Protocol of the Session on May 15, 2014

Ich möchte nun noch auf die Strukturen zu sprechen kommen. Wofür sollen Strukturen denn gut sein, wenn sie den Bedürfnissen der Betroffenen nicht gerecht werden? Das, was die Regierung bisher vorgelegt hat, ist lediglich eine riesige Montgolfiere, eine Aufblähung von bürokratischen Struktu

ren ohne jeglichen effektiven und praktischen Nutzen. Wollte man behinderte Menschen tatsächlich in das Alltagsleben einbinden und inkludieren, ginge das ganz einfach: Dazu müssten alle Entscheidungsträger lediglich einmal vier Wochen mit einem der Betroffenen zusammenleben. Das könnte man wunderbar in den anstehenden Parlamentssommerferien arrangieren. Dann würden Sie begriffen haben, wo die tatsächlichen Probleme stecken. Das würde sicherlich auch im Bereich der Inklusion sehr schnell einiges bewegen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Bürgerinnen und Bürger, ich bin am Ende meiner Ausführungen angekommen und sage vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN und der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Fricke. – Nun spricht für die Landesregierung Herr Minister Schneider.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Fricke, da Sie eben anmerkten bzw. feststellten, dass die Landesregierung keine erkennbaren konstruktiven Ergebnisse vorzulegen hat, möchte ich Ihnen diesen Band empfehlen.

(Der Redner hält eine Broschüre hoch.)

Dazu möchte Ihnen Folgendes sagen: Kaum ein Programm der Landesregierung enthält derart detaillierte Programmpunkte sowie nachprüfbare Ausführungen zu deren Umsetzung. Mehr will ich zu Ihrem Beitrag an dieser Stelle gar nicht anmerken.

Frau Doppheide, Sie haben mich etwas enttäuscht.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Doppmeier! Aber macht nichts!)

Doppmeier! Entschuldigung! Und das muss ausgerechnet mir passieren, obwohl wir doch aus einer Stadt kommen. Aber das ist, glaube ich, auch schon fast das Ende unserer Gemeinsamkeiten; das gilt gerade für diesen Punkt.

(Zuruf von der CDU: Oh!)

Sie erinnern mich an eine Parole aus der Studentenbewegung, die da lautete: „Wir wollen alles, und zwar sofort!“ – Nehmen Sie doch zur Kenntnis – darauf hat Herr Alda ja hingewiesen –, dass wir, wenn es um Inklusion geht, eine völlige Umkehrung der bisherigen Kultur vornehmen müssen. Insofern ist Inklusion so etwas wie eine kleine Kulturrevolution, und zwar im Denken und später auch im Handeln aller Beteiligten.

Wenn Sie jetzt einfordern, dass wir unsere Maßnahmen konkretisieren sollen, indem wir ein jeweils Datum für die Umsetzung einer Maßnahme festschreiben, dann ist das im Grunde genommen das Gegenteil von Inklusion. Das erinnert mich an man

chen Fünfjahresplan: Darin war wirklich viel heiße Luft; es waren zwar Daten enthalten, die aber mit wenig Substanz versehen waren.

Wir haben – wie kein anderes Bundesland – einen Inklusionsbeirat, der die Aktivitäten mitbestimmt. Wir ordnen darin nichts par ordre du mufti an und sagen: „Bis 12/2017 hat das und das zu geschehen“, sondern im Rahmen unserer Planung gibt es ergebnisoffene Prozesse. Deshalb ist die Umsetzung dieses Programms in der Tat mit dem Prinzip „Auch der Weg ist das Ziel“ verbunden. Und das unterscheidet uns eben von anderen.

Im Übrigen weise ich nochmals auf Folgendes hin: Gehen Sie nach Bayern, gehen Sie nach Sachsen, gehen Sie nach Brandenburg – überall werden Ihnen insbesondere die Beauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderungen mitteilen, dass Nordrhein-Westfalen in dieser Hinsicht nicht nur programmatisch, sondern auch in der Praxis ganz vorne steht.

Bei allen Mängellisten, die Sie hinsichtlich der Situation des Landes immer versuchen vorzulegen, müssen Sie auch zur Kenntnis nehmen, dass wir in diesem Zusammenhang wirklich vieles vollbracht haben und dass dies auch in der Szene der Menschen mit Behinderungen und deren Verbänden akzeptiert wird.

Ich verstehe auch nicht, dass man darauf besteht, dass im Beirat ausschließlich Menschen mit Behinderungen tätig sein sollen. Auch das ist das Gegenteil von Inklusion.

Ich nehme jedem Mitglied eines behindertenpolitischen Verbandes ab, dass er sich mit der Materie beschäftigt hat. Aber: Wir wissen auch relativ genau über den Dreißigjährigen Krieg Bescheid, obwohl kaum jemand von uns dabei war. Dieses Gerede, hier müssten unmittelbar Betroffene tätig sein und ihre Stimme erheben, ist das Gegenteil von Inklusion.

(Beifall von der SPD)

Im Übrigen sind in unserem Inklusionsbeirat natürlich auch Menschen mit Behinderungen vertreten. Selbstverständlich! Sie werden aber über ihre Verbände delegiert. Machen Sie sich auch dort sachkundig!

Ich bin Herrn Alda für den Hinweis dankbar, dass wir im zuständigen Ausschuss mal mit Vertretern des Inklusionsbeirates zusammenkommen sollten. Der Ausschussvorsitzende wird diese Anregung sicherlich konstruktiv aufgreifen. Ich finde sie sehr, sehr wichtig.

(Beifall von der SPD)

Zum Sport! Allein das MAIS fördert den Sport von Menschen mit Behinderungen – wenn ich das richtig im Kopf habe – mit etwa 500.000 € im Jahr. Natürlich streben wir auch hier Inklusion an. Wir sind

aber auch in einem sehr engen Kontakt mit den Spitzen der Behindertensportverbände. Und die sagen uns: Behindertensport wird durch Inklusion nicht gänzlich überflüssig. – Auch da weise ich darauf hin: Das ist doch kein Mechanismus. Auch hier werden wir auf eingefahrene Strukturen in einem gewissen Zeitraum, den wir uns selbst setzen, nicht verzichten können. Natürlich ist gemeinsamer Sport ein sehr wichtiges Thema, aber eben nicht insofern, als dass Behindertensportvereine zukünftig keine Aufgaben mehr haben.

Meine Damen und Herren, noch einmal: Ich glaube, wir können mit dem, was wir bisher geschaffen haben, wirklich in die Zukunft gehen. Die Tatsache, dass wir dieses Thema bisher im Plenum nicht behandelt haben, hängt mit einer sehr engen Zeitplanung zusammen. Ursprünglich sollte der Plan hier nach der Verabschiedung vorgestellt werden. Darauf haben wir verzichtet. Wir ziehen jetzt eine Zwischenbilanz.

Dass wir weiter vorankommen, wird auch daran deutlich, dass wir zukünftig in allen Regierungsbezirken ein Kompetenzzentrum Selbstbestimmt Leben haben werden. Warum jetzt noch nicht? – Das kostet Geld. Wir werden Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds in die Hand nehmen, um hier flächendeckend ein wirklich gutes KompetenzzentrenNetzwerk zu installieren, das auch ganz praktische Hilfen gibt, wenn es um Kontakte mit Behörden und andere Dinge geht. Das können Sie wunderbar in Köln oder in Dortmund, wo jetzt schon Kompetenzzentren tätig sind, nachvollziehen und sich erklären lassen.

Inklusion ist auch deshalb relativ kompliziert, weil wir es hier mit unterschiedlichsten Ebenen zu tun haben: mit der Ebene der Kommunen, der der kommunalen Spitzenverbände, der des Landes und der des Bundes. Da gibt es einen Bedarf an Abstimmungen, die Zeit in Anspruch nehmen. Und auch hier gilt: Lieber ein Gespräch mehr als ein Gespräch weniger. Die Ergebnisse, die über diesen Weg erzielt werden, sind dann vielleicht etwas besser, als wenn wir über Mehrheitsentscheidungen versuchen würden voranzukommen.

Ich kann Sie nur noch mal bitten, weiter mitzumachen. Ich verstehe, dass Opposition immer drängen muss. Das liegt in der Rolle der Opposition.

Im Übrigen, das mit der Belletristik für Insider – besser: Fachliteratur für Insider; Belletristik soll ja bekanntlich nicht nur den Menschen, die sich unmittelbar mit dieser Literatur beschäftigen, offenstehen, sondern da kann man auch mal etwas lesen, obwohl man nicht so drin ist. – Sie haben recht: Hier gibt es Vermittlungsprobleme. Deshalb haben wir unseren Plan ja auch in einfacher Sprache herausgegeben: damit Betroffene nachvollziehen können, was die Landesregierung hier will.

Also Ich nehme einige interessante Anmerkungen mit, verstehe natürlich das politische Spiel und hoffe, dass wir dennoch beieinander bleiben, um Inklusion voranzubringen. – Danke schön.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister Schneider. – Nun spricht für die CDUFraktion Frau Doppmeier.

Herr Minister Schneider, lassen Sie mich einen Konsens herausstellen – ich glaube, da spreche ich im Namen aller Abgeordneten hier –: Ich denke, unser aller Ziel ist es, Nordrhein-Westfalen zu einer inklusiven Gesellschaft zu entwickeln.

(Beifall von der CDU)

Da müssen wir sicherlich alle in der gleichen Richtung gehen. Nur die Frage ist: Gehen wir Trippelschritte oder nehmen wir die Meilenstiefel? Und genau das ist unsere Anregung. Wir sagen: Steigen Sie um vom Bummelzug in den ICE! Lassen Sie es mal ein bisschen fixer vorangehen!

(Beifall von der CDU – Zuruf von Günter Garbrecht [SPD])

Das ist eine Tatsache. Aber man kommt schnell voran.

Lassen Sie mich ganz kurz – ich habe nicht mehr viel Redezeit – zu dem Thema „barrierefreies Wohnen“ sprechen. Wir hatten hier gestern ein Werkstattgespräch, in dem Menschen mit Behinderungen – an die 80 Menschen waren hier – uns gefragt haben: Warum passiert da nichts? Warum wird die Landesbauordnung nicht endlich so geändert, dass wir die Möglichkeit haben, schneller barrierefreie Wohnungen zu bekommen? Warum gibt es nicht bei den Kommunen ein Verzeichnis über Wohnungen, die barrierefrei sind?

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Das könnte ja vom Land festgelegt werden. Da wurde uns das Beispiel genannt, dass dann, wenn ein Behinderter, der die Wohnung für seine Bedürfnisse hat umbauen lassen, auszieht, ein Rückbau dieser Wohnung stattfinden muss. Auch das dürfte heutzutage nicht mehr sein.

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Ein letztes Beispiel: Den energetischen Umbau von Wohnungen unterstützen wir überall landesweit und bundesweit. Warum können wir da nicht sagen, ein energetischer Umbau von Wohnungen muss immer mit einem barrierefreien Umbau von Wohnungen kombiniert sein? Dann wären wir schon ein großes Stück weiter.

Sie sehen: Es gibt ganz viele kleine konkrete Schritte. Wenn wir die wirklich gehen, dann, glaube ich, werden wir auch die Betroffenen viel mehr mitnehmen können und nach und nach eine größere Zufriedenheit erreichen, als wir sie bisher haben. – Danke schön.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Frau Doppmeier. – Nun habe ich auf der Rednerliste für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Scheffler.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um gleich darauf einzugehen, was die Frau Kollegin Doppmeier gesagt hat: Für uns gilt auch bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Ich warne da vor Schnellschüssen.

Die Koalitionsfraktionen wollen alle Menschen mitnehmen. Wir wollen vor allen Dingen auch die Menschen mit Behinderung mitnehmen. Dann reden wir lieber einmal mehr. Dann veranstalten wir lieber einen Termin mehr und machen eine Sitzung mehr und die Beteiligungsstrukturen stimmen, und alle sind hinterher mit im Boot, genauso wie wir im Landtag eigentlich wollen, dass alle Fraktionen mit im Boot sind.

Deswegen tut es mir leid, dass Sie heute hier einen Entschließungsantrag vorgelegt haben, der den Fraktionen bisher nicht bekannt war. Ich glaube, wir haben bisher als Koalitionsfraktionen noch kein Gespräch über das Thema „Inklusion und Rechte für Menschen mit Behinderung“ abgelehnt. Deswegen tut es mir leid, dass Sie diesen Schnellschuss hier in dieser Frage gemacht haben und nicht dafür gesorgt haben, dass wir ganz eng beieinander bleiben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)