Protocol of the Session on January 24, 2018

Für die CDU-Fraktion hat Frau Abgeordnete Klöckner das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Mia, fünfzehn Jahre, wurde von ihrem Ex-Freund niedergestochen, weil er nicht ertragen konnte, dass sie sich zur Trennung entschieden hatte. Das Leid von Mias Familie können wir allenfalls nur erahnen. Ihnen und allen

Trauernden gilt an dieser Stelle zuallererst unser ganzes Mitgefühl.

Wir nehmen heute im Landtag menschlich Anteil, so wie es der Landtagspräsident zu Beginn für uns alle getan hat. Wir sind als Politiker zugleich in eine Funktion gestellt, in der wir die Aufgabe haben, sorgfältig nachzufragen, hinzuschauen, zu prüfen, aber auch Antworten zu suchen, die die Gesellschaft von uns als Politikern in einer solchen Situation erwartet. Das kann seriös nur dann gelingen, wenn wir zwischen Fakten und Behauptungen, zwischen Wissen und Unterstellungen, zwischen Aufklären und Spalten unterscheiden.

Als verantwortungsvolle Politiker dürfen wir nicht den einfachen Stimmungen nachgeben, und sie schon gar nicht in eine Richtung, die uns vielleicht genehm ist, anheizen.

(Beifall der CDU und bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb will ich ganz offen sagen, was die AfD und auch ihre Jugendorganisation nach Kandel an Hassparolen und vor allen Dingen im anonymen Internet aufgeboten hat, war abstoßend.

(Abg. Alexander Schweitzer, SPD: So ist es!)

Sie instrumentalisieren einen brutalen Mord für Ihre politischen Zwecke. Sie stoßen Drohungen gegen Andersdenkende in sozialen Netzwerken aus. Das bleibt nicht ohne Folgen. Der Hass wird angeheizt, sodass auch Integrationsministerin Anne Spiegel Personenschutz erhalten muss. Frau Spiegel, auf Ihnen lastet ein gewaltiger Druck. Auch wenn wir in Sachfragen sehr oft unterschiedlicher Meinung sind, aber hier stehen wir sehr solidarisch an Ihrer Seite; denn das gehört nicht zum Ton und auch nicht zum Umgang unterschiedlich agierender Parteien in diesem Land.

(Beifall der CDU, der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, damit wir uns richtig verstehen: Keine Kränkung, keine kulturelle Prägung, kein noch so patriarchalisches Familienbild rechtfertigen einen Mord, den der Afghane begannen hat. – Die Gründe, warum es zu Übergriffen auf Frauen kommt, müssen wir schonungslos benennen. Auch über das Frauenbild von Fundamentalisten und Islamisten, das wir nicht dulden dürfen, müssen wir reden.

Aber genauso wenig rechtfertigt das Geschehene das hetzerische Vorgehen der AfD, um die Gesellschaft aufzuputschen und Kandel und die Gegend drumherum zu spalten; denn Sie sehen, was nach diesem Mord in dieser Region passiert ist. Da sind Menschen aufgehetzt worden. Wer zum Beispiel auf die Leserbriefseiten der RHEINPFALZ sieht, sieht ein Spiegelbild dessen, was man entweder anheizen oder vielleicht als verantwortungsvoller Politiker beruhigen kann.

(Beifall der CDU und bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt Situationen und

Taten im Leben, die so nicht vorhersehbar sind und keine Behörde und kein Gesetz bis ins Detail verhindern können. Landespolitik, in der wir aktiv sind, muss sich aber ändern, wenn es so aussieht, dass die kommunale Ebene überfordert ist.

Im Zusammenhang mit Kandel ist zum Beispiel viel über den Umgang mit echten oder angeblichen Minderjährigen unter den Asylbewerbern gesprochen worden. Genau hier möchte ich ansetzen: Es sind viele zu betreuende unbegleitete jugendliche Flüchtlinge in unser Land gekommen. Es besteht für die kommunalen Jugendämter eine schwierige Situation. Es fehlt auch ausreichend personell und finanziell an Ausstattung.

Viele Mitarbeiter in Verwaltungen auf unterschiedlichen Ebenen sind verunsichert. Jeder, der mit ihnen spricht, bekommt das mit. Sie erhalten unterschiedliche, widersprüchliche Signale aus den Ministerien der Landesregierung. Liebe Kollegen, kommunale Jugendämter müssen besser unterstützt und entlastet werden. Hier steht auch die Landesregierung in der Verantwortung, und sie sollte die Verantwortung nicht an die Kommunen delegieren.

(Beifall der CDU)

Wir Christdemokraten sind für eine einheitliche Handhabung bei der Altersfeststellung. Das Alter der Einreisenden kann nicht länger in den einzelnen Jugendämtern bestimmt werden. Wir sollten uns dabei, was zum Beispiel die Vorclearingstellen angeht, am saarländischen Modell orientieren. Es ist wichtig, die Personendaten zu erheben. Es ist nicht unmenschlich, das feststellen zu wollen. Unser Land ist ein offenes Land. Wir möchten denen, die Hilfe brauchen, helfen. Das setzt aber voraus, die Bürgerinnen und Bürger haben in den agierenden Staat Vertrauen, und wir handeln in ihrem Sinne.

(Glocke des Präsidenten)

Das Ganze geht mit Maß und Anstand im Umgang miteinander und nicht mit Hetzen, Parolen und Aufpeitschen der Bevölkerung, die verunsichert ist.

(Beifall der CDU und bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die FDP-Fraktion hat die Vorsitzende, Frau WilliusSenzer, das Wort.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen, die Tat in Kandel am 27. Dezember war grausam, schockierend und vor allem unendlich tragisch. Es wurde hier schon darüber gesprochen. Ein junges Mädchen, das das ganze Leben mit allen Plänen und mit allen Träumen dieser Generation noch vor sich hatte, wurde ermordet.

Lassen Sie mich an dieser Stelle gegenüber den Eltern, den Angehörigen und den Freunden von mir und meiner Fraktion noch einmal mein tiefstes Beileid und Mitgefühl

ausdrücken. Die Tat lässt einen in tiefer Trauer, fassungslos und – ja, verständlicherweise – auch wütend zurück. Niemand kann den Angehörigen ihren berechtigten Zorn verübeln.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, aber wir, die wir in der politischen Verantwortung für dieses Land stehen, dürfen uns – so schwer es uns auch fällt – in diesem Fall nicht von solchen Gefühlen leiten lassen. Erst recht verbietet es der Anstand vor dem getöteten Mädchen und ihren Angehörigen, die Tat politisch zu instrumentalisieren oder gar von Freibriefen, die man gegeben hat, zu sprechen.

(Beifall der FDP, der SPD, der CDU und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das bedeutet aber keinesfalls, sich vor der Aufarbeitung zu drücken. Wir tun gut daran, den Vorfall nüchtern, sachlich und ohne Hass und ohne Schaum vor dem Mund aufzuklären. Das fällt menschlich zugegebenerweise nicht leicht, aber wir, die Mitglieder des Landtags, müssen uns dieser schwierigen Aufgabe annehmen.

Eine der Diskussionen auf der politischen Ebene dreht sich um die Altersfeststellung bei minderjährigen Flüchtlingen. Es hatten sich Zweifel ergeben, ob der Tatverdächtige tatsächlich, wie angegeben, fünfzehn Jahre alt ist. Die Staatsanwaltschaft hat deswegen ein Gutachten angeordnet, das den Verdacht zu klären hat. Doch schon bevor das Ergebnis dieses Gutachtens der Staatsanwaltschaft feststeht, ist für einige schon klar, wie die Tat zustande kam und wie sie hätte verhindert werden können. Ist das seriös?

Verstehen Sie mich nicht falsch. Auch wir Liberalen und unsere Ampelkoalition unterstützen die Aufklärung und werden bewerten, unter welchen Umständen möglicherweise Konsequenzen gezogen werden müssen. Wir tun das aber auf Faktenbasis und auf der Grundlage von Ergebnissen von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und nicht auf der Grundlage von Gefühlen oder Mutmaßungen.

Ich sage an die Kollegen der AfD: Sie haben den Vorfall erstens im Plenum auf die Tagesordnung gesetzt, zweitens haben Sie den Vorfall auf die Tagesordnung des Innenausschusses vor zwei Wochen gesetzt, drittens auf die Tagesordnung des Integrationsausschusses in der letzten Woche, viertens auf die Tagesordnung des Rechtsausschusses in der letzten Woche, fünftens auf die Tagesordnung des gestrigen Medienausschusses – ich wiederhole, des Medienausschusses –

(Abg. Joachim Paul, AfD: Ja, richtig!)

und sechstens haben Sie angekündigt, ihn auch auf die Tagesordnung des nächsten Innenausschusses zu setzen. Morgen werden wir im Plenum einen Antrag von Ihnen diskutieren, der ebenfalls Bezug auf die Tat nimmt. Wie viele Tweets, Posts und Pressemitteilungen Sie verfasst haben, möchte ich gar nicht erst aufzählen.

Ich frage Sie, die Kollegen der AfD, welchen sachlichen Erkenntnisgewinn Sie sich daraus erhoffen, das Thema in zwei Wochen sechsmal parlamentarisch behandeln zu lassen. Haben Sie sich nur einmal darüber Gedanken ge

macht, wie sich die Eltern des Mädchens fühlen müssen, wenn die Tötung ihres Kindes permanent durch das Licht der Öffentlichkeit gezerrt wird, wenn alle grausamen Details der Tat in aller Breite wieder und wieder aufgeführt werden? Ich denke, es geht Ihnen nicht um die Aufklärung und Aufarbeitung. Es geht Ihnen selbstverständlich darum, maximal politisches Profil daraus zu ziehen.

(Beifall der FDP, der SPD, der CDU und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dazu gehört zum Beispiel, dass ein Bundestagsabgeordneter Ihrer Partei eine Liste von Kommunalpolitikern und ehrenamtlichen Aktivisten veröffentlicht, an deren Händen Mias Blut klebe. Sie sprachen vorhin ganz normal. Man hätte sagen können, ja, was für ein vernünftiger Mensch. Dann senden Sie Tweets heraus. Das ist so erschütternd. Was Sie manchmal in der Öffentlichkeit schreiben, sagen Sie hier nicht.

(Glocke des Präsidenten)

Sie schreiben es, was noch viel schlimmer ist.

(Abg. Michael Frisch, AfD: Das ist unseriös!)

Auch wenn das Leid nicht wieder gutzumachen ist, verdienen die Eltern juristisch eine lückenlose Aufklärung der Tat.

(Abg. Michael Frisch, AfD: Ja eben!)

Unser Staat ist verpflichtet, für Gerechtigkeit zu sorgen. Lassen Sie mich zum Abschluss ganz klar sagen: Zu dieser Gerechtigkeit gehört, dass der Täter zur Rechenschaft gezogen wird, und nicht, wie Ihr Parteifreund fordert, Leute, die in der politischen Auseinandersetzung nicht mit Ihnen einverstanden sind.

Solche Forderungen haben nichts in der parlamentarischen Arbeit zu tun und hier nichts verloren. Sie verletzen elementar unsere demokratischen Spielregeln.

Ich danke Ihnen.

(Beifall der FDP, der SPD, der CDU und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht deren Vorsitzender Dr. Braun.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die 15-jährige Mia ist tot. Sie wurde erstochen. Wir sind alle geschockt und voller Trauer. Unser Mitgefühl und unser Gefühl gehört den Angehörigen und Freundinnen und Freunden von Mia.

Meine Damen und Herren, wir hätten gern alle alles gegeben, um diese Tat zu verhindern. Wir hatten sie nicht verhindern können. Ich glaube, auch die Vorschläge, die

im Moment im Internet unterwegs sind, hätten es nicht verhindern können.