Protocol of the Session on January 26, 2011

All diese Maßnahmen, die ich eben aufgeführt habe, belasten das Land sehr stark. Nichtsdestotrotz, wir haben es getan.

Allerdings ist eines ganz klar festzustellen: Das, was wir machen können, reicht nicht aus. Hier ist der Bund ganz stark gefordert. Es ist vielleicht bezeichnend, Sie haben das völlig ausgeblendet, das OVG hat das indirekt auch klargestellt, indem es in der Begründung zu seinem Aussetzungs- und Vorlagebeschluss fast ausschließlich die steigenden Soziallasten anführt, die die von Ihnen vorhin genannten prozentualen Steigerungen hatten. Damit habe das Land gegen den Grundsatz der Verteilungssymmetrie verstoßen.

In der ersten Instanz vor dem Verwaltungsgericht Koblenz wurde die Klage des Kreises Neuwied abgewiesen, weil damals festgestellt wurde, dass Kommunalfinanzen nicht losgelöst von der finanziellen Situation des Landes betrachtet werden. Das OVG führt hierzu aus, dass dieser Grundsatz grundsätzlich richtig sei, aber auch der Grundsatz der Verteilungssymmetrie beachtet werden sollte. Dieser ist demnach verletzt, wenn der Anstieg der kommunalen Ausgaben für Pflichtaufgaben bei der Be

messung der FAG-Mittel nicht angemessen berücksichtigt wird.

In diesem Fall hat das OVG vorliegend als angemessen betrachtet, wenn die Steigerung der Schlüsselzuweisungen die Hälfte der Steigerungen der Soziallasten betragen würde. Da dies nicht der Fall war, hat das OVG einen sogenannten Aussetzungs- und Vorlagebeschluss gefasst und holt nun die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz ein.

Ob sich dieses der Entscheidung des OVG anschließt, ist noch nicht entschieden und bleibt abzuwarten. Unabhängig hiervon wird das Land seinen kommunalen Finanzausgleich allerdings grundlegend reformieren. Eine umfassende finanzwirtschaftliche Untersuchung ist vorgesehen. Wir sind alle aufgefordert, gute und vernünftige Lösungen zu suchen.

(Beifall bei der SPD)

Das Urteil ist sicherlich ein Signal. Aber wir sollten abwarten, wie das OVG entscheidet; denn diese Landesregierung lässt ihre Kommunen nicht im Regen stehen. Nur eines ist ebenfalls klar: Das Land allein kann dies nicht stemmen. –

(Zuruf des Abg. Pörksen, SPD)

Das Urteil bestätigt ganz eindeutig die Dringlichkeit einer Gemeindefinanzreform auf Bundesebene. Der Bund muss seinen Verpflichtungen endlich gerecht werden;

(Beifall der SPD)

denn die Sozialausgaben – nur die sind es – erdrosseln die Kommunen völlig.

(Pörksen, SPD: Genau!)

Schon im Herbst hat beispielsweise Finanzminister Schäuble angeboten,

(Pörksen, SPD: Das Geschwätz von Schäuble!)

dass er eine Lösung finden wird. Allerdings herrscht bis jetzt Schweigen im Walde, es hat sich nichts mehr getan.

Hätten wir das Wachstumsbeschleunigungsgesetz Anfang 2009, mit dem die Hoteliers entsprechend entlastet wurden, nicht auf Bundesebene, hätten wir pro Jahr etwa 60 Millionen Euro mehr für unsere Kommunen, 60 Millionen, die uns allen sehr gut täten.

(Beifall der SPD – Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege Mertin, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Noss hat zu Recht darauf hingewiesen, dass wir

eigentlich heute hier über einen Zwischenschritt debattieren; denn das Oberverwaltungsgericht hat ja einen Beschluss gefasst, mit dem es dem Verfassungsgerichtshof des Landes eine Entscheidung abverlangt oder von ihm erbittet, das Verfassungsgericht solle klären, ob die derzeitige Regelung mit der Verfassung vereinbar ist. Insofern können wir natürlich heute nicht abschließend darüber debattieren, weil wir einfach abwarten müssen, wie der Verfassungsgerichtshof entscheiden wird.

(Pörksen, SPD: Sehr richtig!)

Eines ist allerdings auch sehr deutlich: Die Begründung, die das Oberverwaltungsgericht gewählt hat, macht deutlich, dass die Kommunen in einer schwierigen finanziellen Situation sind. Das belegen viele andere Studien auch.

Herr Kollege Noss, Sie haben sicherlich recht, wenn Sie sagen, dass die Kommunen in anderen Bundesländern auch in einer finanziell schwierigen Situation sind, allerdings gibt es – soweit ich die Studien verfolgt habe – einen signifikanten Unterschied: In kaum einem Bundesland ist die Situation der Kommunen, was Kassenkredite angeht, so schlecht wie im Lande Rheinland-Pfalz. –

(Beifall der FDP und bei der CDU)

Auch da gibt die Begründung des OVG Rheinland-Pfalz durchaus sinnvoll wieder, was das Problem dieser Kassenkredite ist, nämlich dass die Kommunen kraft Gesetzes verpflichtet sind, Ausgaben zu treffen und diese Ausgaben, weil sie gesetzlich dazu verpflichtet sind, nicht langfristig finanzieren dürfen, sondern über Kassenkredite. Das ist natürlich im hohen Maße den Soziallasten geschuldet, die die Kommunen zu tragen haben.

Herr Kollege Noss, allerdings, wenn Sie sagen, das sei allein dem Bund geschuldet, ist das ein bisschen zu kurz gegriffen. Bei der Bundesgesetzgebung wirkt ein Organ mit, in dem die Länder vertreten sind. Das ist der Bundesrat.

Ich erinnere mich an eine Diskussion, die ich vor einigen Jahren im Zusammenhang mit Verfassungsänderungen auf Bundesebene geführt habe. Da wurde darüber diskutiert – auf Wunsch der Kommunen insbesondere –, ob denn nicht auf Bundesebene auch ein Konnexitätsprinzip eingeführt wird und damit jedes Mal, wenn der Bund Aufgaben auf die Kommunen und mit entsprechenden finanziellen Belastungen zukommen lässt, dies greifen soll.

Ich erinnere mich an die Argumentation aller Bundesländer damals, dass man dies so nicht haben will, man sei als Bundesland der Anwalt der Kommunen. Da, muss ich sagen, scheint es in den letzten 60 Jahren nicht ganz geklappt zu haben, und damit meine ich alle, die jemals in irgendeiner Regierung beteiligt waren. Im Bundesrat ist es den Bundesländern offensichtlich nicht gelungen, den Anwalt der Kommunen zu geben; denn sonst hätte es nicht zu diesen finanziellen Belastungen kommen können.

Insofern rentiert es sich durchaus, darüber nachzudenken, ob man auf Bundesebene nicht auch Veränderun

gen vornimmt, damit eben die Aufgabenübertragung gleichzeitig mit den finanziellen Mitteln zur Aufgabenerledigung verbunden ist. Auch darüber müsste man einmal nachdenken. Das macht es ja auch deutlich.

(Beifall der FDP)

Natürlich muss man darüber nachdenken – entsprechende Gespräche finden auf Berliner Ebene statt –, ob es nicht zu einer Gemeindefinanzreform kommen muss. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass es dazu kommen muss, weil wir sonst nicht in der Lage sein werden, das, was gegebenenfalls die Gerichte uns noch ins Stammbuch schreiben werden, zu erfüllen. Aber hier fügt sich eben auch nahtlos an, was wir in der ersten Aktuellen Stunde heute debattiert haben, die Feststellungen des Rechnungshofs, dass die finanzielle Handlungsfähigkeit des Landes nicht mehr in dem Maße gegeben ist.

Wir wären, auch nach den Feststellungen des Rechnungshofs, gar nicht in der Lage, haushaltspolitisch das umzusetzen, was uns hier unter Umständen die Gerichte abfordern werden. Deshalb ist es schon von großer Bedeutung, auch darüber zu diskutieren, wie das Land künftig sein Haushalts- und sein Ausgabengebaren in diesem Land gestalten wird.

(Beifall der FDP)

Das Wort hat der Herr Minister. Bitte schön, Herr Bruch.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die „Zukunft des Landesfinanzausgleichsgesetzes in Rheinland-Pfalz“ heißt die Überschrift dieser Aktuellen Stunde. Wenn ich mich recht erinnere – ich bin seit 1987 in diesem Landtag oder in diesem Hohen Hause in verschiedenen Positionen gewesen –, hat uns das immer wieder beschäftigt. Wir haben im Juni 2010 hier in diesem Haus die Reformagenda eigentlich klar beschrieben.

Damals hat die Landesregierung ausgeführt: Es ist eine große Reform des kommunalen Finanzausgleichs beabsichtigt, und zwar wollen wir durch eine finanzwissenschaftliche Untersuchung diese Reform vorbereiten. Wir haben unter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände nunmehr eine Reihe von Gutachtern um Abgabe eines Angebotes gebeten. Das Ergebnis der Ausschreibung bleibt abzuwarten.

Der Ausschreibungstext enthält auch schon die Vorgabe, dass bei der Begutachtung die aktuelle Rechtsprechung zu berücksichtigen ist. In diesem Zusammenhang habe ich ausdrücklich auf das gegenwärtige, beim Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz anhängige Normenkontrollverfahren hingewiesen, das auf dem Vorlagebeschluss des Oberverwaltungsgerichts RheinlandPfalz vom 15. Dezember 2010 beruht. Das ist der Anlass dieser Aktuellen Stunde.

Der Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz ist in einem Verwaltungsstreitverfahren des Landkreises Neuwied gegen das Land ergangen, in dem um die Höhe der dem Landkreis für das Jahr 2007 zustehenden Schlüsselzuweisungen gestritten wird. Der Landkreis Neuwied vertritt die Auffassung, dass sein verfassungsrechtlicher Anspruch auf die angemessene Finanzausstattung verletzt sei.

In der ersten Instanz wurde die Klage mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 19. Mai 2009 abgewiesen. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes waren die Schlüsselzuweisungen 2007 mit dem Grundsatz einer angemessenen Finanzausstattung vereinbar. Dabei sei zu beachten, dass die den Kommunen zur Verfügung stehenden Mittel nicht losgelöst von der finanziellen Lage des Landes festgesetzt werden dürften.

Abweichend vom Verwaltungsgericht Koblenz hat nun das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in der Berufungsinstanz mit Datum vom 15. Dezember 2010 einen Aussetzungs- und Vorlagebeschluss nach Artikel 130 Abs. 3 der Landesverfassung gefasst. Danach hält das Oberverwaltungsgericht die Vorschriften des Landesfinanzausgleichsgesetzes über die Gewährung von Schlüsselzuweisungen an die Landkreise für verfassungswidrig und holt deshalb die Entscheidung des für die Überprüfung der Verfassungsgemäßheit von Landesgesetzen zuständigen Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz ein.

Auch das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz ist der Meinung, dass der kommunale Anspruch auf angemessene Finanzausstattung grundsätzlich vom Vorbehalt der finanziellen Leistungsfähigkeit des Landes abhängt oder ihm unterliegt. Es müsse jedoch der Grundsatz der Verteilungssymmetrie beachtet werden. Jener Grundsatz sei verletzt, wenn der Anstieg der kommunalen Ausgaben für Pflichtaufgaben bei der Bemessung der Finanzausgleichsmittel nicht angemessen berücksichtigt werde. Als angemessen – das ist zum ersten Mal, dass ein Obergericht eine solche Feststellung macht – sieht das Oberverwaltungsgericht RheinlandPfalz in diesem Zusammenhang eine prozentuale Steigerung der Schlüsselzuweisung an, die jedenfalls die Hälfte der prozentualen Steigerung der Sozialaufwendungen ausmacht.

Man hat sich also nicht auf die Frage konzentriert, wie das mit der generellen Finanzausstattung ist, sondern allein auf die Frage der Soziallasten und der Steigerung. Damit gibt es bestimmte rechtliche Folgerungen.

Da die beschriebene Mindestrelation in Bezug auf die Schlüsselzuweisungen 2007 der Landkreise nicht vorgelegen habe, sind die Vorschriften des Landesfinanzausgleichsgesetzes zur Ermittlung dieser Schlüsselzuweisungen nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichtes verfassungswidrig.

Der Beschluss hat uns etwas überrascht, und ich möchte an dieser Stelle überhaupt keine inhaltliche Kritik an dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts üben oder Hinweise dazu geben. Wir nehmen die Bedenken des

Gerichts sehr ernst; allerdings werfen sie zahlreiche weitere Fragen auf, die juristisch weiter zu erörtern sind.

Festzuhalten bleibt, die verbindliche Beurteilung der Verfassungsgemäßheit des Landesfinanzausgleichsgesetzes erfolgt durch das Verfassungsgericht, in diesem Fall durch den Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz. Herr Mertin hat vollkommen recht: Seine Entscheidung bleibt abzuwarten. Wir wissen heute weder, ob der Verfassungsgerichtshof die Bedenken des Oberverwaltungsgerichts übernimmt, noch, wie er sie in zeitlicher Hinsicht bewertet, noch wie er sonstige Fragen beurteilt. Insofern sind mit dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts gegenwärtig unmittelbare Auswirkungen auf andere Fälle nicht verbunden. Wir reden über Schlüsselzuweisungsbescheide von 2007.

Es sind allerdings mittelbare Folgewirkungen in der Weise denkbar, dass sich die Landkreise und kreisfreien Städte mit Blick auf die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts veranlasst sehen könnten, gegen ihre Schlüsselzuweisungsbescheide 2010 zu klagen. Das ist das Entscheidende, und dieser Hinweis ist, wenn Sie so wollen, der neue Tatbestand.

Es geht darum, ob die Schlüsselzuweisungen 2010 möglicherweise in die Bestandskraft wachsen. Die Landesregierung strebt eine Lösung mit den Landkreisen und kreisfreien Städten an, um solche Klagen abzuwenden. Eine Lösung wäre die Zusicherung des Landes, die Schlüsselzuweisungsbescheide 2010 der Landkreise und kreisfreien Städte nach Maßgabe der zukünftigen Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes RheinlandPfalz auch dann zu ändern, wenn die Bescheide unanfechtbar sein sollten.

(Beifall des Abg. Hartloff, SPD)