Protocol of the Session on June 19, 2002

Meine, unsere Gesamtbewertung: Es ist eine gefährliche Benachteiligung der europäischen Chemieindustrie, vor allem im Vergleich zu den USA und Japan, eine erhebliche Erschwerung von Forschung und Produktion, eine erhebliche Erhöhung der Kosten für Europa insgesamt zu befürchten.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, dies bedeutet für Deutschland zwangsläufig eine Gefährdung des Chemiestandorts. 24 % der europäischen Chemieproduktion und Chemieleistung und 31 % des Handels, der Wertschöpfung außerhalb der EU, entfallen auf Deutschland. Es ist in der Konsequenz eine erhebliche Benachteiligung und Beeinträchtigung bis hin zur existenziellen Gefährdung sowohl kleiner und mittlerer Unternehmen als auch großer Unternehmen wie beispielsweise der BASF zu befürchten. Es ist nicht nur, aber auch ein Thema der BASF.

Meine Damen und Herren, wenn die Staats- und Regierungschefs beschlossen haben, dass in zehn Jahren die USA mit großen Augen nach Europa schauen werden, weil wir sie dann industriepolitisch in allen wichtigen Belangen überholt haben, so ist eine solche Entwicklung, die sich derzeit abzeichnet, natürlich in extremem Maß kontraproduktiv.

(Beifall bei CDU und SPD)

Was will die Kommission? – Meine Damen und Herren, die Kommission will alle Chemikalien nach einem bestimmten, neu einzuführenden System, in Englisch dem „Reach“-System, überprüfen, katalogisieren und zum Teil zulassen. „Reach“ heißt Registrierung, Evaluierung, Autorisierung von chemikalischen Produkten. Das Deutsche und das Englische stimmen also einigermaßen überein.

Es geht im Wesentlichen um 30.000 wichtige Stoffe, es geht um 1.500 Stoffe, denen gefährliche Eigenschaften zugewiesen werden.

Entscheidend ist: Bis zur Stunde geht die Kommission davon aus, Bewertungen von Stoffen ausschließlich nach ihren Eigenschaften vorzunehmen. – Das ist außerordentlich problematisch. Ich nenne ein ganz einfaches Beispiel aus der Pharmazie, das jeder versteht: Wenn jemand Digitalis unkontrolliert frisst, stirbt er, aber in der medizinisch dosierten Form ist es nach wie vor ein entscheidendes Heilmittel. Nicht das Gift, sondern die Dosis ist entscheidend; das wissen wir in der Pharmazie seit Jahrhunderten.

Dieser Ansatz soll für die Chemie grundsätzlich nicht mehr gelten. Das heißt, die Frage des Nutzens eines Stoffes sowie auch die Frage der Beherrschbarkeit spielt keine Rolle mehr, meine Damen und Herren. Es gibt keine hinreichende Betrachtung der Unverzichtbarkeit und der damit verbundenen Risiken.

Aus dieser Grundsatzposition heraus, zu der ich mich in der zweiten Runde etwas ausführlicher äußern werde und die das Europäische Parlament mit heftiger Zustimmung der meisten Sozialdem okraten gebilligt hat – –

(Zuruf des Abg. Ramsauer, SPD)

Ich kann Ihnen die Abstimmungen im Einzelnen vortragen. Ich bin sehr gut vorbereitet. Vorsicht, Vorsicht!

(Zuruf des Abg. Mertes, SPD)

meine Damen und Herren, aus dieser Grundsatzbetrachtung der Bewertung der Eigenschaften von Stoffen folgt der Gedanke der Eliminierung und der Substitution für alle Verbraucherprodukte 2012 und für alle Produktionsverfahren 2020. Das betrifft einmal die kleinen Unternehmen. Meine Damen und Herren, wenn ein kleines Unternehmen Stoffe, die es weiterverarbeitet, von außen übernimmt und diese von A nach B, C oder D weiterleitet, ist es durch diese Registrierung und die umfassende Überprüfung in der Tat überfordert.

(Glocke des Präsidenten)

Es betrifft auch große Unternehmen wie die BASF. Wir haben in diesem Land das größte Verbundwerk der Welt, ein Werk, in dem Stoffe, in vielfältiger Form eingesetzt, geschlossen verwendet werden. Meine Damen und Herren, insofern ist die EU-Kommission im Augenblick immer noch auf dem falschen Weg. Ich werde nachher noch einiges zu Schlussfolgerungen, zur aktuellen Situation und – ganz kann ich es mir nicht verkneifen – auch zu den derzeitigen politischen Bewertungen auf europäischer Ebene seitens der politischen Parteien sagen.

(Beifall der CDU)

Meine Damen und Herren, ich freue mich, Gäste im Landtag begrüßen zu können, und zwar den Landfrauenverein Oberhausen und Mitglieder der Katholischen Frauengemeinschaft, Ortsverband Kirchen. Herzlich willkommen im Landtag!

(Beifall im Hause)

Es spricht nun Herr Abgeordneter Dr. Schmitz.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! In seltener Einmütigkeit haben meine beiden Vorredner die Auswirkungen der EU-Chemikalienpolitik auf den Chemiestandort Rheinland-Pfalz und seinen Arbeitsmarkt beschrieben und deutlich gemacht, dass, sollten die Vorschläge der Kommission wie vorgestellt verabschiedet werden, dies ganz erhebliche Auswirkungen für unser Land haben wird, was die Zukunftsfähigkeit von Rheinland-Pfalz angeht; denn das, was der Chemiestandort sowie die Arbeitsplätze in der Chemischen Industrie in Rheinland-Pfalz darstellen, sind eben nicht die berühmten Peanuts, sondern es ist eine große Saugwurzel, über die unser Land verfügt, und wir alle profitieren davon.

Meine Damen und Herren, mit der Abstimmung im EUParlament am 15. November wurde der Rahmen der künftigen EU-Chemikalienpolitik aus Sicht des Parlaments definiert. Danach soll das Weißbuch mit den verabschiedeten Änderungsanträgen die Grundlage eines vier Segmente umfassenden Pakets sein: Dies sind vier Verordnungen für die Bereiche Registrierungsanforderungen, Zulassung, Einstufung und Kennzeichnung, aber auch die Organisation einer zentralen europäischen Chemikalienbehörde.

Die nachfolgende Parlamentsabstimmung hat leider Gottes zu einer weiteren Verschärfung im Vergleich zum Kommissionsvorschlag geführt. Das bedauern wir vonseiten der FDP ausdrücklich. Wir wollen aber auch nicht verschweigen, dass es in einigen Bereichen Wendungen zum Positiven gegeben hat. Die FDP begrüßt beispielsweise – dies ist ein relativ neues Ergebnis –, dass es per anno keine Registrierung von Mengen unter einer Tonne geben wird. Das ist sehr interessant, Herr Ramsauer. Dies ist nicht nur für kleinere Chemieunternehmen wich

tig, sondern es ist auch für eine Vielzahl von Produkten, beispielsweise bei der BASF, von Bedeutung, die sonst nicht mehr hergestellt werden könnten, die den außerordentlich hohen Prüfanforderungen nicht unterworfen würden und die vielleicht, wenn überhaupt, nur noch im Ausland an anderen Standorten produziert würden, was für die rheinland-pfälzischen Arbeiter in der Chemieindustrie verheerende Folgen hätte.

Es wird vermutlich auch keine Stoffverbote aufgrund qualitativer Bewertungen geben. Es ist eine Überprüfung des Zeitplans für die Bearbeitung der Stoffe und die Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen in der Umsetzung. Es ist wichtig, dass die kleineren Firmen in diesen schwierigen und komplexen Fragen nicht ohne Hilfe bleiben.

(Dr. Schiffmann, SPD: Das sind alles Erfolge unseres Bundeskanzlers!)

Herr Dr. Schiffmann, ich will noch darauf eingehen. Das ist richtig.

Meine Damen und Herren, als problematisch sehen wir aber nach wie vor die Befristung von Stoffzulassungen an. Wir vermögen nicht einzusehen, dass für Zulassungen, die einmal die Gesetzmäßigkeit und Konformität eines Produkts in aufwendigen Prüfverfahren festgelegt haben, nach relativ kurzen Zeiträumen eine erneute Überprüfung aufgrund der gleichen unveränderten Bedingungen erfolgen soll. Das ist etwas, was schon fast Schikanencharakter trägt. Das trägt nicht zur Planungssicherheit von Firmen bei, stellt Investitionen der Zukunft infrage und macht Investitionen aus der Vergangenheit wirkungslos. Es verpuffen enorme Mittel, die von den Firmen eingestellt wurden.

Meine Damen und Herren, wir befürchten, dass trotz der im Weißbuch angedeuteten Flexibilität der Testanforderungen von Behördenvertretern ein sehr formales, hohes und damit auch kostspieliges Niveau angestrebt wird. Ausgesprochen schwierig gestalten sich die Regelungen zur geforderten Offenlegung von Informationen. Das ist ein ganz zentraler Punkt, um den es geht; denn wir alle wissen, dass das, was früher einmal unter Spionage subsumiert wurde und was jeder zunächst mit Militärspionage in Zusammenhang brachte, heute im Wesentlichen den Bereich Wirtschaftsspionage umfasst. Diese Offenlegung von Informationen sowie die Zusammenfassung von Prüf- und Registrierdaten, die in den Firmen mit hohem finanziellen Aufwand geschaffen werden, ist nicht unproblematisch.

Die Firmen investieren sehr viel, um die Daten zu erfassen, und haben diese bisher als top secret gehandhabt. Jetzt sollen viele dieser Prüf- und Registrierdaten in eine zentrale Behörde überstellt werden. Das kann gut gehen. (Glocke des Präsidenten)

Man muss aber Acht geben, dass es gut geht. Man muss außerdem darauf achten, dass die Eigentumsrechte an diesen Know-how-Daten auf Dauer gewahrt bleiben. Das ist das Interesse der einzelnen Firma. Herr Kollege Dr. Gölter, ich darf in diesem Zusammenhang

ihren Hinweis auf Nicht-EU-Länder aufgreifen. Das ist auch im Wettbewerb der Erdteile untereinander interessant.

(Dr. Braun, BÜNDIS 90/DIE GRÜNEN: In den USA wird das so gemacht!)

Ich werde im zweiten Teil noch darauf eingehen. Herr Dr. Braun, ich habe Ihren Zuruf akustisch nicht verstanden. Meine Redezeit ist zu Ende.

(Beifall bei FDP und SPD)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Dr. Braun das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich begrüße es, dass heute zum ersten Mal in diesem Parlament in vollem Umfang der grüne Umweltminister Trittin unterstützt wird, mit ihm auch Herr Bundeskanzler Schröder.

(Abg. Kuhn, FDP: Das ist ein Unterschied, Herr Kollege!)

Ich nehme an, Sie kennen die Position der Bundesregierung, die zusammen mit dem Verband der Chemischen Industrie und der IG BCE ausgehandelt wurde. Dies wurde vom Umweltministerium und vom Kanzleramt gemeinsam mit den Interessenverbänden der Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Chemie ausgehandelt. Es ist ein Papier, das zunächst einmal feststellt, dass die EU-Richtlinien Verbesserungen für die deutsche und die europäische Chemieindustrie bringen. Dies muss man einmal eindeutig feststellen. So wurde dies auch vom VCI unterzeichnet. So wurde dies auch von der IG BCE unterzeichnet. Ich nehme an, wir sind uns darüber einig, dass wir alle diesen Prozess des gemeinsamen Vorgehens innerhalb der EU begrüßen.

Ich möchte einen zweiten Aspekt ansprechen, bei dem die Debatte etwas interessanter wird.

(Zuruf des Abg. Dr. Schmitz, FDP)

Herr Dr. Schmitz, kennen Sie das Papier? Sagen Sie doch bitte einmal in der nächsten Runde, was Sie an dem Papier auszusetzen haben.

(Dr. Schmitz, FDP: Was ist mit den 19 Punkten?)

Es ist keine Fragestunde, sondern eine Aktuelle Stunde, Herr Schmitz.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Schmitz, FDP: Herr Dr. Braun, ich habe Sie gefragt! Verwechseln Sie das bitte nicht!)

Sie können in einer Aktuellen Stunde auch keine Zwischenfrage stellen, Herr Dr. Schmitz. Soweit kennen sie die Geschäftsordnung.

Es wird aber jetzt die Frage interessant, warum die SPD eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt. Ich weiß, Sie haben gestern ein Treffen mit der IG BCE gehabt und wurden gebeten, dies in den Landtag zu tragen.

(Itzek, SPD: Ein voller Erfolg, natürlich!)

Die Bundesregierung hat die Diskussion aber schon geführt. Bundeskanzler Schröder hat an einem Abendessen in Brüssel mit Prodi und Wallström – Monti war auch dabei – teilgenommen, um endlich die Positionen der deutschen Bundesregierung zu vertreten. Dann glauben Sie doch nicht, dass Sie die Position hinterher noch einmal verändern können. Die Positionen sind klar. Die Positionen unterstützen die EU-Richtlinie. Die Positionen sind darüber hinaus, was die Umsetzung angeht, sehr differenziert.

Wir wollen natürlich, dass in der deutschen Chemieindustrie keine Hürden aufgebaut werden, die unüberwindbar sind und dann zum Abbau von Arbeitsplätzen führen würden.

Meine Damen und Herren, auf wen als Informationsgeber verlassen Sie sich? Einerseits haben Sie die Information vom VCI und der BASF, die Zahlen vorrechnen, die absolut nicht haltbar sind, 20.000 Arbeitsplätze wären in der Chemieindustrie in Rheinland-Pfalz gefährdet. Es würden auf die BASF Kosten von 500 Millionen Euro insgesamt innerhalb von 10 Jahren zukommen. Das sind absolute Obergrenzen, die in einem Horrorszenario errechnet wurden.