsthema eingehen, das auch uns Schleswig-Holsteiner angeht, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Ich danke der Landesregierung für ihre positive Haltung. Fakt ist, dass die Türkei seit 1963 auf die Beitrittsverhandlungen wartet. Dieses war damals dem Land an der Peripherie Europas bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen zugesagt worden.

Die Akzeptanz von Werten wie Demokratie, Menschenrechten, Minderheitenschutz und Toleranz gegenüber anderen Kulturen und Religionen in der Türkei wird auch dadurch bestimmt, ob sich Europa selber gegenüber der Türkei diesen Werten entsprechend verhält.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Weist die EU die Türkei ab, würde in der islamischen Welt das Modell Türkei deutlich an Attraktivität verlieren und die Fundamentalisten stärken. Europa hat die Verpflichtung gegenüber diesem Land, das ver

(Ulrike Rodust)

sucht, Islam und Demokratie miteinander zu vereinbaren, Wort zu halten.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nach einer erfolgreichen Wirtschafts- und Währungsunion müssen wir gemeinsam auf allen Ebenen dafür sorgen, dass wir zukünftig auch eine Sozial-, Bildungs- und Kulturunion werden. Nur so ist Frieden für uns alle garantiert.

(Beifall des Abgeordneten Günter Neuge- bauer [SPD])

Eine Landesregierung mit Heide Simonis an der Spitze wird ihren Teil dazu beitragen. Das hat der Europabericht für mich deutlich gemacht. Davon bin ich also fest überzeugt.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW Vizepräsident Thomas Stritzl: Das Wort für die Fraktion der FDP erteile ich Herrn Abgeordneten Behm. Joachim Behm [FDP]: Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die mir zustehenden fünf Minuten nutze ich für das The- ma Schleswig-Holstein in Europa. (Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es gibt zu viele Möglichkeiten, sich auch auf andere Felder zu begeben. Aber das würde die Möglichkeiten, die man von diesem Rednerpult aus hat, vielfach überspannen.

Die Landesregierung betont in dem jetzt vorgelegten Bericht, dass Europapolitik ein Arbeitsschwerpunkt für sie sei. Das freut mich natürlich zu hören; denn Europa beeinflusst mittlerweile einen Großteil unserer gesetzlichen Regelungen und die Politik in Deutschland bis in das kleinste Detail. Nicht nur durch Richtlinien und Verordnungen, sondern auch über Förderprogramme und Beschlüsse der Europäischen Kommission wird immer stärker und kleinteiliger auf Schleswig-Holstein eingewirkt. Die Zukunftschancen Schleswig-Holsteins werden deshalb davon abhängen, wie wir die künftige Entwicklung unserer Region gestalten und die Chancen für unser Land wahrnehmen.

(Beifall bei der FDP)

Denn Schleswig-Holstein entwickelt sich immer stärker zur Handels- und Wissensdrehscheibe für das

nördliche Europa. Die immer intensiver werdenden Beziehungen zu den Ostseeanrainern, neben den neuen Beitrittsländern Polen und den baltischen Staaten auch zu Russland, steigern auch die Bedeutung unseres Landes als Schnittstelle zwischen dem Ostseeraum und der übrigen Welt.

Meine Damen, meine Herren, liest man den vorgelegten Bericht genauer, so fragt man sich allerdings, welchen Beitrag der von der Landesregierung verkündete Arbeitsschwerpunkt zur Zukunftssicherung unseres Landes bisher geleistet hat.

(Beifall bei der FDP)

Wie stellt sich unser Land diesen Herausforderungen? Welche Chancen wurden bisher genutzt?

Geht man der Frage nach, was eigentlich genau getan wurde, um die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes in Europa in den letzten zwei Jahren zu verbessern, findet man zu wenig Konkretes. Da wird der wohlwollende Leser des Berichts darauf vorbereitet, dass mit dem Anlaufen der Förderperiode der Strukturfondsmittel nach 2006 weniger Geld für uns zu erwarten ist. Gleichzeitig wird angekündigt, dass so genannte Clusterinitiativen weiter vorangebracht werden sollen. Wenig wird darüber gesagt, ob die rund 660 Millionen € an Strukturfondsmitteln tatsächlich so angelegt worden sind, dass unser Land im Wettbewerb mit den anderen Regionen künftig besser aufgestellt ist. Denn unter dem Stichwort „Wettbewerb“ finde ich lediglich die Warnung vor einem unfairen Steuerwettbewerb und die Werbung für das Steuerkonzept der Landesregierung, das weder der Bundeskanzler noch sonst jemand haben will.

Auch werden wir künftig unseren Beitrag zur Erhaltung der europäischen Stabilitätskriterien leisten müssen. Das ist eine Herkulesaufgabe für den kommenden Landtag und auch die neue Landesregierung.

Meine Damen, meine Herren, Europapolitik muss deshalb ein Schwerpunkt in Schleswig-Holstein sein, um unser Land für den Wettbewerb besser aufzustellen.

(Beifall bei der FDP)

Nur dann haben wir die Chance, davon zu profitieren, und brauchten auch keine Angst mehr vor mehr Wettbewerb oder weniger Strukturmitteln zu haben. Deshalb sollten wir in der Europapolitik handfeste Interessen verfolgen.

Dabei ist es auch völlig gleich, ob diese Interessen „Kompetenzcluster in strategischen Bereichen“ oder „Verbesserung des Know-how-Transfers“ heißen.

(Joachim Behm)

Dazu gehört für mich, Schleswig-Holstein zum Dienstleister des Nordens aufzubauen.

Um das aber zu erreichen, sollten wir so konkrete Projekte wie den Ausbau der A 20 und den Ausbau zum Wissenschaftsstandort vorantreiben. Leider steht sich die Landesregierung gerade bei den Verkehrsprojekten häufig selber im Weg, sei es beim Ausbau der Autobahn oder beim Bau einer festen Fehmarnbelt-Querung. Der grüne Koalitionspartner organisiert auf Landes- wie auf Bundesebene, aber auch im regionalen Bereich Widerstand gegen jede Möglichkeit, Schleswig-Holstein auch ökonomisch weiterzubringen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Ohne eine solche Basis wird Schleswig-Holstein aber nicht wettbewerbsfähig.

Meine Damen, meine Herren, der Bericht macht deshalb eines deutlich: Bisher sind nur kleine Schritte getan worden. Das müssen wir ändern. SchleswigHolstein muss sich selber aktiv als Scharnier für den Norden und den Osten in die Entwicklung des europäischen Wirtschaftsraumes einbringen, sodass wir alle davon profitieren.

Europapolitik ist auch Standortpolitik und auch in der vor uns liegenden Wahlperiode eine große Herausforderung. Das dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, wenn wir uns dem Wettbewerb stellen und bestehen wollen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Herrn Abgeordneten Detlef Matthiessen das Wort.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich weiche aufgrund der Beiträge seitens der CDU, auf die ich im Gegensatz zu Ulrike Rodust, die sie ignorieren wollte, doch eingehen möchte, fundamental von meinem Redemanuskript ab. Zudem sind wir uns in der Europapolitik hier im Hause auch immer recht einig.

Herr Kollege Greve, man kann Europapolitik unter verschiedensten Gesichtspunkten kritisieren und kann natürlich auch den Türkeibeitritt kritisch betrachten. Zum Beispiel ist er ja objektiv keine leichte ökonomische Aufgabe für die EU. Ich mag es auch, wenn Menschen einen eigenen Kopf haben und hier eigene Gedanken äußern, was wir von Ihnen kennen, und ich schätze das auch. Wenn Sie dann aber zitieren und

von „geburtenfreudigen Türkinnen“ sprechen, rückt das gedanklich in einen Bereich, in dem wir von dem Weltbild der Furcht vor völkischer Überfremdung nicht mehr weit entfernt sind.

In einer Zeit, in der Herr Kauder bei seiner Antrittsrede als Generalsekretär der CDU bemerkt, dass die Umsetzung einer EU-Richtlinie, nämlich das Antidiskriminierungsgesetz, etwas mit DDR-Sozialismus oder gar mit dem Naziregime zu tun habe, in der ein - -