Protocol of the Session on July 12, 2017

(Vereinzelt Beifall von der CDU – Nadja Lü- ders [SPD]: So sorgfältig, wie die Regierung es will!)

Wir brauchen mehr Menschen mit Zuwanderungsgeschichte im öffentlichen Dienst. Das ist sonnenklar. Bürger, die selbst oder deren Eltern aus dem Ausland stammen, sind in der Judikative, in der Exekutive und, wie man auch hier sieht, in der Legislative in Nordrhein-Westfalen unterrepräsentiert. Das darf uns nicht zufriedenstellen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Jeder wird gebraucht. Zuwanderer haben nicht selten besondere Fähigkeiten: interkulturelle Kompetenz, Mehrsprachigkeit zum Beispiel. Aber wir dürfen die Zuwanderer nicht nur auf diese besonderen Qualitäten reduzieren. Entscheidend bei der Stellenbesetzung müssen die Fachkompetenz und der Charakter des Bewerbers sein.

Das langfristige Ziel, das wir anpeilen müssen, ist eine Einstellung von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte analog ihrem Bevölkerungsanteil, der zurzeit rund 22 % beträgt.

Bisher ist Nordrhein-Westfalen in dieser Disziplin nicht erfolgreich. In Nordrhein-Westfalen liegen wir deutlich darunter. Der Anteil der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte im öffentlichen Dienst beträgt rund 12 %. Ich möchte auch bezweifeln, dass diese 12 % über alle Hierarchien durchgehalten werden.

Die Vermutung besteht, dass die Zuwanderungsgeschichte eines Bewerbers der Grund für eine unbewusste oder hoffentlich nicht bewusste Benachteiligung im Einstellungsverfahren ist.

Es gibt drei Möglichkeiten, was man jetzt tun kann. Die erste Möglichkeit ist: Man lässt der Entwicklung freien Lauf. Die zweite Möglichkeit ist: Man bietet Lösungsvorschläge, die toll klingen, aber wenig bewirken. Die dritte Möglichkeit ist: Man bietet nachhaltige Lösungen.

Zum ersten Punkt: Es ist nicht zufriedenstellend, die Entwicklung weiterlaufen zu lassen. Dann gehen uns wichtige Potenziale und wichtige Talente verloren, und das Ganze dauert zu lange. Wenn wir weitermachen wie bisher, werden wir eine gesunde Mischung im öffentlichen Dienst erst in Generationen erhalten – und nicht in Jahren, wie es unser Ziel ist.

Zur anonymen bzw. anonymisierten Bewerbung: Der Wirkmechanismus soll sein, dass Personalverantwortliche die Bewerbung ungeachtet von Herkunft, Sprache, Hautfarbe oder vermeintlicher Religionszugehörigkeit

(Nadja Lüders [SPD]: Und Geschlecht!)

auswerten. Die Bewerbung kommt sozusagen auf den richtigen Stapel, und die Stelle wird diskriminierungsfrei vergeben. Damit ist dann alles gut.

Es wird aber nicht alles gut. Das zeigen die enttäuschenden Zahlen in Nordrhein-Westfalen. Der Mythos der anonymen Bewerbung als Mittel für gerechtere Einstellungsverfahren muss hinterfragt werden.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Statt den Personalentscheidern bereinigte und damit langweilige Lebensläufe vorzulegen, sollten wir sie fit machen im Umgang mit Vielfalt in Einstellungsverfahren. Wir müssen das Rad dabei nicht neu erfinden. Bereits in der letzten Legislaturperiode haben wir den Antrag gestellt, die DIN 33430 – sperriger Name, aber richtiges System – einzuführen. Dabei geht es um ein Schulungsprogramm, das Entscheider systematisch fit macht zum Thema „Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung“, sie sensibel macht für unbewusste diskriminierende Entscheidungsmuster und sie darin schult, objektive, an den Qualitäten orientierte Entscheidungsprozesse durchzuführen.

Wir hatten dazu eine Sachverständigenanhörung, die eindeutig war.

(Minister Dr. Joachim Stamp nickt.)

Das Fazit war: Die anonyme Bewerbung greift zu kurz, um Diskriminierung bei der Einstellung zu verhindern.

Die Einstellenden müssen fit für Vielfalt im öffentlichen Dienst gemacht werden. Leider hat Rot-Grün unseren Antrag damals mit Mehrheit abgelehnt.

Wir müssen an dieser Stelle also Folgendes sehen: Nichtstun ist nicht die Lösung. Die anonyme Bewerbung greift zu kurz. Wir müssen die DIN 33430 als ein Fitmachen von Verantwortlichen für Vielfalt durchführen.

Die christlich-liberale Koalition meint es ernst, wenn es darum geht, guten Bewerbern mit Zuwanderungsgeschichte faire Chancen zu geben.

Deswegen ist im Koalitionsvertrag auch eine weitere Handlungsoption angesprochen. Wenn wir wollen, dass Menschen sich vollständig integrieren, muss es auch möglich sein, dass Menschen mit Zuwanderungsgeschichte auf eigenen Wunsch ihren Namen ändern lassen können, wenn sie ihn selbst für ein Hindernis für die Integration halten.

Wenn auch aus anderen Beweggründen, kennen wir die Namensänderung von Spätaussiedlern und von aramäischen Mitbürgern, deren altbiblische Namen in einer damaligen Säuberungsaktion des türkischen Staates im letzten Jahrhundert durch türkische Begriffe ersetzt worden waren.

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Wenn wir mehr gute Mitarbeiter mit Zuwanderungsgeschichte im öffentlichen Dienst haben wollen, dürfen wir den Zuwanderern mit der anonymisierten Bewerbung nicht Chancengleichheit vorgaukeln, wo keine ist. Die anonyme Bewerbung ist ein dürftiges Feigenblatt für die nicht zufriedenstellenden Bewerbungschancen von Zuwanderern im öffentlichen Dienst.

In Zeiten von Globalisierung und demografischem Wandel müssen wir Entscheider fit machen für Vielfalt im öffentlichen Dienst. Wir dürfen kein Talent links liegen lassen. Schließlich brauchen wir die besten Leute für unser Land. Dafür brauchen wir keine Placebos, sondern wirksame Maßnahmen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Rehbaum. – Für die AfD hat Herr Dr. Vincentz das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! 40,4 Stunden arbeitet der deutsche Arbeitnehmer wöchentlich im Schnitt. Die Zeit mit dem Ehepartner, also solche, die auch wirklich als Zeit zu zweit genutzt wird, in der man nicht schläft, isst oder die Kinder irgendwo abholt, beläuft sich durchschnittlich in Deutschland auf 20,5 Stunden pro Woche.

An der Arbeitsstelle und mit den Kollegen verbringen wir also mitunter mehr Zeit als in der Familie. Wenn wir uns alle einmal an die eigene Nase fassen, stellen wir fest, dass wir als Landtagsabgeordnete mit den vielen Terminen und Sitzungen durchaus auch in diese Gruppe gehören.

So sollte doch vor allem auf dem Arbeitsmarkt und auch vor der Ehe gelten: Drum prüfe, wer sich ewig bindet. – Ich bin froh, dass ich meine Ehefrau bereits vor der Ehe namentlich wie persönlich kannte; hier lernt man viel übereinander.

Was ich jetzt überspitzt formuliere, ist aber genau das, was man versucht, zu verhindern. Eine Anonymisierung der Bewerber hindert mich aktiv daran, den Menschen in seinem vollem Umfang kennenzulernen. Dazu gehören nun einmal auch sein Geschlecht, das Aussehen, die Herkunft sowie religiöse und weltliche Überzeugungen. Und warum auch nicht? Erst alle Puzzlesteine machen das gesamte Bild.

Also warum ein solches Verfahren? Warum fordern Sie, dass ebendiese Details weggelassen werden sollen? Die Bewerbung wird um gewisse Eigenschaften reduziert. Ein solches Verfahren suggeriert doch gerade dem Bewerber automatisch, einen Makel zu haben.

(Beifall von der AfD)

Ist das das Ziel, welches Sie erreichen wollen?

Jetzt werden Sie sagen: Nein, das Problem liegt doch nicht am Bewerber, sondern an denen, die mit dem Bewerber ein Problem haben. – Ja, richtig. Aber das werden wir nicht beheben, indem wir ein Symptom, nicht aber die Ursache der Diskriminierung bekämpfen. So verschiebt sich das Problem allenfalls im Bewerbungsprozess. Der Bewerber mag vielleicht häufiger eingeladen werden. Sollte aber seine Hautfarbe oder Religion vorher ein Problem gewesen sind, wird sie es an dieser Stelle ebenso sein.

Das Symptom wird behandelt, nicht das Problem. Die Frau wird ihres Frauseins beraubt,

(Zuruf von der SPD: Meine Güte!)

der Ältere seiner Erfahrung. Das kann ich nicht als Gleichberechtigung durchgehen lassen. Das ist eine neue Form der Normierung.

(Beifall von der AfD)

Zumal der Versuch, eine wirklich Anonymisierung zu erreichen, oftmals zwecklos ist. Ein 20-jähriger Bewerber wird nicht 30 Jahre Berufserfahrung in seiner Bewerbung stehen haben. Der Besuch eines Frauengymnasiums bleibt häufig exklusiv den Damen vorbehalten. Ehrenamtliches Engagement beispielsweise in einer Moschee ist oft auf die Religion beschränkt.

Wie möchte ich verhindern, dass jemand seine Schlüsse daraus zieht, und – viel wichtiger – warum? Wann begreift auch die SPD, dass ein kultureller Hintergrund auch ein Vorteil sein kann? Komplizierte Verhandlungen auf Arabisch lasse ich doch lieber durch einen Muttersprachler führen.

Gleichberechtigung herrscht dann, wenn Frauen wie Männer, Ausländer wie Einheimische, Jung wie Alt gleiche Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, und zwar mit all ihren Eigenschaften.

(Beifall von der AfD)

Der Antrag ist wie so oft gut gemeint und dennoch völlig verfehlt. Es gilt, Intoleranz und Unwissenheit abzubauen und diese nicht auch noch zu institutionalisieren. Darum empfiehlt die AfD, die Anonymisierung auf jeden Fall aufzuheben. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vielen Dank. – Für die FDP hat nun der Kollege Lenzen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal ist festzuhalten – und

das ist mir besonders wichtig –, dass wir uns in diesem Hause im Ziel weitestgehend – möglicherweise mit einer Ausnahme – einig sind.

(Zuruf von der AfD: Haben Sie nicht zuge- hört?)

NRW mit seinen Grenzen zu Belgien und zu den Niederlanden – man kann auch sagen: im Herzen Europas – war schon immer ein Einwanderungsland. Wir in NRW werden auch in Zukunft, wenn wir unseren Wohlstand, die Stabilität in unseren sozialen Sicherungssystemen und den Charakter unseres Landes erhalten wollen, ein Einwanderungsland bleiben – nicht nur, weil wir es müssen, sondern auch, weil wir es wollen.

(Beifall von der FDP)