Protocol of the Session on May 15, 2002

Es spricht Herr Ministerpräsident Kurt Beck.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist gut, dass wir heute diese erste Plenardebatte nach diesen schrecklichen Ereignissen in Erfurt nutzen, um über dieses Thema nachzudenken, um uns mit dem, was an Fragestellungen aufgetaucht ist, was uns ins Bewusstsein gedrungen ist, auseinander zu setzen. Auf diese Art und Weise können wir zeigen, dass Politik den Versuch unternimmt, das Zusammenleben von Menschen zu gestalten, auch wenn es darum geht, die schrecklichsten Ereignisse, die man sich vorstellen kann, in dieses Zusammenleben mit einbeziehen zu müssen.

Es gab eine Zeit, die Tage unmittelbar nach dieser Tat, die der Trauer zur Verfügung stehen mussten. Ich finde, es gab Zeichen der Trauer und der Anteilnahme gerade in Rheinland-Pfalz und hier in Mainz, der Partnerstadt von Erfurt, und in der Partnerschule der betroffenen Schule, des betroffenen Gymnasiums, die uns Respekt abnötigen.

In einem Teil der Presse gab es über die Trauerveranstaltung im Mainzer Dom, getragen vom GutenbergGymnasium, auch kritische Stimmen. Dazu möchte ich sagen, dass Frau Kollegin Ahnen, ich und viele andere hier im Raum an diesem Gottesdienst und an der Gestaltung dieses Gottesdienstes auch durch die Schülerinnen und Schüler und Lehrerinnen und Lehrer teilgenommen haben. Ich habe vor der Art und Weise Respekt empfunden, wie man versucht hat, sich mit diesem schrecklichen Geschehen auseinander zu setzen.

Es ist sicher normal, dass wir uns fragen, wie es so kommen konnte. Wir stellen uns die Frage und versuchen, Antworten abzuleiten, wie es so weit kommen konnte. Wir sollten einer solchen Herausforderung nicht in einer gewissen Hoffnungslosigkeit begegnen. Deshalb glaube ich, dass es richtig ist, was alle Kolleginnen und Kollegen, die hier zu diesem Thema heute Mittag gesprochen haben, ausdrückten. Es gibt weder monokausale Erklärungen für dieses schreckliche Ereignis noch gibt es einfache Antworten, was man tun könnte, um so etwas für die Zukunft zu verhindern. Dennoch müssen wir uns damit auseinander setzen. Dennoch müssen wir die Frage stellen: Gibt es das eine oder andere, was wir tun können, um solche Taten zumindest zu erschweren oder/und solche Taten aufgrund der vorbeugenden Anstrengungen weniger wahrscheinlich werden zu lassen? – Ich glaube, wir brauchen dieses sich mit diesen Fragestellungen auseinander zu setzen, weil wir ansonsten in eine gewisse Art von Fatalismus verfallen könnten und es als gegeben hinnehmen würden und müssten, dass es solche Amokläufe, solche schrecklichen Erfahrungen gibt.

Wir erinnern uns alle, dass es solche immer wieder gegeben hat. Das war in den letzten Jahren in Amerika. Ähnliche schreckliche Erfahrungen haben wir von dort berichtet bekommen. Wir haben in Deutschland erlebt, dass sich ein junger Mensch im Haus seiner Eltern eingeschlossen hat und mit den Jagdgewehren seines Vaters auf unbeteiligte Passanten geschossen hat und sie schwerst verletzt hat. Wir haben erlebt, dass in einem Pariser Vorstadtparlament jemand scheinbar unmotiviert, früher als harmloser Querulant gegolten, plötzlich bewaffnet in dieses Parlament eindrang und Menschen umgebracht hat. Ähnliches geschah in einem Kantonsparlament in der Schweiz. Es ist also kein Ereignis, das neu ist; dennoch ist es in jedem einzelnen Fall wieder schockierend. Wenn es ein junger Mensch ist, der eine solche Tat begeht, dann ist an uns, die Älteren, immer die Frage gestellt: Habt ihr wirklich alles getan, um dies so unmöglich wie nur irgend denkbar zu machen?

Wenn man über so etwas nachdenkt, fragt man sich natürlich: Welch Leid ist den Angehörigen der Lehrerinnen und Lehrer, die dort erschossen worden sind, des Polizeibeamten, der dort erschossen worden ist, der

Schülerinnen und Schüler, die dort zu Tode gekommen sind, zugefügt worden? – Als Eltern empfinden wir sicher alle gleich, dass es das Schrecklichste ist, was man sich vorstellen kann, sein eigenes Kind zu verlieren, noch dazu auf solch eine tragische und sinnlos erscheinende Weise.

Aber es geht uns sicher auch allen so, dass wir uns geradezu mit innerem Schauder in die Situation der Eltern des Täters zu versetzen versuchen, die auch ihr Kind verloren haben. Dies ist mit der Frage verbunden: Was haben wir falsch gemacht, dass mein Kind eine so schreckliche Tat begehen konnte?

Ich glaube deshalb, dass es legitim ist zu sagen, wir müssen darüber nachdenken, ob Erziehung in unserer Gesellschaft den Stellenwert hat, den Erziehung braucht. Kinder und junge Menschen brauchen sicher Freiheiten, brauchen Unterstützung, brauchen Hilfen, brauchen vielfältige kreative Entwicklungsfelder. Aber sie brauchen sicher auch die ordnende Hand, die Grenzen aufzeigt. Wir wissen, Kinder und junge Menschen suchen auch nach diesen Grenzen. Damit will ich weiß Gott nicht Bezug nehmen auf dieses Elternpaar, das in schrecklicher Weise als Eltern dieses Täters betroffen ist. Das steht uns allen nicht zu. Dafür wissen wir alle zu wenig, auch wenn wir in Zeitungen und Zeitschriften noch so aufmerksame und sorgfältig gemeinte Auseinandersetzungen mit diesem Thema und mit dieser Situation lesen.

Wir müssen diese Frage miteinander diskutieren. Ich unterstreiche, was Herr Kollege Böhr gesagt hat. Ich glaube, es kommt auch darauf an, dass die Akzeptanz für das Erziehen in unserer Gesellschaft vorhanden ist. Das fällt eindeutig zentral in die Verantwortung der Eltern. In einer gewissen abgestuften Weise ist dieses Erziehen auch Aufgabe der Kindertagesstätten, der Schulen, von Jugendeinrichtungen und vielen anderen Institutionen, in denen man sich begegnet und in denen junge Menschen ihren Weg ins Leben zu finden hoffen und zu finden haben. Dort muss Erziehung ihren Platz haben. Ich kann nur davor warnen, dies in einen Widerspruch zu den notwendigen Leistungsanforderungen in einer Schule, in einer Weiterbildungs- oder einer sonstigen Einrichtung zu setzen. Es muss versucht werden, die Dinge nebeneinander in einer vernünftig miteinander verzahnten Weise zu positionieren und zu platzieren.

Aber es geht natürlich auch darum, dass wir Fragen an unsere Handlungsfelder stellen. Ich sage es noch einmal ausdrücklich, um nicht missverstanden zu werden. Das sage ich nicht in der Erwartung, dass jemand das Waffenrecht so ändern könnte, dass niemand, der eine solche Tat auf schreckliche Weise plant, an Waffen kommt. Das werden wir aller menschlichen Erwartung nach nicht schaffen; dennoch müssen wir fragen, ob es nach dem Eindruck, den wir nach einer solchen Tat haben, geht, dass wir jetzt ein Waffengesetz umsetzen, das in bestimmten Vereinen und Organisationen die Altersgrenze für den Waffenbesitz von zwölf auf zehn Jahre herabsetzt. Diese Frage muss man stellen. Es mag sein, dass sich an den ursprünglichen Überlegungen, wenn man es allein rational begründen würde, nichts geändert hat. Aber das irrationale Empfinden ist zu beachten, dass, je jünger Menschen sind, bevor sie

unmittelbar in Kontakt mit Waffen kommen, die Verführung ein Stück größer ist, weil die Festigung eines Menschen weniger vorhanden ist. Auch diese emotional gestützte Erfahrung muss ihren Platz haben und hat ein Recht auf das Einfließen in die Gesetzgebung.

Deshalb müssen wir uns sicher mit dem Waffengesetz auseinander setzen. Ich habe nie die Illusion gehabt, dass wir mit dem, was wir über den legalen Waffenbesitz regeln, diese Probleme wirklich in den Griff bekommen. Nach Schätzungen ist ein Vielfaches an Waffen auf dem illegalen Weg in die Bevölkerung im Verhältnis zu dem gelangt, was legal über Schützenvereine, Jägerinnen und Jäger und andere Formen geschehen ist.

Dort gibt es einige Punkte, über die wir nachdenken müssen. Wir sollten es auch tun als einen vernünftigen, nicht überzogenen Punkt des Handelns.

Ich will im Übrigen die Gelegenheit nutzen, an dieser Stelle zu sagen, dass es keinen Grund dafür gibt, den Schützenvereinen oder den Sportlerinnen und Sportlern, die für ihre Sportausübung eine Waffe benutzen, ein Grundmisstrauen entgegenzubringen.

Diese Begründung lässt sich nicht aus dem Ereignis von Erfurt ableiten. Sehr wohl muss trotzdem darüber nachgedacht werden, wie es mit der Verfügbarkeit von Waffen und mit dem Missbrauch durch Dritte beispielsweise, wenn solche Waffen gelagert sind, ist. Wie ist es denn, wenn eine Vielzahl von Schuss an Munition in privater Hand ist? Kann man die ausreichend so schützen, dass sie nicht auch Unbefugten in die Hände fallen?

Das muss überlegt werden, und wir müssen sicher auch überlegen, ob über entsprechende Vorsorge bei der Erteilung der Erlaubnis, eine Waffe zu erwerben, insbesondere wenn es um großkalibrige Waffen geht, nicht noch deutlichere vorbeugende Voraussetzungen geschaffen werden müssen, als dies bisher schon der Fall ist. Das ist legitim. Es ist im Licht einer solchen Erfahrung ein ganzes Stück notwendiger geworden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist auch nicht so, dass jemand ernsthaft behaupten könne, man habe eine abzuleitende Kausalkette zur Hand, die begründet, dass Gewalt im Fernsehen oder in Videospielen eine direkte Ursache für so schreckliche Taten ist. Aber es ist auch umgekehrt falsch, wenn man sagen würde, das habe nichts miteinander zu tun. Mir kann niemand einreden – das lasse ich mir aus der Lebenserfahrung heraus gesagt auch von niemandem, es mag noch so wissenschaftlich daher kommen, ausreden –, dass, wenn man Kinder oder sehr junge Menschen permanent mit extremen Gewaltdarstellungen konfrontiert, sie ihnen ständig vorführt, dies nicht etwas mit der Abflachung der Sensibilität, der Abneigung gegen Gewalt, der Abflachung des Entsetzens zu tun hat, das man empfindet, wenn da Menschen zerrissen werden oder wenn durch das Einschlagen von Geschossen Körperteile herumfliegen und Blut herumspritzt. Das kann mir niemand einreden.

(Beifall der SPD und der FDP)

Deshalb ist es meines Erachtens richtig und notwendig, dass wir darüber nachdenken, ob die einschlägigen Artikel unseres Strafgesetzbuches, die extreme Gewaltdarstellungen Menschen verachtender Art verbieten und unter Strafe stellen – § 131 StGB und andere Regelungen –, ausreichend greifen. Mir wird beispielsweise berichtet, dass sehr selten auf dieser Grundlage Anklagen erhoben werden und diese Anklagen dann auch zu Verurteilungen führen. Ich kann aber nicht feststellen, dass es weniger an solchen Angeboten gibt, wenn ich das verfolge, was in den Indexlisten beispielsweise ausgedruckt worden ist.

Wenn das so ist, dann muss darüber nachgedacht werden – angestoßen und angeregt durch diese schreckliche Tat, nicht einfach Begründungen davon abgeleitet –, ob wir hier klare und eindeutigere Verbote aussprechen und das Sanktionieren mit dem Strafrecht noch deutlicher werden lassen.

Wir müssen sicher auch darüber nachdenken, wie wir mit dem Teil an Videospielen, Fernseh- und InternetAngeboten umgehen, die zwar nicht strafrechtlich verboten sind, aber die für bestimmte Altersgruppen nicht zugänglich sein dürfen, weil sie auf einem Altersindex stehen. Da muss darüber nachgedacht werden, ob wir beispielsweise zulassen können und dürfen, dass Videos über Automaten verkauft werden und über Öffnung von Sonntagsverkaufsverboten dann gerade diese Automatenvertriebsmöglichkeit eine zusätzliche Bedeutung bekommt und einen zusätzlichen Schub erfährt.

(Beifall des Abg. Creutzmann, FDP)

Wer schaut sich das an? Wer übernimmt die Kontrolle? – „Ja“, sagt man, „Da muss man Clubmitglied sein. Da muss man eine Karte haben. Die muss man hineinstecken“. Mit Verlaub, ich bin überzeugt, dass diejenigen Kinder und Jugendliche, die dies wollen, Wege finden, um sich diese Karte zu beschaffen. Wir wissen aus den Jugendschutzregelungen, wo man nur bestimmte Dinge in bestimmten Räumen anbieten darf, wie häufig eingegriffen werden muss. Wie häufig nicht eingegriffen wird und niemand merkt, dass jemand jünger ist, oder es nicht merken will, das entzieht sich logischerweise jeglicher Statistik.

Wir müssen darüber reden, und wir müssen im Zweifelsfall ein gewisses Interesse, das geschäftlich vorhanden ist – das will ich gar nicht abstreiten, das ist auch nicht von vornherein illegitim –, vor dem Hintergrund der Abwägung der Missbrauchsmöglichkeiten ordnen und darüber nachdenken, wie wir uns diesbezüglich verhalten.

Ich glaube, dass wir auch darüber reden müssen, was letztendlich zu bestimmten Uhrzeiten und unverschlüsselt über Internet und via den normalen Fernsehbildschirm auf Kinder und Jugendliche und natürlich auch auf Erwachsene einstürmt und wie wir damit umgehen.

Deshalb habe ich auch meinerseits – ich unterstreiche, was Herr Kollege Kuhn gesagt hat – begrüßt, dass der Bundeskanzler eine Initiative ergriffen hat. Wir haben in der letzten Woche im Kreis der Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler und einem Teil des Bundeskabi

netts zusammengesessen und diese Fragen erörtert. Wir werden morgen eine weitere Gesprächsrunde mit dem Bundeskanzler haben zwischen all denen, die Angebote in diesem Bereich, im medialen Bereich, machen, von den Spieleherstellern über die Videoproduzenten über die Verantwortlichen im Fernsehen etc. Ich werde die Aufgabe haben, als Vorsitzender der Rundfunkkommission für die deutschen Länder diese Gespräche mit zu führen und nach Ansätzen zu suchen.

Ich gehe in diese Gespräche mit der Vorstellung und der Anregung hinein, dass wir ein neues Maß von Selbs tverantwortung und Selbstkontrolle gemeinsam mit den genannten Gruppierungen oder ihren Vertreterinnen oder Vertretern finden. Ich gehe davon aus, dass es möglich sein wird, dass wir definieren, was wo gesendet oder angeboten wird und was aus den Regalen genommen bzw. aus den Sendeleisten herausgenommen werden soll. Ich hoffe, dass es auch gelingt, mit den Providern im Internetbereich hier vernünftige Absprachen zu treffen, wobei ich es für notwendig halte, dass wir spätestens jeweils in Jahresfrist fortlaufend dann diese Selbstverpflichtungen auch einer Selbstkontrolle durch den Kreis unterziehen, der zusammensitzt und diese Verantwortlichkeit definiert hat, weil wir in der Vergangenheit häufig erlebt haben, wie schnell Vorgaben, zu denen man sich verständigt hatte, dann wieder im Alltag weggeflossen sind. Das war hinterher zwar anders, aber eher schlimmer denn besser.

Insoweit müssen wir das auch kontrollieren, und wir müssen die Bereitschaft haben, im Zweifelsfall, wenn es auf diesem Weg nicht funktioniert, möglicherweise auch über wirtschaftsrechtliche Eingriffe, also Verbote beispielsweise bestimmter Automatenvertriebe etc., über entsprechende Regelungen im Jugendschutzrecht, aber auch im Medienrecht Regeln zu suchen, um Auswüchse zu bekämpfen und ihnen zu begegnen.

Das alles und sicher vieles andere mehr muss bedacht werden. Ich sage noch einmal, dies geschieht nicht in der Erwartung, dass, wenn wir dies vernünftig tun, dann sichergestellt ist, dass es zu einer solchen Amoktat nicht mehr kommen kann, aber sicher in der Gewissheit, einen Beitrag geleistet zu haben, solchen Dingen nicht hilflos entgegenzusehen, sondern das Menschenmögliche zu tun, um vorzubeugen und das Unsere zu leisten, was zu leisten man in der Lage ist, ohne die Freiheitswerte und die Verfassungsgrundsätze, auf die es ankommt, in irgendeiner Weise zu verletzen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus, indem man versucht, die Werte, die in unserer Verfassung ausgedrückt sind, auch auf diese Weise gültig zu halten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in diesem Sinn wird sich die Landesregierung bemühen, ihren Beitrag zur Aufarbeitung dieser Erfahrungen zu leisten. Meine Kollegin Frau Ahnen wird zum schulischen Feld nachher noch das eine oder andere anfügen. Ich jedenfalls möchte mich sehr herzlich für diese Debatte und für diese Übereinstimmung in der Grundbeurteilung bedanken. Sie können davon ausgehen, dass wir auf der Grundlage dessen, was hier debattiert worden ist, ver

suchen, unseren Beitrag zu leisten, den Dingen einen vernünftigen Weg nach vorn hinzuzufügen, wie ich hoffe.

(Beifall der SPD und der FDP)

Es spricht nun Herr Abgeordneter Joachim Mertes.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Dass wir diese Debatte in diesem Ton miteinander führen, hat sicherlich seine Ursache in dem schrecklichen Ergebnis des Amoklaufs und weil wir – vielleicht sollte man das auch dazusagen – noch diszipliniert genug sind, angesichts des Schreckens, den wir dort gesehen haben, nicht vorschnelle Schlüsse zu ziehen oder Schuldzuweisungen dem einen oder anderen in die Schuhe zu schieben, mag es auch Wahlkampf sein oder nicht.

Man sollte auch nicht in die Versuchung verfallen, Äußerungen der Vergangenheit aufzuwiegen. Wir wollen in die Zukunft schauen und fragen: Wie kann man etwas in dieser Frage gemeinsam machen, ohne dass ich die Aussage des Kollegen Böhr relativieren will, eigentlich sei das ein Einzelfall, den man so gar nicht in den Griff bekommen könne? – Alle diejenigen, die die Eltern und die Mitglieder des Schützenvereins gehört haben, haben eigentlich nichts feststellen können oder nichts mitteilen können, was von vornherein darauf hingewiesen hätte, es sei eine Gefahr, die sich hier aufbaut, wiewohl die Fragen nach dem Waffenrecht natürlich in aller Ruhe und Gelassenheit zu stellen sind, was wir dort für richtig halten.

Sie wissen, dass ich selbst als ehemaliger Soldat keine persönlichen Schwierigkeiten mit Waffen habe. Aber sie werden ganz anders behandelt wie im zivilen Bereich. Sie werden am Abend sozusagen für alle, für niemanden greifbar weggeschlossen.

Wir müssen diese Fragen diskutieren, ohne jetzt schon Festlegungen zu haben, und zwar die Fragen danach, ob man wirklich einem 10-Jährigen auch unter Aufsicht eine Waffe in die Hand geben soll und man so im Grund einen unbefangenen Umgang mit einer Waffe einüben kann wie mit einem Fußball. Diese Fragen dürfen gestellt werden, und wir müssen sie stellen. Ich stelle sie in aller Zurückhaltung. Es ist die Frage zu stellen, ab wann man Waffen und Munition mit nach Hause nehmen kann, wenn die Geschäftsfähigkeit im allgemeinen Betrieb sozusagen noch nicht erlaubt ist. Man kann mit Dankbarkeit zur Kenntnis nehmen, dass die BundLänder-Arbeitsgruppe nach solchen Wegen sucht.

Zur gleichen Zeit wäre es ein Fehler, die sportliche Arbeit der Schützenvereine deshalb zu diskreditieren, weil ein Mitglied so etwas gemacht hat. Es wäre auch ein Fehler zu glauben, dass es dann, wenn wir alle Maßnahmen im Bereich des Schießsports aufgreifen, die jetzt in der gemeinsamen Debatte sind, keine Möglichkeit gäbe, illegal an Waffen zu kommen. Es gibt Zahlen,

die sagen, es gibt 12.000 angemeldete Waffen in der Landeshauptstadt, aber die Dunkelziffer könnte auch bei 36.000 Waffen liegen.

Das unbefangene Umgehen mit Waffen ist eigentlich das Kernproblem und dass wir zu wenig Augen und Ohren hatten, den Hilferuf eines jungen Mannes, wenn es diesen gab, zur Kenntnis zu nehmen. Aber wer die Eltern unbefangen gesehen hat, konnte sagen, diese waren echt überrascht über das, was als Ergebnis herausgekommen ist. Es gibt überhaupt keinen Stab, den wir deshalb über den Eltern zu brechen haben. Aber die Frage an uns lautet, wie wir durch Maßnahmen ein Stück einschränken können, dass der Zugang zu Waffen zu sehr und zu leicht ermöglicht wird.

Diese berühmte Pumpgun ist nun nicht gerade das übliche Sportwerkzeug für Schützen. Wir alle waren überrascht, dass es dies in dieser Form geben kann. Es kommt bei den Entscheidungen im Waffenrecht darauf an, am Ende eine Situation herbeizuführen, von der man einigermaßen sicher sagen kann, dass nicht zur falschen Zeit falsche Waffen in falsche Hände kommen können. Mehr werden wir nicht erreichen; denn wir wissen aufgrund der Anzahl von illegalen Waffen, wie schwer es sein wird, dies einzuschränken. Aber wenn wir uns als Gesellschaft ein Stück sicherer sein können, den legalen Zugang so kanalisiert zu haben, dass er nicht dazu führt, dass man sie für Mord gebrauchen kann, dann haben wir einen Teil unserer Aufgabe gelöst.

(Beifall der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren, natürlich kommt es darauf an, dass wir uns nicht in den nächsten 30 Tagen, bis die Entscheidung beim Bundesrat auf dem Tisch liegt, mit unterschiedlichen Schuldvorwürfen, wer was wann wie wo gesagt hat, auseinander dividieren. Ich halte dies auch deshalb für wichtig, weil wir jetzt nach diesem Fanal die Chance haben, etwas Gemeinsames zu machen, bei dem wir nach menschenmöglichen Erwägungen das Richtige und Zweckmäßige tun können. Deshalb ist diese Debatte auch so zurückgenommen und so wenig daran orientiert, bestimmte Vorteile für sich zu erhaschen. Wer jetzt versucht, aus diesem gemeinsamen Konsens herauszugehen, der schadet eigentlich der wirklichen Bewertung dieses furchtbaren Unglücks. „Unglück“ muss man wohl auch dazu sagen können.

Lassen Sie uns gemeinsam bei den Fragen nach Nutzung und Unterbringung von Waffen auf die Wege zurückfinden, die wir in den Jahren vor der Verabschiedung dieses Waffengesetzes eigentlich beschritten hatten und hätten auch weiter beschreiten können. Wenn wir das gemeinsam schaffen, dann haben wir die für Menschen mögliche vernünftige Schlussfolgerung aus diesem furchtbaren Unglück gezogen.

Danke schön.

(Beifall der SPD und der FDP)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Keller das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Erfurt, 26. April 2002: Das ist der schwärzeste Tag in der deutschen Schulgeschichte. 16 Menschen wurden vorsätzlich hingemordet, darunter 12 Lehrerinnen und Lehrer.