Protocol of the Session on June 19, 2013

(Matthi Bolte [GRÜNE]: Ist das Neuland?)

dass über diese Medien intensiv Daten ausgetauscht werden, müssen Sie heute die Frage beantworten – Herr Bolte, Sie auch, oder Sie lassen sie durch Frau Schäffer beantworten –: Was hätten Sie tun können, damit die 15 Versuche, die bis jetzt in Deutschland verhindert wurden, gar nicht erst stattgefunden hätten? – Mit den Mitteln, die wir hier

haben, hätte kein einziger verhindert werden können.

Diese Schwäche schließt Ihr Gesetz nicht aus. Karlsruhe lässt auch da Maßnahmen zu. Nur, wir haben nicht einmal darüber nachgedacht, sie aufzunehmen. Sie letztlich aufzunehmen ist eine ganz andere Frage. Es ist für mich etwas grundlegend Unterschiedliches zu sagen: „Darüber diskutiere ich überhaupt nicht“, weil ich emotional nicht will – das ist populistisch – oder zu debattieren: „Welche Möglichkeiten gibt es? Was wären die notwendigen Folgen?“, um dann festzustellen: Die Folgen will ich nicht. – Mit all dem bin ich einverstanden. Aber Sie schließen es komplett aus.

(Zuruf von der CDU: So ist es!)

Das ist ein grundlegender Fehler und eine grundlegende Schwäche.

Auch beim Datenaustausch muss sich der Innenminister einmal fragen, ob es sich noch lohnt, seine Auseinandersetzung mit dem Bundesinnenminister zu führen.

(Minister Ralf Jäger: Es lohnt sich immer!)

Ja, klar, Herr Jäger. Es lohnt sich ja vielleicht wirklich immer. Nur, damit erreichen Sie Ihre Ziele nicht.

Sie erreichen Ihre Ziele auch nicht, wenn es um die Aussage geht: Wir wollen die Schwächen, was die NSU angeht, ausmerzen, beseitigen und Vertrauen wecken. – Das können wir gleich in der zweiten Runde noch besprechen. Diese Dinge fehlen.

Sie geben auch keine Antwort darauf, was die elektronischen Endgeräte angeht. Sie geben in dem Gesetz keine Antworten darauf, was wir mit den Botschaften, die ausgetauscht werden, machen. Heute sind 70 % der Informationen, die ausgetauscht werden, bereits kryptiert, ohne noch zu dechiffrieren zu sein, weil das Kryptierprogramm inzwischen richtig gut ist. In gar nicht langer Zeit werden wir laut IT-Techniker 100 % haben.

Dann gibt es nur noch die Chance, an der Quelle an Informationen zu kommen. Aber Sie sagen: All das wollen wir nicht.

Das sind die Schwächen, zu denen Sie keinen Ton sagen. Sie sagen: „V-Leute, ist doch alles prima“, aber es ist nichts Neues. Zu den Fragen der Herausforderungen der Zukunft sagen Sie in diesem Gesetz wirklich nichts. Da hätten wir Antworten von Ihnen erwartet oder zumindest gerne mit Ihnen debattiert. Aber diese Debatte ist auch in den Ausschüssen ausgeblieben. Dieser Schwäche müssen Sie sich heute stellen.

Wir als CDU haben wenige Änderungen beantragt, die Sie alle abgelehnt haben. Ich muss sie im Einzelnen nicht wiederholen. Wir hätten sie für richtig gehalten, auch was die Öffentlichkeit des Gremiums angeht. Denn dadurch, dass ein Gremium öffentlich tagt über Inhalte, die nicht unbedingt in die Medien

landschaft gehören, werden Sie keine größere Transparenz schaffen, weil Sie die Informationen gar nicht bekommen. Von daher: Wenn ich ein Kontrollgremium will, muss ich ihm auch den Raum schaffen, in dem kontrolliert werden kann. Das wird in diesen Situationen nur nichtöffentlich gehen.

Lassen Sie mich zum Schluss etwas zum Entschließungsantrag der Piraten sagen. – Die Sachverständigenanhörung hat ergeben, dass der Gesetzentwurf mehrere inhaltliche und handwerkliche Punkte enthält, über die man debattieren kann. Wir haben es gerade versucht; wir haben angefangen. Dass er aber darüber hinaus in Teilen verfassungswidrig sein soll, können wir nicht nachvollziehen. Deswegen werden wir diesen Antrag ablehnen.

(Beifall von der CDU)

Ich mache mal eine Pause, damit ich für die nächste Runde noch etwas Zeit habe. Wir werden sehen, worüber wir uns noch weiter austauschen können.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Biesenbach. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Schäffer.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass wir nach wie vor dieselbe Fassungslosigkeit teilen über die menschenverachtenden Morde der rechtsterroristischen Gruppe NSU. Wir teilen wohl auch die Fassungslosigkeit darüber, dass die Sicherheitsbehörden an diesem Punkt so eklatant versagt haben, dass die Morde nicht aufgeklärt und verhindert wurden.

Klar ist auch, dass Aufklärung und Aufarbeitung der NSU-Morde noch lange nicht abgeschlossen sind, sondern weiterhin in Untersuchungsausschüssen im Bundestag, aber auch in entsprechenden Landtagen und durch den NSU-Prozess, über den uns jeden Tag die Medien informieren, betrieben werden. Es ist völlig klar, dass wir die Aufklärung auch auf politischer Seite weiter betreiben müssen.

Deshalb kann für mich das Verfassungsschutzgesetz nur ein erster Schritt sein, aber es ist ein wichtiger Schritt. Denn das Verfassungsschutzgesetz regt die Diskussion bundesweit an. Wir müssen die Diskussion über die Sicherheitsarchitektur weiterführen und die Notwendigkeit von Reformen aus Nordrhein-Westfalen heraus deutlich machen. Mit der VSG-Novelle sprechen wir wichtige Punkte an, die auch bundesweit Maßstab sein können.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dazu zählen insbesondere die Regelungen für den V-Leute-Einsatz. Herr Biesenbach, ich musste gerade so lachen, als Sie sagten, Herr Jäger könnte gleich mal vorstellen, was bisher angewandt wurde

und was jetzt wirklich neu sei. – Nein, das kann er halt nicht, weil das der Geheimhaltungspflicht unterliegt. Genau das ist das Problem: Wenn wir über den Verfassungsschutz sprechen, reden wir über viele Sachen, die wir hier gar nicht öffentlich machen können, die in Geheimakten liegen, weil sie der Geheimhaltungspflicht unterliegen. Ich finde, das beschreibt unser Problem sehr gut und weshalb wir mehr Transparenz und mehr Öffentlichkeit brauchen und die Regelung für den V-Leute-Einsatz klar gesetzlich festschreiben wollen, um öffentlich mit den Bürgerinnen und Bürgern diskutieren zu können:

(Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD])

Was sollen V-Leute dürfen? Wann müssen V-Leute abgeschaltet werden?

V-Leute sollen in Zukunft nicht mehr abhängig sein dürfen vom Verfassungsschutz – weder finanziell noch von V-Mann-Führern. Sie dürfen keine Führungspositionen bekleiden, wie es vor einigen Jahren der Fall war, als es um das erste NPDVerbotsverfahren ging. Sie dürfen auch keine Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen. Wenn sie das tun, werden sie abgeschaltet oder dürfen gar nicht erst angeworben werden, wenn es in der Vergangenheit passiert ist.

Frau Kollegin Schäffer, Entschuldigung. Ich hätte gerne die Lücke gesucht, die Sie mir aber nicht gelassen haben. Deswegen muss ich auch Sie in einem Satz unterbrechen. Auch bei Ihnen gibt es von Herrn Kollegen Biesenbach den Wunsch nach einer Zwischenfrage.

Frau Kollegin Schäffer, können Sie mir bitte einmal sagen, was an der Fassung dieses Gesetzes im Vergleich zum bisherigen Gesetz geheim gewesen sein soll? Das hätte ich ja gerne gehört. Da bin ich erstaunt, dass Dinge im Geheimen liegen oder beraten werden sollen.

Ich weiß nicht, Herr Biesenbach, ob Sie Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium sind. Wenn man das alte Gesetz und den Gesetzentwurf nebeneinanderlegt, sieht man, dass die Regelungen für den V-Leute-Einsatz bisher nicht gesetzlich festgeschrieben waren.

Sie haben sie auch vorher nicht bekommen. Wenn Sie Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium sind oder waren, dürfen Sie bisher nicht öffentlich darüber reden. Sie dürfen momentan nicht sagen, welche Regelungen wir für den Einsatz von VLeuten haben. Das dürfen Sie nicht, weil es der Geheimhaltungspflicht unterliegt.

Dadurch, dass wir es in das Gesetz hineinschreiben, kann ich mit den Bürgerinnen und Bürgern diskutieren und sagen: Das sind für uns die Haltelinien. Diese Kriterien legen wir an, wenn wir über V-Leute reden, zum Beispiel dass sie nicht finanziell abhängig sein dürfen. Ob das vorher der Fall war – ja oder nein –, das darf ich hier schlichtweg nicht sagen. Das ist aus meiner Sicht eine wichtige Änderung auch im Vergleich zu dem, was vorher im Gesetz stand, Herr Biesenbach.

(Beifall von den GRÜNEN)

Neben den dann im Gesetz festgeschriebenen Regelungen und Kriterien für den V-Leute-Einsatz wollen wir ermöglichen, dass das Parlamentarische Kontrollgremium nicht, wie bisher, nur geheim tagen darf. Wir wollen ermöglichen, dass es auch öffentliche Sitzungen geben darf.

Ich gebe Ihnen sehr recht, Herr Dr. Orth, Herr Biesenbach: Natürlich darf das Parlamentarische Kontrollgremium nicht den Innenausschuss ersetzen. Wir wollen nicht die politischen Debatten, die wir im Innenausschuss führen und auch führen müssen, in der öffentlichen Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums führen. Darum geht es auch nicht. Es geht jedoch durchaus darum, wenn wir zum Beispiel im Parlamentarischen Kontrollgremium Sachverhalte aufklären können, diese auch an die Öffentlichkeit zu bringen. Das ist momentan nicht der Fall. Selbst wenn wir die Vereinbarung im Parlamentarischen Kontrollgremium haben zu sagen, wir haben hier einen Sachverhalt, den wir gemeinsam aufgeklärt haben, er wäre frei für die Öffentlichkeit, gibt es momentan nicht die Möglichkeit, es öffentlich zu machen.

Schon heute ist es so, dass wir Sachverhalte im Parlamentarischen Kontrollgremium diskutieren, die durchaus öffentlich diskutiert werden können, von denen man sagen kann: Sie sind nicht so geheim oder sie gefährden nicht die Sicherheit oder einzelne Personen, wenn wir sie öffentlich machen. Es gibt schon heute Sachverhalte, die wir öffentlich diskutieren können. Meiner Ansicht nach sollten wir das auch tun. Momentan weiß die Öffentlichkeit nicht, wann wir tagen, wo wir tagen, worüber wir beraten. Das wissen selbst die Kolleginnen und Kollegen hier im Parlament nicht. Das wissen nur die acht Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums und ihre Vertreter.

Meiner Auffassung nach kann das nicht sein. Ich glaube, wir müssen aus NSU lernen, dass wir mehr Öffentlichkeit brauchen. Wir müssen einen Mentalitätswechsel einleiten – einen Mentalitätswechsel sicherlich bei der Behörde an sich. Wir brauchen jedoch auch bei manchen Abgeordneten diesen Mentalitätswechsel zu sagen: Wir gehen mit den Informationen, die wir erhalten, ein Stück weit öffentlicher um, wenn das nicht die Sicherheit gefährdet.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist, dass wir zukünftig die Konzentration nachrichtendienstlicher Mittel auf gewaltorientierte Bestrebungen haben wollen.

Die Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes von Herrn Jäger in der vergangenen Woche hat noch einmal sehr deutlich gemacht, wo momentan die Schwerpunkte von Verfassungsfeinden in Nordrhein-Westfalen liegen. Das sind vor allem Islamisten, Salafisten und Rechtsextreme.

Meiner Überzeugung nach ist es sehr richtig zu sagen: Wir wollen, dass die Mittel des Verfassungsschutzes genau in diesem Bereich effizienter eingesetzt werden. Das heißt nicht, dass wir in den anderen Bereichen weggucken. Wir setzen aber eine ganz klare Priorität darauf, wo wirklich gewaltbereite Orientierungen zu finden sind.

Zum Schluss meiner Ausführungen möchte ich eines deutlich sagen, weil es die abschließende Beratung ist: Der Verfassungsschutz kann Bildungsinstitutionen und Zivilgesellschaft nicht ersetzen. Was die Bildungsarbeit angeht, steht es ausdrücklich in der Begründung des Gesetzentwurfs. Ich zitiere:

„Die Aufklärungsarbeit des Verfassungsschutzes soll nicht zu einem allgemeinen Bildungsauftrag hin entwickelt werden.“

Das finde ich sehr richtig. Das ist auch nicht die Aufgabe des Verfassungsschutzes, sondern seine Aufgabe ist es, zu informieren und aufzuklären, aber nicht Bildung zu betreiben. Der Verfassungsschutz kann ebenfalls nicht die Aufgaben der Zivilgesellschaft übernehmen.

Die Auseinandersetzung über menschenfeindliche, menschenverachtende Motive und Einstellungen müssen wir in der Gesellschaft austragen. Wir sind diejenigen, die Demokratie mit Leben füllen müssen. Das ist nicht die Aufgabe des Verfassungsschutzes, sondern das ist die Aufgabe einer demokratischen Zivilgesellschaft.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Orth.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in letzter Zeit schon häufiger über den Verfassungsschutz gesprochen. Deswegen kann man es am Ende einer sehr langen Debatte relativ kurz machen und sich auf die wesentlichen Punkte beschränken.