Protocol of the Session on June 30, 2004

net. Die Kommission wird langfristig verkleinert, das Parlament und die demokratische Legitimität gestärkt. Das ist auch notwendig. Der Rat ist nun einmal die Vertretung der Regierungen. Das Parlament dient dem Bürger. Nur ein starkes Parlament, das der Kommission und dem Rat gleichberechtigt gegenübersteht, garantiert im Übrigen das Interesse der Bevölkerung an einer gemeinschaftlichen Politik.

Meine Damen und Herren, nun muss es gelingen, der Bevölkerung die konkreten Vorteile der Verfassung zu vermitteln. Wir müssen alle gemeinsam daran arbeiten, Europa in den Herzen und Köpfen der Bürger positiv zu verankern, es begreifbar zu machen. Hierzu sind gezielte Informationen notwendig. Dass dabei noch ein gutes Stück Arbeit auf uns alle zukommt, zeigt die in manchen Bereichen sehr geringe Wahlbeteiligung, die noch auf Gleichgültigkeit, wenn nicht gar auf Skepsis schließen lässt.

In vielen Ländern wird die Verfassung den Parlamenten zur Billigung vorgelegt. In nicht wenigen haben das souveräne letzte Wort die Wähler mit dem Referendum. Es bleibt zu hoffen, dass die Verfassung ohne große Probleme diese letzten Hürden nehmen kann und wir alle aktiv gemeinsam für ein lebendiges Europa arbeiten.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall der CDU)

Es spricht Herr Abgeordneter Dr. Geisen.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! „Ein Fundament für die Union“ – so titelte am vergangenen Donnerstag die renommierte „FAZ“ über die von den Staats- und Regierungschefs auf ihrem Treffen in Brüssel vor knapp zwei Wochen beschlossene EU-Verfassung. Die Einigung auf eine gemeinsame Verfassung für das wiedervereinigte Europa war sicher ein hartes Stück Arbeit, galt es nicht zuletzt auch, die berechtigten Interessen der Beitrittskandidaten an diesem Verfassungsdokument zu berücksichtigen. Fast eineinhalb Jahre lang hat der so genannte Konvent zur Zukunft der EU am Entwurf der EUVerfassung gearbeitet.

Der Landtag von Rheinland-Pfalz hat in einem gemeinsamen Antrag der Fraktionen der SPD, CDU und FDP vom August 2002 von Anfang an das Ziel der Ausarbeitung einer EU-Verfassung unterstützt. So waren sich Sozialdemokraten, Christdemokraten und Freie Dem okraten darin einig, dass die grundlegenden Werte, die Zuständigkeiten der EU und die Entscheidungsverfahren in einem Verfassungsdokument klar und eindeutig niedergelegt werden müssen, um damit den Bürgerinnen und Bürgern die Grundlagen der Europäischen Union zu verdeutlichen.

Dies kann ein wesentlicher Beitrag zur besseren Akzeptanz und zu einer stärkeren demokratischen Legiti

mation des wachsenden Europas sein. Diesem Wunsch trägt die so genannte EU-Verfassung weitestgehend Rechnung. Das begrüße ich im Namen der FDPLandtagsfraktion besonders.

(Beifall der FDP und bei der SPD)

Die FDP-Fraktion hat immer die Notwendigkeit einer praktikablen EU-Verfassung betont, gerade um dem europäischen Einigungsprojekt ein festes Fundament zu geben, das dann auch die Fliehkräfte der Vereinigung des alten mit dem neuen Europa auszuhalten imstande ist. Alles in allem haben die Autoren dieses völkerrechtlichen Dokuments erreicht, den EU-Vertragsdschungel zu lichten, die Verfahren zu vereinfachen und institutionelle Neuerungen einzuführen, welche die Handlungsfähigkeit der Union stärken.

Aus liberaler Sicht begrüße ich außerordentlich, dass ab dem 1. November 2009 nach dem Prinzip der so genannten doppelten Mehrheit im Europäischen Rat abgestimmt wird. An dieser Frage waren bekanntlich die Verhandlungen über eine EU-Verfassung im Dezember letzten Jahres noch gescheitert. Nach dem Regierungswechsel in Spanien signalisierte der neue spanische Regierungschef Zapatero in dieser Frage Kompromissbereitschaft. So lautet nun der entsprechende Artikel in der beschlossenen Verfassung, der die Mehrheiten im Rat regelt:

„Als qualifizierte Mehrheit gilt eine Mehrheit von mindestens 55 % der Mitglieder des Rates, sofern diese Mehrheit mindestens 15 Mitglieder des Rates umfasst und sofern diese Mitglieder Mitgliedstaaten vertreten, die zusammen mindestens 65 % der Bevölkerung ausmachen.“

Das ist nicht das, was ursprünglich im Vertragsentwurf vorgesehen war. Zunächst war man darin noch von 50 % der Mitglieder des Rates und 60 % der von ihnen repräsentierten Bevölkerung ausgegangen. Mit dem in dieser Frage erzielten Kompromiss können wir als Liberale aber grundsätzlich leben.

Meine Damen und Herren, persönlich hätte ich mir als gläubiger Christ, aber auch aus anderen Erwägungen heraus, in der Präambel der Europäischen Verfassung ein klares Bekenntnis zum Christentum

(Beifall der CDU)

und die Erwähnung Gottes gewünscht. Hätte dieses nicht geradezu die gegenseitige Toleranz aller europäischen und europawilligen Völker zu der jeweiligen Gottesvorstellung ins Gleichgewicht gebracht? – Hier wurde meines Erachtens eine Chance vertan.

Danke schön.

(Beifall der FDP, der SPD und der CDU)

Das Wort hat nun Herr Abgeordneter Wiechmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN begrüßen ausdrücklich, dass sich die europäischen Staats- und Regierungschefs am 17. und 18. Juni nach langen und schwierigen Verhandlungen auf den Text für eine Europäische Verfassung geeinigt haben. Grundlage dieses Erfolgs war sicherlich auch der ehrgeizige Entwurf des Konvents, der unter maßgeblicher Mitarbeit von Bundesaußenminister Joschka Fischer erarbeitet wurde.

Wir GRÜNEN haben immer betont, dass Erweiterung und Vertiefung Europas unmittelbar zusammengehören.

Die Europäische Union hat mit der Verfassung einen historischen Schritt vorwärts gemacht. Mit dieser Verfassung wird die EU deutlich demokratischer, transparenter und bürgernäher.

Mit der neuen Verfassung wird die EU sicherlich besser die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bewältigen können, und mit diesem gefundenen Kompromiss erhält die EU auch eine gemeinsame Grundlage, um nach dem erfolgreichen Erweiterungsprozess politisch handlungsfähiger zu werden. Meine Damen und Herren, 460 Millionen Menschen können sich zukünftig auf eine gemeinsame Grundrechtecharta berufen.

Es besteht kein Zweifel, dass die gefundene Einigung natürlich einen Kompromiss darstellt und sich jeder von uns sicherlich an dem einen oder anderen Punkt mehr gewünscht hätte. So ist es bedauerlich, dass einige durchaus und deutlich ambitioniertere Vorschläge, die der Verfassungskonvent gemacht hat, bei der Regierungskonferenz nicht durchsetzbar waren. So ist zum Beispiel der Einstieg in die doppelte Mehrheit bei Mehrheitsabstimmungen im Ministerrat gelungen, doch die Ausgestaltung dieses prinzipiell sehr guten Abstimmungsmodus ist viel zu kompliziert geraten. Die Vorschläge des Konvents waren diesbezüglich sehr viel verständlicher und effizienter. Auch wäre ein umfassenderer Übergang zu Mehrheitsabstimmungen wünschenswert gewesen. Meine Damen und Herren, trotzdem ist die Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Meine Damen und Herren, die Annahme des Verfassungstextes bedeutet aber eben nicht das Ende des Verfassungsprozesses. Eine der zentralen Fragen wird sein, wie zukünftige Verfassungsänderungen vorgenommen werden können. Wir von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen das Verfahren zur Verfassungsänderung so reformieren, dass das Einstimmigkeitsprinzip aufgehoben wird, weil wir glauben, dass Handlungsfähigkeit und Einstimmigkeitszwang in diesem Fall nicht zusammenpassen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, des Weiteren kann aber diese Verfassung auch nicht das Ende des europäischen Integrationsprozesses sein, sondern dieser Text ist vielmehr eine Verpflichtung, unser gemeinsames Engagement für ein demokratischeres, ökologischeres und sozialeres Europa noch weiter zu verstärken. Gera

de aus Sicht der deutschen Länder und der Regionen bringt der Verfassungsentwurf erhebliche Verbesserungen. Das haben die Vorredner bereits gesagt. Ich möchte betonen, dass durch die stärkere Stellung des Europäischen Parlaments die EU insgesamt demokratischer wird. Es gibt eine eindeutigere Kompetenzzuordnung, damit die Bürgerinnen und Bürger in der EU klar erkennen, welche Ebene wofür zuständig ist. Auch der Ausschuss der Regionen wird gestärkt und erhält ebenso wie die nationalen Parlamente das Recht, bei Verstößen gegen das Subsidiaritätsprinzip den Europäischen Gerichtshof anzurufen. All dies sind enorme Schritte für ein demokratischeres, aber auch für ein handlungsfähigeres Europa.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, nun muss allerdings die letzte Hürde auf dem Weg zu dieser neuen Verfassung genommen werden, nämlich die Ratifizierung in den 25 Mitgliedstaaten. Die EU wird die Bürgerinnen und Bürger nicht für sich gewinnen können, wenn sie sie links liegen lässt. Dies hat uns beispielsweise die geringe Wahlbeteiligung bei den Europawahlen sehr deutlich gezeigt. Deshalb muss es unser Ziel bleiben, die Verfassung in einem europaweiten Referendum bestätigen zu lassen. Dies wäre aus unserer Sicht ein entscheidender Hebel, um Europa in die Regionen und in die Herzen der Menschen zu tragen.

(Zuruf des Abg. Mertes, SPD)

Herr Kollege Mertes, ich bin mir ganz sicher, dass die Menschen in Europa sich klar zur Europäischen Union und zur Integration in ein gemeinsames größeres Europa bekennen werden.

(Glocke des Präsidenten)

So werden wir auch vermeiden, dass Abstimmungen über den Verfassungsvertrag zu nationalen Denkzettelwahlen werden.

Meine Damen und Herren, ich möchte noch einen Punkt betonen, der mir sehr wichtig ist. In diesem Zusammenhang sind Vorschläge aus den Reihen der CDU, die Zustimmung zum EU-Verfassungsvertrag mit der Frage über den Beitritt der Türkei zur EU zu verknüpfen, purer Populismus.

(Zuruf des Abg. Schreiner, CDU – Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Wer eine solche Verknüpfung fordert, entwickelt sich tatsächlich zu einem europapolitischen Sicherheitsrisiko.

(Zuruf der Abg. Frau Schmidt, CDU)

Wir sollten gemeinsam dafür sorgen, dafür kämpfen und auch dafür werben,

(Glocke des Präsidenten)

dass es ein ökologischeres, sozialeres, weltoffeneres und demokratischeres, eben auch ein friedlicheres Eu

ropa gibt. Der ausgehandelte Verfassungsvertrag ist eine ganz hervorragende Grundlage dafür.

Ich danke Ihnen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei SPD und FDP)

Es spricht nun Herr Ministerpräsident Beck.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin froh darüber, dass wir bei dieser Parlamentssitzung über das Thema „Europäische Verfassung“ debattieren; denn das, was auf den Weg gebracht worden ist und hoffentlich auch zu Ende geführt werden wird, ist ein historischer Schritt für Deutschland, für Europa, ja, man darf formulieren, ein historischer Schritt für die Welt. Mit dieser Verfassungsgrundlage ist deutlich gemacht worden, dass der europäische Integrationsprozess nicht nur eine Frucht der – Gott sei Dank – eingetretenen Erkenntnisse aus kriegerischen Jahrhunderten ist, nicht nur eine Erkenntnis, dass in der Zusammenarbeit im Bereich der Industrie, des Gewerbes und des Handels eine bessere Chance für alle liegt, nein, es ist auch ein Bekenntnis, das in dieser Verfassung zum Ausdruck kommt, dass wir uns auf gemeinsame Werte stützen und, gestützt auf diese gemeinsamen Werte, in möglichst vielen Bereichen Gemeinsamkeit für die Zukunft entwickeln wollen, ohne die Vielfalt, gründend auf den kulturellen und geschichtlichen Erfahrungen, ohne die Vielfalt, die das Ganze wiederum im Inneren reicher macht, aufzugeben.

Dies ist ein sehr interessanter und sehr stark in die Zukunft weisender Ansatz. Ich glaube, dass allen zu danken ist, die sich an diesem Prozess beteiligt haben. Dies geht in der Tat zurück auf die Kommission, die sich unter Leitung des früheren Bundespräsidenten Professor Roman Herzog mit den Grundwerten auseinander gesetzt hat, es geht aber sicher auch auf den Konvent zurück, der unter dem früheren Präsidenten der Französischen Republik, Valéry Giscard d’Estaing, geführt worden ist; denn 90 % der Vorschläge, die dort erarbeitet worden sind, finden sich in dem Verfassungsentwurf wieder.

Diese Regelung ist neben der Grundwertecharta Gott sei Dank Teil dieser Verfassung geworden. Dies war ein heftiger Kampf, der übrigens auch im Wesentlichen von der Bundesrepublik Deutschland und von der Bundesregierung erfolgreich geführt worden ist, dass die Grundrechtecharta nicht Anhang, sondern integrativer Teil der Verfassung wird. Dies war ein Punkt, für den wir uns als Landesregierung sehr intensiv eingesetzt haben, weil damit die Überzeugung deutlich wird, dass diese Europäische Union mehr sein muss als eine Interessengemeinschaft entlang einiger Interessenfelder, sondern in der Tat durch gemeinsame Werte und gemeinsame Grundüberzeugungen zusammengehalten werden muss.

Neben dieser Integration ist in vielen Bereichen das eingeflossen, was der Konvent unter Beteiligung der Länder erarbeitet hat. Ich möchte ausdrücklich denen, die daran mitgearbeitet haben – auch meinem Kollegen Erwin Teufel –, meinen Respekt bekunden für das, was sie aus Sicht der Länder in diese Arbeit mit eingebracht haben.