Protocol of the Session on February 18, 2004

(Glocke des Präsidenten)

- Ich komme zu meinem letzten Satz, Herr Präsident. - Wem aber als Antwort auf die Frage, die eine wirkliche Reform des Gesundheitswesens sein muss, nur die Einführung einer Bürgerversicherung als Ein

(Veronika Kolb)

heitskasse für alle einfällt, von dem darf man natürlich keine Reformbereitschaft erwarten.

(Jutta Schümann [SPD]: Aber von Ihnen!)

- Ich trete gern mit Ihnen in eine Diskussion ein, Frau Kollegin.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU - Jutta Schümann [SPD]: Da bin ich mal gespannt! - Ursula Kähler [SPD]: Schon mal etwas von Solidargemeinschaft gehört? - Günter Neugebauer [SPD]: Pure Lobbyisten- Partei! - Weitere Zurufe)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Jahner das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gebe zu: Im Vorfeld zu der heutigen Debatte über den Antrag habe ich mir Gedanken darüber gemacht, wie man so ein Thema tatsächlich mit zehn Minuten ausfüllen kann. Frau Kolb, nach diesem Beitrag von Ihnen muss ich gestehen: Das fällt mir schwer und ich werde hier mit Sicherheit keine zehn Minuten stehen, weil ich aus meinem Redebeitrag einige Dinge herausgestrichen habe. Ich kann nicht verstehen, wieso Sie einen Antrag mit dem Text „Auswirkung des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes in SchleswigHolstein“ benutzen, um uns hier im Parlament zu sagen, dieses Gesetz sei Schrott und eine Missgeburt. Ich weise das aufs Allerschärfste zurück.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe mich natürlich gefragt, warum Sie es so eilig haben mit so einem Antrag, da das Gesetz noch nicht einmal zwei Monate alt ist, und Sie dem Gesetz keine Chance geben, sich zu entwickeln. Ich kann mich auch nicht des Eindrucks erwehren, dass Sie, verehrte Frau Kollegin Kolb, mit diesem Antrag ein wenig Sensationsmentalität verbreiten wollen, denn ich glaube, dass das im Moment in Ihr Konzept passt.

Grundsätzlich dürfen Sie das ja auch, das kann Ihnen niemand verbieten - das ist mir wohl klar -, aber ich wundere mich bei diesem Thema immer wieder, wo Ihre Mitverantwortung in dieser Sache bleibt. Ich wundere mich, dass Ihre Partei der Ärzte und Apotheker sowie die CDU-Kolleginnen und -kollegen aus der Bundesopposition offensichtlich nicht erkennen, dass sie viel, ja sehr viel Mitverantwortung bei diesem Gesetz haben. Sie dürfen nicht vergessen, dass es sich um ein Gesetz handelt, dem der Bundesrat zugestimmt hat. Ich gebe ganz offen zu: Wir Sozialdemo

kraten haben da ganz viele bittere Pillen geschluckt und große Zahnschmerzen gehabt - um einmal in der Gesundheitssprache zu bleiben -, weil wir viele Sachen schlucken mussten, um den Reformprozess überhaupt in Gang zu bringen.

(Beifall bei der SPD - Zuruf des Abgeordne- ten Holger Astrup [SPD])

Die Geschichte mit der Praxisgebühr, die Geschichte mit der Chroniker-Regelung - wir sind so offen und ehrlich, dass wir auch gesagt haben: Meine Güte noch einmal, das fanden wir nicht so gut. Das ist ehrlich, das kann man ruhig sagen, das gehört zur Offenheit dazu.

Trotzdem muss man die Möglichkeit haben, auch andere Leute in Verantwortung zu nehmen. Vergessen Sie bitte bei dieser Aktion nicht, dass es den so genannten Bundesausschuss gibt. Auch dieser Bundesausschuss hat viel zu spät die ersten Erfahrungen, die ersten Richtlinien vorgegeben, und nach denen wir hätten handeln sollen.

Zu Ihrer Information - wer es nicht gelesen hat -: Es gibt brandneu ein Urteil des Sozialgerichts Berlin - das ist gestern über den Ticker gegangen -, das bestätigt, dass die Praxisgebühr verfassungsgerecht ist.

(Zurufe von der FDP)

- Nein, ich möchte das nur sagen, weil die Praxisgebühr im Grunde genommen eine Krankenkassengebühr bedeutet. Das wissen wir alle. Das ist für viele Leute ja schwierig nachzuvollziehen.

(Unruhe)

Frau Kolb, ich hatte die ganze Zeit über gehofft, dass in Ihrem Antrag ein Druckfehler enthalten ist und der Bericht nicht in der 40., sondern in der 41. Tagung gegeben werden sollte; aber Sie wollten den Bericht ja tatsächlich heute schon haben. Das hat die Sache natürlich nicht einfacher gemacht. Ich habe versucht, mir Informationen zu besorgen. Es ist wirklich schwierig. Ich darf Sie herzlich bitten, das zu verstehen. Wir haben uns gerade noch einmal darüber unterhalten.

Die Krankenkassen der Bundesrepublik Deutschland haben ihren Jahresabschluss 2003 noch nicht gefertigt. Da können Sie doch nicht erwarten, dass die uns jetzt sagen, wie weit die Krankenkassenbeiträge sinken. Ich habe - über eine Quelle - erfahren, dass sich die Zahl der Krankenkassen von vorher 309 auf zurzeit 288 verringert hat. Das ist eine Fusionsgeschichte, das ist keine Auswirkung des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes. Das ist ein ganz normaler

(Arno Jahner)

Vorgang, der letztendlich auch dazu führen wird, ein Stück Einsparung zu erzielen.

(Zurufe)

Zu bestimmten Bereichen, die Sie in Ihrem Antrag aufgeführt haben, den Belastungen der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner über die Sozialhilfe - Sie haben das in Ihrem Antrag ein bisschen spannend „Taschengeldbelastung“ genannt - gibt es, wenn Sie sich genau erkundigt haben, schon längst Regelungen mit den Spitzenverbänden der kommunalen Vereinigungen und den Spitzenverbänden der Wohlfahrtspflege. Da gibt es die großen Schwierigkeiten, die Sie gern sehen wollen, im Moment nicht.

Meine Damen und Herren, ich will hier schließen. Ich weiß jetzt nicht, wie wir mit dieser ganzen Geschichte umgehen. Normalerweise nehmen wir den Bericht zur Kenntnis und dann ist das erledigt. Ich glaube, wir können erst in einem halben oder in einem Jahr darüber reden, welche Auswirkungen das grundsätzlich hat, welche Auswirkungen das speziell auf Schleswig-Holstein hat. Ich weiß nicht, wie wir das extra herausfiltern sollen.

Frau Kolb, wie gesagt, ich bin nach Ihrem Redebeitrag ein bisschen durcheinander. Ich habe mich so darüber geärgert, dass ich gar nicht mehr das sagen kann, was ich Ihnen sagen wollte.

(Heiterkeit)

Ich finde das so daneben. Ich halte das für einen Missbrauch. Ich habe mich darüber geärgert, dass Sie das Gesetz „Missgeburt“ und „Schrott“ nennen. Das ist erstens dieses Parlaments nicht würdig und zweitens - -

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abgeordneter Jahner, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Kolb?

Herr Präsident, nein. - Ich bin am Ende meiner Ausführungen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Kalinka das Wort.

(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mal sehen, ob sich die CDU jetzt von der Praxisgebühr distanziert, die ih- re eigene Idee war! - Weitere Zurufe)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf mit Ihrer Genehmigung aus der aktuellen Zeitung der Kassenärztlichen Vereinigung „Nordlicht aktuell“ zitieren. Da beschreibt eine Schulpraktikantin, Svenja Bernert, die Reform aus ihrer Sicht:

„Wer will heute noch Arzt oder Arzthelferin sein? In den deutschen Arztpraxen herrscht seit dem 1. Januar 2004 das reine Chaos. Jeden Tag neue Anweisungen, wie man zum Beispiel die Praxisgebühr im Notdienst verlangt. Bezahlt man nun jedes Mal oder nicht? Die Antwort ist nicht in Sicht. Wer ist schwerwiegend chronisch krank und wer nicht?... Wie ist das mit den Medikamenten, die nicht mehr verschrieben werden dürfen? Wenn man das nur wüsste! Was ist mit dem Fahrgeld?“

(Zurufe von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- Sie können ja nicht einmal die ersten drei Sätze ertragen! - Dann schreibt sie am Ende:

„Das größte Problem für die Ärzte und Arzthelferinnen ist aber wohl, dass sie ihren Patienten keine konkreten Auskünfte geben können und auch noch dafür verantwortlich gemacht werden.“

(Beifall des Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU])

Ich glaube, dass dies das Problem sehr genau trifft. Praxen wissen nicht Bescheid, chronisch Kranke nicht. In der Umsetzung dieses Gesetzes sind durch schwere handwerkliche Fehler in der Tat chaotischen Situationen entstanden. Dies ist keine pauschale Kritik am Inhalt des Gesetzes, aber daran, wie es umgesetzt worden ist, und das ist ziemlich daneben gegangen.

(Beifall der Abgeordneten Brita Schmitz- Hübsch [CDU])

Meine Damen und Herren, wer ein Gesetz zum 1. Januar 2004 macht, der muss aus der Sicht des verantwortlichen Ministeriums wissen, ob es umgesetzt werden kann oder nicht. Dafür die die Regierung verantwortlich und niemand anders. Ministerin Ulla Schmidt scheint überfordert. Wer so schlecht regiert, der soll abtreten.

(Beifall bei CDU und FDP)

(Werner Kalinka)

Ich setze gerne noch eines hinzu: Wer Manfred Stolpe und Ulla Schmidt zu bezahlen hat, der kann nicht zum Erfolg kommen. Die bittere Situation besteht doch darin, dass die Politik dieser Regierung durch handwerkliche Probleme gekennzeichnet ist. - Herr Kollege Baasch, anstatt Gesten zu machen, sollten Sie dies insgeheim zugestehen. Sie sehen es doch in Ihren eigenen Reihen ganz genauso.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD])

Das Allerschlimmste an dieser Entwicklung ist, dass die Versicherten über diese schweren handwerklichen Fehler das Vertrauen in das Gesundheitswesen verloren haben.

(Beifall bei CDU und FDP)