Wir haben die Politik der Agenda 2010 in Berlin fortgesetzt. Der europäische Vergleich gibt uns recht.
Trotzdem gibt es nach wie vor Menschen, die wir nicht erreichen. Da muss der Sozialstaat treffsicherer werden. Das bleibt für uns alle eine große Herausforderung; denn auch für uns Liberale zählt jedes einzelne Schicksal. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, Sie und die Regierungsfraktionen haben mit der Diskussion über den Sozialbericht ein Zerrbild des Landes gezeichnet.
Sie erwecken den Eindruck, als gäbe es hier im Land auf breiter Front Not und Elend. Dabei wissen Sie genau, dass unser Land wirtschaftlich und sozial hervorragend dasteht. Unser Sozialstaat wirkt und erfüllt den Auftrag, Armut zu verhindern. Durch den progressiven Steuertarif tragen die starken Schultern mehr als die schwachen. Auf diese Weise findet im bestehenden System bereits ein Ausgleich zwischen denen, die viel verdienen, und denen, die wenig verdienen, statt. Eine Steuererhöhungsdebatte ist deshalb völlig fehl am Platz.
Kurz gesagt: Millionen von Menschen auf der Welt würden sich wünschen, in solch einem Land zu leben und die Probleme zu haben, über die wir heute reden. Dass wir hierüber und über den Bericht diskutieren, ist gut. Es wäre aber auch in Ihrer Verantwortung gewesen, den Bericht richtig einzuordnen und auf methodische Schwächen der Statistik hinzuweisen. Das haben Sie nicht versäumt, sondern absichtlich nicht gemacht; denn Ihnen geht es um etwas anderes.
Sie wollen skandalisieren. Sie wollen den Bericht politisch nutzen, um Ihre Umverteilungsfantasien und Steuererhöhungen auf breiter Front zu begründen.
Damit – und das werfe ich Ihnen vor – spannen Sie die sozial Schwachen vor Ihren parteipolitischen Karren.
Meine Damen und Herren, die Festlegung, dass derjenige als einkommensarm gilt, der weniger als 60 % des mittleren Einkommens verdient, ist keine Erfindung von NRW, sondern europaweit Standard.
Aber diese Art der Betrachtung führt dazu, dass bizarre Armutsfälle konstruiert werden können. So beziehen beispielsweise Auszubildende meist eine Vergütung, die unterhalb der definierten Armutsschwelle liegt. Damit gelten sie statistisch als arm. Kaum ein Auszubildender würde sich aber persönlich als arm empfinden. Im Gegenteil: Erstmals in seinem Leben, wenn er vorher zur Schule gegangen ist, verdient er richtig Geld und kann sich etwas leisten.
Auch die Ehefrau eines Landtagsabgeordneten, die als Sekretärin in Teilzeit hinzuverdient, gilt der Definition nach als arm. Das zeigt, dass diese Form der Betrachtung absurd ist. Es ist doch klar, dass gera
Meine Damen und Herren, die Methode, Armut am Durchschnittseinkommen zu messen, birgt einen erheblichen methodischen Mangel, auf den Sie auch hätten hinweisen müssen. Wenn beispielsweise alle Spieler von Fortuna Düsseldorf ihren Wohnsitz von Düsseldorf nach Neuss verlagern, dann steigt statistisch in Neuss die Armut, und in Düsseldorf geht sie zurück, ohne dass sich an der konkreten Lebenssituation eines Einzelnen etwas verändert hätte.
In Wahrheit misst der Bericht nicht Armut, sondern Ungleichheit. Das hört sich nur nicht so spektakulär an. Meine Damen und Herren, ein verantwortungsvoll handelnder Minister hätte auf solche Phänomene hingewiesen.
Er hätte auch die Verantwortung gehabt, die Befunde des Berichts in einen etwas größeren Kontext zu stellen, gerade weil wir in diesen Tagen den europäischen Zusammenhang sehen müssen; Kollege Stamp hat das eben ausgeführt. Ganz Europa schaut auf Deutschland und beneidet uns um unseren stabilen Arbeitsmarkt. Der beste Weg aus der Armut heraus ist und bleibt die Aufnahme einer Beschäftigung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, niemand bestreitet, dass es auch in diesem Land Leute gibt, die wenig haben, die sich einschränken müssen und die wir als arm bezeichnen müssen. Frau Howe, Sie haben eben zu Recht auf diese Gruppe hingewiesen. Denen, die wirklich unsere Hilfe brauchen, tun wir aber doch keinen Gefallen, wenn wir sie mit Auszubildenden und hinzuverdienenden Ehepartnern in einen Topf werfen. Wir sind an Ihrer Seite, wenn es darum geht, tatsächliche Armut in diesem Land zu bekämpfen und Betroffenen zu helfen, ihre Situation zu verbessern. Aber wir wehren uns dagegen, wenn Sie mit statistischer Armut die Leute verrückt machen. – Herzlichen Dank.
Herzlichen Dank, Herr Kerkhoff. – Für die Landesregierung hat sich noch einmal Herr Minister Schneider zu Wort gemeldet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was sein muss, muss sein. Zunächst einmal zu Herrn Kerkhoff: In Europa werden wir in der Tat um unseren stabilen Arbeitsmarkt beneidet.
nicht angestiegen sind und unser internationaler Wettbewerb unter anderem darauf beruht. Jede Medaille hat zwei Seiten. Sie können nicht immer von dem einen sprechen und das andere nicht erwähnen.
Mir kommt es nicht darauf an, in irgendeiner Weise zu skandalisieren. Das ist doch absurd. Ich plädiere nur dafür, die Realitäten zur Kenntnis zu nehmen.
Beim Sozialbericht stehe ich im Übrigen in einer Tradition, die Ihnen vielleicht nicht ganz gefällt. Wenn Sie einmal nachlesen, was mein Vorgänger im Amt des Sozialministers bei der Vorlage des zweiten Sozialberichtes gesagt hat, so erkennen Sie: Es sind teilweise dieselben Kritikpunkte, die ich auch aufgerufen habe. Jeder verantwortliche Sozialminister muss dies tun. Sozialminister haben nicht die Aufgabe, in Schönfärberei zu verfallen, sondern die Wahrheit zu sagen.
Zweiter Punkt: Ich gehöre nicht zu denjenigen, die sich von der Sozialagenda 2010 distanzieren. Sie werden mich überhaupt nicht dazu bringen, mich von irgendeiner Politik eines sozialdemokratischen Kanzlers zu distanzieren. Ich weiß, wovon ich da rede. Nach wie vor ist es richtig, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammenzulegen. Nach wie vor ist das Prinzip des Forderns und Förderns richtig. Wir haben nur zu wenig gefördert. Wenn Sie an Ihre Instrumentenreform denken, die Hunderte von Millionen Euro dem Land Nordrhein-Westfalen in der Arbeitsmarktpolitik entzogen hat, dann wissen Sie, worum es geht. „Fordern und Fördern“ ist richtig. Aber dann muss dies auch mit einer Waage geschehen und nicht so einseitig wie in den letzten Jahren.
Herr Dr. Stamp, eines muss ich doch richtigstellen. Auf der Veranstaltung des Paritätischen waren ja auch noch einige andere Abgeordnete. Ich denke, wir erkennen hier mehrere Wirklichkeiten. Mein verehrter Namensvetter Dr. Schneider hat die Instrumente, die zu einer Umverteilung von oben nach unten gehören, aufgerufen. Ich habe lediglich hinzugefügt, dass wir doch gemeinsam dafür sorgen können, dass diese Umverteilung auch eintritt. Mehr nicht. Dies mag doch einem Minister gestattet sein.
Sie werden das Wort des DGB-Vorsitzenden noch in 15 Jahren singen, wenn ich schon lange woanders bin. Lassen Sie sich doch einmal eine andere Platte einfallen!
Ich glaube, wir sind, wenn es um Abgabenpolitik geht, nicht allein in Nordrhein-Westfalen. Wir haben hier viele Verbündete an unserer Seite. Wir werden auch mit diesen Verbündeten gemeinsam handeln.
Herr Minister, teilen Sie mit mir die Befürchtung, dass neben der Herdprämie und der angedachten Putzprämie die CDU
hören Sie doch erst einmal zu! – jetzt vielleicht auch noch eine Ehebestandsprämie im Kopf hat, damit Frauen mit prekären Beschäftigungsverhältnissen weiterhin von ihrem Ehemann abhängig sind?
Ich kann mir das durchaus vorstellen, weil die Politik des sozialpolitischen Unfugs keine Grenzen kennt,