Protocol of the Session on September 27, 2000

„Wann immer Politiker Zahlen zu Papier bringen, ist Vorsicht angebracht - vor allem, wenn das Zahlenmaterial nicht etwa ordentlich und möglicherweise in Tabellenform als Anlage beigefügt ist, sondern wenn die Zahlen mit hohem Aufwand und ausschnittsweise in den Text eingearbeitet sind.... Das vielleicht beste Beispiel dafür sind die Informationen rund um die Haushalte in Bund und Ländern.... Geradezu legendär ist auch die semantische Grobheit, mit der Steuereinnahmen, deren Zuwachs geringer ausfällt als vor Jahresfrist prognostiziert, zu ‘Mindereinnahmen’ umgepolt werden.“

Das ist eine Passage aus einem Beitrag des in diesem Haus nicht unbekannten Journalisten Ludger Fertmann. Unter der Überschrift „Auf Manipulation ge

fasst sein“ beschreibt er in der SAGE & SCHREIBEWerkstatt für angehende Journalisten die Möglichkeit der Manipulation des Lesers durch Sprache. Ich verzichte drauf, Herrn Minister Möller eine Kopie des Artikels zukommen zu lassen. Das wäre auch pure Zeitverschwendung, denn zur Illustration der beschriebenen Praktiken greift der Autor auf eine Erklärung des Finanzministers des Landes Schleswig-Holstein zurück.

(Heiterkeit bei F.D.P. und CDU)

Dieser schönen Tradition der Sprachverkleisterung fühlt sich der Minister bis heute verpflichtet.

Vor gar nicht allzu langer Zeit zogen die Ministerinnen und Minister durch das Land und kündigten die vielen Wohltaten an, die im kommenden Haushaltsjahr zu erwarten seien. Als es nichts mehr Großartiges zu verkünden gab, hat man sich zum „Modell Schweigen“ durchgerungen und der geneigten Öffentlichkeit nur noch das Nötigste mitgeteilt. Jetzt ist man in der dritten Phase angelangt. Claus Möller ist nun der selbsternannte brutalst mögliche Sparer.

(Heiterkeit und Beifall bei F.D.P. und CDU)

Der Imagewechsel weg vom Herrn der Löcher weist allerdings eine Konstante auf: Er beruht auf Zahlenschrott.

Im Frühjahr des Jahres musste die geneigte Öffentlichkeit wahre Horrormeldungen aus dem Finanzministerium verdauen. Woche für Woche wurde die Haushaltslücke größer und endete letztlich bei einer Dekkungslücke von fast einer Milliarde DM. Aber wie Scotty, der legendäre Chefingenieur des Raumschiffes Enterprise, hat sich der Finanzminister auf einen alten Trick besonnen. So wie Scotty seinem Chef Captain Kirk immer mitgeteilt hat, die Reparatur dauere mindestens zehn Stunden, obwohl er sich im klaren darüber war, dass er es auch in eineinhalb Stunden hinbekommen konnte, hat der Finanzminister einfach zusammengerechnet, was die Ressorts denn so alles bei ihm angemeldet haben. Dazu hat er die globalen Mindereinnahmen der mittelfristigen Finanzplanung addiert, mit den „Mindereinnahmen“ der Steuerreform verrührt und fertig war das vermeintliche Milliardenloch. Heldenhaft

(Beifall bei F.D.P. und CDU)

hat Scotty Möller diese Lücke geschlossen und kräftig eingespart, indem er mit den Ressorts aushandelte das ruft wirklich Erstaunen hervor -, dass diese das Geld, das das Land sowieso nicht hat, auch nicht ausgeben dürfen.

(Heiterkeit bei F.D.P. und CDU)

(Wolfgang Kubicki)

Dieser Weg sollte vom Finanzminister konsequent weitergegangen werden. Im Jahre 2002 schließt er dann eine Deckungslücke von 1,5 Milliarden DM und peilt in der Folge den Sprung über die zwei Milliarden-Marke an. Ich möchte die Analogien nicht übertreiben, aber in der Fortsetzung der berühmten Serie ist der Kapitän des Raumschiffes eine Frau und der Bordingenieur hat einen Sehfehler.

(Heiterkeit und Beifall bei F.D.P. und CDU)

Er kann nur mit Hilfe einer Spezialbrille etwas sehen, wobei Gerüchte besagen, dass der bessere Durchblick durch einen besonderen gelben Filter erzeugt wird.

Aber im Ernst: Was ist denn aus dem großen Sparprogramm geworden? Unter der Überschrift „Finanzminister stellt Liste der gekürzten Förderprogramme vor“, findet sich folgende Berechnung der Einsparung: Im Jahr 2000 stehen 898 Millionen DM für Förderprogramme zur Verfügung. Die Anmeldungen der Ressorts für 2001 betrugen 974 Millionen DM. Macht Mehranmeldungen gegenüber dem Plan 2000 von rund 76 Millionen DM. Diese Mehranmeldungen wurden durch den nimmermüden Einsatz des Kabinetts um 69 Millionen DM gekürzt. Wo ist nun die Einsparung? - Das weiß der Finanzminister allein, denn ein Mehr von 76,2 Millionen DM, verringert um 69,4 Millionen DM, macht immer noch ein Plus von rund 6,8 Millionen DM im Jahr 2001 gegenüber der Veranschlagung im Jahr 2000 aus. - Ludger Fertmann, übernehmen Sie!

(Heiterkeit bei F.D.P. und CDU)

Der Finanzminister macht doch nur das, was wir in jedem Politikbereich dieses Landes begutachten können. Ganz nach dem Motto: Alles wird anders, aber es ändert sich nichts, haben Sie das Gewurstel der vergangenen Jahre einfach fortgesetzt. Nur das Marketing hat sich geändert. Neu im Angebot ist die Aussage, man wolle bis 2010, 2008, 2007 oder wann auch immer einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Seit 1988 gibt es in diesem Land mittelfristige Finanzplanungen von Sozialdemokraten - das muss man wirklich nachlesen, jedes Jahr wieder neu -, die einen Ausstieg aus dem Schuldenanstieg ankündigen.

(Zuruf des Abgeordneten Reinhard Sager [CDU])

Die mittelfristige Finanzplanung für 1990 erwartete für 1994 eine Nettoneuverschuldung in Höhe von 657 Millionen DM. Heraus kamen 1.279 Millionen DM. 1995 ging die mittelfristige Finanzplanung von einer Nettoneuverschuldung in 1999 von 680 Millionen DM aus, erreicht wurden inklusive Immobiliendeal 1.175 Millionen DM. Aktuell - ich sage das einmal - sind wir ungefähr da, wo wir im Jahr 1994 schon

einmal hätten sein sollen, nämlich bei einer Prognose von 634 Millionen DM Nettoneuverschuldung für das Jahr 2004. - Soviel zu Ihren Planungen. Die Zahlen gelten übrigens einschließlich der Einsparungen aus der Verbeamtung der Lehrerinnen und Lehrer.

Und ich kann weit und breit keinen auch nur näherungsweise nachvollziehbaren Grund erkennen, warum sich die Erfolgslosigkeit der Landesregierung in der Vergangenheit plötzlich in das genaue Gegenteil verkehren sollte.

Es reicht auf jeden Fall nicht aus, den verbalen Schulterschluss mit Berlin zu üben und von der neuen sozialdemokratischen Solidität zu sprechen. Man muss dafür auch etwas tun. Man muss etwas dafür tun, liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen. Von Ihnen habe ich in diesem seltsamen Verfahren bis zur offiziellen Bekanntgabe der Haushaltsansätze des Finanzministers nicht viel gehört und dem Parlament ist der Haushaltsplanentwurf erst im August zugeleitet worden. Das heißt: Die formale Befassung konnte erst von dort ab stattfinden.

Die Aufstellung des Haushaltes ist exekutives Handeln. Kein Zweifel. Das wäre auch so lange unbedenklich, wie die regierungstragenden Fraktionen im Beratungsverfahren tatsächlich Änderungen am Entwurf vornähmen. Die kläglichen Änderungsanträge aus dem letzten Jahr zeigen aber, dass Sie überhaupt kein Interesse an eigener Gestaltung mehr haben beziehungsweise hatten. Ich hoffe, Lothar Hay, dass sich das in diesem Jahr ändert. Wir haben unterschiedliche Politikansätze. Das habe ich immer gesagt. Aber ich gehe davon aus, dass die Regierungsfraktionen nicht zu bloßen Abnickern der Vorgaben der Regierung werden.

(Thorsten Geißler [CDU]: Warten wir es einmal ab!)

Dieses Wegducken ging übrigens in einem interessanten Verfahren vonstatten. Der Finanzminister kennt nicht nur jeden Haushaltstrick, er hat auch ungeahnte sprachschöpferische Talente. Er hat die Ansätze für das Jahr 2001 nicht mit dem Rasenmäher gekürzt. Nein. Nobel geht die Welt zugrunde. Er hat den „Rasenmäher de Luxe“ zum Einsatz gebracht. Das Edelmodell ist ein wenig stumpf, denn die Einsparungen von 70 Millionen DM wurden nur gegenüber den Anmeldungen und nicht gegenüber dem Ist 2000 erreicht, aber sei’s drum.

(Zuruf von der CDU: Den würde ich zurück- geben! - Heiterkeit bei der CDU)

Entscheidend ist das Verfahren. Das hat nun mit politischen Prioritäten überhaupt nichts mehr zu tun. Übrigens, Lothar Hay, auch wenn wir erklären, es müsse

(Wolfgang Kubicki)

immer innerhalb des eigenen Etats gespart werden, hat das möglicherweise mit politischen Prioritäten nichts mehr zu tun.

(Beifall bei F.D.P. und CDU)

Das Kabinett hat sich zwar bei der Bemessung des Kürzungsvolumens an den jeweiligen Anteilen der Einzelhaushalte am Gesamthaushalt orientiert. - Nur daran. - Vielleicht erklärt mir die Ministerpräsidentin oder der Finanzminister aber einmal, was ein solches Vorgehen mit Prioritätensetzung zu tun hat. Das ist gehobene Prozentrechnung, mehr nicht!

Eines allerdings muss ich meinen sozialdemokratischen Kampffreunden lassen: Sie dünnen mit dieser Aktion die Haushalte, die einen hohen Anteil unbeeinflussbarer Posten haben, schleichend aus; denn diese müssen ihren Einsparanteil dann überproportional aus ihren disponiblen Mitteln erbringen.

Damit aber nicht genug. Weiter ist in der besagten Presseerklärung des gnadenlos sparenden Finanzministers zu lesen, das Finanzministerium habe alle Förderprogramme einzeln geprüft und zu dieser Prüfung einen Kriterienkatalog entwickelt. Das ist äußerst bemerkenswert. Jahrelang sah sich die Landesregierung nicht in der Lage, Aussagen über Zielerreichungsgrade oder Mitnahmeeffekte zu machen. Und jetzt das. Ich wundere mich nur, dass das Finanzministerium diesen bundesweit einmaligen Durchbruch auf dem Gebiet der Messung der Wirkungen des staatlichen Outputs für sich behalten hat.

(Beifall bei der F.D.P.)

So viel Bescheidenheit ist für eine Regierung, die ja bekanntlich immer vorn und modellhaft für das ganze Bundesgebiet ist, seltsam. Könnte es sein, Herr Minister, dass Sie der Öffentlichkeit und dem Parlament einen ganz großen Bären aufbinden und uns mit viel Buhei und wenig Inhalt Scheinerklärungen für Ihre ganz profane Rasenmähersparmethode aufschwatzen wollen? Ich bin jedenfalls gespannt, was die Landesregierung auf die Kleine Anfrage der F.D.P. zu diesem Thema zu antworten hat. Dann muss es ja veröffentlich werden, jedenfalls wenn man parlamentarische Rechte noch ernst nimmt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Finanzpolitik in diesem Land leidet seit Jahren unter ein und demselben Phänomen, nur die Trikotfarbe des Bremsers ändert sich ab und an. Der Kollege Hay hat dies in einem Presseinterview in bemerkenswerter Offenheit analysiert und festgestellt, in der Vergangenheit habe die Kraft für wirklich strukturelle Einschnitte gefehlt. Das räche sich nun. Ich sage ausdrücklich: Das stimmt. Was immer in den letzten Jahren angepasst wurde, es geschah nicht aus freien Stücken. Nicht das Ziel, durch

strukturelle Veränderungen im Haushalt langfristig wieder mehr Bewegungsspielraum zu schaffen, war die Triebfeder des Handelns. Nein, getrieben hat die Finanzpolitik dieses Landes immer nur eines: das nächste Haushaltsloch. Dieses Handlungsschema wiederholt sich mit geradezu beängstigender Regelmäßigkeit. Und ewig grüßt das Haushaltsloch. - Die Filmliebhaber unter uns wissen, wovon ich spreche.

(Heiterkeit bei F.D.P. und CDU)

Jahrelang lassen sich Sozialdemokraten und Grüne für ihr Festhalten an eigentlich unerfüllbaren Standards, Vorgaben oder Gesetzen loben. Und wenn sie sich dann endlich dazu durchgerungen haben, ihren Sonderweg zu beenden, dann ist das Zuckerl für die neu gewonnene Realitätsnähe fällig. Wo stünden wir heute, wenn wir mit dem Entbeamtungsspielchen der Ministerpräsidentin erst überhaupt nicht begonnen hätten? Ich sage das ausdrücklich: 300 Millionen DM sind in die Kassen der Sozialversicherungsträger geflossen, ohne dass den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Landes daraus ein Vorteil entsteht, ohne dass die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes davon etwas haben. Darunter leiden heute auch die Verbände, bei denen Kürzungsmaßnahmen die Regel werden.

(Beifall bei F.D.P. und CDU)

Jahrelang mussten sich die Oppositionsparteien beschimpfen lassen, sie würden mit der Beibehaltung des Beamtenstatus für Lehrer kommende Generationen belasten. Heute weist der Finanzminister die Einsparungen aus der Verbeamtung in der mittelfristigen Finanzplanung aus und die Bildungsministerin - das sage ich jetzt ausdrücklich: die Bildungsministerin erklärt, man müsse künftig keinen Lehrermangel befürchten, da man die Lehrer in Schleswig-Holstein in Zukunft wieder als Beamte einstellen werde.

Frau Ministerpräsidentin, das ist wirklich der Ausweis einer sachgerechten und konsequenten Politik der Landesregierung unter Ihrer Führung. Mehr kann man dazu nicht sagen.

(Heiterkeit und Beifall bei F.D.P. und CDU)

Jahrelang war die F.D.P. die kalte Wirtschaftspartei, die alles dem Markt überlassen wollte. Ich kann mich noch an die Debatten hier im Hause erinnern. Von den UMTS-Lizenzen und den Einnahmen will ich gar nicht reden, die heute dazu beitragen, den Bundeshaushalt zu sanieren, Hans Eichel sei Dank. Jetzt, nachdem die Sozialdemokraten über viele Jahre mit viel Aufwand die ineffizienten Strukturen erhalten haben und nun langsam das Geld ausgeht, wird die Liebe zum Markt entdeckt: Telekommunikation, Bahnstrecken, Buslinien oder privatfinanzierte Straßen und Brücken. Diese

(Wolfgang Kubicki)

Politik ist, wenn sie denn konsequent umgesetzt wird das sage ich ausdrücklich -, richtig. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, was hätten wir uns an Zeit, an Geld und vor allem an unnötigen Debatten sparen können, wenn Rot und Grün schon früher vom Baum der liberalen Erkenntnis genascht hätten!

(Beifall bei der F.D.P.)

Das Land wäre bei einer vorausschauenden Finanzpolitik überhaupt nicht in die Lage gekommen, auf Teufel komm raus alles zu verkaufen. Sturzgeburten wie der Immobiliendeal wären in dieser Form nie über das Planungsstadium hinausgekommen. Wir hätten genügend Zeit gehabt, Modelle zur langfristigen Einsparung zu konzipieren, statt eine kurzatmige Verschuldungspolitik am Haushalt vorbei zu betreiben, die in letzter Minute mit Hilfe des Bundesverfassungsgerichts gestoppt werden konnte.

Oder denken wir nur an die Diskussionen um die Freigabe von Standards. Jahrelang wurde den Bürgerinnen und Bürgern eingeredet, nur wenn das Land alles regele, seien die sozialen Errungenschaften vor den bösen Haien des Kapitalismus sicher. Und jetzt? Ich will von den Wohnungsbaugesellschaften gar nicht reden, die von sozialdemokratischen Oberbürgermeistern verkauft werden, und die Mieter fühlen sich dabei wohl. Jetzt sitzen Sie in der selbst gegrabenen Falle. Die Menschen begreifen die Standardfreigabe nicht als Chance auf mehr kommunale oder persönliche Freiräume. Sie setzen die jetzige Regelung mit Besitzstandsgarantie gleich und sehen in jedweder Form der Standardfreigabe lediglich eine Standardabsenkung. Übrigens formuliert es Ihr grüner Koalitionspartner nach draußen auch so, dass Standardfreigabe lediglich Standardabsenkung sei, was falsch ist, aber die Bürgerinnen und Bürger nicht bereit macht, darüber sehr intensiv nachzudenken und mit uns zu reden.