Protocol of the Session on January 16, 2003

4. Welche Konsequenzen werden von der Landesregierung gezogen, um derartige Vorfälle in Zukunft zu vermeiden?

Es antwortet Herr Justizminister Mertin.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Im Namen der Landesregierung beantworte ich die Mündliche Anfrage wie folgt:

Zu Frage 1: Zum Verfahrenshergang wurde mir vom Präsidenten des Landgerichts Trier ein umfangreicher Bericht vorgelegt. Eine Darstellung aller Arbeitsschritte würde den Vorgaben der Geschäftsordnung des Landtags zur Beantwortung einer Mündlichen Anfrage nicht entsprechen.

Ich stelle deshalb nachfolgend nur die wesentlichen mitgeteilten Arbeitsschritte dar.

Die den Angeschuldigten zur Last gelegte Tat wurde am 17. Juni 2002 begangen. Am 19. und 24. Juni ergingen Haftbefehle gegen die insgesamt fünf Beschuldigten, die am 19. und 25. Juni 2002 festgenommen wurden. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Trier vom 16. August 2002 ging am 22. August 2002 bei der 3. Großen Strafkammer des Landgerichts Trier ein.

Am Folgetag verfügte der Kammervorsitzende die Zustellung der Anklageschrift an alle Angeschuldigten, veranlasste Anschreiben zur Abklärung des Mandatsverhältnisses bzw. der Beiordnung als Pflichtverteidiger und verfasste noch mehrere Schreiben betreffend Akteneinsichtsgesuche.

Nachdem die Staatsanwaltschaft Trier festgestellt hatte, dass die Anklageschrift nicht ganz vollständig war, übersandte sie dem Landgericht am 26. August 2002 eine geänderte Anklageschrift, die den Angeschuldigten mit der Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen zugestellt wurde.

In den ersten beiden Septemberwochen wurden Akteneinsichtsgesuche eines Verfahrensbevollmächtigten der Geschädigten bearbeitet. Für einen der Angeklagten wurde ein neuer Pflichtverteidiger bestellt. Weiter wurde den Angeschuldigten Anfang September angekündigt, dass die Untersuchung von Speichelproben beabsichtigt sei.

Ab Mitte September befand sich der Kammervorsitzende im Urlaub. In der Folgezeit gingen bei der Kammer mehrere Anträge ein, unter anderem auch die Bestellung eines neuen Verteidigers für einen der Angeschuldigten, verbunden mit der Bitte um Akteneinsicht. Eine weitere Bearbeitung der Akte ist am 18. Oktober 2002 durch Anordnung der Untersuchung der Speichelproben aller Angeschuldigter festzustellen.

Nach seiner Urlaubsrückkehr fertigte der Vorsitzende am 31. Oktober 2002 zur Förderung des Verfahrens eine umfangreiche Verfügung. Soweit diese Verfügung von den Mitarbeitern in der Serviceeinheit auszuführen war, geschah dies am 12. November 2002. Unter anderem wurden Doppelakten der Akte erstellt, um mehreren Verteidigern gleichzeitig Akteneinsicht gewähren zu können.

Im Verlauf des Monats November 2002 klärte der Vorsitzende mit den Verteidigern einen möglichen Verhandlungstermin ab und gewährte Akteneinsicht.

Zur Haftprüfung und im Hinblick auf die Haftbeschwerde eines der Angeschuldigten übersandte der Kammervorsitzende durch Verfügung vom 28. November 2002 der Staatsanwaltschaft die Akte zur Weiterleitung an das Oberlandesgericht Koblenz. Zu diesem Zeitpunkt hatten zwei der fünf Verteidiger noch keine Akteneinsicht erhalten. Mit den Verteidigern waren Hauptverhandlungstermine für den Zeitraum 27. Januar bis 17. Februar 2003 abgesprochen. In der ersten Hälfte des Monats Dezember 2002 erhielten diejenigen Verteidiger, die noch keine Akteneinsicht erhalten hatten, Akteneinsicht.

Am 19. Dezember 2002 beschloss der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz, die Haftbefehle gegen die vier Angeschuldigten in Untersuchungshaft aufzuheben. Der fünfte Angeschuldigte verbüßt derzeit in anderer Sache eine Freiheitsstrafe, sodass für ihn über die Fortdauer einer Untersuchungshaft nicht zu entscheiden war.

Zu Frage 2: Die Personalausstattung erfolgt im Bereich der Richter und Rechtspfleger anhand eines bundesweit gültigen Pensenschlüssels. Dieser Pensenschlüssel ist ein Schlüssel zur möglichst gleichmäßigen Verteilung des Personals auf die Gerichte. Er legt nicht das zumutbare Arbeitspensum fest. Dieses liegt in der Regel über 100 % des Schlüsselwertes.

Auf der Basis dieses Pensenschlüssels ergab sich im richterlichen Bereich folgende Personalsituation:

Im Jahr 1993 beim Landgericht Trier 105,8 %, im Durchschnitt der Landgerichte in Rheinland-Pfalz 126,4 %,

im Jahr 1994 beim Landgericht Trier 110,5 %, im Durchschnitt der Landgerichte in Rheinland-Pfalz 125 %,

im Jahr 1995 beim Landgericht Trier 108,7 %, im Durchschnitt der Landgerichte in Rheinland-Pfalz 120,4 %,

im Jahr 1996 beim Landgericht Trier 115,6 %, im Durchschnitt der Landgerichte in Rheinland-Pfalz 120,2 %,

im Jahr 1997 beim Landgericht Trier 114,2 %, im Durchschnitt der Landgerichte in Rheinland-Pfalz 118,5 %,

im Jahr 1998 beim Landgericht Trier 118,4 %, im Durchschnitt der Landgerichte in Rheinland-Pfalz 116,2 %,

im Jahr 1999 beim Landgericht Trier 113 %, im Durchschnitt der Landgerichte in Rheinland-Pfalz 118,4 %,

im Jahr 2000 beim Landgericht Trier 119,9 %, im Durchschnitt der Landgerichte in Rheinland-Pfalz 123,6 %,

im Jahr 2001 beim Landgericht Trier 114,1 %, im Durchschnitt der Landgerichte in Rheinland-Pfalz 121,1 % und

im Jahr 2002 beim Landgericht Trier 117,9 %, im Durchschnitt der Landgerichte in Rheinland-Pfalz 120,4 %.

Damit war die Personalausstattung des Landgerichts Trier in den vergangenen zehn Jahren mit Ausnahme des Jahres 1998 besser als der Durchschnitt der rheinland-pfälzischen Landgerichte. Auch bei den übrigen Diensten war das Landgericht Trier grundsätzlich besser ausgestattet als andere Landgerichte.

Im Bereich der Rechtspflege hatte das Landgericht Trier in den Jahren 1993 und 1994 und in den Jahren 1999 bis 2000 eine Personalsituation von weniger als 100 % des Pensenschlüssels. In den übrigen Jahren betrug diese Personalsituation weniger als 105 %.

Im mittleren Dienst und im Schreibdienst sowie im einfachen Dienst ist die Beschäftigtenzahl beim Landgericht Trier in den vergangenen zehn Jahren weitgehend gleich geblieben. Die Personalausstattung war grundsätzlich günstiger als bei den übrigen Landgerichten.

Zu Frage 3: Der Präsident des Landgerichts Trier hat berichtet, dass die im Jahr 2002 erfolgten Personaleinsparungsmaßnahmen keinen Einfluss auf die Aufhebung des Haftbefehls hatten. Beim Landgericht Trier wurde Ende September 2002 ein ausscheidender Richter nicht ersetzt. Dieser Richter war einer Zivilkammer zugeteilt. Die weggefallene Stelle wurde innerhalb der Zivilkammern ausgeglichen.

Im Bereich der Großen Strafkammern führen vor allem Umfangsverfahren zu starken Schwankungen der Belastung innerhalb eines Jahres und auch zwischen den einzelnen Kammern. Diese Belastungsschwankungen sind in der Regel nicht vorhersehbar.

Der Präsident des Landgerichts Trier hat am 5. November 2002 mit den Vorsitzenden der Großen Strafkammern eine Besprechung zur aktuellen Belastungssituation durchgeführt. Es wurde dabei vereinbart, eine Änderung der Geschäftsverteilung im neuen Geschäftsverteilungsplan für das Jahr 2003 vorzunehmen.

Der Präsident des Landgerichts Trier führt die Haftentlassung auf individuelle Fehler zurück. Während des Urlaubs des Vorsitzenden sei den Verteidigern nicht mit der gebotenen Beschleunigung Akteneinsicht gewährt worden. Die Doppelakten seien im November angelegt worden, sodass es bis Dezember dauerte, bis alle Verteidiger Akteneinsicht genommen hatten. Nach der Rechtsauffassung der Strafkammer konnte eine Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens vor einer Akteneinsicht aller Verteidiger nicht ergehen.

Im Hinblick auf den Haftprüfungstermin ging die Kammer davon aus, dass angesichts der mit den Verteidigern abgesprochenen Hauptverhandlungstermine in dem Zeitraum vom 27. Januar bis 17. Februar 2003 die gebotene zügige Erledigung dieser Haftsache noch gewährleistet sei. Der Strafsenat des Oberlandesgerichts hat sich dieser Rechtsauffassung nicht angeschlossen und einen Verstoß gegen das in Haftsachen gebotene Beschleunigungsgebot angenommen.

Zu Frage 4: Der Präsident des Landgerichts Trier hat insoweit folgende Maßnahmen veranlasst:

1. Die Geschäftsstellen der Strafkammern haben dem Landgerichtspräsidenten monatlich eine Liste der anhängigen Haftsachen unter Angabe der einzuhaltenden Fristen und Termine vorzulegen.

2. Die Vorsitzenden der Strafkammern wurden gebeten, eventuelle Engpässe frühzeitig mitzuteilen.

3. Die Geschäftsstellen der Strafkammern haben dem Präsidenten des Landgerichts jeden Beschluss der Strafsenate des Oberlandesgerichts in Kopie vorzulegen. Die Geschäftsstellen der Strafkammern haben dem Präsidenten jede Zuleitungsverfügung an die Strafsenate zur Haftprüfung in Ablichtung vorzulegen.

Da die Handlungsspielräume der Oberlandesgerichte im besonderen Haftprüfungsverfahren gemäß §§ 121 und 122 Strafprozessordnung gering sind, wird derzeit im Ministerium der Justiz geprüft, ob ein solcher Vorgang durch eine Gesetzesänderung vermieden werden kann. Der Gesetzgeber hat aus verfassungsrechtlichen Gründen grundsätzlich eine Frist von sechs Monaten vorgegeben. Im Hinblick darauf ist zu untersuchen, ob eine Gesetzesänderung möglich ist, um die Gefährlichkeit der Beschuldigten künftig stärker zu berücksichtigen. Ähnliche Überlegungen werden in Niedersachsen angestellt. Dort wurde ein Gesetzentwurf erarbeitet, den wir in unsere Prüfung mit einbeziehen.

So weit die Antwort der Landesregierung.

Zu einer Zusatzfrage hat Herr Abgeordneter Baldauf das Wort.

Herr Justizminister, wenn Sie sagen, es seien individuelle Fehler, dann frage ich Sie: Sind Sie mit mir der Meinung, dass es dann keiner Gesetzesänderung bedarf, sondern es eine Organisationssache ist, die anders hätte geregelt werden müssen?

Herr Kollege Baldauf, Sie wissen, dass die Justizverwaltung die Tätigkeit der Richter nicht kontrollieren darf, weshalb der Gesetzgeber in Haftsachen die Haftprüfung nach sechs Monaten vorgesehen hat, sodass die richterliche Tätigkeit der mit der Haftsache befassten Richter durch das Oberlandesgericht, also durch Richter, überprüft wird.

Die Gesetzeslage ist so ausgestaltet, dass diesen Richtern beim Oberlandesgericht kein Spielraum bleibt. Wenn Sie feststellen, dass aus Ihrer Sicht und Ihrer rechtlichen Beurteilung, die Sie dann zu verantworten haben, das Beschleunigungsgebot nicht beachtet wurde, dann muss das Oberlandesgericht bei derzeitiger Rechtslage, auch wenn es selbst von der Gefährlichkeit der Täter ausgeht, die Haftbefehle aufheben. Insoweit wäre zu überlegen, ob dieser Gesetzesbefehl an das Oberlandesgericht, in jedem Fall aufzuheben, nicht geändert werden kann. Das kann aber nur der Gesetzgeber.

Es wäre zum Beispiel denkbar, dem Oberlandesgericht ein milderes Mittel zu geben, nämlich eine Frist einräumen zu können, innerhalb der die vom Oberlandesgericht festgestellten Mängel abzustellen sind. Wenn das

nicht geschieht, müssten dann die Haftbefehle aufgehoben werden. Dies muss aber sorgfältig geprüft werden, weil auch verfassungsrechtliche Implikationen insoweit zu beachten sind.

Zu einer weiteren Zusatzfrage hat Herr Kollege Baldauf das Wort.

Herr Minister, Sie haben ausgeführt, der Präsident hätte mehrere Anordnungen erlassen, wie er dazu vorgehen möchte, im Prinzip auch eine Überprüfung. Heißt dies im Umkehrschluss, dass dies bisher so nicht der Fall gewesen ist?

Ich vermag nur das wiederzugeben, was der Landgerichtspräsident in Trier mitgeteilt hat. Wie es der frühere Landesgerichtspräsident gehalten hat, ist mir nicht mitgeteilt worden, sodass ich dazu nichts sagen kann.

Gibt es weitere Fragen? – Das ist nicht der Fall. Die Mündliche Anfrage ist beantwortet.

(Beifall bei SPD und FDP)