Protocol of the Session on March 29, 2019

Eine weitere, meiner Ansicht nach geradezu abenteuerliche Idee ist Altmaiers Vorstoß, mit einem Federstrich die Fusionskontrolle auszuhebeln. Dabei ignoriert Altmaier, dass schon heute die Wettbewerbsbehörden Effizienzgewinne, Skaleneffekte und verbessere Innovationsmöglichkeiten in ihren Fusionsentscheidungen berücksichtigen. Sie schauen auf globale Märkte und auf die künftige Entwicklung des Wettbewerbs. Selbst in hoch konzentrierten Märkten erlauben sie Fusionen, wenn dadurch ein Gegengewicht zu einem dominanten Unternehmen geschaffen werden kann.

Es geht also um faire Bedingungen im Wettbewerb mit den sehr kapitalkräftigen und teilweise staatlich geförderten chinesischen Unternehmen oder auch mit den den US-amerikanischen Markt beherrschenden digitalen Plattformen, die nirgendwo Steuern zahlen. Dafür sollten die Möglichkeiten von Antidumpingmaßnahmen, Subventionskontrollen, Maßnahmen gegen den Missbrauch von Marktmacht sowie gegen globale Machtkonzentrationen verbessert werden, damit wir tatsächlich einheitliche Wettbewerbsbedingungen schaffen, ohne den Wettbewerb zu beschädigen; denn das käme die Verbraucher und den Mittelstand und insbesondere Rheinland-Pfalz zu teuer.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es klingelt nicht; ich sehe 5 Minuten und 12 Sekunden, aber ich höre jetzt auf.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Ich klingle nicht schon nach der ersten Sekunde ab.

Für die Landesregierung hat jetzt Wirtschaftsminister Dr. Wissing das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die soziale Marktwirtschaft ist ein Erfolgsmodell – ein Erfolgsmodell, das den Menschen in Rheinland-Pfalz einen Lebensstandard verschafft hat wie niemals zuvor in der Geschichte. Diesem Land geht es gut. Es geht ihm sehr gut, weil wir Marktwirtschaft wagen und eine richtig starke Marktwirtschaft haben.

Das Erfolgsmodell soziale Marktwirtschaft steht vor global großen Herausforderungen. Ich habe das gestern in der Regierungserklärung schon angesprochen. Die globalen Märkte sind für uns einerseits Chance, aber die Spielregeln auf den globalen Märkten sind andererseits zum Teil andere, als wir sie uns in unserer Volkswirtschaft wünschen, andere, als wir sie in unserer Volkswirtschaft organisiert haben. Deshalb ist es richtig, dass wir heute über einen ganz zentralen Aspekt dieser Fragen diskutieren, nämlich über die Frage der Zukunft der Industrie.

Es ist zu Recht gesagt worden, die Industrie spielt in Rheinland-Pfalz eine große Rolle. Nahezu 30 % unserer Wertschöpfung stammt aus dem Industriesektor. Deswegen ist rheinland-pfälzische Wirtschaftspolitik ganz klar immer Mittelstandspolitik – 99,5 % unserer Unternehmen sind Mittelständler –, aber sie ist immer auch Industriepolitik, weil wir ein bedeutender und international extrem wettbewerbsfähiger Industriestandort sind, meine Damen und Herren.

Es ist richtig, wenn das Bundeswirtschaftsministerium einen Entwurf für eine deutsche und europäische industriepolitische Strategie zur Diskussion stellt. Was ich nicht richtig finde, sind die Vorschläge, die in diesem Papier angesprochen werden.

Wir erleben im Moment eine Diskussion, in der deutsche und europäische Interventionisten meinen, weitblickender als der Markt zu sein. Es ist wirklich ein Phänomen: Deutschland ist mit der Marktwirtschaft außerordentlich erfolgreich, aber immer dann, wenn ihre Effizienz und Stärke gefragt sind, kommen Politiker daher und überlegen, wie man sie genau an dieser Stelle ausschalten könnte.

Meine Damen und Herren, das halte ich für einen strategisch fundamentalen Fehler.

(Beifall der FDP und der Abg. Jutta Blatzheim-Roegler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was wird denn als Produkt künftig erfolgreich sein? Welches Unternehmen wird sich denn behaupten? Welche Idee wird sich durchsetzen und welche nicht? Was sind die Zukunftsbranchen, und was ist die optimale Unternehmensgröße, meine Damen und Herren? Wollen wir solche

Fragen ernsthaft im Parlament diskutieren, und wollen wir sie wirklich verantwortlich beantworten?

(Zuruf von der FDP: Nein!)

Die Suche nach einer Antwort auf diese Fragen kommt in Wahrheit dem Blick in die Glaskugel gleich. Deswegen müssen wir zurück zu unseren marktwirtschaftlichen Prinzipien. All die von mir genannten Fragen können nur vom Markt selbst beantwortet werden.

(Beifall der FDP und der Abg. Jutta Blatzheim-Roegler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass staatlichdirigistische Industriepolitik auch einmal erfolgreich ist. Schaut man aber genauer hin, sieht man mehr Zufallstreffer und Scheinerfolge als nachhaltig erfolgreiches Wirtschaften.

(Beifall der Abg. Helga Lerch und Steven Wink, FDP)

Anstatt also Bestandsgarantien für Unternehmen abzugeben, sollte sich die Politik auf Rahmenbedingungen für alle Unternehmen und Branchen konzentrieren. Meine Damen und Herren, Marktwirtschaft bedeutet, offen zu sein für künftige technologische Entwicklungen, unterschiedliche Unternehmensgrößen und vor allen Dingen Neues und den Mittelstand, damit neue Ideen die Chance haben, groß zu werden.

(Beifall der Abg. Helga Lerch, FDP)

Wenn man in Berlin meint, mit Macht sogenannte nationale Champions zusammenzuschustern, geht das nur mit massiven Eingriffen und Verstößen gegen marktwirtschaftliche Prinzipien. Ich habe manchmal den Eindruck, man hat aus der europäischen Industriegeschichte wirklich nicht die richtigen Schlüsse gezogen. Wenn das, was man sich jetzt als Diskussionsentwurf vorgenommen hat, wirklich realistisch wäre, müsste die Bundesrepublik Deutschland neidisch auf Frankreich als Industriestandort blicken; denn genau dort hat man versucht, mit einer staatlich-dirigistischen Industriepolitik Großunternehmen zu schaffen, die sich am Ende aber eher als träge und nicht als international wettbewerbsfähig erwiesen haben. Deswegen lehne ich eine solche Industriepolitik ab.

(Beifall der FDP, der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Volksrepublik China und andere Volkswirtschaften fordern uns heraus. Sie sind effizient, wenn es darum geht, schnell Infrastrukturen aufzubauen. In China können in kürzester Zeit riesige Fabriken aus dem Boden gestampft werden. Es fehlt weder an Durchsetzungskraft noch an Kapital. Woran es fehlt, sind Individualrechtsschutz, Freiräume, Kreativität und Chancen für Menschen, aus einer guten Idee ein Geschäftsmodell zu entwickeln.

Woran es fehlt, sind Kreativität, Freiräume und Innovation. Das ist der Grund, warum China eher als Kopierstube der Welt bekannt ist und nicht als Innovationstreiber. Deswe

gen sollten wir nicht den Fehler begehen, die Kopierstube der Welt zu kopieren. Wir sollten vielmehr unsere eigenen Stärken erkennen und uns an einer Wirtschaftspolitik orientieren, die eher die von Ludwig Erhard ist, die unser Land stark gemacht hat, und die es in seiner Stärke gegenüber den dirigistischen Volkswirtschaften bewahren kann. Freiräume, Innovationskraft und Kreativität in unserem Land muss man stärken und fördern.

Deswegen würde ich mich mehr freuen, wenn man sich mit der Frage beschäftigen würde, wie wir Forschung und Entwicklung in Deutschland noch stärker vorantreiben können, statt mit der Frage, wie wir marktwirtschaftlichen Erfolg durch staatlichen Dirigismus ersetzen können, um ein bisschen nachzuahmen, womit die anderen uns herausfordern.

Ich möchte, dass wir authentisch und so erfolgreich bleiben. Das geht nur mit der sozialen Marktwirtschaft.

(Beifall der FDP, der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die FDP-Fraktion spricht der Abgeordnete Wink.

Verehrter Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, danke für die ausführliche Klarstellung, worauf wir in Rheinland-Pfalz großen Wert legen.

Wir haben einige Kritiken gehört. Ich darf in diese Runde das eine oder andere Zitat einbringen, das diese Kritiken bestätigt. Blicken wir in die WELT vom 5. Februar 2019. Dort heißt es: Der Bundeswirtschaftsminister legt sich mit jenen an, „die seine Stütze sein sollten“. Aktive staatliche Flankierung – „Marktwirtschaft sieht anders aus“, so der Wirtschaftsweise und Wirtschaftsprofessor Dr. Lars Feld.

In der Epoch Times vom 1. Februar 2019 finden wir eine Förderungs-, Subventions- und Regulierungskiste, einen Griff in die Mottenkiste. Auch die Süddeutsche Zeitung bezeichnet das Papier zurzeit als „Gestaltungswahn“.

Wir haben es gehört, und ich darf es noch einmal zusammenfassen: Das Konzept begünstigt Großunternehmen und nennt diese auch. Es schädigt den rheinlandpfälzischen Mittelständler, wenn wir den Weg so strikt gehen würden. Hören wir auf die Unternehmerinnen und Unternehmer. Es hat sich gezeigt: Die große Politik kann selten Flughäfen, will jetzt aber die wirtschaftliche Entwicklung detailliert planen.

(Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Das ist aber ein Eigentor!)

Das kann nur schiefgehen.

Vielen Dank.

(Beifall der FDP, der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die SPD-Fraktion spricht die Abgeordnete Dr. Köbberling.

Frau Kollegin Wieland, ich glaube, es wäre klug, wenn man eine Diagnose stellen möchte, „Diagnose“ und nicht „Strategie“ darüber zu schreiben. Das wäre vielleicht etwas weniger missverständlich gewesen.

Es gibt noch ein anderes Missverständnis: Wir diskutieren nicht über den Antagonismus Staat und Markt. Das ist zu einfach gesprochen. Wir diskutieren, wie es die Wirtschaftsweisen ausdrücken, über den Unterschied zwischen einer horizontalen und einer vertikalen oder intervenierenden Industriepolitik. Horizontal heißt einfach, es werden allgemeine Rahmenbedingungen geschaffen. Darüber haben wir gestern vor allem gesprochen, dazu gehören Rechtssicherheit oder ein gutes Bildungssystem. Vertikal heißt, es gibt Eingriffe in bestimmte Industriebranchen.

Das ist aber eine sehr theoretische Diskussion. Die Frage ist nämlich nicht, ob es eine staatliche Industriepolitik geben soll, sondern wie sie ausgestaltet ist und vor allem wo ihre Grenzen liegen. Natürlich muss der Staat industriellen Strukturwandel ermöglichen. Hätte man sich nach dem Untergang der DDR einfach nur auf die Marktkräfte verlassen, wären die industriellen Kerne in Ostdeutschland vollkommen ausgeblutet und heute nicht mehr vorhanden.

Es gab in der europäischen Geschichte immer wieder gezielte Markteingriffe durch staatliche Unternehmensgründungen oder -stützungen. Darunter waren positive Beispiele – Airbus wurde heute bereits angeführt – und Millionengräber wie der „Schnelle Brüter“ in Kalkar.

Fest steht, ohne staatliches Engagement können bestimmte Risiken gar nicht getragen werden. Fehlschläge sind dabei möglich. Sie belegen nur, es ist ein hohes Risiko. Es lässt sich aber nicht wegdiskutieren, es gibt sogenannte disruptive Tendenzen wie die Digitalisierung, den Klimaschutz oder die Marktmacht Chinas.

Wichtig ist, dass alle staatlichen Markteingriffe an bestimmten Kriterien und Werten ausgerichtet sein müssen. Für uns sind dies Wohlstandsvermehrung – und zwar nicht nur für Einzelne –, soziale Gerechtigkeit und Eingrenzung des Klimawandels. Sie müssen so transparent wie möglich geschehen.

(Glocke des Präsidenten)

Außerdem kann unser Land angesichts der genannten Herausforderungen nicht alleine handeln, sondern nur im Kontext der Europäischen Union erfolgreich sein. Reden wir also nicht über das Ob, sondern das Wie staatlichen Handelns.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die CDU-Fraktion hat die Abgeordnete Wieland das Wort.