Protocol of the Session on April 30, 2004

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das neue Gesundheitsgesetz macht immer noch nicht wenigen Menschen Bauchschmerzen. Wenn wir jetzt engagiert mehr als zwei Stunden über FFH-Gebiete gesprochen haben, dann ist es gut, dass wir uns auch um die gesundheitliche Entwicklung von Menschen Gedanken machen. Der Antrag, den wir gestellt haben, ist auch ein Zeichen der Solidarität und ein Beitrag zum Thema, dass die Sorgen der betroffenen Menschen nicht an uns vorbeigehen.

Die Zahl der Arztbesuche geht nach dem ersten Vierteljahr sehr deutlich zurück. Man mag sagen, es sei

1 siehe Anlage

(Werner Kalinka)

gar nicht so schlecht, dass dies ein bisschen weniger ist, weil manches zu viel war. Wenn wir bei Kindern aber einen Rückgang von 12 % haben, dann ist dies ein Wert, der Besorgnis erregt. Wir haben in Schleswig-Holstein im ersten Quartal 10 % weniger Inanspruchnahmen von ärztlichen Leistungen. Zum Teil wird inzwischen von langen Wartezeiten gesprochen. Dem steht gegenüber, dass die Beitragssenkungen bislang bei 0,1 % liegen. Das ist weit weniger als erwartet.

Wir haben darüber hinaus einige Nebenwirkungen der Entwicklung, die ich kurz nennen möchte: 4.000 Praxisgebühren wurden nicht gezahlt. Keiner weiß genau, ob sie eingetrieben werden oder nicht. Allein im ersten Quartal hat es in Schleswig-Holstein 110 Praxiseinbrüche gegeben. Das mag manchen nicht interessieren, aber es sind Dinge, die die Menschen, um die es geht, in hohem Maße berühren. Die gesetzlichen Krankenkassen haben ein Prozent ihrer Mitglieder verloren. Auch das ist ein Wert, über den man sich Gedanken machen muss.

Es gibt aber auch wenige positive Dinge, die besonders erwähnt werden sollten: Zum Beispiel war die Grundlohnsummenentwicklung im vergangenen Jahr positiv. Es gab eine Steigerung von einem Prozent.

Unser Problem bleiben die Einnahmeausfälle auf Grund der Arbeitslosigkeit, nicht so sehr die Grundlohnsummenentwicklung im Gesundheitswesen.

Wir halten es für notwendig, dass erstens erheblich mehr Aufklärung betrieben wird. Wir hatten im ersten Vierteljahr einen Run auf die Geschäftsstellen der Krankenkassen. Davon macht man sich gar keine Vorstellung. Dies ist eine hohe Belastung der dort tätigen Menschen. Vielerorts herrscht gar keine Klarheit, was ist oder nicht ist. Dass von den Zuzahlungen Kinder und andere befreit sind, wissen viele nicht. Von daher kommt auch, dass Kinder zu manchen Untersuchungen wie Impfungen nicht geschickt werden. Ich finde, das ist Besorgnis erregend.

Zweitens. Wir brauchen Klarheit über den finanziellen Weg. Die gesetzlichen Krankenversicherungen hatten 2003 ein Minus von 2,9 Milliarden €. Statt des prognostizierten Rückganges auf 13,6 % haben wir bislang einen um 0,1 von 14,3 auf 14,2 %. Wir sind also immer noch weit entfernt von dem prognostizierten Ziel. Wir müssen wissen und Klarheit haben, mit welchen Schritten nun tatsächlich eine Beitragssenkung erreicht wird, denn die Erwartung bei dieser Reform war die, dass Beitragssenkungen kommen, damit wir zu einer effektiven Entlastung für Betriebe und Versicherte kommen.

Drittens. Nach wie vor bestimmen teilweise soziale Härten die Situation. Das bezieht sich auf Zuzahlungen, das bezieht sich auf manche chronisch Kranke. Wir müssen dafür werben, dass wir nicht einen Weg zu weiteren sozialen Härten bekommen. Das kann nicht im Sinne einer Gesundheitsreform sein, dass ein Teil der Menschen tatsächlich durchs Raster fällt. Das kann nicht Sinn und Zweck der Sache gewesen sein.

Viertens. Damit wir uns darüber nicht erst im Herbst unterhalten müssen und Sie auf der linken Seite wieder die ganz Überraschten spielen: Die Entwicklung in den Krankenhäusern kann finanziell Besorgnis erregend werden. Allerorts rechnet man in den Krankenhäusern mit Defiziten, zum Teil sogar mit sehr hohen. Das muss uns schon jetzt alarmieren und uns fragen lassen, welche Schritte möglich sind. Es kann nicht bedeuten, das allein in einer bestimmten Einseitigkeit zu machen.

Fünftens Hausarztmodell. Die Notlösung soll jetzt die sein, alles über das Hausarztmodell zu machen. Meine Damen und Herren, wir haben nicht einmal genug Ärzte, um das Hausarztmodell umsetzen zu können. Wir haben zum Teil viel zu wenig Ärzte. Ich denke, dass auch darüber eine sehr differenzierte Diskussion geführt werden muss.

Dieses sollten einige Punkte sein, die wir auch mit dem Stichwort Prävention ergänzen müssen. Die Kassen sind alle dabei, Präventionsmaßnahmen in Gang zu setzen. Auch die Politik sollte nachdenken, ob wir für Schleswig-Holstein Präventionsprogramme gemeinsam mit den Kassen machen sollten, um einen positiven Vorsorgebeitrag zu leisten.

Meine Damen und Herren, ich habe gesehen, dass meine letzten Sekunden Redezeit kommen. Ich lasse es bei diesen Gedanken. Wir begleiten die Gesundheitsentwicklung aufmerksam auch im Interesse der versicherten Menschen.

(Beifall bei der CDU)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Jahner das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kalinka, wenn ich mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen der anderen Bundesländer - das machen Sie ja auch mit Ihrer Fraktion und Ihrer Partei - unterhalte, dann erzeugt es immer wieder Verwunderung, dass Sie dieses Thema Gesundheitsmodernisierungsgesetz zu einer landesweiten Debatte nutzen. Es ist immer wieder erstaunlich, dass

(Arno Jahner)

Sie zum wiederholtem Male versuchen, mit diesem und über dieses GMG in Schleswig-Holstein Punkte zu sammeln. Darum noch einmal, Herr Kollege: Dieses Gesetz ist durch die Beteiligungspflicht im Bundesrat ein gemeinsam verfasstes Gesetz mit schmerzhaften Einschnitten - auch nach unserer Einschätzung - von bürgerfreundlichen Dienstleistungen, und es taugt überhaupt nicht, es immer wieder populistisch und reißerisch aufzurufen. Bitte, begreifen Sie das endlich.

(Zuruf von der CDU: Die Durchführung ist Mist!)

Begreifen Sie bitte endlich, dass die Einflussmöglichkeiten der Landesregierung eingeschränkt sind. Es ist und bleibt ein sehr komplexes Regelwerk innerhalb eines Rahmengesetzes und es soll auch weiterhin mit den Selbstverwaltungen sowie dem Bundesausschuss entsprechend seinen Kompetenzen delegiert bleiben. Das wollen die Regierungsfraktionen und die Oppositionsfraktionen in Berlin gemeinsam. Nur der Retter des deutschen Gesundheitswesens, Herr Kalinka, meint, die Landesregierung Schleswig-Holstein könne das richten und werde es richten.

Ich will kurz auf Ihre verfassten Spiegelstriche eingehen, obwohl sie fast wörtlich Bestandteil und Hinweise auf die Umsetzung des GMG sind. Sie fordern ausreichende Aufklärung aller Versicherten. Ja, bitte, wie? Soll die Landesregierung etwa die Aufgabe der Kostenträger übernehmen, der Sozial- und Wohlfahrtsverbände bis hin zu den Verbänden des Verbraucherschutzes? Sie wollen eine genaue Überprüfung des GMG auf Schwachstellen. Wie soll das bitte über die Landesregierung gehen? Nach meiner Information ist auch das originäre Aufgabe des Bundesausschusses. Sie appellieren an die Vermeidung sozialer Härtefälle. Ich will dazu lernen, Herr Kalinka.

(Werner Kalinka [CDU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

- Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage.

Ich will mich einsetzen, wenn Sie mir anhand eines Beispiels deutlich machen, wie so etwas mit Hilfe der Landesregierung umgesetzt werden kann.

Im vierten Spiegelstrich fordern Sie die bessere Aufklärung über Präventionsmöglichkeiten sowie im fünften Vorschlag bessere Angebote von Vorsorgemaßnahmen. Warten wir es ab, warten wir auf das Präventionsgesetz. Und was die Vorsorge angeht, erbitten wir erneute Details, was denn bitte mehr Vorsorge ist und in welchen Bereichen, Herr Kalinka.

Den sechsten Punkt will ich nicht kommentieren. Es bedarf wirklich nicht der Aufforderung der CDU, diese Selbstverständlichkeiten besonders anzumahnen.

Was den siebten Spiegelstrich angeht, ist Ihr Hinweis längst ein fester Bestandteil des GMG, übrigens eine Forderung von Sozialdemokraten hier in SchleswigHolstein. Es geht um die Weiterbildung der Ärzte. Die niedergelassenen Ärzte in Schleswig-Holstein geben der Aus- und Fortbildung einen hohen Stellenwert.

Der achte Spiegelstrich, in dem Transparenz gefordert wird, bedarf auch einer besonderen Erklärung: Welche Art von Transparenz meint er denn, unser Schutzpatron?

Meine Damen und Herren, die mit der CDU/CSU im Deutschen Bundestag gemeinsam - ich wiederhole noch einmal: gemeinsam - festgeschriebenen Ziele wollen eine effizientere, gesteigerte Qualität der medizinischen Versorgung gerade auch im Bereich der Volkskrankheiten, Schließen der Finanzierungslücke zwischen den Ausgaben- und der Einnahmenentwicklung in der GKV, Stärkung der Patientensouveränität, Verbesserung der Patientenversorgung, Entwicklung und Aufzeigen von weiteren Versorgungsstrukturen, Neugestaltung und Vergütung im ambulanten Bereich. Die Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln soll neu geordnet werden. Die Organisationsstrukturen sollen reformiert werden. Dazu gehört eine Neuordnung der Finanzen. Es wird weiterhin in einigen Bereichen Umsetzungsprobleme geben. Das sehen wir auch so. Ich bin froh, dass viele kritische Punkte in dem bereits zweimal von mir erwähnten Bundesausschuss beraten und auch abgeschlossen wurden.

Eines ist jedoch klar, Herr Kalinka, und ich glaube, ich weiß, was Sie reitet, auch wenn Sie das GMG als Ganzes oder Teile daraus bis zum 20. Februar 2005 immer wieder in diesem Hause problematisieren wollen. Ihr populistischer Ansatz ist deutlich erkennbar. Der mündige Bürger wird durch derartige Showanträge ein weiteres Mal verunsichert. Ich frage mich, wann endlich ein Berliner Kollege Ihrer politischen Heimat, vielleicht sogar Ihr Spitzenkandidat, Sie über die Entstehungsgeschichte und Handhabung dieses Gesetzes aufklärt.

Mein letzter Satz: Das spannendste in dieser Woche und Debatte waren die „Kieler Nachrichten“ vom 29. April 2004, der Experte für Gesundheit, Herr

(Arno Jahner)

Professor Dr. Beske: „Gesundheitssystem besser als sein Ruf.“

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Kolb das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, wie groß die Aufmerksamkeit bei einem so wichtigen Thema ist. Das möchte ich an dieser Stelle einmal festgestellt haben. Ich werde die ganze Sache auch relativ kurz fassen. Dies ist ein sehr ernstes Thema, und es ist mir auch zu ernst, um es zu einem Wahlkampfthema verkommen zu lassen. Das gilt für beide Vorredner, die ich gehört habe. Es ist für mich auch ein wenig sonderbar, Herr Kalinka, dass sich die CDU in jeder zweiten Sitzung von dem Gesundheitskompromiss, an dem Ihre Partei maßgeblich beteiligt war, distanziert. Nichtsdestoweniger ist festzustellen, dass die Menschen die Praxen zum Jahresende gestürmt haben.

Sie haben sich Medikamente verschreiben und neue Brillen verordnen lassen und auch alles andere, was teurer werden sollte, wurde noch einmal verordnet. Das ist auch so dokumentiert und in großen Teilen festzustellen. Denn die Bürger dieses Landes hatten Angst, dass Gesundheit für viele unbezahlbar wird und forderten deshalb noch schnell alle Leistungen vor dem Jahresende ein. So stiegen selbstverständlich die Ausgaben kräftig, um dann im ersten Quartal des Jahres 2004 zu sinken.

Aber wirken diese neuen Regelungen? - Das bleibt noch festzustellen. Es wurde bereits nach 100 Tagen ein Selbstlob verbreitet. Das Bundesgesundheitsministerin war da in seiner Einschätzung und in seinem Jubel etwas zu vorschnell.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP])

Natürlich gehen die Menschen seltener zum Arzt und natürlich verordnen die Mediziner weniger. Ich sagte es bereits: Es ist eine große Vorleistung begangen worden, weil eine N3-Packung in der Regel 100 Tage hält und damit kommt man eine Weile aus.

Doch ob dieser Trend anhält, wird sich zeigen. Diese Frage werden wir nach der Sommerpause stellen, denn dann liegen die Zahlen des zweiten Quartals vor und die sind aussagekräftiger.

Herr Kalinka, Sie haben in Ihrem Antrag so einiges an Wünschen freigelegt. Dieser Katalog soll nach Ihrem Willen künftig in der Gesundheitspolitik beachtet und umgesetzt werden. Leider sind mir Ihre Forderungen zu unkonkret.

Die einzig konkrete Forderung ist, dass Sie eine verbessert Bildung und Fortbildung von Medizinern und vom medizinischen Personal möchten. Da gehe ich mit Ihnen einher, aber bei dieser Forderung nach Fortbildung frage ich Sie ernsthaft, ob Sie diese nur mit den Kassen und der Landesregierung klären wollen. Ihr Antrag impliziert dies. Bedauerlich finde ich dabei, dass Sie die Erbringer der medizinischen Leistungen so völlig außen vor lassen; ich möchte dabei keine Absicht unterstellen.

Ich würde mir wünschen, dass wir uns gemeinsam ernsthaft damit auseinander setzen, welche Einflussnahme wir beim Gesundheitsmodernisierungsgesetz haben können. Da müssen ganz andere Wege beschritten werden. Die gesetzlichen Krankenversicherungen müssen sich neu aufstellen. Wir brauchen Kostentransparenz, wir brauchen das Kostenerstattungsprinzip. Wenn wir gemeinsam daran arbeiten, dieses nach Berlin zu transportieren, und wenn es dort umgesetzt werden kann, dann würde ich mich freuen. Dann hätten wir den Versicherten einen großen Dienst erwiesen. Ich hoffe auf diese Zusammenarbeit.

(Beifall bei der FDP)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Birk das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe wenigen Kolleginnen und Kollegen! Auch ich finde, dass dieses Thema mehr Aufmerksamkeit verdient. Allerdings gebe ich zu, dass der Antrag der CDU dazu nicht gerade einlädt.

(Hans-Jörn Arp [CDU]: Das ist ja unerhört)

Denn die CDU fordert auf Landesebene, was sie auf Bundesebene vereitelt. Dieses Spielchen haben wir jetzt zum wiederholten Male hier aufgeführt gesehen. Ich möchte es Ihnen noch einmal deutlich machen.