Protocol of the Session on February 18, 2004

meine Krankheit das noch ermöglichte -, mich an der einen oder anderen Stelle in dieses Gesetzgebungsverfahren einzuklinken. Das war aus verschiedenen Gründen nicht so erfolgreich.

Aber ich bin nach wie vor der Hoffnung, dass es uns gelingt, eine dauerhafte und vernünftige Reform hinzubekommen. Bei der Mitarbeit aller sollte es doch mit dem Teufel zugehen, wenn das nicht gelingen würde.

Gegebenenfalls erforderliche Korrekturen sind erst dann verantwortlich zu erwägen, wenn valide Erkenntnisse über nicht gewollte unverträgliche Auswirkungen vorliegen. Sechs Wochen GMG sind bei weitem nicht ausreichend, um das beurteilen zu können.

(Beifall)

Ich danke Ihnen, Frau Ministerin Moser, für diesen Bericht und stelle ihn jetzt zur Aussprache. Ich erteile zunächst Frau Abgeordneter Kolb das Wort.

Herr Präsident! Sehr verehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Moser, ich habe keine hellseherischen Fähigkeiten verlangt. Das wäre in der Tat zu viel verlangt.

Ich habe aber die Erwartungshaltung einer ersten Einschätzung - und das darf auch nach sechs Wochen sein. Es muss einer Landesregierung möglich sein, Aussagen treffen zu können. Denn auch Verbände oder die Bundeskassenärztliche Vereinigung können eine erste Einschätzung nach sechs Wochen geben. Das ist meine beziehungsweise unsere Erwartungshaltung.

Sie haben diesen Artikel in der „Brunsbütteler Zeitung“ beziehungsweise „Dithmarscher Landeszeitung“ angesprochen. Diesen bestreite ich nicht. Aber diesen Gedanken verbinden wir mit der grundsätzlichen Reform der gesetzlichen Krankenkassen. Diese Diskussion führen wir nicht zum jetzigen Zeitpunkt, aber irgendwann müssen wir sie führen. Diese beiden Punkte werden dann zusammen zur Sprache kommen.

Ich möchte Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, noch einmal daran erinnern, dass im Juli 2003 Frau Schmidt und Herr Seehofer stolz verkündet haben, dass sie sich auf die größte Sozialreform in der Geschichte der Bundesrepublik geeinigt hätten. Doch eine - ich möchte es etwas lax formulieren - der schöneren Nächte im Leben von Horst Seehofer hat nur

(Veronika Kolb)

bewirkt, dass viele Kassenmitglieder und chronisch Kranke mittlerweile schlaflose Nächte haben.

Halten wir noch einmal fest, welche Wohltaten das Gesundheitsmodernisierungsgesetz dem Bürger bescheren sollte: eine bessere Versorgung, qualitativ höhere Leistungen - und das alles bei geringeren Kosten.

Was ist daraus geworden? - Herausgekommen ist ein bürokratisches Monster, das sozial unausgewogen eine Umverteilung ausschließlich zulasten der Kassenpatienten vornimmt. Denn der eigentlich notwendige Schritt zu einer wirklichen Gesundheitsreform wurde gar nicht erst gegangen. Anstatt die vorhandenen Strukturen im Gesundheitssystem grundlegend zu reformieren, wurden allenfalls kleine Veränderungen vorgenommen, die nur eines bewirkt haben: Die verkrusteten Strukturen im Gesundheitssystem sind geblieben, und zwar so, wie sie waren.

(Beifall bei der FDP - Zuruf des Abgeordne- ten Wolfgang Baasch [SPD])

- Herr Kollege Baasch, Sie bekommen sicher gleich das Wort.

Letztendlich hat eine große Koalition von Rot-Grün und Union ein Gesetz auf den Weg gebracht, das zwar eine Reform darstellen soll, in Wirklichkeit aber keine ist.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: So ist es!)

Stattdessen versucht Rot-Grün mithilfe der Union das von Franz Müntefering erhobene Prinzip von „Versuch und Irrtum“ auf dem Rücken der Kassenpatienten auszutragen. Und dafür werden jetzt die Patienten kräftig zur Kasse gebeten: Zahnersatz, Krankengeld, Praxisgebühr - diese müsste eigentlich „Kassengebühr“ heißen -, höhere Beteiligungen bei ambulanten wie stationären Behandlungen sowie Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln. All das verkommt zu einem reinen „Patientenschröpfprogramm“.

(Beifall bei der FDP)

Gegen die eingeführte „Kassengebühr“ haben sich chronisch Kranke und sozial Schwache lautstark gewandt. Das wurde von einem schleswig-holsteinischen SPD-Bundestagsabgeordneten wie Wolfgang Wodarg am 22. Januar 2004 in der „sh:z“ als „das Rauschen beim Stapellauf“ bezeichnet, über das man in einem Vierteljahr nicht mehr reden werde.

Meine Damen und Herren, deshalb möchte die FDPLandtagsfraktion wissen, wie sich dieses „Rauschen beim Stapellauf“ tatsächlich auf die betroffenen Bürgerinnen und Bürger auswirkt. Wurde das eigentliche Ziel, die Kosten im Gesundheitswesen zu senken,

durch diese so genannte Reform tatsächlich angestoßen und wo sind die ersten Erfolge? - Immerhin verkündet dies die Bundesgesundheitsministerin seit dem gefundenen Gesundheitskompromiss gebetsmühlenartig.

Wohlweislich hat sie aber aus dem Fehler des Bundeskanzlers gelernt und einen Zeitpunkt dafür, wann eine solche Senkung zu erwarten ist, nicht benannt. Denn eine noch bessere Gesundheitsversorgung bei geringeren Kosten wird in dem jetzt vorhandenen System ganz sicher eine Wunschvorstellung bleiben.

Wer das umlagefinanzierte System der gesetzlichen Krankenversicherung nicht grundlegend verändert, kann auch nicht damit rechnen, dass angesichts der demographischen Entwicklung eine Verbesserung eintritt, wenn man Eintrittsgebühren in die Arztpraxen einführt. - Das Gegenteil ist vielmehr der Fall.

Wer aber weiterhin eine angemessene medizinische Versorgung der gesamten Bevölkerung sichern will, muss zwingend die Kosten der sozialen Sicherung vom Erwerbseinkommen abkoppeln. Das bedeutet in der Konsequenz die völlige Abkehr von der bislang praktizierten Umlagefinanzierung in allen Bereichen.

(Konrad Nabel [SPD]: Bürgerversicherung!)

- Dazu komme ich noch.

Andernfalls müssten immer weniger Erwerbstätige für immer mehr Leistungsempfänger die Kosten der sozialen Sicherung, also für Rente, Gesundheit und Pflege, erwirtschaften.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, stattdessen sollte das Ziel niedriger Kassenbeiträge durch Zuzahlungen und eine „Kassengebühr“ erreicht werden. Doch bisher haben von den rund 350 Krankenkassen erst 13 Kassen ihre Beiträge gesenkt. Zwölf Kassen mussten ihre Beiträge sogar anheben.

Um davon abzulenken, versucht die Bundesregierung durch Schuldzuweisungen und Drohungen an den gemeinsamen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen zu kaschieren, dass die Kassenpatienten von der Politik allein gelassen wurden. Jetzt rächt es sich, dass im Vorfeld erst gar nicht eine notwendige Debatte über klare Rahmenbedingungen bei Zuzahlungen für chronisch Kranke und sozial Schwache geführt wurde.

Stattdessen wird mittlerweile fast täglich eine neue Auslegung des Gesetzestextes vorgenommen, um zu definieren, in welchem Fall ein Patient als „chronisch krank“ einzustufen oder eine „Kassengebühr“ zu entrichten ist - oder auch nicht.

(Veronika Kolb)

Im Detail sind die Auswirkungen der Reform - das sage ich für die ersten sechs Wochen und das kann man auch überall nachlesen - verheerend. Um nur ein Beispiel zu benennen: Weitgehend unbemerkt hat das Gesundheitsmodernisierungsgesetz erhebliche negative Auswirkungen auf Zusatz- und Betriebsrenten.

Dass die umlagefinanzierte Rente für die Zukunft nicht ausreichen wird, zeigt doch bereits jetzt die geführte Diskussion über eine staatliche Mindestrente. Umso unverständlicher ist es, dass durch diese Gesundheitsreform der Ausbau der privaten Altersvorsorge geradezu konterkariert wird.

Oder ist es sozial gerecht, dass Rentner teilweise noch einmal den vollen Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag auf ihre Betriebsrenten und Direktversicherungen zahlen müssen, obwohl die Einzahlung aus Lohnbestandteilen erfolgt ist, für die bereits Sozialversicherungsbeiträge abgeführt wurden?

Abgesehen davon, dass private Vorsorge durch Schmidt und Seehofer jetzt auch noch bestraft wird, werden die Bürger nun aus heiterem Himmel um ihre fest eingeplanten Alterseinkünfte gebracht.

Es kann nicht angehen, dass festgestellt wird, dass man 1,6 Milliarden € in der gesetzlichen Krankenversicherung braucht und diese dann willkürlich von der Betriebsrente kassiert. Denn begründet wird dies im Gesundheitsmodernisierungsgesetz damit, dass man die Empfänger „von deren Zahlstellen lückenlos erfassen“ kann, dass sich Betriebsrentner also dem Zugriff entziehen können.

Welche Auswirkung diese Regelung auf den verfassungsrechtlich geschützten Bestandsschutz hat, wird wieder einmal das Bundesverfassungsgericht zu klären haben. Bis dahin müssen die Betroffenen damit rechnen, auch weiterhin geschröpft zu werden.

Meine Damen und Herren, egal, ob durch hohe Verwaltungsgebühren für Kassenpatienten bei Wahl der Kostenerstattung, bürokratische Zuzahlungsregelungen oder durch Wettbewerbsverzerrung, wenn gesetzliche Krankenversicherungen nur mit bestimmten privaten Krankenversicherungen kooperieren:

(Jutta Schümann [SPD]: Wenn man schon kritisiert, soll man auch etwas dagegensetzen können! Bringen Sie mal Ihre Vorschläge!)

- Die kommen, Frau Schümann. - Die Verlierer sind die Kranken und die sozial Schwachen, Frau Schümann.

(Jutta Schümann [SPD]: Ihr Konzept kriegen Sie in einer Woche hin?)

- Sie hätten in der Vergangenheit zuhören sollen. Dann wüssten Sie, was wir mit den Krankenkassen vorhaben.

Denn noch immer ist nicht geklärt, wie Sozialhilfeempfänger, die bisher nicht krankenversichert waren, von einer gesetzlichen Kasse betreut werden sollen.

Schon der Streit der Kassen über die Verteilung untereinander zeigt, dass nicht alle Kassen von den neu Versicherten gleichermaßen angetan sind. Bisher sind nicht einmal die praktischen Probleme bei Heimbewohnern gelöst, die auf Sozialhilfe angewiesen sind. Die Aufforderung der Bundesgesundheitsministerin an die Heimleitungen, in Vorleistung zu treten und sich das Geld von Sozialhilfeempfängern wiederzuholen, ist nur die Spitze der Unverfrorenheit. Gern vergisst Frau Schmidt, dass die Heime solche Geldbeträge vorfinanzieren müssen und die Rückforderung eines solchen Kredites bei Sozialhilfeempfängern allein schon im Hinblick auf die Pfändungsfreigrenzen kaum möglich sein wird.

(Wolfgang Baasch [SPD]: Wie bei Studien- gebühren!)

Meine Damen und Herren, die jetzige Gesundheitsreform ist eine Missgeburt. Das phantasielose Abkassieren der Versicherten stärkt weder die Eigenverantwortung der Patienten - genau die wollen wir, Frau Schümann - noch findet es in der Bevölkerung trotz dringend notwendige Eigenbeteiligungen Akzeptanz.

(Beifall bei der FDP)

Selbst die Bundesgesundheitsministerin hat dies bereits erkannt und stellt mittlerweile öffentlich die so vehement verteidigte Praxisgebühr wieder infrage - siehe „Leipziger Zeitung“, auch wenn diese Aussage von ihren Leuten wieder kassiert wird. Horst Seehofer droht gerade heute - das haben wir in allen Nachrichten hören können - mit dem Ausstieg aus dem Gesundheitskompromiss.

Meine Damen und Herren, leider hilft dies alles den Betroffenen nicht. Stattdessen hätte die generelle Akzeptanz für eine Gesundheitsreform in der Bevölkerung, die ja in der Tat vorhanden ist, dafür genutzt werden müssen, endlich Alternativen zur Lösung der Probleme eines umlagefinanzierten Gesundheitssystems zu finden und diese umzusetzen. Genau dies wurde versäumt.

(Glocke des Präsidenten)