Frau Kollegin, Sie haben die Ideologie der Einheitsschule immer vor sich hergetragen. Wir dagegen möchten eine Pädagogik des individuellen Förderns und des Eingehens auf jedes einzelne Kind mit seiner Leistungsfähigkeit, mit seinem Lernwillen, mit seiner Lust an Schule und nicht mit einer einheitlichen Begabung, die es nirgends gibt.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrte Frau Staatsministerin, ich versichere Ihnen, ich werde Weihnachten ganz friedlich feiern. Dies hindert uns aber nicht daran, heute im Parlament die Punkte vorzutragen, die aus unserer Sicht kritisch anzumerken sind.
Ich habe Sie nun über viele Jahre kennengelernt und halte Sie durchaus für grundsatztreu. Wenn Sie auf dem Bundesparteitag etwas beschließen, gehe ich davon aus, dass Sie das auch umsetzen wollen, sonst würden Sie es nicht beschließen.
Wir sehen sehr deutliche Hinweise darauf, dass mit diesem Modell letztendlich das erreicht werden soll, was Sie auf Ihrem Bundesparteitag beschlossen haben, und dies halten wir für den falschen Weg.
Aber Frau Kollegin Brede-Hoffmann hat soeben dargelegt, Sie wollen mit Ihrem Konzept erreichen, dass die Schüler individuell gefördert werden. Wie soll das erreicht werden? – Ich darf in diesem Zusammenhang auf das zurückgreifen, was Herr Finanzminister Professor Dr. Deubel in Vertretung des Herrn Ministerpräsidenten Beck am LVU-Abend gesagt hat, als er den Unternehmern erläutert hat, diese neue Schulform sei für sie gut, weil sie nun besser ausgebildete Schüler bekämen. Dies erreiche man wie folgt: Es gebe demnächst kleinere Klassen. –
Er hat erläutert, dass diese kleineren Klassen ohne zusätzliche Lehrer dadurch zustande kämen, dass man heute in Hauptschulen eine durchschnittliche Klassenstärke von 15 und in Realschulen von 30 habe. Wenn man sie zusammenlege, komme man auf eine Klassenstärke von 25 und damit eine kleinere Klassenstärke. – So hat er das erläutert.
(Beifall der FDP und bei der CDU – Billen, CDU: So hat er es schon immer gesagt! – Eymael, FDP: Genau!)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn ich heute mit Hauptschullehrern spreche, dann sagen sie mir: Damit erreichen wir wieder den Zustand, den es früher einmal gab, nämlich dass unsere Hauptschüler in solchen Klassen hinten heruntergefallen sind. Endlich ha
(Beifall der FDP und der CDU – Frau Brede-Hoffmann, SPD: Bald haben wir leere Klassen, Herr Kollege!)
Frau Kollegin Brede-Hoffmann, das ist das, was die Hauptschullehrer mir sagen. Hauptschullehrer und Realschullehrer sagen mir auch, dass ihre Eingangsklassen heute schon so heterogen sind, dass sie 80 % ihrer Arbeitszeit dafür verwenden, diejenigen, die auf der Note 5 stehen, auf die Note 4 zu bringen, und dass sie leider keine Zeit mehr haben, diejenigen, die auf 3 stehen, auf 2 zu bringen. Das ist nicht Chancengerechtigkeit! (Beifall der FDP und der CDU)
Es ist keine Chancengerechtigkeit, wenn derjenige, der gefördert werden kann, nicht gefördert wird. Dies sind die Dinge, die uns bewegen. Dies sind die Dinge, die uns vor Ort von den Lehrern vermittelt werden, und ich sehe nicht, wie dieses Problem gelöst wird, wenn Hauptschule und Realschule unter einem Dach, unter dem Titel „Realschule plus“ zusammengefasst werden.
Im Gegenteil, Sie haben geschildert – und das haben wir auch erlebt –, dass viele Eltern vor der Hauptschule flüchten. Aber glauben Sie, die Eltern flüchten jetzt nicht genauso, wenn das Hauptschulproblem nun in die Realschule hinein verlagert wird und beide zusammengefasst werden?
Dies wird doch dazu führen, dass die gut funktionierenden Realschulen nicht mehr existieren, die Eltern somit keine Wahl mehr haben und ihre Kinder direkt aufs Gymnasium schicken, womit sie erneut überfordert werden und womit noch einmal die Chancengerechtigkeit beeinträchtigt wird, weil keine optimale Förderung mehr erreicht werden kann.
Frau Staatsministerin Ahnen, ich will überhaupt nicht bestreiten, dass man in einer Klasse mit vielen Schülern jeden optimal fördern kann. Es scheint mir aber mit den zur Verfügung stehenden Mitteln des Landes RheinlandPfalz nicht möglich zu sein. Jedenfalls sagen mir dies alle Lehrerinnen und Lehrer sowohl von der Hauptschule als auch von der Realschule, mit denen ich in diesem Zusammenhang spreche. Sie sagen mir, dass sie diese heterogenen Gruppen, die sie nach dieser Zusammenlegung haben werden, mit den Lehrern, die zur Verfügung stehen, so nicht werden bewältigen können. Das ist eben keine Chancengleichheit und auch keine Chancengerechtigkeit.
Wir setzen uns für ein Bildungssystem ein, das es ermöglicht, dass jeder Schüler entsprechend seinen Talenten einen Abschluss erreichen kann.
Als ich 1971 nach Deutschland kam und aufs Gymnasium ging, hat mich eine Tatsache besonders beeindruckt: Diejenigen, die auf die Privatschulen gingen, waren diejenigen, die es dort auf dem Gymnasium nicht geschafft haben, aber deren Eltern genug Geld hatten, sie vielleicht anderswo durchzubringen. Ich befürchte, dass wir derzeit einen Zustand erreichen, dass immer mehr Privatschulen entstehen, aber nicht deshalb, weil die öffentlichen Schulen so gut wären, sondern deshalb, weil die Eltern nicht mehr die Überzeugung haben, dass dort ein guter Unterricht geleistet wird.
Frau Kollegin Brede-Hoffmann, wir wenden uns gegen eine solche Entwicklung, weil es letztlich nicht vom Portemonnaie der Eltern abhängig sein kann und darf, ob ihre Kinder eine gute Schule besuchen können.
(Beifall der FDP und der CDU – Ramsauer, SPD: Das ist das Motto: Spiel nicht mit den Schmuddelkindern!)
Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordnete! Lassen Sie mich ein paar Anmerkungen zu den konkreten Punkten machen, die angesprochen worden sind.
Herr Abgeordneter Keller, wir hatten in der Tat eine sehr ausführliche Diskussion im Ausschuss, der ich mich auch ausdrücklich gestellt habe. Wenn Sie heute sagen, eine dreistündige Debatte sei ein Beleg dafür, wie viele Fragen sich noch stellen, dann sage ich Ihnen, eine dreistündige Debatte ist auch ein Beleg dafür, dass die Ministerin auf jede Frage, die gestellt worden ist, ausführlich Antwort gegeben hat.
Es ist nicht eine Frage in dieser Ausschusssitzung unbeantwortet geblieben, auch, wenn sie mehrfach gestellt worden ist.
Sie haben des Weiteren den Vorwurf erhoben, sechs Wochen nach Vorstellung des Schulstrukturkonzeptes seien im Land noch nicht alle Einzelheiten bekannt gewesen. Ich muss sagen, im Moment können Sie sich nicht so richtig entscheiden: Einerseits werfen Sie mir vor, dass sich die Kommunen im Land schon aufgrund dessen, was wir ihnen gegeben haben, auf die neue
Situation vorbereiten – sie wissen offensichtlich sehr genau, was Sache ist –, andererseits sagen Sie aber auch, es sei noch nicht jedes Detail geregelt. Wir arbeiten an all diesen Konzepten, und wir tun dies zusammen mit den Betroffenen. Wir sitzen zusammen wegen ressourcenorientierter Förderkonzepte, wir haben konkrete Vorschläge zur Stärkung der Berufsorientierung vorgelegt, und wir haben die Ausgestaltung des Projekts „Keiner ohne Abschluss“ auf den Weg gebracht.
Wir sitzen unter anderem auch mit den berufsbildenden Schulen wegen der Ausgestaltung der Fachoberschule zusammen. So wird sukzessive unter Einbeziehung der Betroffenen ein Thema nach dem anderen abgearbeitet. Wir werden an dieser Stelle keine Antwort schuldig bleiben. Aber wir werden den Schulen auch den notwendigen Freiraum zur Umsetzung geben.
Ich möchte an diesen Punkt noch einmal den Appell der Kollegin Frau Brede-Hoffmann wiederholen. Ich empfehle Ihnen: Springen Sie auf den Zug auf, bevor er abgefahren ist. – Wir haben Ihnen das bei der Vollen Halbtagsschule empfohlen. Wir haben es Ihnen bei der Ganztagsschule empfohlen. Wir haben es Ihnen bei „Zukunftschance Kinder – Bildung von Anfang an“ empfohlen. Überlegen Sie einmal, welche Kraft es Sie gekostet hat, nach Jahren mit Verspätung in diesen Fragen die Kehrtwende zu realisieren.
Herr Fraktionsvorsitzender Mertin, ich würde gerne drei Bemerkungen zu dem machen, was Sie gesagt haben.
Ich habe erstens von dieser Veranstaltung bei der Landesvereinigung der Unternehmerverbände auch gehört. Ich konnte leider nicht da sein. Ich muss Ihnen sagen, im ersten Moment, als ich gehört habe, dass der Finanzminister in seiner Rede ausführlich über Bildungspolitik gesprochen hat, ist mir auch ein bisschen schwach geworden.
Dann hatte ich aber den großen Vorteil, dass meine Staatssekretärin Frau Reiß auf der Veranstaltung war. Sie hat mir eben noch einmal einen Zettel herübergeschoben: Er war einfach brillant. –
Dann war ich ganz beruhigt. Aber Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Ich habe gesagt: Also, wenn Du sagst, er war brillant, dann wüsste ich es schon noch gerne ein bisschen genauer. – Sie hat mit dann erklärt, was er gesagt hat. Das finde ich völlig in Ordnung. Dass ein Finanzminister an ein solches Konzept auch die Messlatte anlegt, dass vorhandene Ressourcen möglichst optimal eingesetzt werden, ist nicht nur für einen Finanzminister legitim, das ist auch für die Schülerinnen und Schüler in diesem Land gut. Ich habe ausdrücklich die Zusage des Finanzministers, dass die für dieses
Konzept notwendigen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Es ist mit ihm abgestimmt. Dafür bin ich ausgesprochen dankbar.