Ich rufe die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Hans-Josef Bracht und Gerd Schreiner (CDU), Finanzausstattung der Länder Rheinland-Pfalz und Hessen – Nummer 4 der Drucksache 15/4947 – betreffend, auf.
1. Wie hoch sind die Steuereinnahmen je Einwohner der Länderhaushalte von Rheinland-Pfalz und Hessen vor Länderfinanzausgleich und Bundesergänzungszuweisungen in den Jahren 2008, 2009, 2010?
3. Wie hoch ist die Nettoneuverschuldung je Einwohner der Länder Rheinland-Pfalz und – nach Kenntnis der Landesregierung – Hessen in den Jahren 2008, 2009, 2010 incl. der Kreditaufnahme der Landesbetriebe?
4. Sieht die Landesregierung vor diesem Hintergrund einen im Vergleich der Bundesländer ausreichenden finanziellen Handlungsspielraum, um bis 2020 auf eine Neuverschuldung zu verzichten?
Verehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der Landesregierung beantworte ich die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Bracht und Schreiner wie folgt:
Ich denke, ich sollte zunächst vorausgeschickt darlegen, auf welcher Datenbasis die Beantwortung erfolgt bzw. auch nur erfolgen kann.
Bei den Steuereinnahmen und Ausgleichsbeträgen handelt es sich nicht um die Kassendaten, sondern die phasenbereinigten Ist-Einnahmen für 2008 und 2009 und die entsprechenden Ausgleichsbeträge aus den endgültigen Abrechnungen des bundesstaatlichen Finanzausgleichs der Jahre 2008 und 2009.
In der Mündlichen Anfrage werden auch Daten für das laufende Jahr abgefragt, die naturgemäß noch nicht feststehen. Insofern werden für das Jahr 2010, also für dieses Jahr, aus Vergleichbarkeitsgründen die Daten der regionalisierten Steuerschätzungen aus dem Mai des Jahres 2010 herangezogen und darüber hinaus – wie üblich die unterschiedlichen Kommunalisierungsgrade berücksichtigend – die Daten für Länder und Kommunen.
Zu Frage 1: Vor Umsatzsteuerverteilung gemäß § 2 Finanzausgleichsgesetz (FAG) beliefen sich die Steuereinnahmen von Rheinland-Pfalz im Jahr 2008 auf 1.407 Euro, im Jahr 2009 auf 1.281 Euro und in 2010 auf 1.202 Euro, jeweils der Frage entsprechend je Einwohner.
Die Steuereinnahmen sind gegenüber 2008 also dramatisch gesunken. Für 2010 werden vor Umsatzsteuerverteilung 205 Euro je Einwohner oder insgesamt rund 400 Millionen Euro weniger erwartet als noch im Jahr 2008. Ich komme auf die Ursachen noch einmal zu sprechen. In Hessen – das ist der Vergleich gemäß der Mündlichen Anfrage – ergibt sich die Entwicklung betreffend ein sehr ähnliches Bild. Vor der Umsatzsteuerverteilung, also vor
dem Verfahren nach § 2 Finanzausgleichsgesetz, beliefen sich die Steuereinnahmen in Hessen im Jahr 2008 auf 1.941 Euro, im Jahr 2009 auf 1.668 Euro und im Jahr 2010 auf 1.551 Euro, auch hier, wie auch bei den folgenden Zahlenkolonnen, die ich vortrage, immer je Einwohner und in Euro.
Im Vergleich zum Länderdurchschnitt liegen die Steuereinnahmen von Rheinland-Pfalz, eben vor dem ersten Ausgleichsschritt, bei 98,4 % des Länderdurchschnitts. Ich beziehe mich jetzt allerdings nur auf 2009, um unnötige Zahlenkolonnen zu vermeiden. Das heißt, vor dem ersten Ausgleichsschritt im bundesstaatlichen Finanzausgleich verfügt Rheinland-Pfalz über Steuereinnahmen, die fast dem Länderdurchschnitt entsprechen.
Hessens Steuereinnahmen vor der Umsatzsteuerverteilung beliefen sich auf 128,1 % des Durchschnitts. Weil es zeigt, wie dieser erste Ausgleichsschritt wirkt: Die neuen Länder und das Land Berlin hatten eine Ausstattung von 55,5 % des Länderdurchschnitts.
Diese originäre Steuereinnahmenausstattung wurde in einem ersten Schritt durch die Umsatzsteuerverteilung – ich wiederhole, § 2 FAG – nivelliert. Bis zu einem Viertel der Umsatzsteuermittel der Länder wird für den sogenannten Umsatzsteuervorwegausgleich verwandt, um in einem ersten Schritt unterdurchschnittliche Ländersteuereinnahmen auszugleichen. Steuereinnahmenlücken gegenüber dem Länderdurchschnitt werden, grob vereinfacht gesprochen, zu 95 % aus Umsatzsteuermitteln aufgefüllt.
Das Umverteilungsvolumen ist mit 7,3 Milliarden Euro etwas größer als die in einem zweiten Schritt folgende Umverteilung beim Länderfinanzausgleich gemäß der §§ 4 bis 10 des Finanzausgleichsgesetzes, auf die ich gleich noch zu sprechen komme, wenn ich die Frage 2 beantworte.
Vergleicht man die relativen Steuereinnahmen auf Länderebene vor Umsatzsteuerverteilung und nach Umsatzsteuerverteilung, so ging die rheinland-pfälzische Steuerausstattung 2009 von den soeben genannten 98,4 % auf 93,8 % zurück. Die Steuerausstattung von Hessen sank auf 110,3 %, und die Steuerausstattung der neuen Länder und von Berlin stieg von 55,5 % auf immerhin 92,5 % des Länderdurchschnitts.
Zu Frage 2: Das Finanzausgleichsgesetz regelt, dass neben den vorab ausgeglichenen Steuereinnahmen der Länder in einem zweiten Schritt weitere Tatbestände in den Finanzausgleich einbezogen werden. Zum einen finden erstmals die Einnahmen aus den Förderabgaben Berücksichtigung, zum anderen werden 64 % der Gemeindesteuern mit in den Ausgleich einbezogen. Insofern ist die Steuereinnahmenbasis noch um die Gemeindesteuern und die Förderabgaben zu erweitern. Die Gemeindesteuereinnahmen und die Förderabgaben lagen in Hessen rund 50 % über den Werten des Landes Rheinland-Pfalz.
Zur Kernfrage: Die Steuereinnahmen von Land und Kommunen inklusive Förderabgabe – LFA Abschnitte 1 und 2, BEZ Abschnitt 3 des Finanzausgleichsgesetzes – beliefen sich in Rheinland-Pfalz im Jahr 2008 auf
3.258 Euro, im Jahr 2009 auf 3.011 Euro und im Jahr 2010 auf 2.866 Euro. Im Jahr 2009 waren dies 91,5 % des Länderdurchschnitts.
Die Steuereinnahmen und Förderabgaben des Landes Hessen und seiner Kommunen, und zwar nach Abzug der Zahlung im Länderfinanzausgleich, betragen im Jahr 2008 3.619 Euro, im Jahr 2009 3.299 Euro und im Jahr 2010 3.071 Euro je Einwohner. Im Jahr 2009 waren dies in Hessen 100,3 %, also eine Nivellierung genau auf den Länderdurchschnitt.
Das Land Hessen und seine Kommunen konnten im Jahr 2009 288 Euro je Einwohner mehr zur Erfüllung ihrer Aufgaben verwenden als das Land Rheinland-Pfalz und seine Kommunen, oder – anders gerechnet – mit einer sogenannten hessischen Finanzausstattung stünden Land und Kommunen in Rheinland-Pfalz 1,15 Milliarden Euro mehr zur Verfügung. – Ich sagte „stünden“, der Konjunktiv ist in diesem Fall nicht unwichtig.
Zur Frage 3: Für das Jahr 2009 sind die endgültigen Ergebnisse des Landeshaushalts in Hessen noch nicht veröffentlicht. Die hier genannten Zahlen ergeben sich aus dem vorläufigen Ergebnis, das bitte ich zu berücksichtigen. Darüber hinaus bitte ich zu berücksichtigen, dass uns für das Land Hessen keine Informationen vorliegen, was eine mögliche vermeintliche Ausgliederung der Staatsverschuldung betrifft. Insofern stelle ich nur die Daten aus dem Kernhaushalt dar, und insofern kann ich nicht definitiv sagen, ob in Hessen eventuell eine ausgelagerte Verschuldung noch existiert, die mit hinzuzurechnen wäre. Die Daten liegen nicht vor.
Für 2010 wurden die Haushaltsansätze zugrunde gelegt; andere Daten können nicht vorliegen. Demnach belief sich die Nettoneuverschuldung in Rheinland-Pfalz je Einwohner, inklusive der Landesbetriebe, im Jahr 2008 auf 314 Euro, im Jahr 2009 auf 470 Euro und im Jahr 2010 auf 663 Euro. Um aber diese Zahlen mit jenen aus Hessen vergleichen zu können, sind die Nettozuflüsse an den Finanzierungsfonds für die Beamtenversorgung herauszurechnen, da es ein solches Vorsorgesystem so in Hessen nicht gibt. Bereinigt um diese Ausgaben, ergeben sich die folgenden Werte für die Nettokreditaufnahme, auch inklusive der Landesbetriebe, in Rheinland-Pfalz:
Nun zu der Nettokreditaufnahme in Hessen. Sie betrug im Jahr 2008 147 Euro, im Jahr 2009 430 Euro und im Jahr 2010 557 Euro. Das heißt, im Jahr 2010 liegt die Nettokreditaufnahme in Hessen auf den Euro genau auf dem Niveau des Landes Rheinland-Pfalz.
Zu Frage 4: Seit Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise Ende 2008 wurden die Steuern bundesweit um 36 Milliarden Euro gesenkt. Diese massive Erosion der Einnahmebasis bedeutet für Rheinland-Pfalz dauerhafte Mindereinnahmen von 580 Millionen Euro – das ist
mehr, als der gesamte Personalkörper im Polizeidienst ausmacht –, die dauerhaft dem Land fehlen. Aber dies ist keine Besonderheit des Landes Rheinland-Pfalz; denn durch diese diskretionäre Entscheidung der Politik fehlen allen Ländern erhebliche Einnahmen. Insofern wird es für alle Länder unter diesen Bedingungen eine erhebliche Herausforderung sein, die angesprochene Regelung einzuhalten.
Herr Staatssekretär, wie kommen Sie bzw. Ihr Minister vor dem Hintergrund der von Ihnen vorgetragenen und auch statistisch belegten Zahlen – 2009 Länderfinanzausgleich Hessen: 1,9 Millionen Euro Abführung im Länderfinanzausgleich, Rheinland-Pfalz 295 Millionen Euro Einnahmen aus dem Länderfinanzausgleich – zu der Behauptung, Rheinland-Pfalz sei ein Geberland im Länderfinanzausgleich im Gegensatz zu Hessen?
Herr Abgeordneter Bracht, ich vermute, Sie zielen auf ein Gespräch mit Pressevertretern ab, das im August stattgefunden hat. Mir ging es darum darzulegen, dass das Finanzausgleichsgesetz drei Abschnitte umfasst. In der Öffentlichkeit wird meist nur über Abschnitt 2 referiert. Ich denke, es ist eine Art von Redlichkeit, darauf hinzuweisen, dass zum Finanzausgleichsgesetz, wie es nun auch verabschiedet ist, der Umsatzsteuerausgleich genauso dazugehört wie das, was man ansonsten gern unter Finanzausgleich isoliert betrachtet, und auch die Bundesergänzungszuweisungen Insofern können Sie je nach Betrachtung immer auch zu unterschiedlichen Vorzeichen kommen.
Es geht nicht darum zu sagen, Rheinland-Pfalz ist ein Geberland, sondern es geht darum zu zeigen, dass die föderalen Beziehungen deutlich komplizierter sind, als man dies vielleicht in plakativen Forderungen unseres Nachbarlandes hört.
Im Übrigen weise ich darauf hin, dass es viele Tatbestände gibt, die – allgemein akzeptiert – nicht im Länderfinanzausgleich abgebildet werden. Frau Staatsministerin Ahnen könnte beispielsweise über den Zuzug der Studierenden aus anderen Bundesländern berichten. Wir hatten gestern über den Hochschulpakt II gesprochen. In den Verhandlungen sagen die anderen Bundesländer auch nicht, dass dies keine zusätzliche Belastung des Landes Rheinland-Pfalz oder anderer Bundesländer sei, sondern sie sagen, dass dies etwas ist, was man im Finanzausgleich regeln müsste. Aber das tut man nicht.
Als weiteres Beispiel, um die Komplexität noch zu verdeutlichen, wird auch die Forschungsförderung nicht im
Länderfinanzausgleich abgebildet. Zur Forschungsförderung erfolgt ein erheblicher Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern. Wenn wir die Forschungsfördermittel des Bundes hätten, die Baden-Württemberg erhält, könnten wir über die Landesfinanzen deutlich entspannter reden, als wir dies derzeit tun.
Herr Staatssekretär, alle bisher anerkannten Berechnungen gehen davon aus, dass die Umsatzsteuer nicht in die Berechnung des Länderfinanzausgleichs einzubeziehen ist, wenn es um die Frage geht, was im Rahmen des Länderfinanzausgleichs von welchem Land gezahlt wird. Wie kommen Sie dazu, zu behaupten und zu unterstellen, die Umsatzsteuer sei eine originäre Landessteuer, die man mit hineinrechnen müsste?