Protocol of the Session on April 29, 2004

(Zuruf der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Doch. Zum Beispiel Bayern. Bayern wäre, wenn es eigener Staat wäre, in der Spitzengruppe. - Es wäre

(Dr. Ekkehard Klug)

noch im vorderen Drittel. Das muss man einfach sagen. Das ist so.

(Beifall bei FDP und CDU)

Das kann man nicht bestreiten. Wir haben gerade festgestellt, dass man nun in England beginnt, stärker im Hinblick auf das Schulprofil zu differenzieren. Die Erfahrungen mit der sechsjährigen Grundschule in Berlin sind schon angesprochen worden. Also auch das, was wir aus der Bundesrepublik wissen, spricht eher gegen einen solchen Ansatz.

Im Übrigen wird das, wenn man es weiter betreibt, dazu führen, dass sich Eltern zunehmend dafür entscheiden, ihre Kinder auf anspruchsvolle Privatschulen zu schicken. Auf diese Weise werden Sie am Ende eher eine Zwei-Klassen-Gesellschaft erreichen, weil sich Eltern, sofern sie es sich finanziell leisten können, aus dem öffentlichen Schulwesen verabschieden werden. Wenn Sie mit Ihrer Schulpolitik weitermachen, wird genau dies das Resultat sein.

Herr Kollege Höppner, hinsichtlich der wissenschaftlichen Ergebnisse möchte ich Sie auf die Analyse der PISA-Daten durch eine Studie des RWI in Hessen verweisen. Sie ist unter der Überschrift „Genaues Hinsehen lohnt“ veröffentlicht worden und beschäftigt sich mit den Determinanten des Abschneidens deutscher Schüler in der PISA-Studie aus dem Jahr 2000. Ich will kurz zitieren: Eine explizite Berücksichtigung der Heterogenität der Leistungsfähigkeit, jeweils relativ zum durchschnittlichen Erfolg in der Schule, zeige darüber hinaus mehr als deutlich, dass sich eine starke Leistungsheterogenität innerhalb einer Klasse oder Schule sich sehr stark negativ auf den individuellen Schulerfolg auswirke. - Dieses Zitat stammt aus „Forschung und Lehre“, Heft 6 aus 2003.

Das bestätigt auch Untersuchungen, wie sie zum Beispiel das Max-Planck-Institut für Psychologische Forschung schon früher gemacht hat. Es bestätigt diesen Schereneffekt, der eintritt, wenn Sie eine Lerngruppe haben, die in ihrem Leistungsstand zu stark auseinander driftet und der dem Lehrer am Ende nicht mehr die Möglichkeit gibt, alle Kinder in der Klasse hinreichend zu fördern. Das könnte allenfalls durch einen enorm hohen Personalaufwand mit viel Zusatzunterricht in kleinen Lerngruppen kompensiert werden. Wenn in Finnland jeder sechste Schüler im Laufe eines Schuljahres entweder ganz oder teilweise, für längere Zeit während eines Schuljahres, Einzelunterricht oder Kleingruppenunterricht erhält, dann sehen Sie ja, welcher Aufwand betrieben wird, um entsprechend gute Lernergebnisse auch für schwächere Schüler zustande zu bringen.

Die Probleme, die Herr Höppner aufgezeigt hat, sind in der Umsetzung eines Vorschlages, wie ihn der SSW unterbreitet, durchaus ernst zu nehmen. Für mich ist auch gravierend, dass Sie für einen Schulversuch eine luxuriöse Ausstattung gesetzlich festlegen wollen, die aber ausschließlich auf Kosten aller anderer Schulen erfolgen würde. Das, was Sie vom SSW wollen, ist nichts anderes als die Ausbeutung der ohnehin viel zu knappen Ressourcen unserer weiterführenden Schulen in Schleswig-Holstein. Das wäre das Ergebnis, folgte man Ihrem Gesetzesantrag. Wir lehnen ihn deshalb ab.

(Beifall bei FDP und CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Angelika Birk das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bildungsfachleute! Diese Debatte ist eine traurige Angelegenheit.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Immer und immer wieder dieselben Argumente der Opposition! Es bleibt alles wie es ist: Feudalismus in unserem Schulsystem ist Klasse.

(Zurufe von der CDU)

Immer wieder kommen neue Hinweise, die nicht berücksichtigen, dass unsere Lehrerinnen und Lehrer die Binnendifferenzierung nicht gelernt haben und dass das demokratische Gut, Verschiedenheit auszuhalten und produktiv zu nutzen, in diesem Lande offensichtlich nichts wert ist. Das kann ich nur daraus schließen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Zeit ist reif für Schulreformen. Insofern finde ich es gut und richtig, dass ein konkreter Vorschlag gemacht wird. Die Grünen in den vier nördlichen Bundesländern haben auch einen konkreten Vorschlag gemacht. Sie haben ein stimmiges Konzept für eine neunjährige integrative Schulform vorgelegt. Wir haben deutlich gemacht, dass auch bei den knappen Finanzressourcen in diesem Bundesland mehrere Tausend Lehrerinnen- und Lehrerstellen in den nächsten Jahren umgeschichtet werden könnten und damit eine Annäherung an das finnische Schulsystem möglich wäre.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Angelika Birk)

Es scheitert nicht am Geld, es scheitert bisher am gemeinsamen Willen. Die Finnen haben ihr Schulsystem aus Kostengründen umgestellt. Sie konnten sich in Lappland kein Gymnasium leisten. Das hätte einen Einzugsbereich von 300 Kilometern gehabt.

(Zurufe von der CDU)

Sie konnten es sich aber leisten, für alle Kinder ein gemeinsames Schulsystem aufzubauen, das auch einem Kind in einer dünn besiedelten Gegend, die Möglichkeit eröffnet, zum Beispiel Deutsch oder eine andere europäische Fremdsprache zu lernen. Das ist zukunftsweisend.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nun zum Antrag des SSW. Wir brauchen Experimente. Da sind wir einer Meinung. Aber, Frau Spoorendonk, haben Sie einmal genau in das Schulgesetz gesehen? Eigentlich haben wir eine Experimentierklausel. Wir müssten sie nur nutzen.

Sie haben Ihren Vorschlag zur Schule in Gesetzesform gegossen und haben damit die Experimentierklausel präzisiert. Wir möchten eigentlich eine Beschränkung auf die sechs Jahre vermeiden. Wir möchten nämlich auch, dass das, was die Freie Schule Schenefeld und auch die Waldorfschulen erfolgreich praktizieren, endlich als Schulexperiment an öffentlichen Schulen nachvollzogen wissen.

Interessanterweise sind diese Art von Privatschulen so genannte Einheitsschulen, wie Sie, Herr Dr. Klug, es immer pejorativ vermelden. Wir sprechen von ungeteilten Schulen. Es sind Schulen für Kinder mit unterschiedlichen Begabungen. In einer Reihe von Schulen sind sogar Kinder mit Einschränkungen, mit Behinderungen erfolgreich dabei. Wenn das kein positives Beispiel dafür ist, dass es funktioniert, dann weiß ich nicht, wo Sie Ihre Augen haben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Schauen Sie ein- mal nach Berlin!)

Wir erwarten, dass auch öffentliche Schulen diesen Weg gehen, dass beispielsweise die Flensburger Universität ein solches Experiment mit großem Engagement begleitet und dass auch die Lehrerfortbildung davon profitiert. Das, was bisher gut praktiziert wird, soll also keine Insel bleiben, sondern es soll ähnlich, wie wir es schon in dem Netzwerk SINET haben, im wahrsten Sinne des Wortes Schule machen.

Jetzt komme ich zu unseren kritischen Fragen, zunächst zu den Kostenauswirkungen; Herr Höppner hat darauf hingewiesen. Wir können es uns tatsächlich nicht leisten, das bisherige selektive Schulsystem

und ein integrierendes Schulsystem, auch wenn es „nur“ sechs Jahre sind, parallel an einem Ort aufrechtzuerhalten, insbesondere im dünn besiedelten Norden, beispielsweise in einem Kreis oder in einer Kommune, nicht. Denn im Klartext heißt es, dass ein und dieselbe Grundschule im Grunde genommen zweifach geführt wird. Vielleicht haben Sie es anders gemeint. Das müssten wir dann im Ausschuss noch einmal diskutieren.

Wir glauben allerdings, dass es möglich ist, Grundschulen weiterführende Schulen gemeinsam mit den Kommunen in eine Schulentwicklungsplanung zu bringen, sodass all die kritischen Fragen, die von Herrn Höppner und auch von mir gestellt werden, positiv beantwortet werden können. Es kann nicht sein, dass wir nach wie vor programmatisch weit hinausgreifen, aber in der Praxis keinen Schritt tun. Insofern unterstützen wir das Anliegen des SSW nachdrücklich. Wir halten auch die Idee von Herrn Höppner, dass wir uns mit den dänischen Erfahrungen auseinander setzen, für sehr verfolgenswert. Ich hoffe - wir jedenfalls werden sehr viel dafür tun -, dass wir noch in dieser Legislaturperiode zu ersten praktischen Schritten kommen - mit oder ohne eine Umformulierung der Experimentierklausel, auf jeden Fall aber sichtbar.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Wort für die Landesregierung erteile ich jetzt Frau Ministerin Erdsiek-Rave.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist heute weder der Zeitpunkt noch der Zeitumfang da, sich intensiv mit der Frage von Schulstrukturen auseinander zu setzen. Das geht in der Kürze der Zeit nun wirklich nicht. Aber ich möchte noch einmal Folgendes sagen: Zum Glück sind die öffentlichen Reaktionen, auch die der Medien, auf das Infragestellen unseres Systems und das Weiterdenken positiver und differenzierter als Ihr doch eher schlichter Beitrag, der sich in immer gleichen Formen wiederholt, Frau Eisenberg.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Damit bestehen Sie wirklich keine ernsthafte Debatte beispielsweise mit Bildungswissenschaftlern.

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

Lassen Sie mich gleichwohl zwei Bemerkungen zum Grundsatz machen. Können wir uns nicht einmal darauf verständigen, gemeinsam zu sagen, dass Schulstrukturen kein Selbstzweck sind, dass sie auch keine Glaubensfrage sind?

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Sie sind Rahmenbedingungen für pädagogisches Handeln und sie haben eine dienende Funktion.

(Beifall der Abgeordneten Ursula Kähler [SPD])

Es ist im Grunde genommen überholt, von Schulformen zu reden. Wir reden in Zukunft von Bildungsgängen von Individuen und darüber, wie wir diese Bildungsgänge und das Begabungspotenzial jedes einzelnen jungen Menschen am besten ausschöpfen. Das muss die Fragestellung sein und nicht die Frage, ob wir unser System so erhalten oder nicht.

Das Ziel muss doch gemeinsam klar sein, nämlich mehr Schüler zu besseren und höheren Qualifikationen zu führen, das individuelle Potenzial auszunutzen.

Ich füge einmal ein: Warum diskutieren mehr und mehr Wirtschaftsinstitute, auch Handwerkskammern - das ist ja alles bekannt -, diese Frage? Das tun sie, weil sie genau wissen, dass die ökonomische Entwicklung in Deutschland eine starke Ausschöpfung des Begabungspotenzials aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland erfordert.

(Beifall bei SPD und SSW)

Angesichts dessen müssen wir uns doch die Frage stellen, wie wir das erreichen und ob das Schulsystem möglicherweise ein Teil des Problems ist. Ich sage ja nicht, dass es monokausal ist. Das kann man nicht beweisführend darstellen; das geht nicht. Ich gehöre auch nicht zu denen, die sozusagen eine Heilserwartung an das finnische System und an die Übertragung auf das deutsche haben. Dazu ist die Historie zu unterschiedlich und dazu sind die Bedingungen zu unterschiedlich. Aber es muss doch klar sein, dass wir Bildungsbarrieren abbauen müssen. Ich wundere mich immer, wie die soziale Frage, die in der Weiterentwicklung des Schulsystems steckt, nämlich die Frage, wie wir die Barrieren, die für die Kinder aus den so genannten bildungsfernen Schichten da sind, besser abbauen, behandelt wird. Das schaffen wir nach aller Erfahrung nicht, indem wir ein paar mehr Lehrerstellen in der Hauptschule schaffen. Ich behaupte nicht, dass die Hauptschule nicht weiter gestärkt und weiterentwickelt werden muss. Das müssen wir tun, weil wir das Schulsystem so schnell gar nicht

verändern und überwinden können. Aber das ist eine Riesenherausforderung, der wir uns stellen müssen.

Wir müssen natürlich im Zuge der demographischen Entwicklung sicherstellen, dass ein leistungsfähiges und möglichst umfassendes System an allen Orten in Schleswig-Holstein in zumutbarer Entfernung vorhanden ist. Das sind die Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen. Insofern zeigt die Initiative des SSW im Grunde in eine richtige Richtung. Sie reiht sich ein in eine Fülle von Forderungen, die in dieselbe Richtung gehen. Gleichwohl muss ich sagen: Die Ausformung und die Umsetzung dieses Vorschlages halte ich, mit Verlaub, aus diversen Gründen, die hier schon genannt worden sind, nicht für praktikabel. Ich halte es nicht für sinnvoll, einzelnen Grundschulen punktuell die Möglichkeit der Verlängerung einzuräumen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)