Protocol of the Session on May 28, 2004

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es liegt mir fern, die prognostizierten Zahlen für die Jahre 2005 bis 2007 in irgendeiner Form zu relativieren. Wir nehmen diese Steuerschätzung ernst und werden gemeinsam mit der Regierung alle Anstrengungen er

greifen, um unseren Anteil einzubringen, um Wachstumsimpulse zu setzen.

(Martin Kayenburg [CDU]: Wie denn?)

Aber derjenige, der jetzt eine Haushaltssperre fordert, befindet sich über das psychologische Instrument einer Haushaltssperre völlig im Unklaren.

(Martin Kayenburg [CDU]: Wer hat denn ei- ne Haushaltssperre gefordert?)

Es ist ein völlig falsches Signal. Wir müssen in dieser Situation investive Ausgaben tätigen, um Impulse in unsere Wirtschaft zu bringen.

Man könnte es sich in der Bewertung natürlich ähnlich leicht machen wie Ihr CDU-Kollege Weimar, der Finanzminister von Hessen. Dort heißt es in einer Presseerklärung des Finanzministeriums vom 19. Mai:

„Weimar betonte, dass es sich bei den Ergebnissen der Steuerschätzung um eine Momentaufnahme handele, die derzeit noch keine hinreichend verlässliche Aussage zur konkreten Einschätzung der tatsächlichen Steuereinnahmen zulasse.“

Eine solche Bewertung der Steuerschätzung könnte uns natürlich auch helfen, würde sie doch jede Steuerschätzung für völlig bedeutungslos erklären. Eine solche Bewertung ist allerdings nicht zu empfehlen, weil sie sich jenseits der Wirklichkeit bewegt.

Jetzt gehe mit einigen Worten auf den schon näher beschriebenen Landsmann aus Nordfriesland ein und daran kann man deutlich machen, wie ernst es der CDU nimmt, konkrete Vorschläge zu machen, die den Haushalt vielleicht entlasten könnten.

Am 23. April fordert Herr Carstensen laut „Flensborg Avis“ die Konzentration der Lehrerbildung in Flensburg. Er weiß sicherlich Folgendes: Wenn zum jetzigen Zeitpunkt die Realschullehrer-Ausbildung in Flensburg konzentriert würde, müssten erhebliche zusätzliche investive Ausgaben getätigt werden.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Es ist auch sonst Unfug!)

Leider hat er wie so oft vergessen, die entsprechenden Einsparvorschläge mit auf den Tisch des Hauses zu legen.

Meine Damen und Herren von der Opposition, ich glaube kaum, dass die Menschen in diesem Lande auf Ihre Versprechungen hereinfallen werden. Das gilt aus meiner Sicht auch für den Bereich der Polizei. Ich gehe davon aus, dass Ihnen niemand auf den Leim

(Lothar Hay)

geht, wenn Sie dort das „Schwarze“ vom Himmel versprechen.

Unsere Landesregierung hat im Steuerbereich ein Konzept vorgelegt, das den Notwendigkeiten Rechnung trägt. Ich gehe darauf ein, was von Ihnen vorgelegt worden ist, obwohl die Finanzministerkonferenz eindeutig festgestellt hat, dass die Mehrbelastungen in Form von Steuerausfällen, die das Vorstellbare weit übersteigen, nicht akzeptabel sind.

Die Länderfinanzminister haben erklärt: Alles, was bisher von CDU, CSU und FDP vorgelegt worden ist, ist nicht finanzierbar. Ich nenne noch einmal die Kernforderungen unserer Steuervorschläge. Es gibt keinen Spielraum für weitere Steuersenkungen über die letzte Stufe der Steuerreform hinaus. Die Leistungsfähigen müssen sich ihrer steuerlichen Verantwortung stellen. Subventionen müssen abgebaut und Bemessungsgrundlagen verbreitert werden, um dann Steuersenkungen für Geringverdienende und zur Förderung von Familien nutzen zu können.

(Günter Neugebauer [SPD]: Sehr richtig!)

Wir brauchen eine Senkung der Lohnnebenkosten, die in ausreichendem Umfang über eine Erhöhung der Umsatzsteuer erreicht werden kann, und zwar bei gleichzeitiger Senkung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes.

(Beifall bei der SPD)

Das sind vier ausgewählte Punkte, mit denen wir deutlich machen wollen, wie man durch eine Veränderung der Steuerpolitik Impulse setzen kann, damit die Wirtschaft wieder stärker wächst. Wir alle hoffen das natürlich.

Ein deutliches Anspringen wird nur dann gelingen, wenn die Angst der Verbraucher weicht, wenn sich die Furcht vor Arbeitslosigkeit verringert, wenn deutliche Wachstumsimpulse spürbar werden und wenn die Politik in allen wichtigen Fragen eine sichere Orientierung gibt. Wir sollten uns aber auch bewusst machen, dass auch das beliebte Jammern auf hohem Niveau nicht dazu beitragen wird, uns den notwendigen Ruck zu geben, um den Aufschwung zu erzeugen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir alle haben schon am Pfingstwochenende die Möglichkeit, der Konjunktur bei uns im Lande auf die Sprünge zu helfen.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Durch einkaufen?)

Ich rufe Ihnen zu: Auf geht’s! Viel Vergnügen!

(Anhaltender Beifall bei SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion der FDP erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Finanzminister, ich finde, Sie haben heute eine Chance verpasst. Sie hätten die Gelegenheit gehabt, ausnahmsweise einmal ganz sachlich die dramatische Situation der öffentlichen Finanzen in diesem Land darzustellen. Sie hätten auch die Gelegenheit gehabt, ganz sachlich darzustellen, wie Ihre Vorstellungen - jedenfalls für die nächsten neun Monate - aussehen, aus dieser dramatischen Lage herauszukommen.

(Beifall bei der FDP)

Stattdessen haben Sie lieber den - zugegeben kräftigen - Beifall der regierungstragenden Fraktionen entgegengenommen. Den Menschen draußen hilft das offen gestanden überhaupt nicht, wenn Sie sich hier mittlerweile gegenseitig in Anwürfen gegen den Oppositionsführer und gegen die Opposition überbieten.

Worum geht es im Kern, wenn hier von den Regierungsfraktionen eine Debatte zur Lage der öffentlichen Finanzen beantragt wird? Ich habe gedacht, dass es im Kern um zwei Punkte geht: Erstens um die kurzfristige Sicherung politischen Handlungsspielraums, das heißt um die Frage, wie finanziere ich öffentliche Aufgaben, die die Politik definiert hat, vor dem Hintergrund der dramatischen Finanzsituation. Das ist der erste Kernpunkt, wenn man aus meiner Sicht zur Lage der öffentlichen Finanzen spricht. Herr Finanzminister, den zweiten Punkt haben Sie ganz kurz gestreift. Er ist aus meiner Sicht noch wesentlich wichtiger als die Sicherung des kurzfristigen Handlungsspielraums. Er ist die Frage: Wie schaffe ich wieder politische Handlungsspielräume für künftige Genetrationen? Wir - und zwar alle - sind auf dem besten Weg, künftigen Generationen jeden politischen Handlungsspielraum zu verbauen und damit jede Möglichkeit zu nehmen, selber zu entscheiden, wie künftige Generationen ihre eigene Zukunft gestalten wollen. Das halte ich für dramatisch!

(Beifall bei FDP und CDU)

Deswegen habe ich mich auch ein wenig über den Gesamtverlauf dieser Debatte geärgert. Viele, die mich hier schon zu finanzpolitischen Themen gehört haben, wissen, dass ich auch ganz gern einmal lauter

(Dr. Heiner Garg)

werde. Die Probleme sind in der Tat aber zu ernst, als dass man die Verantwortung wie Pingpongbälle hin- und herschieben könnte.

Um das 9-Milliarden-Loch zu stopfen, gibt es drei Möglichkeiten. Entweder man nimmt mehr Geld ein, man gibt weniger Geld aus oder man versucht, beides gleichzeitig zu machen. Mehr Geld einzunehmen, wäre auf zwei Wegen möglich. Entweder man erhöht die Steuern oder man macht mehr Schulden. Beides wäre aus unserer Sicht sowohl wirtschafts- als auch finanzpolitisch falsch, jedenfalls wäre es für all diejenigen falsch, die Wachstum und Beschäftigung ankurbeln und die Arbeitslosigkeit senken wollen. Die hohe Staatsquote, die hohe Abgabenquote und die hohen effektiven Unternehmensteuersätze sind Wachstumsbremsen. Das ergeben viele Untersuchungen. Die unverdächtigste ist sicherlich die der offiziellen Berater der Bundesregierung.

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat die Ursachen der deutschen Wachstumsschwäche untersucht und die Ergebnisse in seinem Jahresgutachten 2002/2003 veröffentlicht. Hiernach bremsen vor allem folgende wirtschafts- und finanzpolitisch relevante Größen das Wirtschaftswachstum: Die direkten und die indirekten Steuern, die Haushaltsdefizite, die Staatsschulden, der Staatskonsum, die Sozialabgaben und die bürokratischen Verkrustungen der Märkte für Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeit.

Um diesem Missverständnis gleich vorzubeugen: Dies bedeutet selbstverständlich nicht, dass die Fünf Weisen vorschlagen, alle Steuern, Abgaben und Verwaltungsvorschriften abzuschaffen und den Staatskonsum auf null zu senken. Das bedeutet, dass das Ausmaß der derzeitigen Steuern, Abgaben, Defizite, Schulden und des Staatskonsums die deutsche Wachstumsschwäche wesentlich mitverursacht haben. Es bedeutet auch, dass noch höhere Steuern, Abgaben, Defizite, Schulden und Staatskonsum unser Wachstum noch stärker bremsen würden. Daraus folgt: Wer Wachstum und Beschäftigung mit finanzpolitischen Instrumenten fördern will, der darf die Staatseinnahmen nicht mehr steigern. Er muss sie mittelfristig senken.

(Beifall der Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP] und Uwe Greve [CDU])

Weil die Defizite und Schulden mittelfristig auch nicht steigen sollten, müssten die Staatsausgaben mitsinken, und zwar nicht die öffentlichen Investitionen, beziehungsweise der öffentlich finanzierte Konsum. Die bisherigen Planungen der Landesregierung laufen daher aus unserer Sicht in die falsche Rich

tung. Die Investitionen des Landes sollen von 2004 bis 2007 dramatisch sinken. 2007 sollen sie 15 % niedriger sein als im Jahr 2004. Das ist die falsche Richtung. Zieht man von den geplanten Nettoausgaben die Investitionen und die Zinsausgaben ab, dann erhält man einen Anhalt für konsumtiv wirkende Ausgaben und Transfers des Landes. Diese Ausgaben steigen bis 2007 um gut 4 %. Auch das ist die falsche Richtung.

Die Zinsausgaben für die Landesschulden bringen kein zukünftiges Wachstum. Sie binden nur Geld, das weder verbraucht noch investiert werden kann. 2007 sollen die Zinsausgaben 9 % höher sein als 2004. Auch das ist die falsche Richtung. Von 2004 bis 2007 sind die erwarteten Zinsausgaben mit 3,6 Milliarden € um 600 Millionen € oder 22 % höher als die geplanten Investitionen. Hierbei ist der zu erwartende Anstieg des Zinsniveaus erst teilweise berücksichtigt.

Die Schulden des Landes sollen weiter steigen; bis 2007 um 2,2 Milliarden €. Die Summe der geplanten Neuverschuldung erhöht sich damit. Das ist auch die falsche Richtung. In Schleswig-Holstein sind die Landesschulden pro Einwohner höher als in jedem anderen westdeutschen Flächenland. Auch das muss uns zu denken geben. Auch das schränkt künftige politische Handlungsspielräume ein.

Die geplanten Defizite sind zu hoch. Nach langjährigen Erfahrungen müssen wir davon ausgehen, dass die Defizite viel zu niedrig angesetzt sind. Auch das ist aus unserer Sicht die falsche Richtung. Diese Pläne sind bereits wachstumsschädlich, bevor sie in die Tat umgesetzt werden, denn sie verschlechtern die Erwartungen der Menschen und die Erwartungen der Unternehmen. Damit bremsen sie auch das Wachstum der Beschäftigung und den Abbau der Arbeitslosigkeit.

In der letzten Tagung und in der letzten Sitzung des Finanzausschusses haben wir über Ihr Steuerkonzept gesprochen, Frau Ministerpräsidentin. Der Finanzminister konnte sich und dem Ausschuss nicht erklären, warum führende Ökonomen und Finanzwissenschaftler Deutschlands an diesem Konzept kein wachstumfördendes Element entdeckt haben. Er hat sich zwar ein wenig über die Professoren lustig gemacht, was man machen kann, es ist aber wenig hilfreich bei der Bewertung des Gesamtkonzeptes.

Ich glaube, die Antwort ist relativ einfach. Nach Ihrem Konzept, Frau Ministerpräsidentin, wären die Steuern zu hoch und schwächten dadurch das Wachstum, weil sie besonders die Anreize zu privaten Investitionen in Sachkapital erheblich einschränkten. Das liegt daran, dass unternehmerische Entscheidun

(Dr. Heiner Garg)

gen weniger von den nominalen Steuersätzen beeinflusst werden als vom effektiven durchschnittlichen Steuersatz und vom effektiven Grenzsteuersatz. Dabei beeinflusst der effektive Durchschnittssteuersatz besonders Standortentscheidungen, während der effektive Grenzsteuersatz Erweiterungsinvestitionen an vorhandenen Standorten beeinflusst.

Deshalb täuscht auch der alleinige Vergleich gesamtwirtschaftlicher Steuerquoten über die Belastung der Steuersysteme, wie ihn Karl-Martin Hentschel manchmal anstellt. Dabei schneidet Deutschland zwar in der Tat ziemlich gut ab.