Meine Damen und Herren, wir müssen darüber reden, was das Opfer an Hoffnungen hatte. Ich möchte gern über das Opfer und nicht über die Hetze reden. Aber leider ist die Hetze da. Leider muss man auch darüber reden.
Das Opfer war ein hoffnungsvolles junges Mädchen – ich war auch wie Herr Schweitzer und Vertreter der Landesregierung gemeinsam in diesem Trauergottesdienst in Kandel –, das Hoffnung auf Frieden hatte. Der Pfarrer dort, Herr Dembek, hat gesagt, dass das Opfer, die 15-jährige Mia, als ihr Lebenszeichen und ihre Hoffnung eine Friedenstaube gebastelt hat.
Meine Damen und Herren, diese Friedenstaube und nicht die Hetze, die im Moment unterwegs ist, sollte unser Leitbild sein. Wir haben gehört – Herr Schweitzer hat es zitiert –, dass der dortige Pfarrer auch betont hat, dass es nicht darum geht, dass man Volksgruppen oder die Politik anklagt, sondern es geht darum, dass es eine individuelle Schuld gibt. Diese individuelle Schuld würde kleiner werden, wenn man sagen würde: Das ist halt nun einmal so. So sind die halt. –
Das ist nicht so. Diese Gefahr besteht, dass man die individuelle Schuld des Täters verringert. Der Täter hat die Schuld. Der Täter ist verantwortlich. In unserem Kulturkreis und in anderen Ebenen auch sind die Täterinnen und Täter für das verantwortlich, was sie getan haben. Sie werden dafür auch zur Rechenschaft gezogen. Es wird einen Prozess geben.
Meine Damen und Herren, derjenige, der die Straftat begangen hat, wird dafür auch bestraft werden und seine Strafe erhalten.
Der Pfarrer vor Ort hat einen Text zitiert. Ich möchte den auch hier zitieren, weil ich glaube, dass er zur Diskussion passt. Das ist ein Text aus der Bibel. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten aus dem Korintherbrief:
„Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke. (...)
Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach.
Meine Damen und Herren, ich denke, das sollten wir zum Leitspruch machen. Wir sollten handeln, wie auch das Opfer handeln wollte und gehandelt hätte und wie die Angehörigen jetzt auch in ihrer Tapferkeit vor Ort handeln.
Ich will dennoch ein oder zwei Sätze zur Politik sagen, weil diese Politik hier diskutiert wird. Diese ekelhafte braune Suppe, die hier gekocht und über vieles ausgegossen wird, müssen wir nicht diskutieren. Wir lehnen es ab, dass Menschen diese Tat instrumentalisieren und Hetze gegen
Meine Damen und Herren, das lehnen wir alle gemeinsam ab. Das ist kein Mittel der Politik. Das ist auch kein Mittel dessen, womit wir uns auseinandersetzen können. Wir haben über Politik und darüber zu reden, welche Möglichkeiten wir ergreifen können.
Frau Klöckner, dazu möchte ich sagen: Wir haben eine Altersfeststellung, auch wenn das nicht immer die medizinische ist. Wir haben eine Altersfeststellung. Die Jugendämter machen diese Altersfeststellung. Die CSU in Bayern hat zuerst diese Diskussion angefangen, man bräuchte eine Altersfeststellung. In Bayern wird sie nicht gemacht. Man könnte sie grundsätzlich in Bayern machen.
Wir können sie auch bei uns machen. Dafür sind die Landräte und die Oberbürgermeister verantwortlich, weil die Jugendämter in deren Bereich liegen. Wir als Grüne haben jederzeit gesagt, dass wir nichts gegen eine Altersfeststellung haben, die im Zweifelsfall angewandt wird, und zwar eine, die medizinisch ist und die die radiologische Untersuchung der Hand betrifft.
Ich glaube, deswegen sollten wir auch an dieser Stelle klar feststellen, welchen breiten Konsens wir haben. Wir sollten nicht in eine Auseinandersetzung gehen, die dann doch wieder auf „die da“ zeigt. Sie wissen, jeder der auf andere zeigt, zeigt mit drei Fingern auf sich selbst.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Willius-Senzer, liebe Frau Klöckner, Herr Dr. Braun und Herr Schweitzer, ich möchte Ihnen für diesen von Ihnen gezeigten Umgang mit dieser Debatte sehr herzlich danken.
Sehr geehrter Herr Präsident, auch Ihnen will ich ein herzliches Wort des Dankes sagen. Sie haben mit Ihren guten Worten und mit Recht so, wie Sie es getan haben, in diese Debatte eingeführt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, nicht nur als Minister und damit als Vertreter der Landesregierung, sondern auch als Vater will ich sagen, dass uns diese schreckliche Tat, die am 27. Dezember in Kandel passiert ist, alle fassungslos und tief erschüttert zurücklässt. Auch für mich gilt: Unsere Gedanken sind selbstverständlich heute zuallererst bei den Eltern, den Angehörigen und Freunden. Ich möchte ihnen auch an dieser Stelle mein aufrichtiges Beileid und damit noch einmal die Gedanken der Landesregierung und unser tiefes Mitgefühl aussprechen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, auf der Tribüne sind Schülerinnen und Schüler. Mich hat auch berührt, was ich gestern hören musste, von diesem Mord auf einem Schulhof. Das ist schrecklich und wühlt uns auf.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, seit jenem 27. Dezember ist in der Öffentlichkeit viel über die Geschehnisse diskutiert und spekuliert worden. Leider ist es auch nicht ausgeblieben, dass gewisse politische Kreise diese furchtbare Tat für ihre Zwecke missbraucht haben. Dabei wurden Behauptungen aufgestellt, die mit dem eigentlichen Geschehen und den tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten der Behörden – wenn überhaupt – nur sehr wenig zu tun haben.
Darum möchte ich noch einmal darauf hinweisen: Nach den bislang vorliegenden Informationen sind im Vorfeld der Tat alle rechtlich zulässigen und gebotenen Maßnahmen ergriffen worden, um auf das bis dahin bekannte Verhalten des Beschuldigen angemessen zu reagieren.
Herr Junge, Deutschland ist und bleibt ein Rechtsstaat. Den haben die vier Fraktionen und die Parteien, die neben Ihnen hier diesen Landtag prägen, aufgebaut. Die Zeiten, ein ganzes Volk als Täter einzustufen – ich habe Ihnen genau zugehört –, gibt es Gott sei Dank nicht mehr. Darauf bin ich sehr stolz.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch haben die beteiligten Behörden die Öffentlichkeit so schnell und umfassend informiert, wie es bei laufenden Ermittlungen möglich ist. Ich kann Ihnen auch versichern, dass die beteiligten Behörden weiterhin alles daransetzen werden, die Tat, ihre Hintergründe und die Motive des Beschuldigten umfassend aufzuklären. Dazu gehört auch die Ermittlung des Alters des Täters. Das Ergebnis der von der Staatsanwaltschaft beauftragten Prüfung kenne ich und kennen wir alle heute noch nicht.
Ich will an der Stelle auch sagen: Ich glaube, die Jugendämter gehen insgesamt sehr verantwortungsvoll und sorgfältig mit dieser Thematik um. Das wird morgen erneut Thema hier sein. Dann werden auch die Zahlen noch einmal vorgetragen, die ich in diesem Zusammenhang nicht wiederholen muss.
Die Haltung der Landesregierung hat unsere Ministerpräsidentin Malu Dreyer beim Neujahrsempfang ganz eindeutig beschrieben. Das ist die richtige und konsequente Haltung in dieser Frage.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch das wissen Sie. Auch unsere Landesregierung ist keineswegs untätig, wie das manchmal im Internet und sonst wo behauptet wird – ganz im Gegenteil. Wir haben uns unmittelbar und ressortübergreifend, wie das auch zu erwarten ist, mit dieser furchtbaren Tat beschäftigt. Auch werden wir bewerten, welche Konsequenzen aus den Erkenntnissen zu ziehen sind, und zwar dann, wenn die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen abgeschlossen sind, dann aber mit aller Konsequenz.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, bei der Aufarbeitung der Geschehnisse von Kandel dürfen wir aber auch nicht vergessen, dass es sich bei der Tat – das verniedlicht und verändert die schrecklichen Dinge dieser Tat überhaupt nicht – um eine Beziehungstat handelt. Es ist keine politische Tat. Ich will Ihnen sagen: Wir dürfen Mia und ihre Familie auch nicht dafür missbrauchen, aus einer so schrecklichen Tat ein so öffentlich dargebotenes Verhalten zu machen, wie Sie es an den Tag legen. –
Meine sehr geehrten Damen und Herren, vor dieser Verantwortung sage ich noch einmal: Über Konsequenzen können wir erst nachdenken, wenn wir die Tat sorgfältig aufgearbeitet haben. –
Währenddessen geht es den Hetzern – diese gibt es zuhauf, und wir sehen diese – vor allem darum, diese schreckliche Tragödie auszuschlachten. Es ist widerlich, wie diese den Tod des Mädchens für ihre politischen Ziele instrumentalisieren. Die Aufklärung, die diese so lauthals fordern, ist nur deren Trojanisches Pferd.
Es geht ihnen nicht um Sachfragen, wie etwa die Altersfeststellung bei minderjährigen Flüchtlingen, und auch nicht um mehr Sicherheit im Land. Was müssen wir denn tagtäglich sehen und hören? Helfer, Flüchtlinge, Bürgermeister, Politiker und all diejenigen, die sich um Mäßigung und Ausgleich in unserer Gesellschaft bemühen, werden beschimpft, erhalten Hassmails bis hin zu Morddrohungen.
All dies nehmen diese Hetzer billigend oder sogar wohlwollend in Kauf. Schließlich bekommen sie so Aufmerksamkeit. Sie nutzen die Gefühle der Menschen und die unbeantworteten Fragen, um aus dem Tod des Mädchens Profit zu schlagen. Dafür sollten sich diese Hetzer schämen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Tat wirft ohne Zweifel Fragen auf. Sie erfordert eine genaue Aufklärung. Das sind wir dem getöteten Mädchen, der Familie, aber auch der Öffentlichkeit schuldig. Diese Antworten mögen nicht leicht zu finden sein. Aber so viel weiß ich: Wir brauchen verlässliche Fakten und rationales Handeln und keine Hetze, keine Angstmache und nicht noch mehr Gewalt. –
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte den Verlauf dieser Debatte vorhersagen können. Selbstverständlich gehört in diese Debatte natürlich auch der Ausdruck des Mitgefühls für die Eltern und die Freunde von Mia.
Herr Schweitzer, ich war auch bei der Trauerfeier in Kandel. Auch mich hat die Rede des Pfarrers beeindruckt. Das ist keine Frage. Es ist richtig, dass sich jede Verallgemeinerung verbietet. Man hat aber die Gefahren ganz offensichtlich unterschätzt. Darum geht es in dieser Debatte. Das ist keine Trauerfeier. Hier geht es jetzt um die parlamentarische Aufarbeitung eines Falls, der uns alle betroffen hat.
Frau Klöckner, die Empörung der Bürger ist nicht geschürt. Sie ist echt. Die Menschen erleben die Gewalt nicht im Fernsehen, sondern zu Hause in ihrer Umgebung. Sie sind betroffen und wollen Aufklärung. Das ist auch richtig so.
Wir werden von vielen Menschen angesprochen, und sie sagen uns Dank für die klare und offene Haltung wohl wissend, dass wir dafür von Ihnen gescholten werden, und zwar mit brauner Soße. Wir ertragen das. Hier muss man auch Klartext reden.
Deshalb stellen sich Fragen, auch an Sie, Herr Minister. Warum konnte Abdul ohne Papiere über den Frankfurter Flughafen nach Deutschland einreisen? Warum wurde sein Alter vier Wochen nach der Tat immer noch nicht festgestellt? Warum ging Abdul ausgerechnet in Kandel zur Schule? Warum wurde kein Kontaktverbot verhängt oder durchgesetzt? Die Anzeichen waren doch eindeutig.