Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist unstrittig, dass die Ostseekooperation mit der EU-Erweiterung vor neuen Weichenstellungen steht. Zu Recht spielt die zukünftige strategische Ausrichtung der Ostseezusammenarbeit daher auch eine wesentliche Rolle in dem vorliegenden Ostseebericht der Landesregierung.
Der Bericht selbst hat sich längst zu einem Handbuch über Strukturen und Aktivitäten in der Ostseezusammenarbeit gemausert, ohne dass im Übrigen die Analyse darunter gelitten hat. Dafür danke ich im Namen des SSW der Ministerpräsidentin und denjenigen, die an diesem Bericht mitgearbeitet haben.
Aus Sicht des SSW geht kein Weg daran vorbei, dass die Ostseeregion verstärkt eine eigene Stimme in Brüssel entwickeln sollte, um die eigenen Interessen dort wirkungsvoll vertreten zu können. Wir unterstützen daher die Position der Landesregierung, dass die Mitglieder des Ostseerates zu grundlegenden Fragen über den Ostseeraum eine abgestimmte Position gegenüber der EU vertreten sollten. Umgekehrt ist es aus Sicht des SSW im Interesse des Landes, dass die Ostseezusammenarbeit weiterhin einen eigenen starken Stellenwert behält.
Der Bericht legt eindrucksvoll dar, wie dicht die Kooperationsnetze mittlerweile in der Ostseeregion geknüpft worden sind. Dass sich im Rahmen des Historikertages nun auch ein Netzwerk von Historikerinnen und Historikern gebildet hat mit dem Ziel, die Geschichte der Ostseeregion aufzuarbeiten, finde ich in diesem Zusammenhang nur folgerichtig und sehr erfreulich.
Überschrift dieser Bemühungen könnten nun wirklich der Begriff „Nachbarschaft“ sein, weil dadurch auch die geografische Nähe, der geografische Raum mit einbezogen wird. Dadurch wird auch die gemeinsame Identität gestärkt. Konkret heißt dies, dass wir für
Schleswig-Holstein weiterhin eine große Chance darin sehen sollten, dass sich unser Land als Vermittler in der Ostseekooperation profiliert.
Hier haben wir wirklich etwas zu bieten, sprachlich, kulturell, schlechthin mit dem Know-how, das hier vorhanden ist. Dies ist aus unserer Sicht die Stärke Schleswig-Holsteins und um diese Stärke sollten wir uns auch in den kommenden Jahren gezielt bemühen. Es ist ein weicher Standortfaktor, aber auch ein solcher Standortfaktor wird in den kommenden Jahren an wirtschaftlicher Bedeutung gewinnen. Ich kann es auch anders formulieren: Würde die Ostseekooperation zu einer reinen EU-Angelegenheit verkommen, dann würde die Region geschwächt werden. Daher begrüßen wir, dass sich die norddeutschen Küstenländer verstärkt darauf einigen, sich in der Ostseearbeit zu ergänzen. Vorbildlich ist, finde ich, dabei nicht zuletzt die Zusammenarbeit von SchleswigHolstein und Mecklenburg-Vorpommern, aber auch mit Hamburg.
Das Spannungsfeld zwischen der EU und der regionalen Perspektive zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Bericht der Landesregierung. Dies trifft auch auf die parlamentarische Zusammenarbeit zu. Die Ostseeparlamentarierkonferenz fand in diesem Jahr in der norwegischen Stadt Bergen statt, wobei alle Witze darüber, was denn Bergen und Norwegen mit der Ostsee zu tun hätten, während der Konferenz wirklich gebracht wurden. Die Antwort lautete in jedem Fall, dass die andere Seite der Ostseekooperation die nordische Zusammenarbeit ist. Zu den besonderen Merkmalen der Ostseearbeit gehört ja, dass sie die Arbeit des Nordischen Rates ergänzt. Ein weiteres Merkmal ist bekanntlich die vollständige Gleichberechtigung, in der Vertreter von nationalen und regionalen Parlamenten dabei zusammenwirken. Diese Struktur ist so wertvoll, dass wir sie erhalten sollten.
Als Landtagspräsident Heinz-Werner Arens im Europaausschuss die Vorbereitungen zur diesjährigen Parlamentarierkonferenz erläuterte, hob er hervor, dass zur Dynamik der Ostseekooperation auch die parlamentarische Dimension gehört. Es ist kein Zufall, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die Parlamentarierkonferenz ein Jahr älter ist als der Ostseerat. Dreh- und Angelpunkt der Debatten in Bergen waren daher auch die zukünftige Ausrichtung der parla
mentarischen Zusammenarbeit und die interne Organisation der Arbeit. Das musste auch sein und das ist auch nicht Ausdruck von Schwäche, sondern Ausdruck dafür, dass man die Arbeit der Parlamentarierkonferenz ernst nimmt.
Die Abschlussresolution der Konferenz setzt sich vor diesem Hintergrund dafür ein, dass der Ständige Ausschuss im nächsten Jahr in Vilnius Vorschläge zur Förderung der parlamentarischen Dimension in Zusammenarbeit mit dem Ostseerat und den beteiligten Parlamenten unterbreiten soll. Es kommt also wirklich noch Arbeit auf uns zu und das ist, denke ich, gut so. Denn auch intern sollten wir uns aus Sicht des SSW damit befassen, wie wir diese parlamentarische Arbeit stärken können. Landtagspräsident Arens sagte schon, dass es seiner Meinung nach - diese Auffassung teilen wir vonseiten des SSW wirklich - so kommen muss, dass Delegierte für die Dauer einer Legislaturperiode gewählt werden. Dann bekommen wir auch Kontinuität nach innen in die Arbeit der Ostseeparlamentarierkonferenz hinein.
In der August-Sitzung des Landtages beschlossen wir einvernehmlich die Einsetzung eines Beauftragten oder einer Beauftragten für demokratische Entwicklung und Minderheitenangelegenheiten im Ostseeraum. Dieser Antrag - Landtagspräsident Arens sagte es schon - fand in der Schlussresolution keine Berücksichtigung. Die offizielle Begründung war, dass eine große Zahl der Parlamente noch Beratungsbedarf hatten, man kann sicher auch noch andere Gründe finden. Aber wichtig ist, dass es gesagt worden ist, dass es im Raum steht. Persönlich, dies darf ich hinzufügen, habe ich mich darüber gefreut, dass ich für die deutsche Delegation zu diesem Antrag sprechen durfte. Das war für mich keine Selbstverständlichkeit, sondern Ausdruck dafür, dass die profilierte Minderheitenpolitik unseres Landes auch außerhalb von Schleswig-Holstein wahrgenommen wird.
Fast folgerichtig erschien mir, dass Hans Heinrich Hansen, Vorsitzender des Bundes Deutscher Nordschleswiger und Vizepräsident des FUEV, zu dem Tagesordnungspunkt „Entwicklung der Zivilgesellschaft“ redete. Mit seinem Anliegen, die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen durch Gesetze und Rechtsanwendung zu fördern und abzusichern, werden wir uns ganz sicher auch in diesem Parlament weiter zu beschäftigen haben.
Ein letzter inhaltlicher Schwerpunkt - auch dies ist gesagt worden - war das Thema Schiffssicherheit.
An diesem Punkt wäre die Konferenz fast zerbrochen. Aber auch da muss gesagt werden: Was hätten wir denn erreicht, wenn die Konferenz zerbrochen wäre? Darum ist es wirklich begrüßenswert, dass es mit großem diplomatischem Geschick gelungen ist, nicht hinter die Beschlüsse der Parlamentarierkonferenz in Oulu zurückzufallen. Die russische Delegation agierte wenig konstruktiv, um es ganz milde auszudrücken. Aber man hatte den Eindruck, dass die Vertreter der russischen Delegation, die am Verhandlungstisch saßen, große Schwierigkeiten hatten und einsahen, dass hier etwas gemacht werden muss. Darum, liebe Kolleginnen und Kollegen - dies gehört dazu -, ist jetzt die nationale Ebene gefragt. Denn die Ostseekooperation lebt natürlich auch von der nationalen Ebene.
Aus Sicht des SSW zeigen die Themen der Ostseeparlamentarierkonferenz, dass sich die Ostseekooperation ohne parlamentarische Dimension einseitig und einbeinig weiterentwickeln würde. Nicht über, nicht neben dem Parlament, heißt es im dänischen Folketing. Davon sollten wir uns ruhig eine Scheibe abschneiden. Die Ostseeparlamentarierkonferenz muss also weiterentwickelt werden, nicht als verlängerter Arm des Ostseerates - es ist auch nicht realistisch, dies so zu sehen, dies will im Grunde genommen keiner -, sondern eher als gelebte Demokratie. Die Konferenz wird auch in Zukunft, liebe Kolleginnen und Kollegen, nur so gut sein, wie ihre Beschlüsse in den regionalen und nationalen Parlamenten umgesetzt werden. Wenn wir nichts tun und wenn wir nur einmal oder zweimal im Jahr eine Debatte dazu abhalten, wird auch nichts laufen können. Auch wir haben Hausaufgaben zu machen. Darum war es, lieber Kollege Ritzek, eine sehr gute Ostseeparlamentarierkonferenz, eine sehr stringente Konferenz. Ganz deutlich war, dass die Weichen neu gestellt werden müssen.
Auch ich möchte mich im Namen des SSW beim Landtagspräsidenten für seine engagierte Arbeit bedanken. Ohne seine engagierte Arbeit sähe es hier im Parlament, aber auch in der Ostseeparlamentarierkonferenz ganz anders aus.
letzte war, die ich als Mitglied dieses Hauses - leider nur indirekt - begleiten durfte, möchte ich drei Wünsche äußern.
Der erste betrifft die Ostseejugendstiftung. Die Jugendbegegnungen haben sich in den letzten Jahren qualitativ erheblich erweitert und verbessert. Es geht nicht nur um gemeinsame Treffen und gemeinsame Sommerlager, es geht auch darum, zum Beispiel Praktika zu unterstützen. Junge Leute aus SchleswigHolstein sollen ihre Praktika nicht nur in SchleswigHolstein, in Lübeck oder Flensburg absolvieren - warum nicht auch in Helsinki, in Kaliningrad, in Danzig oder in Stockholm? Das Gleiche gilt für Jugendliche aus anderen Ländern. Einige Betriebe fördern und unterstützen dies bereits. Die Teilnahme an einem Austausch sollte verstärkt auch für Jugendliche möglich sein, die diese finanzielle Unterstützung nicht haben.
Meine Damen und Herren, wir qualifizieren durch diese Ostseejugendstiftung, wenn wir sie hätten, diejenigen, die die Elite von morgen sind, die jungen Leute, die morgen sowohl politisch als auch unternehmerisch in ihren Ländern tätig sind. Wie können wir besser unsere Partner und unseren Kontakt zu unseren Partnern aufbauen, als wenn wir die Leute frühzeitig in die Lage versetzen, im gesamten Ostseeraum Erfahrungen zu sammeln, indem wir unsere jungen Leute verstärkt in die anderen Länder schicken und die anderen zu uns holen? Ich denke, das ist eine der vornehmsten Aufgaben einer Ostseejugendstiftung. Ich möchte sehr, sehr deutlich sagen: Es ist ein Armutszeugnis für die Staaten und Regionen rund um die Ostsee, vier Jahre lang den Mund zu spitzen und wenn es darauf ankommt, nicht zu pfeifen.
Mein Wunsch Nummer zwei: Es gibt einen sehr guten Sender namens ARTE, der nur von einer qualifizierten Minderheit genutzt wird, aber dennoch sehr, sehr gute Informationen bringt. Ein solcher Sender rund um die Ostsee wäre sicher eine gute Möglichkeit, das auszugleichen, was leider in den Medien heute nicht geleistet wird, es wird zu wenig differenziert über Ostseeanrainerstaaten berichtet. Ein solcher Sender könnte dazu beitragen, ein besseres Verständnis zu wecken. Ich denke, wir sollten versuchen, eine solche Einrichtung auf den Weg zu bringen.
- Nein, so etwas wie ARTE im Ostseeraum gibt es leider noch nicht. Ein solcher Sender wäre meiner Meinung nach einzurichten und aufzubauen.
Mein dritter Wunsch wäre eine stärkere Investition in die Köpfe. Das können wir als Land allein nicht leisten, das wäre etwas, was wir mit dem Bund gemeinsam machen müssten. Ein stärkeres Herüberbringen unserer Sprache und unserer Kultur rund um die Ostsee herum ist eine hervorragende Investition in die Köpfe.
(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abgeordneten Dr. Ek- kehard Klug [FDP] - Glocke des Präsiden- ten)
- Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Das ist auch das, was der Abgeordnete Behm eben meinte, als er von Standortpolitik sprach: Außenpolitik ist Innenpolitik.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte ist so etwas wie eine Selbstbekräftigung, die das Parlament für sich selbst veranstaltet, damit klar wird, was sind die Wünsche, welches sind die Hausaufgaben, wo geht es weiter hin.
Ich habe sehr aufmerksam zugehört und festgestellt: Es wird die Vergangenheit von vor 200 Jahren angesprochen, es wird bis hin zur Hanse zurückgedacht, es wird in die Zukunft gedacht, soweit wie möglich vorausgedacht und es bleibt ausgeblendet, was ich finde, was Deutschland - und wenn es sonst niemand anderes macht, dann die schleswig-holsteinische Delegation - nicht ausblenden darf, das ist die Situation, die durch den Zweiten Weltkrieg und vorher durch das Dritte Reich geschaffen worden ist. Ganz viele der Länder, die neu in die EU aufgenommen worden sind, sind Länder - Dänemark inklusive -, die von den Deutschen während des Dritten Reiches besetzt waren. In Polen, Litauen, Estland und Lettland gibt es noch heute Gruppen und Verbände von noch lebenden Zwangsarbeitern, die in Deutschland gearbeitet haben, ohne dafür bezahlt zu werden, die praktisch Sklavenarbeit geleistet haben.
Ich finde, das ist ein Kapitel deutscher Geschichte, das unbedingt von Deutschen mitgedacht werden muss. Wir müssen das unseren Partnern nicht dauernd erzählen und aufzwingen, das müssen wir nicht. Ich möchte aber - anders als ich das aus aktuellem Anlass im Moment bei der Bundesregierung bemerken kann; das muss ich leider zu meinem großen Bedauern sagen -, dass wir da, wo wir die Möglichkeit haben, mit Menschen aus diesen Regionen ins Gespräch zu kommen, das für uns selbst nicht verdrängen und parat haben, welche Geschichte es gibt.
Es gibt immer noch Überlebende und es gibt zum Glück eine durch die Bundesregierung auf den Weg gebrachte Stiftung, an der sich leider die deutsche Wirtschaft nicht in ausreichendem Maße beteiligt. Das ist außerordentlich bedauerlich, weil die Unternehmen große Vermögen - das können wir gerade in Berlin besichtigen - darüber gewonnen haben. Aber wir können trotzdem das Unsere dafür tun, dass wir jedenfalls es auf der Reihe haben.
Unser ganz winziger Beitrag als Grüne-Fraktion ist gewesen, dass wir, als wir im Frühjahr in Polen waren, Kontakt mit einem solchen Verband aufgenommen haben. Wir werden sehr wahrscheinlich - ich hoffe, dass das gelingt - im November Besuch von einer Delegation von Zwangsarbeitern bekommen. Ich denke, das ist ein ganz winzig kleiner Beitrag, den wir für die Präsenz und das Bewusstsein in dieser Sache tun können.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe, dass das mit in die Liste der Hausaufgaben aufgenommen wird.