Protocol of the Session on September 27, 2000

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf des Abgeordneten Rein- hard Sager [CDU])

Das Thema „Landwirtschaftskammer“ hat in den vergangenen Wochen in der Presse immer wieder eine Rolle gespielt, zugegebenermaßen vielleicht auch durch uns selbst angefacht.

(Zuruf von der CDU: Ja!)

Für die mittelfristige Haushaltssanierung muss sich das Land aus der Finanzierung von originären Selbstverwaltungsaufgaben zurückziehen; darüber ist sich meine Fraktion einig. Das gilt auch für die Landwirtschaftskammer. Weil es nun diese Unstimmigkeiten in der Öffentlichkeit gegeben hat, betone ich, dass wir der Ministerin für ländliche Räume und den übrigen Beteiligten bis zum 1. Januar 2002 Zeit für die Neuordnung der Kammer lassen. Dann muss ein neues Gesetz in Kraft treten.

(Beifall des Abgeordneten Holger Astrup [SPD])

Die unvermeidliche Kürzung der Mittel um 1,5 Millionen DM im Haushaltsentwurf für 2001 tragen wir mit. Zu prüfen ist, in welchen Bereichen die Landwirtschaftskammer Aufgaben des Landes ausführt, damit sie davon entlastet werden kann.

Schlimmer als das Wetter in diesem Sommer war sicherlich die Arbeit des Tourismusverbandes.

(Beifall bei der F.D.P.)

- Ich sehe, Sie waren in diesem Sommer in SchleswigHolstein. Insbesondere das skandalöse Finanzgebaren

(Lothar Hay)

der Geschäftsführung des Verbandes führte bereits dazu, dass wir im Finanzausschuss strenge Anforderungen an die Auszahlung der Mittel gestellt haben, die im Haushalt 2000 eingeplant waren. Nach dem neuen gemeinsamen Konzept der Tourismusverbände, welches von Frau Ministerin Franzen befürwortet wird, wird das operative Geschäft im Tourismusmarketing von der verbandspolitischen Arbeit der Interessenvertretung getrennt. Ich weiß noch, dass es einen Kollegen aus Heiligenhafen gab, der das schon im Jahre 1982 einmal gefordert hat.

Die neue Tourismusagentur Schleswig-Holstein soll durch die Vergabe von Projektaufträgen die Stärken unseres Landes zielgruppenorientiert vermarkten.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Wie viel Geld hat diese Agentur?)

Bevor wir die Linie des Ministeriums unterstützen, Herr Kollege Kubicki, werden wir allerdings sorgfältig analysieren, was die Verbände in der für November geplanten Anhörung vor dem Fachausschuss zu diesem Konzept sagen.

(Beifall bei SPD und F.D.P. - Jürgen Weber [SPD]: Sehr gut!)

Wir werden dafür sorgen, dass die jetzige Transparenz in der Verwendung von Haushaltsmitteln nicht wieder verloren geht.

Meine Damen und Herren, ich möchte abschließend noch einmal Folgendes deutlich machen: Es gibt keine Alternative zum Sparen und zum Abbau der Neuverschuldung. Die SPD-Fraktion und die Landesregierung sind sich in diesem Ziel einig. Die SPD-Fraktion selbst arbeitet daran, weiter Einsparungsvorschläge zu machen. Wer an einer Stelle auf Kürzungen verzichten möchte, muss dafür an anderer Stelle Kürzungsvorschläge machen. Nur so kann es gehen. Es ist das Ziel der SPD-Fraktion, bereits im Jahre 2001 einen spürbaren Schritt in Richtung Konsolidierung zu machen. Gleichzeitig wollen wir die Schwerpunkte Arbeit, Bildung und Innovation für die kommenden Jahre stärken. Dass wir auf dem richtigen Wege sind, konnte man den heutigen Zeitungen entnehmen. Dort stand zu lesen, dass die Betriebe in Schleswig-Holstein mit einem Umsatzplus von 12,5 % rechnen. So gut geht es unserem Lande, und das wollen wir weiter vorantreiben. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Kubicki das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Lothar Hay hat eine in einigen Teilen wirklich bemerkenswerte Rede gehalten. Ich möchte für mich selbst und für meine Fraktion zusagen, Kollege Hay, dass wir das Gesprächsangebot nicht nur annehmen, sondern es auch wahrnehmen werden. Sie können allerdings nicht erwarten, dass wir alles mittragen werden, was die Regierungsfraktionen sich vorstellen, sondern die Regierungsfraktionen oder deren Fraktionsvorsitzende müssen mit den Vorschlägen der Opposition zumindest etwas sorgfältiger umgehen, als es in der Vergangenheit der Fall war. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass einige der Vorschläge, die wir früher gemacht haben, ursprünglich abgelehnt wurden, jetzt aber Politik der SPD-Fraktion geworden sind.

(Beifall bei der F.D.P.- Zuruf des Abgeord- neten Lothar Hay [SPD])

Es stimmt tatsächlich. Die Welt ändert sich rasend schnell. Zu Beginn dieses Jahres war SchleswigHolstein noch ganz vorn. Die wahlkämpfenden Sozialdemokraten - es ist noch nicht ein Jahr her; man darf daran erinnern - mit der Ministerpräsidentin an der Spitze zogen durchs Land und verbreiteten ihre Erfolgsmeldungen: Schleswig-Holstein überall vorn, egal ob Wirtschaft, Soziales oder öffentliche Verwaltung. Blühende sozialdemokratische Landschaften, so weit das Auge reichte.

Und heute? - Wo steht unser Land? Oder besser gefragt: Wo steht das Land Schleswig-Holstein tatsächlich? Wie viel sind die Jubelmeldungen heute noch wert? Wenn wir uns die Pressemeldungen der letzten Tage und Wochen so anschauen, dann befürchte ich: nicht mehr viel!

Frau Ministerpräsidentin, erlauben Sie mir, dass ich Sie persönlich anspreche, da ich - entschuldigen Sie die Sendung am Sonntag Abend ausschalten musste; denn ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten.

(Beifall bei der F.D.P. und des Abgeordneten Jürgen Feddersen [CDU])

Wie erklären Sie sich die Tatsache, dass sich die finanzielle Situation des Landes seit Jahren relativ zu den anderen Bundesländern verschlechtert? Warum stimmen die „Schleswig-Holstein-vorn-Erklärungen“ immer weniger mit der Wirklichkeit überein?

Im Mai 2000 sagte der ansonsten an sich sehr kompetente und von mir sehr geschätzte Wirtschaftsminister dieses Landes noch, dass er für das Jahr 2000 - so wörtlich - „eine Wachstumsrate von über 3 % für Schleswig-Holstein für erreichbar“ halte.

(Dr. Heiner Garg [F.D.P.]: Ja!)

(Wolfgang Kubicki)

Warum ist Schleswig-Holstein plötzlich das Schlusslicht bei der Wirtschaftsentwicklung im ersten Halbjahr 2000 mit einem Wachstum von nur 1,3 %? Warum hat das Bauhauptgewerbe in SchleswigHolstein mit einem Minus von 5 % den größten Rückgang aller westdeutscher Länder bei der Bruttowertschöpfung zu beklagen, während selbst Länder wie das Saarland noch Zuwächse zu verzeichnen haben?

(Martin Kayenburg [CDU]: Saarland hat ei- nen CDU-Ministerpräsidenten!)

Das muss auch etwas mit der Politik des Landes zu tun haben. Kollege Hay hätte die Pressemeldung von heute Morgen etwas weiter lesen sollen. Dann hätte er gelesen, was Herr Driftmann dazu gesagt hat. Das muss damit zu tun haben, dass der Ankündigungspolitik bedauerlicherweise wenig Taten folgten.

(Beifall bei der F.D.P. und von Abgeordneten der CDU)

Wenn es ausnahmsweise einmal gut läuft - ich kann mich an die Wetten des letzten Jahres noch erinnern, Herr Rohwer -, dann ist es doch auch nur der großen Weitsicht dieser Landesregierung zu verdanken.

(Holger Astrup [SPD]: Das stimmt!)

Die F.D.P. ist in der Tat der Meinung, dass diese Entwicklung etwas mit der Politik der Landesregierung zu tun hat. Wer jahrelang wichtige Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen zerredet, wer Zukunftstechnologien wie die Gen- und die Biotechnik einseitig verteufelt und wer in einer international verflochtenen Welt auf provinzielle Sonderwege setzt, der darf sich nicht wundern, wenn die Ergebnisse nun einmal so sind, wie sie eben sind.

Und ich will an diesem Punkt an eine ganz besonders pikante Geschichte erinnern, die auch etwas mit sozialdemokratischer Forschungspolitik zu tun hat. Frau Bulmahn erklärt jetzt, dass sie Milliardenbeträge in die humangentechnische Forschung investieren wird. Und die sozialdemokratisch geführten Länder - allen voran auch Schleswig-Holstein -, in denen Gentechnik früher verteufelt wurde, rufen nun: Die Mittel dürfen aber nicht nach Baden-Württemberg und Bayern fließen, nur weil dort die Einrichtungen sind! - Sie haben das doch seit 1996 selbst verschlafen. Sie haben das selbst verschuldet, dass wir hier keine entsprechenden Einrichtungen haben.

(Beifall bei der F.D.P. und vereinzelt bei der CDU)

Es steht zu befürchten, dass wir es nicht nur mit statistischen Ausreißern zu tun haben. Das wissen Sie selbst sicherlich am besten. Denn die Erklärungen des Wirtschaftsministers - die ihm vorliegenden Eingangs

zahlen aus dem verarbeitenden Gewerbe ließen auf eine baldige wirtschaftliche Erholung schließen - sind genauso seriös wie ein Blick in die Glaskugel. Herr Wirtschaftsminister, die Probleme, die wir demnächst auf dem Ostufer haben werden, sind ein Warnsignal, das wir nicht unterschätzen dürfen.

Nein, hier verfestigen sich Tendenzen. Warum - habe ich bereits im Januar den Landesfinanzminister gefragt - entwickelt sich Schleswig-Holstein im Länderfinanzausgleich denn nach einem kurzen Intermezzo bei den Geberländern seit Jahren mit immer größeren Beiträgen zum Nehmerland? Warum schreiben Sie selbst, dass wir auf absehbare Zeit nicht damit rechnen können, unsere Position zu verbessern? - Im Januar gefragt, bis heute haben wir darauf keine Antwort. Das wird doch bestimmt nicht so sein, weil wir besser geworden sind und die anderen uns eine Erfolgsprämie zahlen. Im Gegenteil, der Länderfinanzausgleich zeigt es überdeutlich, unsere Position verschlechtert sich relativ zu den anderen Bundesländern - übrigens auch relativ zu den ostdeutschen Bundesländern, die wir früher einmal für die Fußkranken der Nation gehalten haben. Frau Ministerpräsidentin, wir haben diese Debatten so oft geführt. Ohne Erfolg, wie man sieht.

Natürlich findet in Schleswig-Holstein Strukturwandel statt. Das bestreitet auch niemand, aber das ist nicht der Kern des Problems. Wir werden in Itzehoe mit Unterstützung des Landes eine Chipfabrik bekommen, die 200 Arbeitsplätze schafft. Das ist gut und das ist richtig. Aber das reicht nicht. In Sachsen hat die Firma AMD mit massiver Unterstützung des Freistaates eine Fabrik mit 1.200 Arbeitsplätzen errichtet. Die Frage ist doch, ob der Strukturwandel so schnell erfolgt, dass das Land seine relative Position im Vergleich zu den anderen zumindest halten kann. Ich sage Ihnen, schauen Sie sich die Zahlen an: Noch nicht einmal das gelingt!

Es ist langsam auffallend, dass Schleswig-Holstein immer nur in regierungsamtlichen Statistiken auf dem vorderen Rang liegt. Es sind die kleinen und unspektakulären Erklärungen, Frau Ministerpräsidentin, die entlarvend sind. So war vor wenigen Tagen von Ihnen eine Äußerung zu lesen, dass künftig kein Vorhaben mehr vom Kabinett verabschiedet werden wird, das nicht auf die Möglichkeit der Mitfinanzierung durch die EU geprüft wurde. Nachdem die Kompetenz für die Europapolitik auf die Staatskanzlei übertragen wurde, liegt der Politikschwerpunkt auf der Überprüfung, wo man noch 3,50 DM für das Land herausholen

(Wolfgang Kubicki)

kann, nicht etwa auf der Frage der Sinnhaftigkeit oder der Zukunftsfähigkeit eines Projektes.

(Beifall bei der F.D.P. und der Abgeordneten Brita Schmitz-Hübsch [CDU])

Es ist bezeichnend, dass Ihr erster Gedanke nicht darauf zielt, Schleswig-Holstein unabhängig von Fördertöpfen zu machen. Sie sind jetzt auch gedanklich bei den Verlierern angekommen. Deutlicher hätte man die inhaltliche und finanzielle Bankrotterklärung nicht machen können.

Wie will diese Landesregierung Aufbruchstimmung erzeugen, wie will sie die Wirtschaft überzeugen, dass sie hier im Land investieren soll, wenn sie in ihrem eigenen Beritt mit ihren Reformvorhaben ständig scheitert? Schleswig-Holstein hat sich sehr früh mit dem Thema Verwaltungsmodernisierung auseinandergesetzt. Was ist passiert? - Statt Vorteile für das Land zu erarbeiten, wurden Vorurteile auf Kosten des Landes umgesetzt. Und ich frage: Das Leitbild - war da noch etwas? Der Pensionsfonds - sang- und klanglos aufgelöst. Die Funktionalreform - eingeschlafen. Der Immobiliendeal - vom Verfassungsgericht gestoppt. Die Entbeamtung - mit 300 Millionen DM Miesen wieder einkassiert. Und zu allem Überfluss hat die Landesregierung in der inneren Sicherheit auch noch den COMPAS verloren.

Alle zentralen so genannten Modernisierungsvorhaben sind in der Normativität der Fakten oder durch Entscheidungen oberster Gerichte gestoppt worden. Einzig und allein die Modernisierungsrhetorik ist übrig geblieben. Auf Dauer wird das als Ersatz für Politik zu wenig sein. Schleswig-Holstein ist das Land, das Heißluft atmet, nicht Zukunft. Marketing statt Marktorientierung, Wellness statt Bildung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich zitiere:

„Wann immer Politiker Zahlen zu Papier bringen, ist Vorsicht angebracht - vor allem, wenn das Zahlenmaterial nicht etwa ordentlich und möglicherweise in Tabellenform als Anlage beigefügt ist, sondern wenn die Zahlen mit hohem Aufwand und ausschnittsweise in den Text eingearbeitet sind.... Das vielleicht beste Beispiel dafür sind die Informationen rund um die Haushalte in Bund und Ländern.... Geradezu legendär ist auch die semantische Grobheit, mit der Steuereinnahmen, deren Zuwachs geringer ausfällt als vor Jahresfrist prognostiziert, zu ‘Mindereinnahmen’ umgepolt werden.“