Protocol of the Session on June 27, 2007

Dann konnten wir uns auf einen Sektor einigen. Ich nehme an, dass wir vielleicht 20 % oder 30 % der Problemlage mit diesen beiden Ansätzen Entsendegesetz und Mindestarbeitsbedingungengesetz erreichen können. Der andere Teil wird ungeregelt sein. Zu diesem Teil stehe ich auch in vollem Umfang. Wir werden versuchen, ihn extensiv auszulegen. Es wird zu schauen sein, wie sich dann der Unionsteil im Kabinett zu den jeweiligen Verordnungen verhält. Abwarten.

Damit haben wir 70 % oder 80 % nicht abgesichert. Wir werden sehen, wie weit dieser Bereich reicht. Dafür sagen wir, wir wollen weiterhin den gesetzlichen Mindestlohn, wie ich ihn beschrieben habe.

Jetzt haben wir versucht, uns darauf zu verständigen, ob wir nicht wenigstens definieren können, dass es in Deutschland keine sittenwidrigen Löhne geben darf. Da haben wir derzeit Richterrecht. Das Richterrecht bezieht sich darauf, dass ein branchenspezifischer Lohn an einem Ort nicht mehr als um ein Drittel unterschritten wird. Das muss aber nicht ein sehr niedriger Lohn sein. Das kann auch ein ganz guter Lohn sein. Wenn man beispielsweise einen Spitzenkoch hat, der 25 oder 30 Euro bekommt, wenn das üblich ist, und er bekommt unter 20, dann kann er dagegen klagen.

Wir haben gesagt, lasst uns eine solche Regelung machen. Da sind wir uns auch einig gewesen bis auf eine entscheidende Sache. Wir haben gesagt, irgendwo müssen wir sagen, da ist es unten.

Wenn Sie das Beispiel von Frau Dreyer nehmen, diese Friseurin, die 3,80 Euro tariflich bekommt: Soll denn dann wirklich 30 % darunter auch noch ein Lohn sein, der akzeptabel ist, von dem wir dann sogar sagen, wenn er nicht mehr als 30 % darunter liegt, also bei irgendwo 2 Euro und noch etwas, dann ist er nach gesetzlicher Definition immer noch nicht sittenwidrig? Vielleicht hätten wir uns im harten Kompromiss auch auf 25 % verständigen können. Können wir so etwas wirklich machen? Können Sie so etwas verantworten? – Ich kann es nicht. Das war übrigens das, worüber sich Herr Kollege Müntefering so aufgeregt hat, dass man sich noch nicht einmal an der Stelle verständigen konnte, dass wenigstens eine allerunterste Kante gelten muss.

Dann hat man uns entgegengehalten – lieber Herr Baldauf, dieses Argument haben Sie auch leichtfertigerweise, wie ich finde, gebraucht –, Sie schützen die Tarifautonomie. Wissen Sie, was das ist? – Wenn ich solche Verträge, die teilweise aufgrund von Vertragsabschlüssen von Gewerkschaften entstehen, die keine sind, die alles und jedes unterschreiben, damit sie nur etwas unterschrieben haben – – – Das ist so. Sie wissen, von wem ich rede.

(Bracht, CDU: Sagen Sie es einmal!)

Sie wissen, dass es die christlichen Gewerkschaften sind, die alles und jedes unterschreiben.

(Pörksen, SPD: So ist es!)

Es gibt noch ein paar andere gelbe Gewerkschaften, wie man früher im Jargon gesagt hat. Das ist nicht auf die FDP gezielt, sondern man hat es früher so formuliert: frei schwebende Grüppchen!

(Zuruf des Abg. Dr. Schmitz, FDP)

Nein, nicht einmal gelb.

Dann wird uns gesagt, auch deren Minilöhne – sie unterschreiben 3 Euro und noch etwas – müssen wir schützen.

Ich habe in den Verhandlungen gesagt, und ich stehe nicht an, es jetzt zu wiederholen, das ist die Perversion der Tarifautonomie. Sie will nämlich, wenn Sie es sich genau anschauen, Tarifvertragsparteien, die beide eine Macht haben, in einer fairen Verhandlungsrunde – auch wenn es Not tut unter Ausübung von Druck – dazu bringen, anständige Verhandlungen miteinander zu führen, die zu anständigen Ergebnissen führen. Das will die Tarifautonomie. Wenn mir einer sagt, wir schützen die Tarifautonomie an der 3 Euro-Grenze für einen vollschichtig schwer arbeitenden Menschen, dann sage ich, das ist nicht Schutz der Tarifautonomie, das ist exakt das Gegenteil, nämlich ihre Aushöhlung.

(Beifall der SPD)

Wir fühlen uns an das, was die Verfassung uns vorgibt, gebunden. Ich halte die Debatte für notwendig. Im Übrigen wundert es mich ein bisschen. In Österreich gibt es eine große Koalition. Da ist gerade ein Mindestlohn neu vereinbart worden. Es steigt, was an Vereinbarungen vorhanden ist.

In Amerika – – –

(Wirz, CDU: Da ist die Erbschaftssteuer ja auch ganz abgeschafft worden!)

Aber zu ihren Zeiten. Warten Sie einmal ab, ob es so bleibt.

Lieber Herr Kollege Wirz, in Amerika ist die Erbschaftssteuer viel höher als bei uns und die haben auch Mindestlohn. Die erhöhen ihn gerade. Zumindest die Demokraten in Amerika wollen, dass er erhöht wird.

In 21 europäischen Staaten funktioniert es. Bei uns wird der Weltuntergang gepredigt. Ich bin ganz sicher, diese Diskussion werden Sie nicht gewinnen. Respekt vor Herrn Billen, das hat er erkannt. Er hat es Ihnen auch gesagt.

Lieber Herr Billen, insoweit Chapeau.

Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen auch, dass wir zusammen mit einer vernünftigen Regelung im Land eine Beteiligung der Arbeitnehmer an dem, was sie erarbeiten, entsprechend einer Schutzregelung, die für die Vergabe der Aufträge in Rheinland-Pfalz mit einem Tariftreuegesetz gilt, machen werden. Das ist unumgänglich, um die Betriebe, die anständig arbeiten wollen, auch was die Löhne angeht – – – Das sind 99,9 % unserer Handwerks- und Dienstleistungsbetriebe. Die großen Unternehmen sind sowieso fast alle tarifgebunden. Die tangiert das überhaupt nicht.

Aber für diejenigen, die versuchen, denen die Aufträge wegzunehmen, brauchen wir ein Instrumentarium, das ordnungspolitisch und marktwirtschaftlich in Ordnung ist. Ferner brauchen wir eine Regelung, die Menschen nicht ins soziale Abseits gleiten lässt, wenn sie voll arbeiten und angestrengt ihrer Tätigkeit nachgehen. Das ist unser Punkt.

Ich unterstreiche das, was Herr Billen gesagt hat und was viele andere gesagt haben: Wer in dieser Republik vollschichtig und anständig arbeitet, muss davon auch anständig leben können.

(Anhaltend starker Beifall der SPD)

Meine Damen und Herren, im Hinblick auf die Redezeit darf ich Ihnen anbieten, dass alle Fraktionen noch fünf Minuten Redezeit in einer weiteren Runde haben. Die FDP-Fraktion hat noch zwei Minuten Redezeit aus dem Altbestand.

Gibt es Wortmeldungen? – Herr Kollege Bauckhage!

Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich werde die Redezeit von insgesamt sieben Minuten nicht mehr nutzen, obwohl man jetzt natürlich einen langen Exkurs über die Volkswirtschaft oder einen Exkurs über den Arbeitsmarkt machen könnte.

Ich will nur zwei Dinge benennen, die mir sehr wichtig sind. In einem sozialen Rechtsstaat muss nach meinem Dafürhalten und nach Auffassung der Liberalen jeder in Würde leben können. Das ist doch gar keine Frage.

(Beifall der FDP)

Wenn man das will, dann muss man auch darüber reden dürfen, wie man das herstellt. Wenn man das herstellen will, dann warne ich davor, klassenkämpferische Töne zu benutzen; denn das führt uns mit Sicherheit nicht weiter. (Beifall der FDP)

Ich will jetzt nicht auf die Tarifautonomie zu sprechen kommen. Sie werden einräumen müssen, diese Kommissionen entsprechen nicht mehr ganz der Tarifautonomie. Man kann dieses Instrument wählen, aber die pure Tarifautonomie ist das nicht.

(Beifall der FDP – Zuruf des Ministerpräsidenten Beck)

Herr Schmoldt, von dem niemand behaupten kann, er sei kaltherzig oder ein Bonze, kritisierte den Mindestlohn sehr stark.

(Beifall des Abgeordneten Creutzmann, FDP)

Meine Damen und Herren, jetzt noch einmal zur Frage des Mindesteinkommens bzw. des Mindestlohns. Ich behaupte, in der Vergangenheit sind eine Reihe von „Leichtlohngruppen“ von beiden Tarifpartnern wegtarifiert worden, indem man Löhne vereinbarte, die der Markt nicht hergab. Damit bin ich beim Markt. Natürlich wollen wir alle die soziale Marktwirtschaft. Man muss aber schauen, was der Markt eigentlich hergibt. Der Markt gibt in bestimmten Bereichen nur einen bestimmten Preis her. Geht man über diesen Preis, dann ist der entsprechende Arbeitsplatz weg.

An dieser Stelle taucht die Frage auf, was wir in diesem Staat wollen. Wollen wir den Menschen zunächst einmal ein Selbstwertgefühl geben, dass sie arbeiten können?

Herr Ministerpräsident, an einer Stelle vertreten wir unterschiedliche Auffassungen. Ich sage nicht, dass wir einen Sockel bezahlen sollen, sondern ich sage, dass wir etwas obendrauf legen sollen. Das ist ein ganz anderer Weg, der unter Umständen nicht Ihre Zustimmung findet. Dafür habe ich Verständnis.

Was nützt es aber, wenn wir bestimmte Arbeitsplätze, die hier noch vorhanden sind, wegtarifieren? Dann haben wir nicht mehr Arbeit, sondern es steigt lediglich die Staatsquote.

(Beifall der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Wir haben jetzt schon eine hohe Staatsquote zu verzeichnen, die natürlich einen Hintergrund hat. Was ist denn Hartz anders als ein Stück Staatsquote oder ein Stück Kombilohn?

(Beifall der FDP)

Jetzt geht man den Mindestlohn an. Dabei geht es um 10 %. Diese 10 % beziehen sich nicht nur auf die 2,83 Euro oder die 3,15 Euro, sondern in der Regel bezieht sich das auf ca. 5 Euro. Der Wirtschaftsweise Bert Rürup sagt, ein Mindestlohn mache nur dann Sinn, wenn man einen Mindestlohn von etwa 5 Euro vereinbart.

Jetzt sagen Sie, andere sollen die Höhe definieren. Darüber kann man reden. Wenn man sich auf 5 Euro einigt, hat man aber immer noch eine Situation, in der der Erwerbsunterhalt schwierig ist. Deshalb bin ich für ein Mindesteinkommen in einer anderen Form. Ein Mindestlohn ist kontraproduktiv beispielsweise in der Waschindustrie. In den ostdeutschen Ländern, in denen es am Arbeitsmarkt am schlimmsten aussieht, ist der Weg in andere europäische Länder nicht weit. Zudem sind Transportkosten gering. Also wird man sich andere Wege suchen.

Deshalb noch einmal mein Plädoyer: Man muss einmal schauen, was der Markt hergibt. Wenn der Markt dies nicht hergibt, dann wird ein Mindestlohn auch zu Schwarzarbeit führen. Derzeit werden in der Schattenwirtschaft etwa 400 Milliarden Euro umgesetzt. Das ist ein Datum.

Ich will das Entsendegesetz nicht mehr im Einzelnen beleuchten. Ich will nur sagen, dass Sie ohne Zweifel geschickt verhandelt haben, Herr Ministerpräsident. Diejenigen, die den Mindestlohn wollen, haben diesen zumindest durch die Hintertür bekommen.

(Beifall der FDP)

Ich will das alles jetzt nicht kritisieren, nur noch einmal sagen, dass wir beides brauchen. Wir brauchen eine Kultur, in der der Staat etwas zahlt und man hinzuverdienen kann. Das ist der richtige Weg, um ein Mindesteinkommen zu erreichen. In einem sozialen Rechtstaat muss jeder in Würde leben können. Es muss auch nicht die Aufgabe des Staates sein, für jeden einen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen.

Man kann natürlich viele Diskussionen über Amerika und England führen. In diesen Staaten gilt jedoch ein völlig anderes Arbeitsrecht. Auch das muss man berücksichtigen. Daher ist die Diskussion gut. Wir sollten in der Diskussion aber nicht in Klassenkampfparolen verfallen. Wir sollten redlich miteinander umgehen; denn jeder hat gute Gründe für seine Überzeugung.