Protocol of the Session on February 19, 2004

sich kein Wirtschaftsunternehmen leisten kann, unter jahre- oder jahrzehntelangem Verzicht auf Rendite in diese Forschung Geld zu investieren. Hier liegt deshalb vor allem die Verantwortung und die Rolle staatlicher Forschungspolitik. Ohne sie gäbe es nämlich keine Grundlagenforschung.

Im Übrigen wissen auch die Leiter erfolgreicher Unternehmen oft nicht, welche wissenschaftliche oder technische Entwicklung das Potenzial für wirtschaftlichen Nutzen enthält. Noch 1977 hat Ken Olson, der Präsident und Gründer der Digital Equipment Corporation, gesagt, es gebe keinen Grund dafür, dass jedermann bei sich zu Hause einen Computer besitzen wolle. Das war 1977.

David Landes, Wirtschaftshistoriker an der Harvard University, hat in seinem Buch „Wohlstand und Armut der Nationen“ ein gutes Beispiel für eine wissenschaftliche und zugleich wirtschaftliche Erfolgsstory beschrieben, nämlich den Aufstieg der deutschen chemischen Industrie um die vorletzte Jahrhundertwende. Binnen kurzer Zeit errangen damals deutsche Unternehmen beim Verkauf synthetischer Farbstoffe einen Weltmarktanteil von 80 bis 90 %. Ohne erstklassige Chemiker und Ingenieure und ohne Unternehmer, die deren Fähigkeiten für den Aufbau neuer Produktionsstätten nutzten, wäre das nicht möglich gewesen.

Landes spricht von einer „Kombination aus Begabungspool, unternehmerischer Initiative und forschungsorientierter Wissenschaftskultur“, die für den phänomenalen Erfolg der deutschen Chemieindustrie um das Jahr 1900 verantwortlich gewesen ist.

Das ist eigentlich ein klassisches Muster dafür, wie es laufen müsste, damit wir hier ähnliche Erfolge erzielen, wie sie die Generation unserer Groß- oder Urgroßeltern erreicht hat.

Meine Damen und Herren, Forschungs- und Wissenschaftspolitik kann nur die Rahmenbedingungen schaffen, unter denen Forscher und Unternehmer so etwas zustande bringen können. Politisch motivierte Forschungsverbote sind fatal und haben sich in der Vergangenheit immer als Irrtum herausgestellt. Die Ablehnung der Relativitätstheorie durch das NSRegime oder die Ablehnung der Genetik durch die Stalin-Diktatur seien als Beispiele genannt.

Aber dass auch demokratische Staaten vor solchen Forschungsblockaden leider nicht gefeit sind, zeigt - natürlich auf einem anderen Level - die gebremste Entwicklung der Gentechnik im heutigen Deutschland. Solch eine Haltung rächt sich auf längere Sicht durch sinkenden Wohlstand und den Verlust von Arbeitsplätzen.

Zum Schluss ein Wort zum Bund-Länder-Verhältnis. Wir sind der Meinung, dass es gute Gründe dafür gibt, die außeruniversitären Forschungsinstitute in der gemeinsamen Bund-Länder-Finanzierung zu halten und eine Ausnahme von dem ansonsten richtigen Grundsatz einer klaren Zuordnung der Aufgaben zur Bundesebene beziehungsweise zur Länderebene zuzulassen.

Denn es ist schlicht und ergreifend so: Bei einer Verlagerung der Kompetenz ausschließlich auf die Länder bestünde die Gefahr, dass erstens die finanzschwächeren Länder überhaupt nicht mehr in der Lage wären, auf diesem Spielfeld mitzuspielen. Und zweitens würden mehrere Länder nach bestimmten Modetendenzen versuchen, sich in einem bestimmten Bereich zu engagieren. Dann käme es zu Doppel- und Dreifachangeboten und zu weißen Flecken in anderen Forschungsgebieten.

Eine abgestimmte Verteilung besonders herausgehobener, gut ausgestatteter Forschungseinrichtungen setzt voraus, dass es ein hohes Maß an Koordination und Abstimmung gibt, und das spricht in diesem Bereich ausdrücklich für die gemeinsame Bund-LänderVerantwortung.

(Glocke des Präsidenten)

Ich sehe - genauso wie Kollege de Jager - die Situation im Hochschulbau anders. In diesem Bereich müssen die Mittel nach einem Modus, der noch auszuhandeln sein wird, zwischen den Ländern aufgeteilt werden.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. Alles Weitere werden wir im Ausschuss diskutieren.

(Beifall bei der FDP)

Für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag erteile ich seiner Sprecherin, Frau Abgeordneter Spoorendonk, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja nicht das erste Mal, dass wir uns im Landtag mit den Eckpunkten schleswig-holsteinischer Forschungspolitik beschäftigen. Die Große Anfrage der grünen Fraktion gibt uns aber erstmals die Gelegenheit, die Anstrengungen, die die Landesregierung in Sachen Forschung unternimmt, genau unter die Lupe zu nehmen und dafür danken wir allen, die daran mitgewirkt haben.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Anke Spoorendonk)

Auf 85 Seiten listet die Landesregierung eine beeindruckende Bilanz ihrer Forschungs- und Universitätspolitik auf. Alle Zahlen sind ebenso aktuell wie die Strukturbeschreibungen der hiesigen Forschungslandschaft. Ich möchte hier ausdrücklich betonen, dass die Große Anfrage mehr als eine reine Fleißarbeit ist. Sie ist vielmehr ein Kompendium dessen, was in Schleswig-Holstein geforscht wird.

(Beifall beim SSW)

Dabei werden auch Bezüge zum Rest deutscher Forschung hergestellt. Das ist etwas, was meiner Meinung nach unerlässlich ist. Im Klammern bemerkt: Ich habe kein Verständnis dafür, dass der Kollege de Jager vorhin meinte, über das IZRG herfallen zu müssen; denn das, was dort an anwendungsbezogener Forschung in den letzten Jahren geleistet worden ist, ist beachtlich. Ich wenigstens kann sagen: Wir wären nicht so weit in der Erforschung der neuen deutschdänischen Geschichte, wenn wir das IZRG und die Zusammenarbeit mit dem Institut for Grænseregionsforskning nicht gehabt hätten.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber zurück zum Thema! Wer glaubt, schleswigholsteinische Forschung isoliert betrachten zu können, verschließt die Augen vor den Tatsachen. Forschung etabliert sich dort, wo die besten Bedingungen herrschen. Selbst wenn die besten Bedingungen oder die besten Ausstattungen, die optimale Drittmittelfinanzierung und das qualifizierteste Personal auf einer einsamen Insel längen, könnte es doch ein attraktiver Forschungsstandort sein.

Dabei bin ich auch schon bei einem Kritikpunkt, einem Punkt, der bisher noch nicht so angesprochen worden ist. Aber ich denke, das hat auch Sinn; das andere können wir nämlich im Ausschuss noch vertiefend behandeln.

Bei allem Engagement der Landesregierung ist unverkennbar, dass sie ihre Forschungspolitik vor allem an wirtschaftlich sehr erfolgreichen Standorten konzentriert. Forschungspolitik ist für die Landesregierung kein integraler Bestandteil regionaler Wirtschaftspolitik.

(Zuruf)

- Das kann man schon bezweifeln.

Die Landesregierung schreibt ja, dass Forschungs- und Technologiepolitik maßgebliche Bestandteile der zukunftgerichteten Strukturpolitik des Landes sind - so zu lesen auf Seite zwei der Antwort -, aber die aufgelisteten Standorte lassen nur einen Schluss zu: Forschung hört geographisch kurz hinter Kiel auf.

Davon, die Forschung für die Verbesserung der regionalen Rahmenbedingungen einzusetzen - so in der Antwort auf Seite 31 -, kann nur begrenzt die Rede sein. Dabei ist doch wohl unbestritten, dass Forschung in einer Region beschäftigungspolitische Auswirkungen haben kann. Ich würde sogar sagen, dass es in den allermeisten Fällen genau das ist, worauf es bei Forschung ankommt. Wirtschaftspolitische Impulse beruhen nun einmal auf der Unverwechselbarkeit eines Produktes oder einer Dienstleistung. Auch kleine und mittleren Firmen können sich nur dann auf dem Markt behaupten, wenn sie immer am Ball bleiben. Dazu brauchen sie Forschung.

Forschung gehört also gerade in wirtschaftsschwachen Regionen zum absoluten Muss. Es wird hier niemanden wundern, dass ich die Große Anfrage auch nach Standorten im Landesteil Schleswig durchforstet habe. Ich wurde nur in puncto List auf Sylt und Flensburg fündig.

(Zuruf von der CDU)

Natürlich bin ich nicht blauäugig. Mir war von Vornherein klar, dass sich Forschung vorwiegend in und an den Universitäten und Fachhochschulen abspielt. Die Landesregierung hat bereits im letzten Frühling in ihrem Bericht über die Forschungslandschaft in Schleswig-Holstein eindeutig festgestellt, dass das - ich zitiere - Fundament des schleswig-holsteinischen Forschungssystems die Hochschulen des Landes sind. Dazu kann es auch keine zwei Meinungen geben. Wir haben aber im Landesteil Schleswig nur eine Universität und eine Fachhochschule; beide befinden sich auf dem Flensburger Sandberg.

In Flensburg gibt es aber hervorragende Beispiele dafür, wie Forschungsergebnisse erfolgreich in der betrieblichen Praxis Anwendung finden. Nicht nur viele Diplomarbeiten an der Fachhochschule sind Ergebnis intensiver Vernetzung wissenschaftlicher und betrieblicher Arbeit, sondern auch einzelne Betriebe in der Region fußen auf Forschungsarbeiten an Uni und Fachhochschule.

Beide Hochschulen erweisen sich als Gründungsmotor für die Region. Im Flensburger Technologiezentrum finden sich viele Neugründungen ehemaliger Flensburger Studenten. Damit schafft die Forschung dauerhaft wettbewerbsfähige Arbeitsplätze. Diese Effekte wären auch über Flensburg hinaus für den restlichen Landesteil notwendig.

Ich hätte mir daher gewünscht, dass sich die Große Anfrage auch mit beschäftigungs- und regionalpolitischen Effekten der Forschung auseinander gesetzt hätte. Doch eines möchte ich dennoch einmal klarstellen: Forschung ist natürlich nicht nur auf die Anwen

(Anke Spoorendonk)

dung beschränkt. Das wissen wir alle; das weiß ich auch. Diese Nutzenerwartung kann nicht der alleinige Maßstab sein. Forschung - das will ich auch noch einmal hervorheben - soll vorrangig gesellschaftliches Wissen erweitern und sich erst in zweiter Linie in barer Münze auszahlen. Auch das darf nicht vergessen werden und das steht auch nicht zur Diskussion.

Aber erst wenn aus Forschung Innovationen erwachsen, kann man damit rechnen, Geld mit Forschungsergebnissen zu verdienen. Die Zeitspannen - darauf kam ja der Kollege Klug zu sprechen - sind dabei teilweise sehr lang. Aber ich denke, das Warten lohnt sich und hat sich in der Vergangenheit auch in vielfacher Hinsicht gelohnt.

Ich möchte nicht im Nachhinein neue Punkte aufwerfen, aber doch einige offene Fragen ansprechen. Dazu gehört das, was der Wirtschaftsminister in seinem Bericht über die UMTS-Technologie schon vor zwei Jahren angesprochen hat. Der SSW teilt seine Auffassung, dass wir in Schleswig-Holstein Expertise an bestimmten Standorten bündeln müssen. Neudeutsch ist das ja inzwischen als „Cluster“ bekannt. Nicht einsames Vorsichhinforschen an vielen kleinen Standorten, sondern Bündelung und Vernetzung der Forschungsaktivitäten an einer Stelle!

Minister Rohwer sagt das ja nicht erst, seitdem sich die Region Flensburg auf den Rückfluss der Motorola-Fördermittel einstellt. Flensburg bietet sich spätestens mit der Ansiedlung von Motorola als Standort für Forschungsprojekte im Bereich der Telekommunikation ja geradezu an. Das Projekt „Personal Messaging“ hat gezeigt, wie ein lokaler Verbund das technologiepolitische Profil des Standortes stärkt.

Das Schöne dabei ist, dass nicht nur die Region um Flensburg davon profitiert, indem Fachkräfte angeworben werden können, dass neue Produkte und Nutzungsmöglichkeiten entwickelt werden, sondern dass das einmal entwickelte Know-how den Standort Schleswig-Holstein auch insgesamt attraktiver macht.

Forschungsförderung ist nämlich qualitativ etwas völlig anderes als die Ausweisung von Gewerbegebieten, wo sich teilweise sogar Nachbarkommunen ins Gehege kommen. In der Forschungspolitik kommt es - wie gesagt - auf eine langfristige Perspektive an. Das ist auch Inhalt des Begriffs „Clusterbildung“.

Das soll heißen, dass wir erwarten, dass auf diese Worte nun auch Taten folgen. Die Landesregierung verweist in der Antwort auf die Große Anfrage auf die Initiative der Hochschulen in Heide, Kiel und Flensburg zur Bildung eines Kompetenzzentrums Offshore-Windenergie. Diese Initiative weist aus unserer Sicht genau in die richtige Richtung, ist doch

die Windenergie beispielsweise in Husum ein nicht mehr wegzudenkender Wirtschaftsfaktor.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte hier noch einmal das sagen, was wir schon im Januar zum Regionalprogramm gefordert haben. Wir brauchen ein Cluster zur Erforschung der Nutzung alternativer Energien an der Westküste.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zuletzt noch ein paar Punkte zur Forschungsfinanzierung! Rechtfertigen kann man Forschungsausgaben nur, wenn ihre Effektivität außer Frage steht. Das geschieht durch regelmäßige Evaluation. Es sollte also kein Cent in Projekte fließen, die lediglich das Rad zum zweiten Mal erfinden. Ich bin davon überzeugt, dass die Kontrolle der Forschungsförderung noch verbesserungsfähig ist.

Wegen der Zeit nur noch ein letztes Stichwort! Das Thema Spitzenforschung ist mehrfach diskutiert und auch in den vorherigen Redebeiträgen angesprochen worden. Aus unserer Sicht muss Spitzenforschung natürlich sein. Von Gleichmacherei in unseren Forschungsinstituten hat niemand etwas. Wer viel leistet, der muss entsprechend honoriert werden. Ich bin daher sehr froh, dass sich die Universitäten auf freiwilliger Basis über Wissensschwerpunkte einigen konnten. So haben sie den Weg für neue und dauerhafte Strukturen frei gemacht.

Wer Entwicklungsmöglichkeiten für einen Standort aufzeigen kann - das kann Schleswig-Holstein inzwischen -, ermöglicht eine engagierte Forschung, weil sich das Personal nicht ständig nach beruflichen Alternativen umsehen muss. Auch für Drittmittelgeber ist das übrigens ein wichtiges Argument. Hier sind die Weichen also richtig gestellt.