Ich bekomme immer nur den Hinweis – das können Leute aus Gelsenkirchen besser beantworten –, dass plötzlich aus allen Ecken und den Häusern Leute mitgelaufen sind. In diesem Bereich wohnen offensichtlich so viele Menschen, die das Thema interessant fanden – ich sage es einmal vorsichtig – und sich angeschlossen haben. Die kamen nicht von weit her; das geht gar nicht so schnell.
Danke schön, Herr Minister. – Herr Watermeier stellt seine zweite und letzte Frage. Bitte, Herr Watermeier.
Herr Minister, ich möchte zunächst Ihre Frage aufgreifen. Der Demonstrationszug bewegte sich doch durch die Gelsenkirchener Innenstadt, durch die Fußgängerzone, die auch in Pandemiezeiten nicht verwaist ist.
Sie haben vorhin ausgeführt, die Polizei könnte nicht so in eine Versammlung eingreifen und untersagen, dass gelaufen wird. Meine Erfahrung mit der Anmeldung und der Durchführung von Demonstrationen im Austausch mit der Polizei ist etwas anders: Man redet sehr wohl über den Demoweg und bekommt eine sehr deutliche Ansage, wenn man sich unabgesprochen bewegt.
Das hatte erkennbar ein anderes Eskalationspotenzial als eine Schülerdemo, was ich unumwunden einräumen will, aber ich frage Sie noch einmal: Ist der Versuch gemacht worden, diese Demonstration in der Gelsenkirchener Fußgängerzone zumindest zeitweise zum Stehen zu bringen? – Das mag einsatztaktisch sinnvoll sein, um mehr Kräfte heranführen zu können oder um zu unterbinden, dass die vor die Synagoge kommen. Aus meiner Sicht hat es nicht mehr viel mit einer Kundgebung zu tun, vor einer Synagoge antisemitische Parolen zu brüllen.
Herr Präsident! Herr Abgeordneter, ich kann die Frage nicht hundertprozentig beantworten. Das will ich auch gar nicht versuchen – das hat ja keinen Sinn –, weil ich gar nicht weiß, ob wir über dieselbe Straße reden; das müsste man zunächst einmal sicherheitshalber klären.
Es ist wohl der direkte Weg vom Bahnhof zur Synagoge gewählt worden; das ist der Teil, den ich kenne. Dass dann einer der anfänglich acht Polizisten versucht hat, die aufzuhalten, kann ich nicht ausschließen, halte ich aber für unwahrscheinlich; ich weiß es aber nicht. Das müssen wir klären; wir sagen Ihnen gerne noch eine Auskunft zu.
Rein mathematisch sind nur noch vier Polizisten vor Ort, wenn acht Polizisten merken, dass sich ein Zug bewegt, und vier von denen direkt zur Synagoge gehen, um die zu sichern.
Wenn dann 20, 30 oder 40 andere dastehen – das vermute ich; das ist aber meine Sicht der Dinge –, halte ich es für relativ unwahrscheinlich, dass man versucht, einen solchen Zug noch aufzuhalten. Dann passt man eher auf, dass das geordnet vorangeht, und sorgt dafür, dass neue kommen, damit am Ort des Geschehens, wo das Problem ist, einfach nichts passieren kann.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Herr Minister, Sie haben gerade angedeutet, dass man Täter anhand der Videoaufnahmen identifiziert hat, weil sie vorher schon polizeilich bekannt waren; so habe ich es aufgefasst. Sind die auch hinsichtlich ihrer Gesinnung polizeilich erfasst worden, dass sie sich also schon mal antisemitisch geäußert haben oder in dieser Richtung unterwegs waren? Haben Sie Erkenntnisse darüber, dass die Personen, von denen Sie sprechen, in dieser Hinsicht wie an diesem unseligen Mittwoch tätig geworden sind?
Herr Präsident! Herr Abgeordneter, ich habe Sie ganz schlecht verstanden. Wenn ich Sie nicht richtig verstanden habe, bitte ich Sie, noch einmal nachzufragen.
Durch die Video- und Bildaufnahmen, die wir bisher ausgewertet haben, haben wir bei der Anzahl der Personen, die ich genannt habe, festgestellt, dass sie sich in dieser Art und Weise geäußert haben; das kann man zuordnen. Bei fünf Personen können wir auch sagen, wer es ist, also Namen, Identität. Bei einem Fall ist eindeutig klar, dass es staatsschutzrelevante Dinge gewesen sind, bei einem von den fünf. Aber das ist noch nicht abschließend.
Vielen Dank, Herr Präsident! Herr Wolf, ich möchte noch einmal auf die Frage des Formats eingehen. Ich will hier ganz deutlich und klar sagen: Es ist absolut wichtig, dass der Landtag von Nordrhein-Westfalen ein deutliches Zeichen gegen Antisemitismus setzt und auch solche Einsätze selbstverständlich nachbereitet. Mir ging es einzig und allein um das Format. Ich zumindest habe so viele Fragen, dass ich sie nicht in nur zwei Fragen packen kann, die mir hier zur Verfügung stehen. Einzig und allein darauf bezog sich meine Bemerkung. Der Minister freut sich sicherlich auf die Diskussion, die wir morgen im Ausschuss führen werden.
Eine Frage hätte ich noch. Ich würde mich gerne von den Tätern entfernen und auf die Opfer schauen. Welche Hilfestellungen, welche Kontaktaufnahme gibt es seitens des Landes – das Wort ist ein bisschen groß –, seitens staatlicher Stellen zu den jüdischen Gemeinden, die möglicherweise und verständlicherweise auch durch die aktuellen antisemitischen Anfeindungen verunsichert sind?
Herr Präsident! Frau Kollegin, Frau Abgeordnete! Das sind unterschiedliche Facetten. Erstens finde ich gut, dass die Polizei, als das im Angang war, die jüdische Gemeinde zweimal telefonisch kontaktiert hat. Zweitens ist nachher mit der jüdischen Gemeinde Kontakt aufgenommen worden.
Die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen, Frau Neuwald-Tasbach, hat gegenüber einer größeren Zeitung erklärt: Wir sind seitdem in großer Sorge, aber die Polizei hat diese Demonstration gestern vor der Synagoge aufgehalten und wird uns auch weiter schützen. Dafür sind wir ihr sehr dankbar.
Ich empfinde das nicht als Beweihräucherung, das brauchen wir wirklich nicht. Aber es ist gut, dass aus diesem Bereich – wir hatten ja die größte Sorge – jemand der Betroffenen sagt: Die Polizei hat das gut gemacht.
Drittens zu der Frage, die Sie angesprochen haben, was weiterhin passiert. Ich habe für diese Woche … Ich wäre aber dankbar, wenn wir das jetzt … Es ist schwierig, wir tagen öffentlich, ja?
Ich habe für diese Woche – ich nenne jetzt keinen Termin – die Vertreter der jüdischen Gemeinden zum Gespräch eingeladen. Unabhängig davon, ob
Gelsenkirchen passiert ist oder nicht – jetzt ist der Zeitpunkt, zu dem man in Ruhe überlegen muss: Machen wir genug oder machen wir nicht genug? Wo müssen wir was verbessern?
Ich habe seit den Angriffen in Hanau und auch in Sachsen-Anhalt gelernt, dass die eigentliche Frage, wenn man ganz ehrlich ist, nicht die Frage der Polizisten ist – das ist symbolisch elementar –, sondern die wichtigste Frage ist: Wie sichern wir die Einrichtungen? Es geht also um die Technik, mit der wir die Häuser, die Synagogen, die Schulen schützen.
Da hat das Land Nordrhein-Westfalen ja eine bombastische Geschichte. Das ist nicht jetzt erst erfunden worden, sondern seit ewigen Zeiten, Raus Zeiten und anderen, ist immer viel investiert worden. Wir geben – ich habe die Summen nicht im Kopf – jedes Jahr sehr viel Geld dafür. Und das ist gut so. Das ist viel besser investiert als alles, was manchmal so aufgeregt diskutiert wird. Sichere Türen, Alarmanlagen, Fenster – das ist elementar. Das haben wir auch in Sachsen-Anhalt gesehen. Wenn das Gebäude sicher ist, ist es das Allerbeste. Ich meine, es ist fürchterlich, dass man über so etwas reden muss. Aber erst einmal heißt es ja, alle Menschen zu schützen.
Der zweite Teil ist die Polizei. Das ist jetzt massiv hochgefahren worden, ohne dass ich da Details nenne – wie damals, kann ich sagen. Aber wir werden auch darüber nachdenken müssen: Was müssen wir sonst noch machen?
Ich war im letzten Jahr schon einmal in der jüdischen Schule hier in Düsseldorf. Trotz allen Schutzes der Synagogen trifft mich das, wenn ich ehrlich bin, nicht ganz so wie die Geschichten der Schülerinnen und Schüler, die mir erzählen, sie würden mit dem Bus zur Schule gefahren und beschützt. Ich weiß noch, wie ich zur Schule gefahren bin, auch mit dem Bus, aber so wie ich wollte, mit wem ich wollte und wann ich wollte – nicht ganz: den Schulbeginn musste ich schon beachten.
Das ist ein irrer Vorgang, dass Kinder und junge Leute von uns oder von eigenen Leuten beschützt werden müssen und nicht zur Schule gehen können, wie sie wollen. Wenn sie mit der S-Bahn fahren wollen, kriegen sie schon ein Problem. Diese Stimmung, diese Haltung, dass so etwas überhaupt möglich ist, das ist das eigentliche Problem.
Ich will nicht kleinreden, was wir machen. Das müssen wir alles machen. Aber am Ziel sind wir erst, wenn wir es gar nicht mehr machen müssen. Genau das ist der Punkt.
Herr Minister, das ist alles richtig. Ich würde Ihnen auch zustimmen, dass es am Ende erst dann gut ist, wenn wir das nicht mehr brauchen, weil es sich in der Tat auch um massive Sicherungsmaßnahmen handelt, die da ergriffen werden müssen.
Meine Frage zielt noch einmal auf den Mittwoch in Gelsenkirchen, auf den 12. Mai. Am selben Tag geben Sie noch eine Presseerklärung ab, in der Sie ankündigen, die polizeilichen Maßnahmen zu verstärken und auch im Objektschutz noch einmal nachzuarbeiten.
Wir hatten auch schon vor dem Vorfall in Gelsenkirchen an den Synagogen überall 24 Stunden, 7 Tage die Woche – zumindest an den meisten; jedenfalls kenne ich es von Düsseldorf – sehr intensive Objektschutzmaßnahmen. Deswegen wäre die Frage: Was war denn an dem Tag in Gelsenkirchen? War aus Ihrer Sicht der Objektschutz fehlerhaft oder nicht ausreichend? Wie gesagt haben Sie ankündigt, das noch mal zu überprüfen. Wie sah der Objektschutz aus?
Ach so. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Frau Düker, der Objektschutz hat eine bestimmte Stärke, die nicht an allen Objekten gleich ist. Das ist der Regeltatbestand. Wir haben dann – eben haben wir über die BKA-Einschätzung geredet, über das LKA – eine höhere Sensibilisierung erreicht und gesagt: mehr Streifen. Am 12. haben wir dann den nächsten Schritt eingeleitet und verstärkt. In Gelsenkirchen war an dem Termin schon die 24-StundenBewachung gegeben. Es war schon umgesetzt. Das wollten Sie ja wissen.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, ich stimme absolut mit Ihnen überein, dass es schlimm ist, dass diese Schutzmaßnahmen überhaupt notwendig sind. Aber die letzten Tage und Wochen haben leider noch einmal die Notwendigkeit deutlich gemacht.
In diesem Zusammenhang möchte ich Sie noch mal fragen, bezogen auf das gesamte Land, also auf ganz NRW: Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung zu gestiegenen antisemitischen Straftaten seit Beginn der vergangenen Woche?