Protocol of the Session on April 29, 2015

schriften gleichsam im Handstreich durch Geheimdienste oder potenzielle Helfer an anderer Stelle unterlaufen werden können?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, um es deutlich zu sagen: Man kann Sinn und Zweck der Überwachungstätigkeit westlicher Geheimdienste im Gefolge von 9/11 politisch unterschiedlich bewerten; was man aber nicht unterschiedlich bewerten darf, ist die Tatsache, dass es dabei klar definierte Grenzen geben muss.

(Beifall von der FDP)

Das fängt bei den Bürger- und Menschenrechten an und hört bei Staat und Wirtschaft auf. Besonders perfide – „perfide“ passt in diesem Zusammenhang ganz gut – muss es aber erscheinen, wenn das Spionageziel selbst den Spion noch mit Rat und Tat unterstützt. Das ist im Grunde das Gravierendste und Folgenschwerste, was eine solche Affäre hervorbringen kann.

Wenn die Bürgerinnen und Bürger das Vertrauen in die Lauterkeit, in die Rechtschaffenheit der demokratischen Institutionen und in die Rechtstreue der politischen Führung verlieren, wird der Boden für populistische Rattenfänger und Verschwörungstheoretiker bereitet. Eine solche Lage wiederum bereitet antidemokratischen Strömungen den Weg – und das ist das Letzte, was ich mir für unser Land und für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes wünsche.

(Beifall von der FDP und den PIRATEN)

Erstens gilt es daher, jetzt die Aufklärung in dieser Sache dringend und zügig voranzutreiben. An dieser Stelle weise ich noch einmal ausdrücklich auf die bestehenden Verdachtsmomente gegen den gegenwärtigen Bundesinnenminister hin. Wer an so prominenter Stelle Mitglied der aktuellen Bundesregierung ist, der muss sich dann auch erklären. Ich bin sehr gespannt, ob wir mit einer solchen Erklärung rechnen dürfen, oder ob – wie in den Medien bereits spekuliert wird – „tagespolitische Notwendigkeiten“ eine Aufklärung wieder einmal aufs Neue verzögern oder verhindern werden. Schließlich hatte de Maizière mit Frank-Walter Steinmeier einen prominenten Amtsvorgänger.

Zweitens werden wir uns insbesondere, aber nicht nur, auf Bundesebene noch einmal intensiv mit Aufgabe und Rolle der deutschen Geheimdienste zu befassen haben, jedenfalls für sämtliche Fälle der internationalen Zusammenarbeit. Diese Zusammenarbeit muss möglich sein; sie darf aber nicht dazu führen, dem eigenen Land Schaden zuzufügen, die eigenen Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen auszuspähen und ihre Privat- oder Geschäftsgeheimnisse ausländischen Geheimdiensten preiszugeben.

Ich komme zum Schluss. Wenn wir über das Thema „Geheimdienstreform“ sprechen, dann in zweierlei

Hinsicht: Die rechtlichen Voraussetzungen und Grenzen der internationalen Zusammenarbeit bedürfen klarerer, streng definierter Regeln, und die Aufsicht über die Geheimdienste muss effektiver und strenger werden, was zunächst aber voraussetzt, dass sie überhaupt stattfindet. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Lürbke. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Landesregierung und auch dem nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz liegen zu den im Raum stehenden Vorwürfen und Vorfällen keine Erkenntnisse vor.

(Zuruf von den PIRATEN)

Das hat einen einfachen Grund: Die Handlungs- und Kontrollverantwortlichkeit liegt allein beim Bund. Der Bundesnachrichtendienst ist eine Behörde, die unmittelbar dem Bundeskanzleramt zugeordnet ist. Das heißt, das Bundeskanzleramt hat die Aufsicht inne. Die parlamentarische Kontrolle obliegt dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Deutschen Bundestages. Insofern sind die in Rede stehenden Vorwürfe, sofern sie zutreffen, ausschließlich Angelegenheit des Bundes.

Gleichwohl fordern die Länder – die Landesämter für Verfassungsschutz – beim Bund Aufklärung in dieser Sache ein; denn der Schutz der nordrheinwestfälischen Unternehmen vor Wirtschaftsspionage besitzt für uns eine hohe Priorität. Außerdem – das habe ich hier im Parlament schon mehrfach betont – hat Wirtschaftsspionage das Potenzial, Existenzen zu zerstören.

Wie Sie wissen, entstehen Innovationen in der Regel nicht von heute auf morgen, sondern sind oft das Ergebnis jahrelanger Forschung. Ein Spionageerfolg kann diese hart erarbeiteten Ergebnisse auf einen Schlag zunichtemachen. Deshalb ist es das Ziel dieser Landesregierung, die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen im Vorfeld rechtzeitig auf die Gefahren hinzuweisen.

Die Unternehmen sind hier gefordert, ihre Eigenverantwortung wahrzunehmen.

Wir setzen auf Prävention durch Sensibilisierung, damit bereits vor Ort und vor einem Angriff Schutzmechanismen greifen. Dieses Ziel wollen wir durch Teamwork erreichen. Die Sicherheitspartnerschaft gegen Wirtschaftsspionage und Wirtschaftskriminalität wurde bereits im Jahr 2001 ins Leben gerufen, und sie ist heute wichtiger und gefragter als je zuvor. Mitglieder dieser Partnerschaft sind unser Verfassungsschutz, unsere Polizei, das Wirtschaftsmi

nisterium, der Verband für Sicherheit in der Wirtschaft und die Industrie- und Handelskammer.

Die Sicherheitspartnerschaft ist ein wichtiger Baustein, wenn es darum geht, in diesem Land gegenseitige Kompetenzen auf Augenhöhe zusammenzubringen. Jedes Mitglied soll den eigenen Sachverstand einbringen. Durch die Mitgliedschaft der Multiplikatoren ist die Chance besonders groß, möglichst viele Unternehmen zu erreichen und sie vor Wirtschaftsspionage zu schützen.

Ein solches Hand-in-Hand zwischen den Sicherheitsbehörden eines Landes und eines Unternehmens ist sicherlich keine Selbstverständlichkeit – das ist auch in anderen Bundesländern nicht unbedingt selbstverständlich –, sondern es ist ein Beweis für ein sehr gewachsenes Vertrauensverhältnis zwischen den Sicherheitsbehörden und den Unternehmen in Nordrhein-Westfalen.

Auch über diese Kooperationen hinaus steht unser Verfassungsschutz als kompetenter Ansprechpartner für alle Unternehmen in Nordrhein-Westfalen zur Verfügung. Das Angebot, in die Unternehmen zu gehen und dort über Bedrohungen und Schutzmechanismen zu informieren, wird rege nachgefragt. Allein im letzten Jahr hat unser Verfassungsschutz in mehr als 200 Veranstaltungen und Einzelgesprächen auf Gefahren hingewiesen und Empfehlungen ausgesprochen. Insgesamt wurden so über 5.700 Multiplikatoren der nordrhein-westfälischen Wirtschaft erreicht.

Ich finde, das sind Zahlen, die sich sehen lassen können. Besonders erfreulich ist, dass eine Vielzahl der Unternehmen die Empfehlungen tatsächlich umsetzt und eine weitere Begleitung beim Schutz vor Wirtschaftsspionage wünscht.

Ich will an dieser Stelle und in diesem Rahmen darauf hinweisen, dass diese Gespräche auf Wunsch der Unternehmen selbstverständlich vertraulich behandelt werden. Insofern werbe ich ausdrücklich dafür, das Angebot unserer Sicherheitsbehörden tatsächlich zu nutzen, und zwar nicht immer erst dann, wenn etwas passiert ist, sondern, wenn man Schaden verhindern will, diese Beratungen möglichst frühzeitig in Anspruch zu nehmen.

Darüber hinaus setzen wir nicht nur bei der Wirtschaftsspionage, sondern beim Schutz von Cyberkriminalität auf den engen Kontakt zur Wirtschaft. Bestes Beispiel ist die Sicherheitskooperation Cybercrime, die BITKOM und unser LKA im Jahr 2011 miteinander geschlossen haben. In diesem Cybercrime-Kompetenzzentrum beim Landeskriminalamt stehen rund um die Uhr, 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche kompetente Ansprechpartner bei Fragen und für Hinweise bereit. Auch hier werbe ich dafür, dass nordrhein-westfälische Unternehmen dieses Angebot bei vermuteten Straftaten konsequent nutzen.

Trotz allem muss eines klar sein: Eine hundertprozentige Sicherheit kann es nie geben – egal, wie gut sich unsere Unternehmen gegen Angriffe absichern. Es muss daher in erster Linie darum gehen, die Risiken so weit wie möglich zu minimieren. Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz tut alles, um die Unternehmen in Nordrhein-Westfalen hierbei zu unterstützen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Die nächste Wortmeldung ist von der FDP angemeldet. Herr Kollege Bombis.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, sehr geehrte Herren! Richtig ist – es ist bereits angesprochen worden –, dass wir noch zu wenig konkrete Anhaltspunkte haben; aber die Berichte, dass sich deutsche Behörden an Wirtschaftsspionage gegenüber deutschen Unternehmen beteiligen, sind auf jeden Fall besorgniserregend.

Die Institutionen des Staates müssen die Bürger schützen, und sie müssen demzufolge selbstverständlich auch die Unternehmen, die Unternehmer sowie die Mitarbeiter dieser Unternehmen in diesem Land schützen. Deswegen ist es richtig, dass wir uns Sorgen machen über diesen Aspekt der Wirtschaftsspionage.

Ich möchte in drei kurzen Punkten sagen, warum ich der Auffassung bin, dass es richtig ist, dass wir uns als Land Nordrhein-Westfalen mit dieser Thematik auseinandersetzen.

Der erste Punkt – es ist eben schon angesprochen worden –: Wir haben bereits vor etwa anderthalb Jahren darüber gesprochen, dass wir als Land die Unternehmen darin unterstützen müssen, selber mehr gegen Wirtschaftsspionage zu tun. Sicher kann man darüber diskutieren, ob das genug ist.

Wir als Freie Demokraten sind der Auffassung, dass es auf jeden Fall noch Ansatzpunkte gibt. Bei der Vielzahl der Unternehmen, die wir hier im Lande haben, sind zwei Mitarbeiter, die für diesen Bereich zuständig sind, vielleicht eine etwas zu überschaubare Zahl.

Entscheidend ist aber noch viel mehr, dass es an Schizophrenie grenzt, wenn wir in NordrheinWestfalen – auch von behördlicher Seite aus – versuchen, Unternehmen dabei zu unterstützen, sich gegen Wirtschaftsspionage zu wehren, zugleich aber auf der Bundesebene andere Behörden aus Berlin,

(Beifall von der FDP und den PIRATEN)

angeblich kontrolliert, diese Unternehmen mit ausspionieren.

Diese Landesregierung muss in Berlin deutlich machen, dass das gegen die Interessen nordrheinwestfälischer Unternehmen verstößt. Diese Landesregierung muss deutlich machen, dass Aufklärung notwendig ist. Wir als nordrhein-westfälischer Landtag tun gut daran, diese Aufklärung deutlich einzufordern.

(Beifall von der FDP und den PIRATEN)

Noch ein zweiter Punkt ist wichtig: Wir alle wissen – wir betonen es ja immer wieder –, dass der einzige wesentliche Rohstoff in diesem Land „Wissen und Bildung“ ist. Wir alle wissen auch, dass die Veredelung dieses Rohstoffes „Wissen und Bildung“ durch die Innovationen und die Innovationsfähigkeit der Bürger und der Unternehmen in diesem Land geschieht.

Deswegen ist es entscheidend, dass der Veredlungsprozess von Wissen zu Innovationen in diesem Land nicht von Misstrauen und damit von Selbstzensur gehindert ist. Es ist wichtig, dass wir die Grundlage für Wachstum und Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen erhalten. Darum ist es notwendig, dass sich die nordrhein-westfälische Landesregierung gegen neue Bemühungen im Bund – wie etwa die Vorratsdatenspeicherung – wehrt, damit eben nicht anlasslos völlig blind irgendwelche Daten gespeichert werden.

Sonst schaffen wir ein Klima des Misstrauens. Damit schaffen wir kein Klima der Innovationsfähigkeit. Hier hätte ich mir gerade von dem grünen Koalitionspartner in der nordrhein-westfälischen Landesregierung eine etwas deutlichere Stimme erhofft und erwartet. Das ist eine Aufgabe, die wir auch in NRW verfolgen müssen.

(Beifall von der FDP und den PIRATEN)

Ein dritter Punkt – auch er ist bereits angesprochen worden –: Natürlich müssen Unternehmen in Nordrhein-Westfalen selber etwas für ihren Schutz tun. Wir als Land Nordrhein-Westfalen – und insbesondere die Landesregierung von Nordrhein

Westfalen – müssen die Unternehmen aber hierbei unterstützen. Seitens der Behörden müssen klare Kontrollen und Grenzen – Marc Lürbke hat es angesprochen –gesetzt werden, die natürlich auch auf Bundesebene eingeführt werden müssen.

Wir müssen Angebote für unsere Unternehmen in Nordrhein-Westfalen machen und ihnen entsprechende Kapazitäten geben, sodass sie sich selber schützen können. Wir dürfen sie nicht immer weiter durch Bürokratie und durch neue Abgaben an anderer Stelle belasten. Das ist ein wesentlicher Punkt, den wir uns hier in Nordrhein-Westfalen zum Schutz der Unternehmen vornehmen können.

(Beifall von der FDP)

Ein weiterer Punkt in diesem Zusammenhang: Wir diskutieren das Freihandelsabkommen, das derzeit auf Bundesebene und auf europäischer Ebene

thematisiert wird, hier in Nordrhein-Westfalen viel zu sehr nach den Kriterien der Oberbedenkenträger. Herr Bolte hat in der letzten Debatte zum TOP „Wirtschaftsspionage“ vor anderthalb Jahren sehr deutlich gesagt – und darin stimme ich ihm ausdrücklich zu –, dass wir natürlich nicht alles über internationale Abkommen regeln können, dass aber gerade dieses Freihandelsabkommen auch wechselseitige Chancen bietet. Ich habe es im Plenarprotokoll nachgelesen, Herr Bolte.

Die Redezeit.

Sie haben gesagt, dass es auch wechselseitig Chancen bietet, zu klaren Vereinbarungen zu kommen. Da haben Sie uns Freie Demokraten an Ihrer Seite. Aber dann müssen Sie das als nordrhein-westfälische Landesregierung auch bei Ihrem Bundeswirtschaftsminister einfordern, meine Damen und Herren.