Protocol of the Session on June 17, 2004

- Von uns im Landtag gemeinsam. Es ist sehr schön, dass Sie mir zustimmen. - Das heißt: Ich leugne nicht, dass es immer noch Probleme gibt.

Aber jetzt, Herr Dr. Klug, komme ich zu dem, was mir an Ihrem Antrag nicht schmeckt. Ihr Antrag spricht eine andere Sprache. Sie wollen im Grunde das ganze Modell nicht. Sie stellen das Modell mit Ihren kritischen Anmerkungen infrage, leugnen die

(Angelika Birk)

bisherige Leistung der Landesregierung und auch der Lehrerinnen und Lehrer, die dieses Modell bisher mit Leben erfüllt haben.

Diesem Frontalangriff - dafür werden Sie Verständnis haben - können wir nicht zustimmen. Das würde heißen, das Ganze wieder zurückzudrehen, und das kann nicht unser Ziel sein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben deshalb mit unserem Antrag noch einmal deutlich festgehalten, worum es geht. Wir haben auch unsere Erwartungen geäußert, die sich sowohl an die Landesregierung als auch an die Kommunen als auch an die Akteure vor Ort richten. Ich bitte um Zustimmung für diese nach vorn gerichtete Sichtweise und bin offen für Einzeldiskussionen, aber nicht für die Zerstörung des begonnenen Weges.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Frau Kollegin Birk, gestatten Sie mir, dass ich in Übereinstimmung mit Ihnen zu Protokoll feststelle, dass der Schleswig-Holsteinische Landtag nicht der Ort ist, an dem Tiefschlaf ein- oder ausgeübt wird.

Ich darf nun für den SSW im SchleswigHolsteinischen Landtag der Frau Kollegin Anke Spoorendonk das Wort geben.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schon als es vor gut eineinhalb Jahren um die Einführung der verlässlichen Grundschule ging, befürchteten Fachleute, dass die Verlässlichkeit zulasten der pädagogischen Arbeit, das heißt der Förderunterrichts und der Differenzierungsstunden, gehen würde. Dieser Vorwurf steht weiterhin im Raum, wie die in der Mitgliederzeitschrift der GEW veröffentlichte Umfrage des GEW-Kreisverbandes Stormarn belegt. Ich habe diesen Artikel auch gelesen, aber ich habe auch ein bisschen weiter gelesen.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dort wird zudem gesagt, als Fazit lasse sich auch feststellen, dass sich an manchen Schulen das soziale Miteinander positiv entwickelt habe dass auch mehr Unterrichtszeit zur Verfügung stehe, dass also der Unterrichtsausfall praktisch gegen null tendiere. Ich denke, das ist eine beachtliche Leistung.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Ich darf um ein wenig mehr Aufmerksamkeit bitten! - Danke.

Für den SSW steht daher fest: Die verlässliche Grundschule ist ein Schritt in die richtige Richtung.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

In der Umsetzung muss den Schulen aber so viel Luft zum Atmen gelassen werden, dass sie Lösungen entwickeln können, die ihren Belangen vor Ort gerecht werden. Dazu gehört nicht nur die zentrale Frage nach der Qualität des Unterrichts, sondern auch der Wunsch vieler Eltern nach einer besseren oder noch besseren Verzahnung von Unterrichtszeiten und Betreuungszeiten.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Viele von uns können sich noch gut daran erinnern, dass genau dieser Punkt in allen Briefen an uns damals eine große Rolle spielte. Der SSW begrüßt daher, dass an den 106 Schulen, die seit letztem Jahr an der verlässlichen Grundschule teilnehmen, die bereits vorhandenen Betreuungsprogramme - das trifft immerhin auf 104 dieser Schulen zu - nicht gelitten haben. Seitdem hat das Ministerium mit den kreisfreien Städten eine Vereinbarung zur Schulkindbetreuung an verlässlichen Grundschulen geschlossen. Auch das begrüßen wir ausdrücklich. Denn verlässliche Betreuung ist die andere Seite der Medaille der verlässlichen Grundschule.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein paar Bemerkungen zu den vorliegenden Anträgen. Der Kollege Klug will einerseits - das geht aus seinem Antrag hervor - die Unterrichtsqualität in den verlässlichen Grundschulen stärken. Da weiß er uns auf seiner Seite. Andererseits scheint es ihm eher um den Erhalt des gegliederten Schulsystems zu gehen. Aus Sicht des SSW bringt uns diese Art von Argumentation mit der Schrotflinte wirklich nicht weiter. Damit sage ich zum wiederholten Male - ich meine, Wiederholung ist ein gutes pädagogisches Prinzip -, dass die Strukturen unseres Schulwesens nicht fähig sind, sich weiterentwickeln zu lassen. Dieser Überzeugung bin ich wirklich. Ich finde es bemerkenswert, dass die Parteien, die landauf, landab dafür werben, eine Reform unserer Systeme der sozialen Sicherung durchzuführen, die dafür werben, dass unser Wirtschaftsleben verändert, modernisiert und reformiert wird, wenn es um den Bildungsbereich

(Anke Spoorendonk)

geht, der Meinung sind, alles solle so bleiben, wie es in den letzten 100 Jahren gewesen ist. Das ist bemerkenswert und im Grunde genommen etwas, was man öffentlich problematisieren sollte.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Darum sage ich: Wir unterstützen den Antrag der Regierungskoalition, weil er den Prozess verdeutlicht, der mit dem Ziel der verlässlichen Grundschule erreicht werden soll.

Insgesamt stelle ich für den SSW fest: Wir wollen die Unterrichtsqualität an den Grundschulen stärken. Jedoch ist für uns zweitrangig - auch das möchte ich nochmals deutlich machen -, ob das nach einem festen, bestimmten Modell stattfindet. Die Schulen dürfen aus unserer Sicht nicht in allzu eng gestrickte Modelle hineingezwängt werden. Wichtiger ist, dass man vor Ort die Ziele erreichen kann, die formuliert worden sind. Dazu gehört für uns auch eine bessere Verzahnung von Bildung und Jugendhilfe. Damit gemeint sind auch Lehrer, Erzieher und Sozialpädagogen. Damit gemeint ist, dass Unterrichtsqualität und Betreuung in keinem Widerspruch zueinander stehen dürfen. Denn wir wollen neben einer zukunftsfähigen Bildung für unsere Kinder auch durch gute Betreuungsangebote Eltern die Vereinbarkeit von Beruf und Schule ermöglichen.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Erdsiek-Rave.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nicht nur mir geht es so, sondern vielleicht auch Ihnen, wenn Sie Kinder haben. Ich erinnere mich noch gut daran, wie mein Sohn vor 13 Jahren in die Schule kam. Nachdem er im Kindergarten morgens von 8 bis 13 Uhr war, kam er in die Schule. Ich guckte auf den Stundenplan. Einmal ging der Unterricht von 8 bis 11, dann von 9:30 bis 13 Uhr, ein anderes Mal von 8:30 bis 12 Uhr. Es gab ein buntes Durcheinander am Vormittag. Obendrein fiel auch noch der Unterricht aus. Das erfuhr man manchmal eine Stunde vorher oder am Tag vorher. Diese Zeiten sind vorbei. Das ist ein Fortschritt.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

- Das werden Sie mit solchem kleinkarierten Gemeckere nicht schlecht reden, liebe Frau Eisenberg. Zu den einzelnen Punkten von Herrn Dr. Klug komme ich noch.

Ihre Reaktion kennt man aus vielen bildungspolitischen Diskussionen immer und immer wieder. Die jeweilige Opposition, egal, wo das ist, stimmt fröhlich darin ein. Diese Reaktion heißt: Solange nicht x Lehrerstellen mehr, x Millionen Geld mehr zur Verfügung stehen, dürfen wir so etwas gar nicht anfangen. Diese Haltung akzeptiere ich nicht. Das Geld ist knapp.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen mit dem auskommen, was wir haben. Wir müssen daraus das Beste machen. Ich erwarte von Lehrerinnen und Lehrern und auch von Schulleitern, dass sie konstruktiv und kreativ mit dem umgehen, was sie haben.

(Zuruf von der SPD: Das machen sie auch!)

- Ja, das machen sie auch. - Diesen Fortschritt sollten wir alle miteinander nicht zerreden, schon gar nicht jetzt vor der nächsten Stufe. Das ist wahrscheinlich die Absicht, die dahinter steckt. Diese nächste Stufe ist in den kreisfreien Städten übrigens sehr gut vorbereitet. Wir haben aus den Anfangsschwierigkeiten gelernt. Ich werfe Ihnen gar nicht vor, dass Sie als Parlamentarier die Schwierigkeiten in den Umsetzungsprozessen nicht sehen und vielleicht auch nicht kennen. Bei der Umsetzung entstehen Reibungsverluste. Nicht alle machen so mit, wie man es sich wünscht. Nicht alle sind so kreativ, sondern meckern erst einmal, mauern manchmal auch. Aber die überwiegende Mehrheit der Schulen macht inzwischen kreativ mit. Dafür bin ich dankbar.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich will nicht aufzählen, was im Bericht steht. Natürlich hat sich die Unterrichtsversorgung verbessert. Das muss so sein, wenn man mehr Lehrerstunden und mehr Stellen hinein gibt. Es gab 50 Lehrerstellen und Mittel im Umfang von jeweils 25 Lehrerstellen extra. Wie viel wollen Sie zusätzlich hinein geben? Das frage ich Sie. Sie stellen lauter Forderungen: Dies darf nicht wegfallen, jenes darf nicht wegfallen. Wie stellen Sie sich das bitte vor? Lösungsansätze: null! Das kennen wir.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

Jetzt zu dem Punkt: Was ist mit den Differenzierungsstunden, mit den Förderstunden? Ich will Ihnen sagen: Dahinter steckt ein klassisches Missverständnis, nämlich dass es so bleiben soll, wie es früher war. Nach der vierten Stunde, um 12 Uhr, klingelt es. Von 25 Kindern gehen 20 nach Hause und fünf bleiben da und haben eine zusätzliche Stunde Förderunterricht. So ist es in der Tat nicht mehr. Das muss alles innerhalb des Zeitrahmens stattfinden, der für alle gesetzt ist. Das macht man, indem man Gruppen neu mischt, indem man Doppelbesetzungen macht, indem man parallel führt und kleine Gruppen macht, indem man klassenübergreifend arbeitet oder indem man Binnendifferenzierung macht. Der pädagogischen und der organisatorischen Möglichkeiten gibt es sehr viele. Die kennen Sie vielleicht nicht, Frau Eisenberg. Aber ich nenne Ihnen gerne eine Schule, Herr Dr. Klug, in die Sie fahren können, wo das hervorragend und positiv umgesetzt wird. Vielleicht gucken Sie sich einmal eine solche Schule an.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dass sich Oppositionsparlamentarier natürlich die Schulen aussuchen, wo etwas schief geht, wo vielleicht nicht so gut organisiert und gearbeitet wird, kann ich nachvollziehen. Aber es gibt wahrlich auch die anderen. Das sollten Sie vielleicht auch einmal anerkennen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Nun zu dem zweiten Punkt, den Sie kritisiert haben. Das Ziel „jede Stunde zählt“ gilt natürlich für alle Schularten. Deswegen darf es nicht zu Verlagerungen von Stunden zuungunsten der Hauptschule kommen. Punkt. Aus. Wo das geschehen ist, sind wir dem nachgegangen. Es soll natürlich nicht so sein, dass Hauptschulklassen mit Grundschulklassen zusammengelegt werden, es sei denn, es betrifft den Übergang von der 4. in die 5. Klasse. Dann wird man das verantworten können, wenn es in einer dringenden Situation passiert. Aber generell zulasten der Hauptschulen in die Grundschulen zu verlagern, das ist weder gewollt noch eine Vorgabe. Wenn an den Schulen so etwas gemacht worden ist, muss es korrigiert werden. Punkt. Aus.

Letzte Bemerkung. Ich finde, wir sind auf einem guten Wege. Lassen Sie uns gemeinsam nicht immer das Glas halb leer sehen, nicht allein die Einzelfälle, bei denen etwas schief läuft, sondern lassen Sie uns die Anstrengungen der Schulen würdigen, die sich auf diesen Weg gemacht haben. Ich kann Ihnen nur sagen: Dieser Weg ist richtig. Ich lasse ihn mir nicht schlecht reden.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Beratung.

Wir haben zwei Anträge vorliegen. Darf ich davon ausgehen, dass beide an den zuständigen Bildungsausschuss überwiesen werden sollen? - Über beide soll in der Sache abgestimmt werden? - Es soll über beide alternativ abgestimmt werden? - Dann darf ich feststellen, dass das Haus beschlossen hat, alternativ über die beiden Anträge abzustimmen.

Ich rufe zunächst den Antrag der Fraktion der FDP, Sicherung der Unterrichtsqualität im Rahmen der „Verlässlichen Grundschule“, Drucksache 15/3504, auf. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben möchte, darf ich um das Handzeichen bitten. - Das sind die Stimmen von CDU und FDP. Wer möchte dem Antrag von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 15/3526, seine Zustimmung geben? - Er hat die Stimmen von SPD, SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und damit die notwendige Mehrheit gefunden und ist somit angenommen.