Deswegen müssen sich die Bundesregierung und die Kanzlerin fragen lassen, welche politische Mitverantwortung für das Sterben im Mittelmeer vorhanden ist. Machen wir uns nichts vor, die Zahlen steigen wieder, nachdem die Balkanroute geschlossen worden ist. Die Zahlen steigen wieder, nachdem der Türkei-Deal gemacht worden ist. Es ist vollkommen klar, die Menschen suchen sich in ihrer Verzweiflung entsprechende Wege. Für viele ist das Darben im Heimatland oder in Lagern in Nordafrika immer noch die schlimmere Alternative zu einem gefährlichen Weg, mit dubiosen Schleusern über das Mittelmeer zu gehen. Das ist die knallharte Realität. Es ist Realismus, wenn man darüber spricht.
Jetzt ist es die Frage, ob Zentren in Nordafrika, die, wie Sie es beschreiben, so gedacht sind, dass Menschen, die beispielsweise von Frontex im Mittelmeer vor dem Ertrinken gerettet werden, nicht an eine europäische Küste, sondern an die nordafrikanische Küste in Zentren gebracht werden. Ich weiß nicht, ob das wirklich hilft.
Meine Damen und Herren, ich kann mir das nicht vorstellen. Diese Menschen werden in ihrer Verzweiflung die nächstbeste Gelegenheit nutzen, um über das Meer zu kommen. Ich glaube nicht, dass sie damit einen Beitrag zur Lösung des Problems des Sterbens im Mittelmeer leisten, im Gegenteil.
Sie müssen sich auch fragen lassen, wie es mit Artikel 32 und 33 Genfer Flüchtlingskonvention vereinbar ist, in der sich die Staaten Europas dazu bekannt haben, dass niemand, der Asyl begehrt, in Europa einfach an der Grenze zurückgewiesen werden kann. Wir reden hier über Menschen, deren Berechtigung, Asyl zu beantragen, überhaupt noch nicht überprüft worden ist. Von daher stößt der Vorschlag auf massive völkerrechtliche Bedenken.
Meine Damen und Herren, Sie müssen auch sagen, wo sie ein solches Rückführungszentrum installieren wollen. Der Staat, von dem die meisten Menschen aus ins Mittelmeer starten, ist Libyen. Jetzt kann man hier kaum von einem Staat sprechen. Dieser Staat hat keine Regierung, die irgendeine Handlungsgewalt hat. Libyen hat jetzt schon Auffanglager für Flüchtlinge, die dort ankommen. Diese sind überhaupt nicht organisiert. Dort herrschen Warlords, und es bestehen unhaltbare Zustände. Wie wollen Sie das in den Griff bekommen?
Tunesien hat klar gesagt, sie stehen nicht für Rückführungsgefängnisse der Europäischen Union in dem Staat zur Verfügung.
Meine Damen und Herren, Sie bekommen es mit Ihrem Innenminister Thomas de Maizière noch nicht einmal hin, ein Rückführungsabkommen für abgelehnte Asylbewerber mit Tunesien abzuschließen. Wie Sie das für Flüchtlinge, die noch nicht einmal einen Antrag gestellt haben, mit Tunesien hinbekommen wollen, diese Antwort bleiben Sie schuldig.
Schließlich stellt sich noch die Frage: Worüber reden wir eigentlich? – Zahlen von 2015 zeigen, dass zwei Drittel der Menschen, die in Italien anstranden, über das Mittelmeer aus den Ländern Eritrea, Nigeria, Somalia, dem Sudan, Gambia, Syrien, dem Senegal und Mali kommen, also Ländern mit sehr hohen Schutz- und Anerkennungsquoten bei uns in Deutschland. Eritrea hat aktuell eine Schutzquote von 76 %, Somalia aktuell von 65 % und Syrien aktuell von 94 %.
Das bedeutet, Sie wollen eine ganze Reihe von Menschen wieder hinauswerfen, die bei uns ein Recht auf Asyl hätten, und damit untergraben Sie das Grundrecht auf Asyl, meine Damen und Herren.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kollegen! Herr Köbler, ich möchte auf das Thema Migration aus Afrika noch einmal im Detail eingehen. Afrika hat ein sehr starkes Bevölkerungswachstum, und die Anreize mit Aussicht auf Rettung ins europäische Sozialsystem treibt natürlich – das kann ich verstehen – die Menschen dazu an, die Überfahrt zu wagen. Es steht außer Frage, dass wir die Menschen retten müssen, diese Verpflichtung haben wir, absolut. Aber eine Rettung nach Europa kann nicht die dauerhafte Lösung sein.
Es kann so nicht ewig weitergehen; denn die Sozialsysteme werden das irgendwann nicht mehr aushalten.
Wir könnten jedes Jahr 2 Millionen Menschen aus Afrika aufnehmen, aber wir würden an dem Grundproblem überhaupt nichts ändern, sondern uns im Gegenzug nur selbst überfordern.
Herr Köbler, Sie sprechen davon, was alles nicht geht, was nicht möglich ist, was Probleme macht. Ihre Aufgabe als Politiker ist es jedoch, Lösungen zu finden und nicht immer alles nur wegzudrücken.
Noch etwas Allgemeines möchte ich sagen. Wir sind als Berufspolitiker durchaus in einer privilegierten Situation, und ich erwarte von jedem Abgeordneten, dass er sich primär an den Menschen orientiert, an den Wählern, die ihn bezahlen und die ihn gewählt haben.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Idee von Rückführungszentren in Nordafrika geistert bereits seit über zehn Jahren durch die politischen Debatten. Es gibt jedoch erhebliche Gründe, die gegen einen solchen Vorschlag sprechen. Ein Hauptpunkt ist dabei: die Menschenrechts- und Sicherheitslage in den Staaten Nordafrikas ist mehr als bedenklich.
Die Sicherheitslage in Ägypten ist schlecht. Marokko und Algerien sind zwar etwas sicherer, aber sie sind keine wichtigen Transitländer und liegen abseits der Migrationsrouten. Es ist nicht vertretbar, in einem dieser Staaten Bearbeitungszentren einzurichten.
Die Lage in Tunesien ist volatil. Erst kürzlich hat die Presse wieder über zunehmende Gewalt durch die Polizei dort berichtet.
Außerdem hat sich der tunesische Premierminister erst in dieser Woche klar gegen Flüchtlingszentren in seinem Land ausgesprochen. Er sagt, wenn überhaupt, dann müsste man über Libyen nachdenken. Dazu muss man wissen, die meisten Fahrten von Flüchtlingen über das Mittelmeer finden von Libyen aus statt. Libyen ist jedoch ein sogenannter „Failed State“ ohne effektive Regierung. Es gibt dort keine ausreichende Küstenwache, die die Abreise in seeuntüchtigen Booten effektiv verhindern kann.
Selbst wenn diese Boote dann in effektiver Weise an der Abfahrt gehindert werden, was passiert mit den Flüchtlingen? Wie stellen Sie sich diese sogenannten Rückführungszentren vor? Derzeit werden Migrantinnen und Migranten, die von den wenigen staatlichen libyschen Einsatzkräften aufgegriffen werden, laut Berichten unter bedenklichen Konditionen inhaftiert. Wollen Sie die Flüchtlinge also in libyschen Lagern inhaftieren? Allein aus Gründen der Asylantragstellung ist eine Inhaftierung verboten. Das kommt also überhaupt nicht infrage.
Bleiben nur offene Lager oder Rückführungszentren, wie sie die Befürworterinnen und Befürworter nennen möchten. Die Krux ist allerdings, offene Lager stellen ein erhebliches Sicherheitsrisiko für die Flüchtlinge dar. Das Auswärtige Amt hat erst vor Kurzem über die Situation in Libyen berichtet. Es finden schwerste Menschenrechtsverletzungen statt. Flüchtlinge werden mitunter wahrlos erschossen, und bewaffnete Milizen terrorisieren das Land. Es stellt sich daher die Frage, ob die Rückführung von Flüchtlingen in offene Lager nicht ein Verstoß gegen das Gebot darstellen würde, dass niemand in einen Staat abgeschoben werden darf, in dem sein Leib oder Leben in Gefahr wäre.
Aber selbst wenn es in diesem fragilen Umfeld gelingt, ein kleines Maß an Sicherheit in den Lagern zu erringen,
warten schon die nächsten Probleme, nämlich die ganz praktischen Fragen der Versorgung von Flüchtlingen in den Lagern, den Rückführungszentren. Meine Damen und Herren, die deutsche Welthungerhilfe geht derzeit davon aus, dass die Ernährungslage in Libyen Anlass zu ernster Besorgnis gibt. Wie stellen Sie sich die Versorgung der Flüchtlinge in den Lagern vor? Woher wollen Sie die Nahrungsmittel in einem Hungerland bekommen? Wenn Sie die Nahrungsmittel haben, wie wollen Sie die Verteilung in den Lagern gewährleisten, während die Menschen außerhalb der Lager hungern? Halten Sie es für realistisch, dass die hungernden Menschen außerhalb des Zauns den anderen im Lager beim Essen zuschauen? Nein, sie werden den Zaun niederreißen, und somit sind wir wieder bei der Sicherheitsfrage.
Gehen wir aber davon aus, dass im „Failed State“ Libyen neben den Herausforderungen im Sicherheitsbereich auch die Versorgung in den Lagern gelänge, dann wartet die nächste Herausforderung im Asylprozess, nämlich die Verfahrensberatung und die Abwicklung der gerichtlichen Verfahren, eventuell mit Anhörung der Betroffenen. Wie wollen Sie diese in Libyen oder in einem der anderen nordafrikanischen Staaten garantieren? Es müsste massiv Personal aus der EU, aus Deutschland dorthin verlegt werden. Halten Sie das angesichts der Sicherheitslage in diesen Ländern für realistisch? Wie wollen Sie die Sicherheit der Beamtinnen und Beamten garantieren?
Ich glaube, Sie merken langsam, weshalb dieser Vorschlag schon seit mehr als zehn Jahren durch die Debatten geistert. Er ist schlicht und ergreifend nicht realistisch und nicht umsetzbar, meine Damen und Herren.
Ich teile das Anliegen, den Flüchtlingen die gefährliche Fahrt über das Mittelmeer zu ersparen, um Schutz vor Krieg, Terror und Verfolgung zu erhalten. Allein im letzten Jahr sind mehr als 6.000 Menschen ertrunken, und in diesem Jahr waren es bereits mehr als 300 – die Dunkelziffer mag womöglich weitaus höher sein –, und das ist eine Schande für die Menschheit. Um den Schleuserinnen und Schleusern das Handwerk zu legen und das Sterben auf dem Mittelmeer zu beenden, brauchen wir aber andere Lösungen als Lager im Wüstensand. Wir brauchen endlich legale, gesteuerte Einwanderungswege,
also konkret: Wir brauchen beispielsweise ein Einwanderungsgesetz, und wir brauchen ein umfassendes Resettlement-Programm für Flüchtlinge aus den Krisenländern, meine Damen und Herren.
Vielen Dank. Frau Ministerin, im Antrag war, glaube ich, nicht von Inhaftierung die Rede, und dies war auch nicht der Fall in dem Positionspapier der AfD, von dem ich soeben sprach.
Der Plan wäre vielmehr, dass diese Rückführungszentren natürlich nicht unter der Aufsicht der dortigen Behörden eingerichtet würden, sondern die Oberaufsicht könnte die EU übernehmen.
Was die Finanzierung betrifft, haben wir Vergleiche. Wir wissen, dass die Versorgung einer Person als Asylbewerber hierzulande bei mindestens 1.000 Euro im Monat liegt, während wir zum Beispiel in den Flüchtlingslagern in Nahost, in Jordanien mit 30 Dollar im Monat eine Familie komplett versorgen können.
Also Sie sehen, dass wir das Geld, von dem auch wir möchten, dass es eingesetzt wird, um diesen Menschen zu helfen, vor Ort deutlich effizienter einsetzen und gleichzeitig verhindern können, dass sich viele dieser Menschen auf diese lange und gefährliche Reise übers Mittelmeer nach Europa machen. Das ist im Übrigen jetzt auch nicht die Position der AfD oder mittlerweile auch der CDU und auch von Teilen der SPD, sondern dies wird auch von namhaften Migrationsforschern vorgeschlagen. Ich nenne beispielsweise den Namen Paul Collier, Oxford-Universität, Ökonom, Migrationsforscher, der im Jahr 2016 mehrfach in den Medien mit genau diesem Ansinnen und mit genau dieser Begründung zitiert worden ist, dass es im Sinne einer Verantwortungsethik deutlich sinnvoller ist, diesen Menschen vor Ort zu helfen, ihnen die lange und gefährliche Reise zu ersparen und gleichzeitig mit unseren Finanzen verantwortlicher umzugehen.
Damit liegen dem Präsidium keine Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt mehr vor. Wird Ausschussüberweisung gewünscht?
Das sehe ich nicht, dann kommen wir unmittelbar zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU – Drucksache 17/2247 –. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Vielen Dank. Wer ist dagegen? – Damit ist der Antrag der Fraktion der CDU mit den Stimmen der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der CDU und der AfD abgelehnt.