Protocol of the Session on May 26, 2004

Wir können hierzulande besonders deutlich beobachten: Schleswig-Holstein und Hamburg sind aktuell Spitzenreiter in puncto Milcherzeugung; gleichzeitig stehen die Milcherzeugerpreise hierzulande bundesweit auf dem Tiefststand. Angesichts dieses Ungleichgewichts von Angebot und Nachfrage lässt es sich nach meiner Auffassung kaum noch verantworten, die Exporterstattungen für Butter und auch für Magermilchpulver weiter herabzusetzen.

(Beifall bei der FDP)

Die Marktchancen und die Konkurrenzfähigkeit der EU-Anbieter insgesamt auf Drittlandsmärkten haben sich dadurch deutlich verschlechtert. Hier besteht noch erheblicher Nachbesserungsbedarf.

Packen wir es also an! Wir können die Milcherzeuger in Schleswig-Holstein nicht im Regen oder, besser gesagt, in der Milch stehen lassen. Die Politik muss schnellstens handeln, aber auch wir als Verbraucher müssen dies tun. Eine Trendwende für die Milchviehhalter lässt sich nur erreichen, wenn die Molkereien im Binnenmarkt geschlossen höhere Preise durchsetzen können und diese an die Erzeuger weiterreichen. Auch den „Müttern aller Schnäppchenjäger“ sollte es nicht egal sein, wenn sie Milch zu einem Preis verlangen, der jeden Landwirt in den Ruin treibt. Die Milch ist nicht nur für die Landwirtschaft eine ganz wesentliche Säule; die Milchviehhaltung trägt auch zum Erhalt unserer Kulturlandschaft bei.

(Vereinzelter Beifall bei FDP und CDU)

Kurzum: Die Milch macht’s. Dessen sollten wir uns alle bewusst sein.

(Beifall bei FDP und CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat jetzt der Kollege Detlef Matthiessen das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Milchwirtschaft ist in SchleswigHolstein für die Landwirtschaft von hervorragender Bedeutung. Das betrifft sowohl die Wertschöpfung als auch die Zahl der landwirtschaftlichen Arbeitsplätze. Ich will das kurz anhand von Zahlen erläutern. Wir haben in Schleswig-Holstein 6.400 melkende Betriebe mit circa 350.000 Kühen. Damit kommen wir auf durchschnittlich 55 Kühe je Betrieb. Zum Vergleich: In Deutschland sind es 35, in der EU 33 Kühe je Betrieb. Wir sind strukturell also relativ gut aufgestellt. Vergessen wir aber nicht, dass im Durchschnitt 157 Kühe in jedem Stall in den neuen Bundesländern stehen. Die Betriebe dort sind uns also weit voraus.

(Zuruf des Abgeordneten Werner Kalinka [CDU])

- Lass mich hier doch mal ausschnacken. Du hast doch keine Ahnung. - Die Pachtquote in SchleswigHolstein ist mit 20 bis 30 % beträchtlich. Wir müssen in der Diskussion also die Auswirkungen auf den Quotenmarkt sorgfältig mit beachten. Mit 1 Milliarde € trägt die Milch bei uns im Lande ein Drittel zur landwirtschaftlichen Wertschöpfung bei. Das bedeutet, dass Schleswig-Holstein weit überproportional von der schwierigen Lage auf dem Milchmarkt betroffen ist. Auf Bundesebene beträgt der Wertschöpfungsanteil nur 23 %.

Die Situation der bäuerlichen Milcherzeuger ist äußerst angespannt. Noch nie wurde 1 l Milch von den Molkereien so schlecht bezahlt wie derzeit. Eine nachhaltige Milcherzeugung wird so zum Minusgeschäft. Das bringt Arbeitsplätze, Wertschöpfung und ganze Kulturlandschaften, zum Beispiel auch die Halbinsel Eiderstedt, in Gefahr.

Daher ist es zu begrüßen, dass die CDU hierzu einen Antrag vorlegt. Ich möchte von dieser Stelle aus dem Antragsteller Claus Ehlers im Namen meiner Fraktion auch recht herzlich zu seinem 60. Geburtstag gratulieren, den er gestern hinter sich gebracht hat.

(Heiterkeit)

Außerdem ist erfreulich, dass der Antrag von eigenen Überlegungen getragen ist. Er stimmt weder mit den Vorstellungen des Schleswig-Holsteinischen noch mit denen des Deutschen Bauernverbandes überein. Es heißt ja so schön: Der Kopf ist rund, damit die Ge

danken frei kreisen können. Der Kopf von Claus Ehlers ist ja besonders rund.

(Heiterkeit)

Wir sind allerdings nur mit der Intention, nicht mit den Forderungen in dem CDU-Antrag einverstanden. Die CDU fordert, die Milchquote solle an den Verbrauch angepasst werden. Richtig ist, dass das Überangebot das Hauptproblem ist. Das haben Claus Ehlers und andere Vorredner ja auch dargestellt. Besser ist es, weniger Milch zu auskömmlichen Preisen zu liefern. Der CDU-Antrag würde jedoch auf EUEbene eine 15-prozentige und national eine 20prozentige Kürzung der Quote bedeuten.

Claus Ehlers, zum einen werden Milchprodukte auch exportiert; daher muss nicht um jene Menge gekürzt werden. Das heißt, der Binnenverbrauch plus Export sind die Zielmarke. Zum anderen gehen Experten davon aus, dass bei einer Annäherung von etwa 1 oder 2 % bereits sehr beachtliche Reaktionen auf dem Markt zu erwarten sind.

Exportförderung, wie von der CDU vorgeschlagen, ist keine Perspektive. Die WTO will alle Agrarsubventionen abbauen. Das wird so kommen und wir unterstützen das im Prinzip auch. Darüber hinaus, so sagt die CDU, soll die Saldierung von Milchquotenunterlieferungen mit -überlieferungen zur Angebotsreduzierung EU-weit abgeschafft werden. Das überfordert viele Kollegen. Auch das können wir als Grüne nicht mittragen, zumal Schleswig-Holstein von der Saldierung überproportional profitiert und die Auswirkungen auf Quotenhandel und Quotenpacht mit betrachtet werden müssen.

Wir schlagen daher - wie der Bauernverband auf Bundesebene - eine fünfprozentige betriebsindividuelle Grenze für die Saldierung vor und wollen zusätzlich eine Obergrenze von 10.000 l. Das würde dann bis zu einer Jahresliefermenge von 200.000 l reichen. Wenn die Größe ein ökonomischer Vorteil ist, muss sich das irgendwann auch auf dem Markt bewahrheiten. Das heißt, wir wollen hier den Strukturwandel in der Landwirtschaft deutlich bremsen. Wir könnten freigesetzte Arbeitskräfte ja auch nirgends unterbringen, weil wir einen sehr angespannten Arbeitsmarkt haben. Ganz anders war es in den 60erJahren, als die moderne Agrarpolitik das Fördern in das Wachstum propagierte und das so genannte Höfesterben eingeleitet wurde. Damals war der Arbeitsmarkt nachfragend. Wir haben diese Agrarpolitik immer noch und belasten die europäischen Arbeitsmärkte bis zum Abwinken.

(Detlef Matthiessen)

Wir stimmen in keinem Punkt mit dem vorgelegten Antrag so richtig überein, freuen uns aber auf die Diskussion im Ausschuss.

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Noch ein Wort an die Kolleginnen und Kollegen: Die Bäuerinnen und Bauern in der Milchwirtschaft arbeiten hart, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr. Die Höfe sind oft über viele Generationen an die Nachfolger übergeben worden. Sie sehen nun zu, wie sie jedem Liter Milch, den sie verkaufen, tatsächlich Geld hinterherschmeißen müssen. Das ist eine Perspektive, die menschlich zu äußerster Verzweiflung führen kann.

(Vereinzelter Beifall bei CDU und FDP)

Ich möchte dafür werben, dass wir dieses Thema, das traditionell nicht immer das ganze Haus berührt, ernsthaft angehen. Der Staat muss hier tatsächlich handeln. Wir haben regulierte Märkte. Es ist in staatlicher Verantwortung. Daher müssen wir hier auch Gegenmaßnahmen ergreifen.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Das Wort für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag erteile ich Herrn Abgeordneten Lars Harms.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Milchpreisverfall hat bereits vor einigen Wochen zu bundesweiten Protesten von Milchbauern geführt. Die medienwirksamen Bilder dieser Protestaktionen möchte ich noch einmal vor Augen führen: Milch wird mit einem Güllewagen auf einem Feld ausgebracht oder in den Gully gekippt und laut Pressemeldungen soll morgen sogar ein Bauernhof angezündet und mit Milch gelöscht werden.

Auch wenn ich den Frust der Milchbauern durchaus nachvollziehen kann, kann ich derartige Aktionen nicht akzeptieren und verurteile sie aufs Schärfste.

(Beifall beim SSW)

Auch wenn Schleswig-Holsteins Bauernpräsident derartige Aktionen ebenfalls nicht unterstützt, hätte seine Kritik an der Vernichtung von Lebensmitteln durchaus schärfer ausfallen können. Es hat mich ein bisschen traurig gestimmt, was er dazu gesagt hat.

Ausschlaggebend für diese Protestaktionen ist die Preisentwicklung des Milchmarktes. Der Auszahlungspreis für die Bauern ist in den letzten Jahren stetig gesunken. Milch hat sich zu einem Produkt entwickelt, das zu Ramschpreisen verhökert wird. Um

dieser Entwicklung entgegenzusteuern und um geschlossen auf dem Markt auftreten zu können, hat sich mittlerweile der Interessenverband „Bundesverband Deutscher Milchviehhalter Nord" gegründet.

Das Thema der sinkenden Preisentwicklung darf aber nicht nur auf die Milch bezogen werden. Dieses Problem hat sich mittlerweile auf einen Großteil unserer Nahrungsmittel ausgebreitet. Der Preisverfall zieht sich wie ein roter Faden durch die landwirtschaftlichen Produkte. Wir alle wissen, wie es zu dieser Entwicklung gekommen ist: Falsch gelenkte Subventionen haben zu Überproduktionen in allen Bereichen der Landwirtschaft geführt.

Diese Art des Markteingriffs wie in der Vergangenheit war nicht der richtige Weg. Gerade die Marktentnahmen zur Preisstützung führten in der Vergangenheit zu Butterbergen und Milchseen, die vom Steuerzahler finanziert wurden. Wenn wir dorthin zurückgehen, schaffen wir nie mehr Marktwirtschaft in der Landwirtschaft, sondern subventionieren weiter landwirtschaftliche Produktion in ganz Europa, sei es unsere Milch oder auch Pistazien aus Italien und Spanien.

Von dieser Entwicklung müssen wir wegkommen, zumal, wenn wir uns immer wieder vor Augen halten, dass die Milch nur ein Produkt von vielen ist und es die gleiche Problematik auch bei anderen Produkten gibt. Soll auch hier überall künstlich in den Markt eingegriffen werden? Ich denke, nein. Daher halte ich die Idee, die Agrarpolitik völlig umzustellen, für besser. Mehr Markt und dann eine Grundförderung ohne Bezug auf die Produktion.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das soll jetzt geschehen und genau das ist der richtige Weg.

Die Frage, die sich deshalb eigentlich stellt, ist: Warum entsteht der Preisdruck auf alle möglichen landwirtschaftlichen Produkte? Der Druck entsteht, weil es auf der einen Seite viele Anbieter der Produkte gibt, nämlich die Landwirte. Auf der anderen Seite des Marktes, bei den Nachfragern, haben wir es mehr oder weniger mit einem Oligopol von einigen wenigen großen Lebensmittelketten zu tun. Diese Situation führt dazu, dass sich die Ketten im Drücken der Preise relativ einig sind und so nicht nur die Landwirte leiden müssen, sondern auch kleinere Lebensmittelketten mehr und mehr aus dem Markt gedrängt werden und verschwinden.

Aber nun wissen wir, dass Herr Albrecht zwar gesagt hat, dass sein Lebensmittel-Discounter durchaus mehr

(Lars Harms)

für den Liter Milch oder für Milcherzeugnisse zahlen würde, aber dass diese Produkte zu einem Spottpreis von den Molkereien angeboten werden. Mit anderen Worten: Der schwarze Peter wurde somit an die Milchwirtschaft weitergeschoben.

Wenn man sich aber vorstellt, dass die großen Discounter-Ketten in Deutschland bei der Trinkmilch mittlerweile einen Marktanteil von über 50 % haben, kann man sich durchaus vorstellen, dass unsere Molkereien keine andere Möglichkeit haben, als mitzubieten oder auszusteigen, nach dem Motto: Friss oder stirb.

Daher bin ich der Auffassung, dass eigentlich mehr in dieses Kartell eingegriffen werden muss. Zumindest muss in Zukunft verhindert werden, dass die Konzentration bei den Nachfragern weiter fortschreitet. Denn erst wenn auch auf dieser Seite des Marktes marktwirtschaftlicher Wettbewerb herrscht, sind auch wieder höhere Preise zu erzielen.

Kollege Ehlers, in den 50er-, 60er-Jahren gab es einmal einen CDU-Wahlkampf unter dem Motto: „Freiheit statt Sozialismus“. Daran kannst du dich bestimmt noch erinnern.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Du dich auch?)

Jetzt ist es bei der CDU genau andersherum: Heute tritt Kollege Ehlers für Abhängigkeit und Sozialismus ein.

(Vereinzelter Beifall bei SSW und SPD - Zu- rufe von der CDU)

Wir halten es dagegen mehr mit der Marktwirtschaft und lehnen die Planwirtschaft à la CDU als gescheitert ab.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zurufe)