Protocol of the Session on March 15, 2007

Meine dritte Bemerkung. Keine Schulart hat in den letzten Jahrzehnten dermaßen tief greifende Umwandlungsprozesse vollzogen wie die Hauptschule. Das begann mit dem freiwilligen 10. Schuljahr zum Erwerb der mittleren Reife. Das war nicht von Anfang an da. Das begann mit der Einführung der Betriebspraktika und setzte sich fort mit einer enormen Verkleinerung der Klassen über die Jahrzehnte. Es wurden die Regionalen Schulen nach dem Muster einer Schule, die auch die mittlere Reife anbietet, gebildet. Eine solche Schule ist begehrter als eine Schule ohne.

Es gibt die Bildung von Arbeitsweltklassen mit zusätzlichen Lehrerwochenstunden und eigenen Schwerpunkten, die Entwicklung zur Ganztagsschule und die Einführung von Schulsozialarbeit. Dieser Umwandlungsprozess hat nicht aufgehört. Er geht an den Hauptschulen weiter mit einer intensiven Fortführung von Ganztagsangeboten, mit der Absicht, in allen Hauptschulen Schulsozialarbeit einzurichten, mit zusätzlichen Unterrichtsstunden in der Orientierungsstufe sowie mit den Sozialfonds, damit sichergestellt wird, dass niemand aus finanziellen Gründen vom Mittagessen fernbleibt.

(Beifall der SPD)

Genau das ist es, was die Hauptschulen brauchen: Konkrete, praktische und passgenaue Hilfen. Ein Blick in die Antwort auf die Große Anfrage der FDP-Fraktion zeigt ja auch – wenn man sich ein bisschen in die Zahlen vertieft hat –, dass es funktioniert. Die Richtung stimmt. Die Hauptschulen in Rheinland-Pfalz haben im Ländervergleich bei PISA relativ gut abgeschnitten. Sie belegen den dritten Platz der zehn Länder, die Hauptschulen haben.

Interessanterweise gibt es auch Leistungsüberlappungen zwischen den einzelnen Schularten. Die Spitze der Hauptschule kann sehr wohl im Bereich der Realschule und teilweise auch des Gymnasiums mithalten. Der Anteil der Schulabgänger ohne Schulabschluss ist in den letzten zehn Jahren um zwei Drittel zurückgegangen – der Anteil, aber nicht die absoluten Zahlen. Der Anteil der ausländischen Jugendlichen ohne Abschluss hat sich in den letzten zwei Jahren fast halbiert. Aus meiner

Sicht ist eine besonders positive Entwicklung, dass fast zwei Drittel der gefährdeten Jugendlichen, die an 31 Hauptschulen in speziellen Arbeitsweltklassen unterrichtet und betreut werden, den Abschluss erreichen.

(Beifall der SPD)

Die Zahl der Klassenwiederholungen an Hauptschulen ist von 2002 nach 2006 um 50 % zurückgegangen. Ein weiterer, meiner Meinung nach bemerkenswerter Befund ist, dass knapp 20 % der Hauptschüler das Angebot der freiwilligen 10. Klasse mit dem Ziel der mittleren Reife nutzen. Das ist ein Hinweis darauf, dass die Grundschulempfehlung bei der Bewertung einer Bildungslaufbahn eines Kindes nicht das A und O ist. Von diesen 20 % erreichen 96 % tatsächlich die mittlere Reife. Das ist ein ganz erstaunlicher Punkt, der ein Beweis dafür ist, dass unter schwierigen Ausgangsbedingungen ordentliche Arbeit geleistet wird.

Wir brauchen konkrete, praktische und passgenaue Hilfe. Was wir nicht brauchen, meine Damen und Herren, sind interessengeleitete Strukturdebatten. Diese brauchen wir nicht.

(Beifall der SPD)

Am grünen Tisch, in Kongressen oder Anhörungen gerade mal eben eine Schulart abzuschaffen, ist keine Kunst. Aktionismus und Alarmismus zielen auf Schlagzeilen, helfen aber der Hauptschule nicht.

(Beifall der SPD)

Die Schüler, die diese Schulart besuchen, existieren weiter.

Ich darf zusammenfassen: Passgenaue Hilfen, passgenaue Lösungen heißt, in jeder kreisfreien Stadt, in jedem Landkreis die Lösungen zu suchen und umzusetzen, die sich im Konsens vor Ort anbieten. Mit anderen Worten: Die aktive Schulentwicklungsplanung beginnt vor Ort. Das ist viel Arbeit, aber sie wird sich lohnen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall der SPD)

Für die CDU-Fraktion hat Frau Kollegin Hayn das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Lang, Ihre Analyse ist überraschend zutreffend. Wir können sie absolut teilen.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Aber die Zustände, die Sie beschreiben, existieren nicht erst seit gestern. Deshalb hat die CDU-Fraktion vor einigen Wochen eine Anhörung durchgeführt. Von den anwesenden Leiterinnen und Leitern der Hauptschule,

die zugegen waren, erschallte ein einziger Aufschrei: Uns hilft keiner! Die Hauptschule ist in Not!

(Beifall der CDU)

Wir haben einen dramatischen Rückgang der Anmeldezahlen von Grundschülern an der Hauptschule. Dagegen ist der Anteil von verhaltensauffälligen, problembehafteten Schülern ohne Unterstützung aus dem Elternhaus gestiegen. Sie haben es eben auch gesagt. Der Anteil an Ausländer- und Migrantenkindern, die häufig über mangelhafte Deutschkenntnisse verfügen, ist ebenfalls bedeutsam.

Dies ist ein Konglomerat, das die Hauptschullehrer vor höchste Anforderungen stellt. Sie berichteten, dass sie ungefähr ein Drittel einer Unterrichtsstunde damit zubringen, zunächst einmal Ordnung zu schaffen, um Ruhe und Aufmerksamkeit herzustellen, bevor sie überhaupt mit dem Unterricht beginnen können.

Die Situation wird auch dadurch nicht einfacher, dass zahlreich in die siebten Klassen Schüler kommen, die aufgrund der falschen Schulwahl an der Realschule oder am Gymnasium gescheitert sind. Die Lehrer, die bei uns zugegen waren, haben von einem Dammbruch gesprochen, seitdem die Verbindlichkeit der Schullaufbahnempfehlung aufgehoben worden ist. Wie sich solche Frustrations- und Versagenserlebnisse auf die Kinder auswirken, muss ich nicht näher ausführen.

(Beifall bei der CDU)

Experten sprechen von einem Anteil von 25 % an Risikogruppen an Hauptschulen. Frau Morsblech hat dies bereits erwähnt. Um diesen Kindern eine gedeihliche Förderung zukommen zu lassen, ist die Klassenmesszahl von 30 erheblich zu hoch. Daran ändert auch nichts die Verlautbarung des Bildungsministeriums, die besagt, dass die durchschnittliche Klassengröße bei 20,8 Schülern liege; denn an 108 der 180 Hauptschulen in unserem Land liegt die Zahl deutlich über 20.

(Beifall der CDU)

Aus dieser mangelhaften Förderung resultiert mangelnde Berufsreife – das ist auch schon erwähnt worden –, die Chancen auf dem Ausbildungsmarkt sind schlecht, und nur ein Bruchteil der Hauptschulabsolventen hat am Ende der Schulzeit schon eine Lehrstelle. Natürlich geht es denen noch schlechter, die keinen Hauptschulabschluss haben. Der Anteil dieser Schüler beträgt laut Statistischem Landesamt immer noch 7,5 %. Wir sind uns sicher einig darin, dass dies erheblich zu viel ist.

(Beifall der CDU)

Das bedeutet, in der Hauptschule gilt es, die Berufsorientierung, die Praxisorientierung entscheidend zu verbessern. Viele dieser Punkte stehen natürlich in Ihrem Aktionsprogramm Hauptschule, aber die Schritte erfolgen zu punktuell. Die Arbeitsweltklassen, die zuvor genannt wurden, gibt es nur an 31 von 180 Hauptschulen. Das ist zu wenig. Da, wo es sie gibt, sind sie erfolg

reich, aber sie müssen flächendeckend wie in Bayern eingeführt werden.

(Beifall der CDU)

Wenn all diese Maßnahmen aus dem Aktionsprogramm Hauptschule greifen sollen, müssen entscheidende Schritte geschehen. Dies sind unter anderem eine Senkung der Klassenmesszahl auf höchsten 20 Schüler, die Förderung in kleinen Gruppen, mehr Förderunterricht und mehr berufspraktische Angebote. Dies hat die CDUFraktion bereits bei den vergangenen Haushaltsrunden mehrfach immer wieder gefordert und entsprechende Mittel für den Haushalt beantragt.

Auch im Jahr 2002 gab es bereits einen Antrag „Chancen abschlussgefährdeter Schüler verbessern“. All unsere Anträge wurden seinerzeit abgelehnt – auch von der FDP.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, wir freuen uns aber, dass Sie mit der Übernahme der Oppositionsrolle eine klarere Sicht der Probleme gewonnen haben und Sie sich unsere Forderungen zu eigen gemacht haben.

(Beifall der CDU)

Es ist nur leider seitdem sehr viel Zeit ins Land gegangen.

Die Praktiker bestätigen, dass unsere Forderungen richtig sind, die nämlich entweder aufgrund entsprechender Anmeldezahlen an den Schulen kleinere Klassen haben oder kleine Lerngruppen bilden können. Übereinstimmend wird festgestellt, dass die Schüler von der individuellen Förderung profitieren, besser abschneiden und erfolgreicher sind, wenn so etwas gelingt.

Wie sehr Sie das von Ihnen selbst im Schulgesetz festgeschriebene Ziel der individuellen Förderung der Schüler an allen Schularten verfehlt haben, zeigt die letzte Maßnahme, die Sie im Doppelhaushalt 2007/2008 vollziehen, nämlich dass 670 Lehrerstellen an verschiedene Schularten verschoben werden. Dies geht natürlich wieder zulasten der Hauptschule.

Ich fasse zusammen: Unsere Forderungen von anno dazumal sind aufgrund der Nöte der heutigen Schülergeneration brandaktuell und haben Eingang in unser Zehn-Punkte-Sofortprogramm gefunden, das Ihnen in der nächsten Runde mein Kollege Dr. Weiland erläutern wird.

Danke schön.

(Beifall der CDU)

Ich erteile Frau Staatsministerin Ahnen das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordnete! Ich begrüße es ausdrücklich, dass wir heute unter anderem auf der Grundlage der Großen Anfrage und der Antwort darauf die Möglichkeit haben, über die Situation der Hauptschulen zu diskutieren. Herr Abgeordneter Lang, es ist mir ein wirkliches Bedürfnis, mich gerade bei Ihnen zu bedanken, weil man gespürt hat, dass in Ihren Ausführungen auch praktische Erfahrungen eine Rolle spielten. Damit ist ein Ton in die Debatte gekommen, der aus meiner Sicht der Situation angemessen ist,

(Beifall der SPD)

nämlich nicht aus politischem Interesse heraus ein völlig einseitiges Bild des Untergangs der Hauptschulen zu zeichnen, sondern differenziert zur Kenntnis zu nehmen, dass es dort Probleme gibt, es dort durchaus aber auch Erfolge und Chancen gibt. Das ist meiner Meinung nach auch das, was von uns erwartet wird, dass wir nämlich differenziert auf die Situation reagieren.

Die Hauptschule gibt es seit 1964. Ihr Anteil an der Schülerschaft ist seither zurückgegangen, zum Beispiel durch die Einführung der Realschule ebenfalls Mitte der 60er-Jahre. Niemand wird heute mehr sagen, dass diese Einführung ein Fehler war; denn es ist auf eine geänderte Bildungssituation und auf geänderte Bildungsbedürfnisse in dieser Gesellschaft reagiert worden.

Wenn wir heute an unseren Hauptschulen 43.000 Schülerinnen und Schüler an 189 Hauptschulen unterrichten, besuchen auch Tausende von Schülerinnen und Schüler Regionale Schulen, Duale Oberschulen und Integrierte Gesamtschulen. Frau Abgeordnete Morsblech, deshalb kann man das natürlich so machen, wie Sie das gemacht haben, und kann sagen, der Anteil der Hauptschülerinnen und Hauptschüler an Hauptschulen sei von 31,7 % auf 14,8 % zurückgegangen.

(Frau Morsblech, FDP: Das haben Sie mir geschrieben!)

In der Tat, in der Antwort auf die Große Anfrage haben wir diese Antwort gegeben. Gleichzeitig haben wir zusätzlich erwähnt, dass der Anteil an den Integrierten Gesamtschulen um 1 %, an den Regionalen Schulen um 8 % und an den Dualen Oberschulen um 3 % gestiegen ist. Wenn man eine differenzierte Betrachtungsweise vornehmen will, darf man natürlich nicht nur den Anteil der Hauptschule betrachten, sondern man muss auch den Hauptschulbildungsgang an anderen Schularten mit in die Betrachtung einbeziehen, weil sonst Szenarien entstehen, die überhaupt nichts mehr aussagen.