Protocol of the Session on March 15, 2007

Frau Kollegin Morsblech, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! In den letzten Wochen hat eine immer stärker werdende öffentliche Debatte über die Hauptschule stattgefunden, die Sie alle verfolgen konnten. Das generelle Schulwahlverhalten von Eltern, aber auch eine schwierige Lage am Ausbildungsmarkt in den vergangenen Jahren haben dazu geführt, dass in der Regel höhere Schulformen von Eltern bevorzugt ausgewählt werden und die Hauptschule von vielen immer mehr als Restschule wahrgenommen wird. Während sich im Jahr 1996 noch 31,7 % aller Schülerinnen und Schüler nach der 4. Klasse für eine Hauptschule entschieden, waren das im Jahr 2005 nur noch 14,8 %.

Die Frau Ministerin hat zwar heute Morgen noch keine Auskünfte im Rahmen der Fragestunde darüber geben wollen, wie sich die aktuellen Trends und Entwicklungen abzeichnen – – –

(Staatsministerin Frau Ahnen: Können!)

Ich denke, wenn man das mehr oder weniger hellseherisch sagen möchte, dieser Trend wird sich mit Sicherheit noch verstärken. Ich glaube, dass schon langsam auch ein Handlungsbedarf seitens der Landesregierung in der Schulstrukturfrage gegeben ist. Sie können da nicht alles einfach den Kommunen vor die Füße werfen und warten, dass vielleicht Ihre Genossen dann auch noch einmal für den einen oder anderen Gesamtschulstandort sorgen. Ich finde es schade, dass Sie nichts tun, außer im Moment die Stellen in diesem zurückgehenden Bereich einzukassieren und abzuwarten, was denn passiert. Durch das sukzessive Verschwinden von Hauptschulen werden die Schülerinnen und Schüler nicht verschwinden. Diese brauchen einen berufsqualifizierenden Schulabschluss und eine gute Förderung.

Wir haben als FDP-Fraktion die Entwicklung mit Sorge zur Kenntnis genommen. Wir haben dann gesagt, wir wollen aber nicht unreflektiert in diese Debatte hineingehen und haben zunächst einmal die Große Anfrage gestellt. Für die ausführliche Beantwortung und die große Menge an sehr hilfreichem Datenmaterial für diese Diskussion möchte ich der Landesregierung an dieser Stelle herzlich danken. Wir haben unsere Auswertung der Daten dann noch durch einen Fachkongress, bei dem Wissenschaftler, Schulleiterinnen und Schulleiter, der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Trier, mein Fraktionsvorsitzender und ich mit vielen Betroffenen und Beteiligten diese wichtige Frage fachlich diskutiert haben, ergänzt.

Eine intensive Auseinandersetzung mit der Hauptschule muss dazu führen, dass wir uns verstärkt den Schülerinnen und Schülern dort annehmen, um sie auf einen erfolgreichen Einstieg in das Berufsleben, in die berufliche Ausbildung vorzubereiten und um Chancengerechtigkeit für jeden jungen Menschen zu schaffen. Eine

solche Debatte muss dazu führen, diesen jungen Menschen Bildungsangebote zu unterbreiten, die ihren spezifischen Stärken und Schwächen gerecht werden mit einem attraktiven Bildungsgang, den die Schülerinnen und Schüler, die Eltern, die Lehrerinnen und Lehrer und die Betriebe gleichermaßen bejahen. Dabei sollten unserer Meinung nach nicht Türschilder oder die Frage, in welchem Gebäude das Ganze stattfindet, im Vordergrund stehen. Solch ein Bildungsgang muss dazu führen, dass wir eine optimale, abschlussbezogene Förderung der Schülerinnen und Schüler erreichen.

(Beifall des Abg. Kuhn, FDP)

Wenn man sich vor diesem Hintergrund und vor der Frage der Chancengerechtigkeit die Große Anfrage ansieht, dann ist dies in diesem Bereich nicht mehr so gegeben, wie man sich das vorstellen würde. Sehr viele Hauptschülerinnen und Hauptschüler bekommen keinen Ausbildungsplatz, sind dann oftmals erst in der Berufsfachschule I, wo sie dann nach einem Jahr häufig wieder herauskommen und erneut suchen müssen. 2.856 Hauptschülerinnen und Hauptschüler haben in dem gefragten Zeitraum keinen Abschluss absolvieren können und sind ins Berufsvorbereitungsjahr gegangen. Diese Schülerinnen und Schüler würden in einer höheren Schulform auch keinen mittleren Abschluss erreichen. Man muss also tatsächlich darangehen, die Chancengerechtigkeit in diesem Bereich wieder herzustellen.

Auf der anderen Seite: Wir haben gerade die Bilanz der Ausbildungsstellen in den Fokus genommen. Da haben uns Vertreter der Handwerkskammern, der Kreishandwerkerschaften in der Diskussion sehr deutlich gemacht, dass sie auch in Zukunft weiter Hauptschulabsolventen brauchen, sie weiter junge Menschen aus der Hauptschule haben möchten, die bei ihnen dann eine Ausbildung machen, dass eine große Ausbildungsbereitschaft vorhanden ist. Es kam aber auch die Kritik, dass viele junge Leute und verstärkt viele junge Leute mit einem Hauptschulabschluss noch nicht über die nötigen Grundqualifikationen verfügen und dieser Trend zunehme.

Vonseiten der Hauptschule und der Wissenschaft wird bescheinigt, dass immer mehr Kinder und Jugendliche in den Hauptschulen der sogenannten Risikogruppe zuzurechnen sind. Man kann das auch bei Schulbesuchen sehen. Das ist hauptsächlich in den Städten der Fall. Viele von ihnen kommen aus Familien mit erschwerten Lebenslagen, psychosozialen Problemen oder Migrationshintergrund. Klar ist, dass diese jungen Menschen besondere Förderbedürfnisse haben und wir darauf in unseren Vorschlägen besonders Rücksicht nehmen müssen.

Meine Damen und Herren, es muss dringend etwas getan werden, damit wir diesen jungen Menschen wieder Perspektiven verschaffen. Deshalb finde ich es gut, dass die CDU zu dieser Diskussion ein Sofortprogramm vorgeschlagen hat. Gerade in den städtischen Brennpunkten, wo die Not am größten ist, müssen dringend mehr Ressourcen zur Verfügung stehen. Wenn Ministerin Ahnen hier im Hause zu Recht sagt, wir haben durchschnittliche Klassengrößen von 20 Schülerinnen und Schülern, dann ist das in manchen Brennpunkten

meiner Ansicht nach immer noch eine kritische Gruppengröße, wenn man sich den Unterricht ansieht. Es gibt auch große regionale Unterschiede. Gerade auf dem Land hat man oft eher die Paradiese mit 12 oder 15 Schülerinnen und Schülern im Jahrgang. Gruppengrößen von 15 habe ich in diesem Bereich bei meinen Schulbesuchen als sehr befruchtend empfunden.

Natürlich ist in den vergangenen Jahren viel getan worden. Ich möchte das nicht alles aufzählen. Das Projekt Arbeitsweltklassen: Im Rahmen des Aktionsprogramms ist im Ganztagsschulbereich sehr viel getan worden. Die FDP-Fraktion ist jedoch der Meinung, dass ein Bildungsgang Hauptschule, egal, unter welchem Dach er strukturell angesiedelt ist, ein eigenständiges, durchgängiges pädagogisches Profil braucht, um zu einem zukunftsfähigen, attraktiven, abschlussbezogenen und durchlässsigen Bildungsgang weiterentwickelt werden zu können.

Ein Kernpunkt müssen für uns ganz klar kleinere Lerngruppen in diesem Bereich sein, auch Teamteaching da, wo es möglich ist. Wir brauchen kleine Einheiten, um soziale Bezüge, individuelle Förderung und auch eine enge Kooperation mit den Eltern, den Betrieben und dem wohnortnahen gesellschaftlichen Umfeld sicherzustellen.

(Beifall des Abg. Kuhn, FDP)

Wenn wir mit einem Bildungsgang Hauptschule gezielt Defizite abbauen, aber auch Talente entdecken wollen, die es durchaus auch in unseren Hauptschulen gibt, wenn der Unterricht in seinem Rhythmus flexibler werden soll, sich in der Zeitgestaltung stärker am Lernverhalten der Schüler anpassen soll, dann braucht man unserer Meinung nach ein verpflichtendes flächendeckendes Ganztagsangebot in diesem Bereich. Wir brauchen drei Säulen, die dann entscheidend sein werden für die Hauptschule.

Damit auch der Hauptschulabschluss wieder Eintrittskarte in das Berufsleben werden kann und die Anschlussfähigkeit an andere schulische Bildungsgänge sichergestellt wird, muss es eine individuelle Förderung in den Kernfächern geben. Das muss ein Kernbereich des Unterrichts sein: ein intensives Training in möglichst kleinen Klassen und unabhängigen Kursen für die Bereiche Deutsch, Mathematik und auch Basiskompetenzen in Englisch.

Die zweite Säule muss ein anschaulicher, projektorientierter, fächerübergreifender Unterricht sein. Hauptschüler sind keine kleinen Gymnasiasten. Sie müssen nicht im 45-Minuten-Takt, was leider immer noch manchmal der Fall ist, wenn man sich das anschaut, abstrakte fachwissenschaftliche Lerninhalte auf etwas niedrigerem Niveau als in den anderen Schularten beigebracht bekommen, sondern sie sollen vor allem auch lernen, ihre Arbeitsprojekte selbst in Angriff zu nehmen, sollen Sozialverhalten lernen. Deshalb muss ein anschaulicher Unterricht möglichst projektbezogen, der Eigenverantwortung und Teamfähigkeit stärkt, als zweite Säule an diese Stelle treten.

Als dritte Säule muss es eine intensive, eine praxisnahe Berufsvorbereitung ab der 5. Klasse fest und verbindlich im Unterrichtsalltag geben. Dazu gehören unserer Meinung nach Lernwerkstätten in den Schulen und auch Schulküchen. Dazu gehört, dass regelmäßig Menschen aus Betrieben in die Schulen kommen und auch diesen Unterricht mitgestalten, es fest verankerte regelmäßige Praxistage gibt und diese Dinge ergänzt werden.

Der praktische Unterricht wird ergänzt durch natürliche Praktika, die es bereits gibt, oder durch die Gründung von Schülerfirmen. Wir müssen aber diese Maßnahmen, die schon sehr erfolgreich erprobt und an vielen Standorten eingeführt wurden, bündeln und zu einem festen Unterrichtsbestandteil ausgestalten.

(Beifall des Abg. Kuhn, FDP)

Man könnte jetzt noch einiges sagen. Ich möchte noch am Schluss in den Mittelpunkt stellen, dass wir in unserer Fraktion glauben, dass es in Zukunft zentrale Abschlussprüfungen für den Hauptschulabschluss genauso wie für den Realschulabschluss und das Abitur geben muss – auf der Basis verbindlicher und bundesweit einheitlicher Bildungsstandards –, weil wir glauben, dass Hauptschülerinnen und Hauptschüler etwas in der Hand haben müssen, womit sie nachweisen können, welche Kompetenzen sie aus ihrer Schulzeit mitbringen. Man könnte noch viel sagen.

Es ist schön, dass sie Schulsozialarbeit einführen. Das finden wir durchaus gut. Wir möchten auch für jede künftige Schule, die diesen Bildungsgang hat, ein zehntes Schuljahr, das freiwillig besucht werden kann.

(Glocke der Präsidentin)

Wenn Sie sich im Moment noch nicht zu dieser strukturellen Variante durchringen können, dann wäre es schön, wenn Sie zumindest dem Sofortprogramm der CDU zustimmen könnten;

(Beifall bei der CDU)

denn in vielen Bereichen ist es schwierig.

Ich würde mir wünschen, dass Sie für diese jungen Menschen ein Bildungsangebot entwickeln, das den Qualitätsstandards, die wir vorgelegt haben, entspricht.

(Glocke der Präsidentin)

Danke, dass ich 38 Sekunden überziehen durfte.

(Beifall der FDP und bei der CDU)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Lang das Wort.

(Zuruf aus dem Hause)

Es lag keine Wortmeldung vor.

Herr Lang, bitte schön. Wie Sie möchten.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich glaube, die Reihenfolge der Wortbeiträge wird bei diesem Thema nicht entscheidend sein. Erlauben Sie mir drei grundsätzliche Bemerkungen zur Schulart Hauptschule. Keine Schulart hat eine so unglaubliche Bandbreite, was Leistungen und Verhalten der Schülerinnen und Schüler angeht, wie die Hauptschule.

Da sind die motivierten, die lernwilligen, die intelligenten Schüler, die nur einen einzigen Nachteil haben. Dieser besteht darin, dass ihre Muttersprache nicht Deutsch ist. Wären sie in der Heimat ihrer Eltern geblieben, würden sie dort das Gymnasium oder eine vergleichbare Einrichtung besuchen. Es zeigt sich sehr häufig, dass diese Gruppe von Schülern in Klasse 8 und 9 zu den Besten zählt. Die beste Schülerin kommt aus der Türkei und der beste Schüler aus Marokko.

Da sind die interessierten und lernwilligen Schüler, die sich mit einer einzigen Lernschwäche herumquälen – man kann es nicht anders sagen. Oft ist es die Rechtschreibung. Diese Lernschwäche zieht alles andere ein Stück nach unten.

Da sind die Spätentwickler, die dadurch verblüffen, dass sie mit 16 die mittlere Reife machen und mit 20 Jahren das Abitur. Als dieser Personenkreis in Klasse 5 und Klasse 6 war, hätte man das nicht für möglich gehalten.

Da sind die Verhaltensauffälligen. Bei ihnen gibt es viel Motorik, Aggression und Provokation und wenig Konzentration.

Da sind die Teilnahmslosen, die Orientierungslosen, die Verspielten, denen die Familie keinen Halt geben kann und die unbewusst spüren: Für mich gibt es kaum oder keine Perspektiven. Meine Suche nach einem Ausbildungsplatz wird nicht positiv ausgehen.

Lassen Sie mich auch eines offen ansprechen: Da sind Schüler, die sich abschotten, die seelisch verwundet sind, weil sie irgendwann einmal gespürt haben, dass sie als Kind nicht gewünscht sind und es jetzt immer noch nicht sind. Gerade diese Schüler sind für jede Lehrkraft und für jeden Psychologen Schwerstarbeit. Erfolg ist ungewiss.

Da gibt es Jugendliche, die schon heftig mit Recht und Gesetz in Konflikt geraten sind und bei denen man ahnt, dass sich bei ihnen kriminelle Energie entwickeln kann.

Alle, die ich jetzt typisiert habe, sind in einer Klasse. Deshalb bitte ich darum, bei diesem Thema sensibel mit der Schulart Hauptschule umzugehen.

(Beifall der SPD)

Ich komme zu meiner zweiten grundsätzlichen Bemerkung. Es gibt keine Schulart, die im Alltag so unglaublich verschiedenartige konkrete Schulen umfasst. Am günstigen Ende der Bandbreite ist die Hauptschule im ländlichen Bereich. Dort gibt es relativ gesicherte Familienverhältnisse und Arbeitsplätze und relativ viel Motivation von den Eltern; denn die Familienstrukturen sind ja fest.

Lernwille und Aufgeschlossenheit sind vorhanden. – Ja, es ist richtig, dass es auch hier Problemschüler gibt. Ja, auch im ländlichen Bereich gibt es Problemklassen, aber das bestimmt nicht das Bild.

Auf der ungünstigen Seite der Bandbreite sind – meist in sozialen Brennpunkten größerer Städte – Situationen mit unsicheren Familienverhältnissen. Dort findet man eine hohe Arbeitslosigkeit und Erziehungsberechtigte, die zum Teil ihr eigenes Leben nicht in den Griff bekommen und deshalb auch der nächsten Generation keine Orientierung weitergeben können. Hier ist es oft der Fall, dass die elementaren Voraussetzungen für Unterricht erst mühsam erkämpft werden müssen. Die Betonung liegt auf „mühsam“ und „erkämpft“. Das ist die Praxis. Dass es gerade in den schwierigeren Beispielen der Hauptschule so kommt, sieht man oft schon am allerersten Tag von Klasse 5. Dann kommen diejenigen aus den 4. Grundschulklassen zusammen, die dort die Problematischsten und seit einigen Jahren abgekoppelt waren.

Meine dritte Bemerkung. Keine Schulart hat in den letzten Jahrzehnten dermaßen tief greifende Umwandlungsprozesse vollzogen wie die Hauptschule. Das begann mit dem freiwilligen 10. Schuljahr zum Erwerb der mittleren Reife. Das war nicht von Anfang an da. Das begann mit der Einführung der Betriebspraktika und setzte sich fort mit einer enormen Verkleinerung der Klassen über die Jahrzehnte. Es wurden die Regionalen Schulen nach dem Muster einer Schule, die auch die mittlere Reife anbietet, gebildet. Eine solche Schule ist begehrter als eine Schule ohne.