Protocol of the Session on July 11, 2013

Ja, die Situation ist schlimm. Das stimmt. Keine Frage. Das will ich auch in keiner Weise mindern. Aber der von Ihnen angeführte Bericht zeigt zum einen, dass es im Vergleich von 2011 zu 2012 nur einen leichten Anstieg gegeben hat und keinen massiven, wie Sie es darstellen. Im Vergleich zu 2010 ist die Zahl sogar gefallen. Gleichzeitig gab es 2012 3,1 % weniger Verletzte als noch 2011. Das ist unstreitig immer noch zu viel. Ich denke, darüber besteht Konsens.

Die Frage ist aber: Wie können wir das ändern? – Fakt ist: Eine Annahme Ihres Antrag trüge ohne Zweifel nicht dazu bei.

Primär wollen Sie – das geht aus Ihrem Antrag sogar wörtlich hervor – eine Verschärfung des Strafmaßes oder eine härtere Bestrafung der Täter. Zu dem eben Gesagten, dass das alles ohnehin nichts bringt, wie schon festgestellt wurde, möchte ich noch Folgendes ergänzen:

Sie führen an, dass es im Bereich des § 113 zu wenig und zu milde Urteile gibt. – Aber dafür gibt es Gründe.

Zunächst einmal schützt § 113 nicht die Polizeibeamten als Person. Denn genau dafür existieren andere Straftatbestände, nämlich genau dieselben, die auch jeden anderen Menschen schützen. In erster Linie schützt § 113 die Vollstreckungshandlung als solche und damit das Gewaltmonopol des Staates. Denn Handlungen, bei denen ausschließlich § 113 greift, sind nur solche leichterer Art, wie zum Beispiel das Festhalten am eigenen Lenkrad, um von Polizeibeamten nicht aus dem Auto gezogen werden zu können, was laut BGH-Rechtsprechung Gewalt im Sinne des § 113 darstellt. Gleiches gilt für das Herauswinden aus einem Haltegriff.

Bei allen anderen schwereren Taten ist ohnehin schon ein höheres Strafmaß vorgesehen, wie zum Beispiel für die Körperverletzungsdelikte nach §§ 223 ff. StGB.

Kumulativ tritt zum ohnehin schon geringeren Unrechtsbewusstsein bei Widerstandshandlungen

auch noch die besondere Vollstreckungssituation hinzu sowie der gegebenenfalls strafmildernde Alkoholisierungsgrad, sodass die Strafobergrenze beim § 113 ohnehin fast nur symbolische Bedeutung hat.

Das ist der Grund, warum die Situation so ist, wie Sie sie in Ihrem Antrag darstellen, und nicht, weil die Richter ein Herz für Straftäter hätten. Das ist nicht der Grund.

Schließlich haben Sie sich offensichtlich überhaupt keine Gedanken darüber gemacht, welche Konsequenzen eine Verschärfung des Strafmaßes, wie Sie es vorschlagen, nach sich ziehen würde. § 223 StGB sieht für die einfache Körperverletzung ein Höchststrafmaß von fünf Jahren vor. Leichte Körperverletzung wird zu Recht höher bestraft als die Widerstandshandlung nach § 113, weil beim Tatbestand der Körperverletzung ein konkreter Verletzungserfolg zugrunde gelegt wird. Deshalb wird ein Täter, wenn er einem Polizisten einen Faustschlag verpasst, nach § 223 und gerade nicht nach § 113 bestraft. Leistet er aber „nur“ einen Widerstand, ohne den Polizisten zu verletzen oder die Absicht dazu zu haben, wie zum Beispiel beim eben genannten Festhalten am Lenkrad, dann und nur dann greift § 113 ausschließlich und allein.

Für die einfache Körperverletzung ist aber keine Mindeststrafe vorgesehen. Die Annahme Ihres Änderungsvorschlages hätte zur Folge, dass zum Beispiel das Festhalten am eigenen Lenkrad aufgrund der von Ihnen gewollten sechsmonatigen Mindeststrafe in aller Regel höher bestraft werden würde, als würde der Täter jemanden tatsächlich schlagen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das ist ein Widerspruch, den ich nicht verstanden habe. Den können Sie mir vielleicht in einer Ausschussdebatte erklären. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Kutschaty das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die bisherige Debatte hat gezeigt, dass wir uns in einem wesentlichen Punkt einig sind, nämlich Gewalttaten zu verabscheuen und zu verurteilen. Ich darf Ihnen sagen, dass Sie die nordrhein-westfälische Landesregierung stets auf Ihrer Seite haben, wenn wir uns darüber unterhalten, welche Maßnahmen sinnvoll und geeignet sind, die Beschäftigten des Landes Nordrhein-Westfalen wirksam vor Gewalt zu schützen.

Doch wir streiten uns darüber, was ein solches taugliches Mittel ist. Man hört häufig, bei manchen Teesorten sei der zweite Aufguss besser als der erste. Ob das wirklich der Fall ist, weiß ich nicht, darf Ihnen aber sagen: Der weitere Aufguss dieses Antrags ist nicht besser als der aus der letzten Legislaturperiode. Der war damals schon nicht gut, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Lassen Sie mich das verdeutlichen: Schon die Ausgangsthese der CDU-Fraktion, dass die Täter im Falle von Gewalt gegen Polizeibeamte meist ungeschoren davonkämen, ist durch nichts belegt. Herr Kruse, woher nehmen Sie diese Behauptung? Sie tun gerade so, als würden Staatsanwaltschaften und Gerichte in Nordrhein-Westfalen Gewalttaten gegen Polizistinnen und Polizisten verharmlosen. Diese Behauptung ist durch nichts belegt, frei erfunden. Im Gegenteil sage ich Ihnen ganz deutlich: In unseren Gerichtssälen herrscht keine Toleranz gegenüber Gewalttaten.

Darüber hinaus belegt Ihre Behauptung – was fast noch schlimmer ist, wie es Herr Kollege Schatz schon angesprochen hat –, dass Sie offensichtlich die Systematik des Strafrechts nicht verstanden zu haben scheinen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Denn § 113 StGB bezweckt nicht in erster Linie den Schutz der Vollstreckungsbeamten als Personen, sondern der Vollstreckungshandlung als solcher. Dieser Paragraf dient nämlich dem Schutz staatlicher Vollstreckungsakte. Wenn hingegen jemand Opfer einer Gewalttat wird, erfährt er den Schutz durch die qualifizierten und ausgewogenen Körperverletzungstatbestände. Deren Strafrahmen reichen weit über die des § 113 StGB hinaus, selbst wenn dieser vor eineinhalb Jahren noch einmal verschärft wurde. Dass der Strafrahmen der qualifizierten Körperverletzungsdelikte von bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe nicht ausreichen würde, kann hier niemand ernsthaft behaupten.

§ 113 StGB ist hingegen häufig schon verwirklicht, ohne dass überhaupt Gewalt angewendet worden ist. Strafbar können nämlich schon bloße Drohungen oder etwa das Verriegeln einer Tür sein. Dass dabei ein Amtsträger zu Schaden kommt, ist gerade nicht Voraussetzung für § 113 StGB. Jemanden, der beispielsweise eine Tür von innen verriegelt oder – das war das andere Beispiel – sich am Lenkrad eines Autos festhält, zwingend mit einer Mindestfreiheitsstrafe von sechs Monaten zu belegen, ist nicht nur unverhältnismäßig, sondern nach Ihrer Antragsbegründung, so hoffe ich, überhaupt nicht bezweckt.

Deswegen müssen Sie sich einfach die Frage stellen lassen: Was soll dieser Antrag überhaupt, Herr Kruse?

Meine Damen und Herren, der Schutz vor Gewalt und deren Folgen hat – wie ich von dieser Stelle aus schon mehrfach betont habe – für die Landesregierung höchste Priorität. Allerdings beschränke ich mich ausdrücklich nicht auf die Fälle, die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte betreffen, sondern das muss für alle Menschen in NordrheinWestfalen gelten.

Natürlich leisten die Polizei und die Justiz jeden Tag zweifelslos hervorragende Arbeit für uns. Dafür verdienen sie unsere volle Anerkennung. An dieser Stelle sage ich immer gerne einen herzlichen Dank an die Kolleginnen und Kollegen aus Polizei und Justiz für ihren täglichen Einsatz.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Selbstverständlich kann ich allerdings auch verstehen, dass Opfer von Straftaten harte Straftaten verlangen. Häufig kann ihnen eigentlich keine Strafe hart genug sein. Doch es gehört gerade zum Wesen eines Rechtsstaats, dass hierüber unabhängige Gerichte entscheiden. Das ist auch gut so, meine Damen und Herren. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU-Fraktion, ich hoffe nicht, dass Sie das ernsthaft in Zweifel ziehen wollen.

Sie müssen sich tatsächlich auch die Frage stellen lassen, warum Sie Ihren Antrag nicht auf dem letzten CDU-Bundesparteitag eingebracht haben. Im

Bundestag haben Sie im Augenblick noch eine Mehrheit. Es ist eigentlich schon absurd, dass eine Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag, die einer Partei angehört, die in Berlin regiert, die nordrhein-westfälische Landesregierung um Hilfe bittet, in Berlin etwas zu regeln, was sie selber in Berlin nicht geregelt bekommen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Ganz offensichtlich haben aber wenigstens Ihre Kolleginnen und Kollegen in der CDU-Bundestagsfraktion die geringe Sinnhaftigkeit Ihrer Forderungen nach der Einführung einer Mindeststrafe bei § 113 StGB erkannt. Sie wissen ganz offensichtlich, dass das nicht zielführend ist.

Ihr Antrag aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, hier im nordrhein-westfälischen Landtag ist in Wahrheit reiner Etikettenschwindel. Sie wissen ganz genau, dass Sie mit diesem Antrag die Kolleginnen und Kollegen von Polizei und Justiz nicht wirksam schützen können. Dann müssten Sie nämlich beantragen, dass auch die Körperverletzungsdelikte in ihrem Strafrahmen deutlich verschärft werden. Das wissen Sie auch.

Unsere Beamten brauchen im Arbeitsalltag Anerkennung und Rückendeckung. Heute tun Sie so, als würden Sie sich vor die Beschäftigten in Polizei und Justiz stellen, während Sie gestern noch großflächigen Personalabbau gefordert haben. So sieht keine Rückendeckung im Alltag aus, meine Damen und Herren.

Wie gesagt, wenn Sie die Kolleginnen und Kollegen wirklich schützen wollen, ist die Landesregierung an Ihrer Seite. Doch wenn Sie nur Effekthascherei betreiben wollen, brauchen Sie dafür eine eigene Mehrheit. Mit unserer Mehrheit wird Ihnen das hier nicht gelingen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister Kutschaty! – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wir sind somit am Ende unserer Beratungen angelangt und kommen zur Abstimmung, die wir trotz der Mittagspause vornehmen können, weil uns zu diesem Tagesordnungspunkt eine einvernehmliche Überweisungsempfehlung des Ältestenrates vorliegt:

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/3442 an den Innenausschuss – federführend – sowie an den Rechtsausschuss. Die abschließende Beratung und Abstimmung sollen im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dieser Überweisungsempfehlung zustimmen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Gibt es Gegenstim

men? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist diese Überweisungsempfehlung entsprechend einstimmig angenommen.

Ich darf auf den zuvor debattierten Tagesordnungspunkt 3 zurückkommen. Auch dort ist noch der Überweisungsempfehlung des Ältestenrates Folge zu leisten. Ich rufe die Abstimmung dazu auf:

Der Ältestenrat empfiehlt zu Tagesordnungspunkt 3 die Überweisung des Antrags Drucksache

16/3434 an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk – federführend –, an den Ausschuss für Europa und Eine Welt, an den Haushalts- und Finanzausschuss, an den Hauptausschuss sowie an den Innenausschuss. Die abschließende Beratung und Abstimmung sollen im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Ich darf auch hier fragen, wer dieser Überweisungsempfehlung zustimmen möchte? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? Das ist nicht der Fall. Damit ist auch der Tagesordnungspunkt 3 endgültig abgehandelt.

Ich rufe auf:

5 Einsetzung einer Kommission zur Reform der

Nordrhein-Westfälischen Verfassung (Verfas- sungskommission)

Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion der CDU, der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der Fraktion der FDP und der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/3428 – Neudruck

Ich eröffne die Beratung und erteile für die erste der antragstellenden Fraktionen Herrn Kollegen Herter das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Liebe Zuhörenden und Zuhörer! Uns liegt ein gemeinsamer Antrag aller Fraktionen vor, der seinen Ursprung in der Koalitionsvereinbarung von Bündnis 90/Die Grünen und SPD hat. Sie hatten miteinander vereinbart, eine Verfassungskommission für das Land Nordrhein-Westfalen vorzuschlagen.

Nun ist diese Verfassungskommission nicht intendiert und nicht eingerichtet worden, um einen rotgrünen Koalitionsvertrag abzuhandeln, sondern sie ist mehr. Sie ist die gemeinsame Plattform dafür, sich diese Verfassung in einem bestimmten Teil anzuschauen und Schlüsse zu ziehen, wo wir sie besser machen können.

Wir werden mit diesem Allparteien- bzw. Allfraktionen-Antrag auch der Situation gerecht, in der sich

diese gute Verfassung befindet. Nicht nur das Land Nordrhein-Westfalen befindet sich in guter Verfassung; es hat auch eine gute und bewährte Verfassung. Das wird allein daran deutlich, dass trotz ihres langjährigen Bestehens nur 20 Änderungen vorgenommen werden mussten. Nur für 20 Änderungen fand sich die verfassungsändernde Mehrheit von zwei Dritteln.