Ich eröffne die Beratung und erteile zunächst für die antragstellende SPD-Fraktion Herrn Kollegen Garbrecht das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kein Landesparlament hat sich wie der nordrhein-westfälische Landtag seit 2005 so intensiv mit der Umsetzung der Arbeitsmarktreform beschäftigt – hier im Plenum, aber noch intensiver im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales –, meistens kontrovers, aber auch in wenigen Fällen in großer Übereinstimmung.
Ich hatte die Hoffnung, dass dieses Thema auch zur Übereinstimmung führen würde, muss aber nun zur Kenntnis nehmen, dass die CDU das nicht mehr arbeitsmarktpolitisch bewertet, sondern ihre Schulpolitiker an die Front schickt, wahrscheinlich weil die Arbeitsmarktpolitiker eher diesem Antrag zugestimmt hätten. Das ist das Armutszeugnis, das Sie in diesem Parlament zeigen.
Meine Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht hatte 2010 die Verfassungswidrigkeit der Regelsätze im SGB II festgestellt. Das hat sie der Allparteienkoalition von Bundestag und Bundesrat sozusagen ins Pflichtenheft geschrieben. Nicht alle haben daraus die richtigen Konsequenzen gezogen.
Neben den Leistungen für Erwachsene nahm das Bundesverfassungsgericht damals insbesondere die Leistungen für Kinder in den Blick und stellte fest, dass zur Wahrung des Existenzminimums auch – ich zitiere – „ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben notwendig ist und gewährleistet werden muss“. Die bisherigen Leistungen für Kinder hatte das Gericht als willkürlich bezeichnet.
Um diesem verfassungsmäßigen Anspruch nun gerecht werden zu wollen, entschloss sich SchwarzGelb für ein System der im Einzelfall zu beantragenden abrufbaren Dienst- und Sachleistungen.
Die im Sommerloch 2010 von Frau von der Leyen noch propagierte Chipkarte ist zum Glück Füllmaterial im Sommerloch geblieben. Aber BuT ist entstanden – nicht der Butt vom Fischer und seiner Fru, sondern das Bildungs- und Teilhabepaket wurde aus der Taufe gehoben. Wir wissen: Beides endete mehr oder weniger schrecklich – bei dem einen aufgrund von Maßlosigkeit und bei dem anderen wegen der Maßlosigkeit von Bürokratie und Bürokratiewahn.
Alle Befürchtungen, die auch anlässlich einer Anhörung des AGS geäußert wurden, sind leider bittere Realität geworden. Statt der in den Medien produzierten Bilder von geige- und klavierspielenden Kindern ist eine Beantragungs- und Bewilligungsmaschinerie angelaufen, die Sachbearbeiter in den Jobcentern, Eltern, Lehrer und Betroffene fassungs- und ratlos werden und verzweifeln lässt.
Aber wo haben diese bürokratischen Auswüchse ihren Ursprung? – Der Nährboden für diesen Beantragungs- und Kontrollwahn ist das abgrundtiefe
Misstrauen insbesondere der Konservativen, die Leistungen für Kinder und Jugendliche würden von den Eltern verprasst, versoffen und zweckentfremdet. Die Ausführungen von Philipp Mißfelder, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
waren seinerzeit auch hier im Plenum Thema. Geholfen hat die Debatte wenig, Werner Lohn. Die jetzige Bundesregierung schlug ohne Not alle Ratschläge von Experten in den Wind. Rot-Grün konnte daraufhin im Vermittlungsverfahren die Erweiterung des Kreises der Anspruchsberechtigten und auch insbesondere die Etablierung einer Infrastruktur in Gestalt der Schulsozialarbeit durchsetzen.
Heute sehen wir: Neben dem Schulstarterpaket ist das, was schon 2007 eingeführt wurde, die zusätzliche Schulsozialarbeit im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets das erfolgsträchtigste Instrument überhaupt, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen. Darum ist auch Schulsozialarbeit im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepaketes Teil einer präventiven Arbeitsmarkt-, Bildungs- und Sozialpolitik.
Sie dient insbesondere der Verbesserung der Integrationschancen der Leistungsberechtigten. Darauf hat insbesondere Schulsozialarbeit hinzuwirken, nämlich bei der Mitwirkung des Übergangs von der Schule in den Beruf, bei der Unterstützung, bei der Vermittlung von Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket. Der Zweck ist immer der gleiche: Kinder aus finanzschwachen Familien sollen am ganz normalen Schulalltag, am kulturellen Leben teilnehmen. So soll der Bildungserfolg gesichert werden. Es geht um das Durchbrechen der Generationen-Verfestigung von Transferbezug.
Meine Damen und Herren, es ist schon eine Geschichte aus dem Tollhaus, wenn das erfolgreichste, wirksamste Instrument im Prinzip jetzt eingestellt werden soll. Der Wegfall der zusätzlichen Schulsozialarbeit wäre ein Desaster.
Einer Aussage in einer Presseerklärung von gestern des Verbandes Bildung und Erziehung ist vorbehaltlos zuzustimmen: Die Schulsozialarbeit aus dem Bildungs- und Teilhabepaket hat unter anderem zum Ziel, die Abhängigkeit von sozialer Herkunft und Bildungschancen zu entkoppeln. Es kann nicht sein, dass der Bund sich aus diesem Projekt, das sich nachweislich bewährt hat, zurückzieht. – Dem stimmen wir vorbehaltlos zu.
Die CDU tanzt aus der Reihe. Ich hoffe zumindest, dass die Arbeitsmarktpolitiker der FDP, Herr Kollege Alda, hier einen anderen Antritt haben. Schulsozialarbeit muss bleiben. Dies allein leitet sich schon aus dem Rechtsanspruch für die Kinder ab. Deswegen werben wir für den Erhalt der Schulsozialarbeit, und
wir unterstützen insbesondere die Initiativen der Landesregierung im Bundesrat. Wir bitten auch hier um Zustimmung zu dem Antrag. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Für die zweite antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich nun Frau Kollegin Grochowiak-Schmieding das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Einführung des BuT, des Bildungs- und Teilhabegesetzes, wollte die schwarz-gelbe Bundesregierung der Benachteiligung armer Kinder und Jugendlicher im Bildungs- und Freizeitbereich begegnen. Nicht aus eigenem Antrieb – nein, das Bundesverfassungsgericht hat die Leistungen für Kinder und Jugendliche als nicht ausreichend beurteilt. Aber statt die Hartz-IV-Sätze anzuheben oder Gelder in die Infrastruktur zu stecken, hat die Regierung das BuT, das Bildungs- und Teilhabegesetz, geschnürt.
Was bereits 2010 vorhersehbar war, ist heute zur Gewissheit geworden. Mit dem BuT haben CDU und FDP ein bürokratisches Monstrum geschaffen, das die Betroffenen nur in unzureichendem Maße erreicht und darüber hinaus die kommunalen Verwaltungen über Gebühr belastet.
Immerhin wurde in NRW von Anfang an manche Regelung großzügig ausgelegt. So wurde zum Beispiel Nachhilfeunterricht nicht nur bei leistungsschwachen, sondern auch bei leistungsstarken Schülerinnen und Schülern gewährt. Sie wollen es nicht glauben: Aber die vermeintlich bildungsfernen Schichten möchten natürlich auch Leistungsstärke weiter steigern.
Wir Grünen sehen das BuT nach wie vor sehr kritisch, bevorzugen wir doch seit jeher Investitionen in die Weiterentwicklung und in die Qualität der Systeme, insbesondere in die Bildungsinfrastruktur, anstatt in die Verteilung von Almosen. Nichts anderes sind 10 € pro Monat für die Teilhabe an Kultur und Sport – und das auch noch auf kompliziertem Antragswege.
Immerhin wurde auf Drängen rot-grün geführter Bundesländer mit Einführung des BuT das Projekt Schulsozialarbeit ins Leben gerufen. 400 Millionen € jährlich stellt die Bundesregierung den Ländern dafür zur Verfügung – eine wichtige Investition, die dazu beiträgt, die bereits bestehende Arbeit hier in NRW in die Breite zu tragen und eine angemessene Teilhabe am gesellschaftlichen und soziokulturellen
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, Absprachen von einst, die Sie in Ihrem Antrag auch erwähnen, dürfen durchaus überdacht werden. Es dürfen auch neue Absprachen getroffen werden, wenn es denn darum geht, Schaden abzuwenden. Viele Kommunen haben mittlerweile die Gelegenheit ergriffen und Schulsozialarbeiter und Schulsozialarbeiterinnen eingestellt. Im Laufe der Zeit hat sich dies vielerorts als ein Erfolgsprojekt herausgestellt. Das dürfte Ihnen ja auch bekannt sein.
Wir wissen, Bildung ist mehr als Schule. Der moderne, erweiterte Bildungsbegriff setzt neben kognitiv ausgerichtetem Wissen auch auf emotionale, soziale und auch ästhetische Kompetenzen, und dies möglichst an den Befindlichkeiten der Kinder und Jugendlichen ausgerichtet.
Mit der Entwicklung der Ganztagsschule offenbaren sich die Schnittstellen zwischen Schule und Jugendhilfe, was auch zu einem Öffnungsprozess an den Schulen geführt hat. Auf diesem Feld kann sich eine präventiv handlungsorientierte Schulsozialarbeit profilieren, insbesondere benachteiligte Familien, Kinder und Jugendliche fördern und auch unterstützen. Sozialarbeit wird mittlerweile als Partnerin für die Qualitätsentwicklung der Schulen gesehen und ist als flächendeckende Regeleinrichtung erwünscht.
Dies alles scheint der schwarz-gelben Bundesregierung unter Angela Merkel egal zu sein. Sie will ihre Förderung der Schulsozialarbeit aus dem Bildungs- und Teilhabepaket und damit beförderte Bildungsgerechtigkeit zum Jahresende auslaufen lassen. Das ist verantwortungslos und darf auch nicht geschehen. Wir wissen die Kommunen, die Schulen und auch die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege an unserer Seite und begrüßen ganz klar die Initiative der Landesregierung. Gerne gemeinsam mit Ihnen möchten wir die Bundesregierung auffordern: Heben Sie die Befristung der Schulsozialarbeit auf und sorgen Sie dafür, dass die über das BuT initiierte Schulsozialarbeit auch in Zukunft fortgeführt werden kann.
Meine Damen und Herren, in diesem Sinne bitte ich Sie um die Unterstützung unseres Antrags. – Schönen Dank.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete. – Für die CDU-Fraktion erteile ich nun Frau Kollegin Dr. Bunse das Wort.
Herr Präsident! Geneigte Zuhörer! Niemand in meiner Fraktion, meine Damen und Herren, verkennt die Notwendigkeit des Wir
kens von Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeitern in den Schulen unseres Landes. Und das ausdrücklich besonders zum Nutzen sozial benachteiligter Kinder.
Erlauben Sie mir die Bemerkung: Ich komme aus Bottrop, ich weiß wovon ich rede. Gleichwohl, Herr Garbrecht, habe ich das Szenario, das Sie beschrieben haben, in der Form Gott sei Dank nicht erleben müssen. Aber vielleicht haben die Kommunen auch unterschiedliche Ansätze gefunden, und wir in Bottrop waren besonders gut.
Diesem hohen Anspruch will die Landesregierung NRW gerecht werden. Ich zitiere aus der Vorlage 15/756:
„Auch wenn Nordrhein-Westfalen dem Ergebnis des Vermittlungsverfahrens im Bundesrat aus guten Gründen nicht zugestimmt hat, steht das Land“
„gleichwohl in der Verantwortung, die sich daraus ergebenden Möglichkeiten zur Verbesserung der Bildung und Förderung unserer Kinder und Jugendlichen aktiv zu nutzen.“
Die Zeit, hier ein Anschlusskonzept zu finden, haben Sie gehabt, in der Tat. Genutzt haben Sie diese Chance bisher eher nicht.
Stattdessen wird wieder – das ist gerade angeklungen; Frau Beer, ich habe es gehört – nach Berlin geschielt, und Frau Bundeskanzlerin Merkel soll es richten. Ich finde das irgendwo peinlich.
Wir haben die Möglichkeit der weiteren Etablierung von Schulsozialarbeit in NRW im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets begrüßt, allerdings als Gabe auf Zeit, wie im Vermittlungsausschuss vereinbart. Es sollte eine Art Anschub sein, um Schulsozialarbeit passgenau vor Ort an Schulen für die benachteiligten Kinder einzusetzen,