Protocol of the Session on March 7, 2013

(Pörksen, SPD: Das ist eine Lohnuntergrenze!)

3,80 Euro in der Stunde in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2013 ist ein Skandal. Der gehört beendet. Das, was Sie vorschlagen, schützt eben nicht davor. Es gibt keinen Schutz gegen Niedriglöhne. Beschäftigte, die jetzt in einem Tarifvertrag sind wie beim Wach- und Schließgewerbe, bekommen dann nur 6,80 Euro die Stunde. Wir haben keinen Schutz für die Geringverdiener. Das sind 1 Million Beschäftigte, die trotz Tarifvertrag weiterhin unter 8,50 Euro die Stunde verdienen würden. Es ist eine offene Tür für die Scheingewerkschaften, wenn ihr Vorschlag zur Entfaltung kommt, die mit entsprechenden Gefälligkeitstarifverträgen Lohndumping betreiben würden.

(Pörksen, SPD: Genauso ist das!)

Wir würden weiterhin den Spalt zwischen Ost und West in Deutschland verschärfen, weil die Diskrepanz zwischen dem Tariflohn bei der Friseurin in Thüringen bei 3,82 Euro gegenüber der Friseurin in Niedersachsen bei 7,75 Euro liegt. Ich will, dass die Einheit endlich auch auf dem Arbeitsmarkt Realität wird. Die Partei des Kanzlers der Einheit sollte uns da doch folgen und endlich einen flächendeckenden gleichen Mindestlohn in Ost und West im Bund nicht weiter blockieren, meine Damen und Herren.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Immerhin setzen Sie sich mit dem Thema auseinander, während ihr Koalitionspartner in der Bundesregierung, die FDP, einfach die nicht passenden Daten aus dem Armutsbericht löscht und das Problem in römischer Dekadenz einfach ignoriert. Aber lassen Sie mich vielleicht noch einen Satz dazu sagen. Die Realität auf unserem Arbeitsmarkt ist eben nicht so, wie Sie sie beschreiben. Ja, wir haben einen hohen Stand an Beschäftigung. In Rheinland-Pfalz haben wir auch sehr gute Zahlen. Aber Sie haben es selbst gesagt, die Zahl derer, die prekär beschäftigt sind, die mit Niedriglohn beschäftigt sind, hat sich dramatisch erhöht.

Es ist eben nicht alles sozial, was Arbeit schafft. Es geht auch um gute Arbeitsbedingungen. Um Ihnen einmal ein

Beispiel hier aus unserer Region zu nennen, das vielleicht noch nicht so öffentlich ist, Ihr Lieblingssender, der SWR,

(Heiterkeit bei der SPD)

hat sich selbst soziale Vergabekriterien gegeben. Das finde ich löblich und vorbildlich. Der SWR hat für den Bereich Postpaketversand europaweit nach diesen Standards ausgeschrieben. Es gab auf diese Ausschreibung europaweit keine einzige Bewerbung, weil die sozialen Standards nicht eingehalten werden können, was Arbeitnehmerrechte, gute Arbeit und gute Arbeitsbedingungen angeht.

(Glocke des Präsidenten)

Ich halte das für einen sozialpolitischen Skandal. Deshalb begrüßen wir die Gesetzesinitiative der Landesregierung zur Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns.

(Baldauf, CDU: Das zeigt, dass Sie keine Ahnung haben, Herr Köbler! Das tut mir furchtbar leid!)

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Für die Landesregierung hat Herr Minister Schweitzer das Wort.

(Staatsminister Schweitzer fährt das Rednerpult hoch – Frau Klöckner, CDU: Das dauert jetzt ein bisschen!)

Das ist die nötige Umbaupause.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst einmal Sie, lieber Herr Kessel, ansprechen und Ihnen ganz herzlich gratulieren. Sie sind zum Landesvorsitzenden der CDA gewählt worden. Das ist kein einfacher Job, in der CDU, nachdem Sie seit 15 Jahren in der CDU, ehemals eine auch sozial gestrickte Volkspartei, durch 15 Jahre neoliberalen Brainwash gegangen sind, jetzt sozusagen noch das soziale Fähnlein hochzuhalten.

(Beifall der SPD und bei dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Frau Klöckner, CDU: Herr Generalsekretär!)

Lieber Herr Kessel, ich beglückwünsche Sie zu dieser Aufgabe. Ich glaube, es war für jeden wahrnehmbar, dass in Ihrer Rede natürlich diese Zweigeteiltheit durchaus da war, zu wissen, da gibt es ein Problem, und zu wissen, Gesellschaftspolitik hat Verantwortung, an die

sem Problem auch anzusetzen, aber auch zu wissen, eigentlich darf man nicht. Das war so ein bisschen der rote Faden – ich glaube, Sie haben kein Problem damit, wenn ich den roten Faden bei Ihnen anspreche – in Ihrer Rede. Ich möchte Ihnen gern anbieten, dass wir das in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren, wenn Sie in dieser Verantwortung bleiben, auch gemeinsam erarbeiten. Ich glaube nämlich, dass es schlussendlich darauf ankommt, dass auch die große Volkspartei CDU erkennt, wir werden all den Wucherungen und all den Missbräuchen am Arbeitsmarkt nur entgegentreten, wenn wir auch eine neue Politik für Ordnung und für Sicherheit am Arbeitsmarkt formulieren. Dazu möchte Sie gerne und herzlich einladen, lieber Herr Kessel. Damit spreche ich Sie alle in der CDU-Fraktion an.

(Vereinzelt Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich möchte Herrn Abgeordneten Köbler ganz herzlich danken. Er hat unseren Gesetzentwurf angesprochen und gesagt, der war ganz in Ordnung. Lieber Herr Köbler, ich glaube, damit liegen Sie völlig richtig.

(Köbler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Vorbildlich!)

Das ist tatsächlich auch unsere Wahrnehmung. Wenn Sie erlauben, möchte ich gern mit einer Szene einsteigen, die sich gestern in der Bundespressekonferenz offensichtlich abgespielt hat. Zumindest beschreibt die „Süddeutsche Zeitung“ eine Situation, in der sich Frau von der Leyen, die Bundesarbeitsministerin, befunden hat. Sie hat die Aufgabe gehabt, den Armuts- und Reichtumsbericht vorzustellen.

(Frau Elsner, SPD: Zu hübschen!)

Ich füge hinzu, das, was davon übriggeblieben ist. – Sie hat sich vorbereitet, auch auf alle Schludrigkeiten und verschwundenen Sätze, und es ist dann doch etwas passiert, was ich Ihnen gern schildern möchte. Ich zitiere aus dem Artikel in der „Süddeutschen Zeitung“: „Was aus dem Satz zum gestörten Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung geworden sei, will ein Journalist wissen. Steht der auch noch im Bericht? Von der Leyen laviert.“ Es geht dann so weiter. Es wird nachgefragt. Sie schaut sich um. Wissen denn die Mitarbeiter ein bisschen mehr? Und es führt dazu: „Eine dritte Nachfrage mehrere Minuten später. Wieder keine Antwort von von der Leyen. Ihr Sprecher ruft dazwischen, die Antwort werde nachgereicht. Muss er nicht. Einige Journalisten haben sich den Bericht inzwischen selbst von den Seiten des Ministeriums heruntergeladen und nach ‚Gerechtigkeitsempfinden‘ gesucht. Der Begriff taucht darin nicht mehr auf. Von der Leyens Blick vereist. Nichts ist gerade zu erkennen von dem frühlingshaften Lächeln, das sie am Anfang für die Fotografen übrig hatte.“ –

(Staatsminister Lewentz: Sehr gut recherchiert!)

Meine Damen und Herren, ich glaube, das macht ganz deutlich, auf welchem Weg sich diese Bundesregierung befindet. Man weiß oder ahnt und vermutet, da ist ein Problem. Man traut sich nicht, sich dem Problem tatsächlich über die Ursachen zu nähern. Man weiß, man muss einen Armuts- und Reichtumsbericht vorlegen.

Man schönt ihn und muss am Schluss erkennen, man geht an dem Befinden der Mehrheit der Menschen in diesem Land wirklich fundamental vorbei und wird dann noch dabei ertappt.

Meine Damen und Herren, es ist nicht nur so, dass Frau von der Leyen das Lächeln vergangen ist, auch der Mehrheit der Menschen in diesem Land ist das Lächeln ob dieser Ignoranz unserer schwarz-gelben Bundesregierung vergangen.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es ist tatsächlich so, wir sind gut durch die Krisensituation der letzten Jahre gekommen. Wir bekommen von den Arbeitsmärkten in Deutschland insgesamt positive Nachrichten. Wir spüren das auch in Rheinland-Pfalz. Wir hatten niemals mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigte in RheinlandPfalz als zurzeit. Das ist etwas, worüber wir uns freuen, weil wir doch gemeinsam wissen, dass es gut für die betroffenen Menschen und gut für die Familien ist.

Wir haben in Rheinland-Pfalz natürlich auch – wir sind insgesamt auf Platz 3, das möchte ich schon noch einmal mit ergänzen – Agenturbezirke, die sich melden und uns nach den Standards der ILO die Information geben, wir sind de facto bei Vollbeschäftigung. Das ist das erste Phänomen am Arbeitsmarkt. Es gibt aber darüber hinaus eine Entwicklung, die sich sozusagen über das, was ich geschildert habe, legt, nämlich beileibe nicht bei allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die vollschichtig arbeiten, kommt diese gute Entwicklung in der wirtschaftlichen Entwicklung an und kommt diese positive Entwicklung am Arbeitsmarkt an.

Meine Damen und Herren, denn wir haben inzwischen einen tief gespaltenen Arbeitsmarkt. Auch dazu gibt der Armuts- und Reichtumsbericht eine Auskunft. Man nimmt die Zahl des Statistischen Bundesamtes. Dieses hat in einer Verdienststrukturerhebung – wie es da heißt – eine Niedriglohnquote von zuletzt 20,6 % festgestellt. Das ist eine Steigerung gegenüber dem Bericht davor von 1,9 %, also fast 2 %.

Meine Damen und Herren, wir reden hier über Familien. Wir reden über die, die täglich morgens aufstehen, die arbeiten gehen, die eine Ausbildung haben, die etwas machen wollen, die sich für ihre Familie einsetzen, um ihre Kinder kümmern, die, liebe Frau Klöckner, wie Sie es gerne beschreiben, tatsächlich morgens aufstehen und Schnittchen schmieren, aber die dann ihrer Familie, nachdem die Schnittchen gegessen sind, auch erklären müssen: Es wird am Ende nicht reichen mit dem, was ich erarbeite und verdiene, um tatsächlich über die Runden zu kommen. Ich muss am Ende des Monats noch zum Amt gehen.

Meine Damen und Herren, das ist genau das, was ich mit dem Wort „Gerechtigkeitsempfinden“ sagen möchte. Das Gerechtigkeitsempfinden der Menschen ist tief gestört. Es ist schon lange nicht mehr die Botschaft der sozialen Marktwirtschaft, dass sich Leistung lohnt und wer arbeitet mehr hat und mehr haben kann als der, der

nicht arbeitet. Es ist auch nicht mehr die Botschaft, dass der Wert der Arbeit in dieser Gesellschaft noch wirklich anerkannt wird.

Wir sind an der Stelle für die Menschen nicht mehr eine Aufstiegsgesellschaft. Das empfinden sie wirklich als großes Defizit und persönlich großes Schicksal. Sie sitzen im Maschinenraum der Gesellschaft fest, während andere in der Arbeitsgesellschaft Erfolge erzielen können.

Sie müssen ihren Familien erklären, warum ihre Leistung und das, was sie erarbeiten und einbringen können, in dieser Gesellschaft so wenig zählt, dass sie am Ende des Monats immer noch zum Amt gehen müssen. In dem Armuts- und Reichtumsbericht gibt es auch einen Hinweis darauf, dass uns die OECD attestiert, dass wir immerhin noch auf gutem Niveau für die sorgen, die von ihrer Arbeit nicht leben können.

Meine Damen und Herren, ich glaube, wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir aus dieser Situation, die ich beschrieben habe – ich habe auch keinen Widerspruch verspürt –, nicht herauskommen, wenn wir uns darauf kaprizieren, stolz darauf zu sein, dass wir für die, die nichts haben, über die Steuersituation und die sozialen Sicherungssystem am Ende des Tages genug Brosamen übrig haben, damit sie über die Runden kommen.

(Beifall bei der SPD)

Wir brauchen eine Botschaft, dass jemand, der sich engagieren will und leistungsbereit ist, auch den Aufstieg schaffen kann. Das werden wir über einen Niedriglohnarbeitsbereich, der sich verfestigt, nicht erreichen können.

(Beifall bei der SPD – Frau Elsner, SPD: Genau so!)

Darum ging es auch, als wir zum 1. März unseren Gesetzentwurf zu einem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn in den Bundesrat eigebracht haben. Hierbei handelt es sich um einen Gesetzentwurf, der die Zustimmung schon im Vorfeld aus Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein sowie Niedersachen und darüber hinaus dann auch noch in der Bundesratssitzung Zustimmung gefunden hat. Das Saarland ist angesprochen worden.

Das sind seit 2007 Vorstöße gewesen, die sich leider immer wieder wiederholen mussten, weil sie immer wieder am Widerstand der schwarz-gelben Bundestagsmehrheit und der schwarz-gelben Mehrheit im Bundesrat gescheitert waren.

Wir sind jetzt so weit, dass der Gesetzentwurf in den Bundestag gehen kann und zugeleitet wird. Ich hoffe und wünsche mir, dass wir nicht mit Geschäftsordnungstricks der schwarz-gelben Mehrheit im Bundestag zu kämpfen haben werden, sondern den Gesetzentwurf noch frühzeitig vor der Sommerpause beraten können und Schwarz-Gelb dazu gezwungen wird, eigene Alternativen zu formulieren und diesem Gesetzentwurf gegenüberzustellen.

Lieber Herr Kessel, ich möchte noch auf einen Satz eingehen. Ich weiß nicht, ob Sie ihn selbst formuliert haben. Sie haben ihn zumindest vorgetragen.

(Zuruf der Abg. Frau Klöckner und Frau Kohnle-Gros, CDU)

Das ist die Frage der Staatsferne und der staatlich festgelegten Mindestlöhne. Wir haben uns in Großbritannien ein Vorbild, nämlich die Low Pay Commission, angeschaut. Großbritannien steht nun wirklich nicht als Vorbild für den bürokratischen Sozialismus. Das ist eine Kommission, die aus Gewerkschaften, Arbeitgebervertretern und der Wissenschaft besteht, und die auf der Grundlage von Datenerhebungen einen Vorschlag für einen Bruttomindestlohn in der Stunde macht. Das zuständige Bundesministerium, welches es auch immer sein mag, hat sodann festzulegen, dass es als Verordnungsgeber diesen Mindestlohn in eine Verordnung fließen lässt. Dann hat der Entwurf Gesetzesrealität.