Wir wollen zum Zweiten – und darin besteht schon der erste Unterschied zwischen vielen Abgeordneten und uns –, dass dies ohne staatliche Transferleistungen möglich ist.
Es darf doch wohl nicht wahr sein, dass wir inzwischen Dienstleistungsbereiche wie beispielsweise in Teilen das Friseurgewerbes haben, in denen Menschen den ganzen Tag arbeiten und herumrödeln und trotzdem ergänzende Grundsicherung beantragen müssen, weil sie mit dem erzielten Lohn nicht auskommen. Das ist nicht unsere Vorstellung einer sozialen Gesellschaft.
Sehr geehrter Herr Abgeordneter Baldauf, uns unterscheidet nicht nur der Weg, sondern uns unterscheidet auch das Ziel. Das sage ich sehr klar; denn der Unterschied zwischen Ihnen und uns ist, dass wir ganz klar eine untere Auffanglinie möchten. Deshalb wollen wir auch einen gesetzlichen Mindestlohn.
Das bedeutet nicht, dass die Politik einen allgemeinen Mindestlohn festsetzen soll, sondern wir wollen uns gerne an dem englischen Modell orientieren. Dazu sage ich gleich noch einige Sätze mehr.
Warum wollen wir das? Wir haben jetzt in der Koalition einen wichtigen Schritt getan. Das muss man auch konstatieren. Natürlich ist es sinnvoll, dass die Entsenderichtlinie auf weitere Branchen ausgeweitet wird. Damit werden wir auch Erfolge haben, da bin ich mir sicher.
Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass die Tarifbindung in Deutschland gehörig abgenommen hat und zunehmend mehr Unternehmen gar nicht mehr in Arbeitgeberverbänden organisiert sind. Außerdem ist der Organisationsgrad der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht mehr so wie früher. Das heißt, wir werden immer nur einen sehr begrenzten Erfolg im Zusammenhang mit der Entsenderichtlinie haben, weil dort natürlich bestimmte Mindestbedingungen Voraussetzung sind, um überhaupt in die Entsenderichtlinie aufgenommen zu werden.
Das wird sich auch nicht durch das Mindestarbeitsbedingungengesetz lösen, denn die Lösung, die anzustreben ist, um letztendlich wirklich zu einer umfassenden Lösung zu kommen, also für die Bereiche, in denen wir keine Tarifbindung haben, ist insgesamt doch sehr aufwendig. In den Bereichen, in denen wir eine Tarifbindung – das gilt vor allem auch im Osten – und trotzdem Tariflöhne haben, die sich bei ca. 3,… Euro bewegen, Menschen also nicht von diesem Lohn leben können, möchten wir eine untere Auffanglinie. Das ist der allgemeine gesetzliche Mindestlohn, von dem wir sprechen.
Diese Diskussion wird in der Öffentlichkeit kontrovers gehandhabt. Es ist nicht wahr, dass es nur anerkannte Ökonomen gibt, die behaupten, dass Arbeitsplätze vernichtet werden. Es ist eine kontroverse Diskussion.
Viele Länder – es sind 20 Länder in Europa, die den Mindestlohn inzwischen eingeführt haben – haben deutlich gezeigt – Großbritannien hat dies getan, als die Arbeitslosenzahl noch höher war als heute –, dass es nicht dazu geführt hat, dass Arbeitsplätze vernichtet worden sind, sondern im Gegenteil, es sind sogar Beschäftigungsverhältnisse stabilisiert worden.
Wovon sprechen wir? Wir werden im Land RheinlandPfalz eine Bundesratsinitiative auf den Weg bringen. Wir werden sie über die Sommerpause hinweg entwickeln, weil wir dieses Ziel nicht aus den Augen verlieren wollen, dies trotz der erreichten Schritte auf der Bundesebene.
Wir wollen keine staatliche Mindestlohnsetzung. Ich sage dies noch einmal ganz ausdrücklich, weil es das Standardargument der Opposition ist, dass wir eine Mindestlohnsetzung wollen. Das wollten wir von Anfang an nicht. Wir werden den gesetzlichen Mindestlohn festschreiben. Die Höhe wird eine unabhängige Kommission festlegen, genau so, wie das in England bei der Low Pay Commission der Fall ist. Sie wird eine Kommission sein, die seriös und frei von Lobbyismus ist. Das macht uns England vor. Das beherrschen wir in Deutschland in vielen Teilbereichen überhaupt nicht mehr.
Nicht nur von Lobbyismus auszugehen, anstatt die Sache in den Kern der Betrachtung zu setzen und sinnvolle Lösungen anzustreben, ist unser Ziel.
(Beifall bei der SPD – Pörksen, SPD: Jawohl! – Licht, CDU: Wenn Sie das mit England vergleichen, müssen Sie auch andere Aspekte mit in die Betrachtung ziehen!)
Jeder Mensch hat das Recht auf existenzsichernde Löhne. Deswegen bleiben wir als Landesregierung an diesem Ziel dran und werden im Laufe der Sommerpause eine entsprechende Initiative vorbereiten. Da es auch Verfechter des Mindestlohns in den Reihen der CDU gibt, kann man hoffen, dass sich auch Kolleginnen und Kollegen anderer Bundesländer noch einmal mit der Thematik aufgrund der Bundesratsinitiative auseinandersetzen. Wir hoffen, dass wir mit dieser Initiative einen Schritt weiter in diesem Thema kommen.
Herr Baldauf, Sie haben angezweifelt, dass es Fachleute und Professoren gibt, die sagen, dass es keine schädlichen Wirkungen hat, Mindestlöhne zu machen. Ich empfehle Ihnen einen Blick in die Literatur. Vorgestern war beispielsweise in der „Frankfurter Rundschau“ ein langer Artikel von Professor Hickel, der viele Weitere nennt. International gibt es dort eine Trendwende.
Ich teile die Auffassung, wenn er dort sagt, dass eine Verbreitung von Löhnen unterhalb des Existenzminimums, unterhalb der Armutsgrenze ein Hinweis auf ein Marktversagen in Deutschland ist. Lieber Hans-Artur Bauckhage, wir haben eine soziale Marktwirtschaft. Der Staat bekennt sich dazu, Regelungen zu treffen, die notwendig sind. Eine solche notwendige Regelung ist ein Mindestlohn, um Absicherung zu schaffen.
Ich habe sehr wohl den Eindruck, dass die Argumentation, dass es schädlich ist, bei uns gesellschaftlich sehr verbreitet ist und zunimmt, je weiter man von einem solchen Lohn entfernt ist.
Professor Hickel zitiert Alan Blinder, einen Ökonom der Princeton University, der auch früher dieser Auffassung nachhing, dass Mindestlöhne nichts taugen. Er hat seine Meinung geändert und sagt: „Empirisch ist die einfach gestrickte Theorie“ – er spricht davon, dass ein leichter Anstieg von Mindestlöhnen zu erheblichen Verlusten von Arbeitsplätzen führen kann, was Ihre Hauptbefürchtung ist, die Sie zitieren – „nicht zutreffend“.
Auch der Sachverständigenrat in Deutschland stellt fest: „Fast alle empirischen Studien kommen zu dem Ergebnis, dass von Mindestlöhnen keine nachteiligen Effekte auf die Beschäftigung ausgehen“. – Aber Fakten muss man eben zur Kenntnis nehmen.
Lassen Sie mich dann noch Ihre Flucht in die Tarifautonomie ein wenig aufnehmen. Tarifautonomie ist ein hohes Gut. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass sie bleibt.
Sie wird auch nur insofern tangiert, als es eine untere Grenze gibt, die es einzuhalten gilt und die der Tatsache Rechnung trägt, dass es weite gesellschaftliche Bereiche in unserem Staat gibt,
in denen Tariftreue und Tarifeinhaltung keine Rolle spielen. Wir in Rheinland-Pfalz begeben uns auf den Weg mit Mitarbeiterbeteiligung, mit Tariftreuegesetz und mit dem Einsatz für einen vernünftigen Mindestlohn, den eine unabhängige Kommission festlegen soll.
Ich erteile Herrn Kollegen Baldauf das Wort. Im Hinblick auf die leichte Überziehung der Redezeit haben Sie noch volle zwei Minuten. Sonst hätten Sie nur noch eineinhalb Minuten Redezeit.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir müssen doch einmal auf das zurückkommen, was dort vereinbart wurde.
Wir haben Bereiche, in denen Tarifvertragsparteien stark genug sind, das selbst zu regeln. Daran krittelt keiner, das findet jeder gut, das soll auch weiter so sein. Jetzt ist in diesem Kompromiss der Bereich, den Sie zu Recht ansprechen, Herr Kollege Hartloff, mit aufgenommen worden. Was ist mit denen, die tariflos sind oder bei denen es gar keine Möglichkeit gibt, Tarifverträge entsprechend abzuschließen? Wir haben dann dieses Mindestarbeitsbedingungengesetz, das schon sehr alt ist und etwas novelliert werden muss.
Klar ist aber eines. Ich habe in diesem Zusammenhang den Brief von Herrn Müntefering vorliegen, den er an alle Bundestagsabgeordneten geschrieben hat. Er schreibt: Die Kommission, die über diese festzusetzenden Löhne zu entscheiden hat, ist auch unabhängig. Sie besteht aus Gewerkschaften, aus Arbeitgebern, aus dem Arbeitsminister. Warum soll denn eine solche Kommission nicht Vorschläge machen können?
Es steht so im Gesetz, Herr Ministerpräsident. Es steht so im Gesetz. Dann lesen Sie mir das Gesetz anders vor, wenn Sie ein anderes als ich haben.
Sie müssen bitte davon ausgehen, dass wir der Meinung sind, dass so etwas auch frei geregelt und vorgeschlagen werden kann.
Ich möchte noch einmal sagen, ich wehre mich gegen die Unterstellung, dass wir die Menschen in irgendeiner Form ausbeuten wollten oder nicht ernst nehmen. Ich